Als ob besonders junge Frauen nicht wählen wollten.

Zu den Resultaten, welche die Selects-Studie zu den Wahlen 2007 hervorgebracht hat, gehört, junge Frauen würden, ganz anders als junge Männer, vermehrt nicht wählen. Kurz vor der Wahl die vier Jahre alten Ergebnisse zu repetieren, kann trügerisch sein.

Zuerst: Die Wahlbeteiligung ist in der Schweiz ist im internationalen Vergleich tief. Wie sind halt Fans der Abstimmungsdemokratie und der Entscheidung aus Interesse, weniger der Wahldemokratie und der BürgerInnen-Pflicht.
Sodann: Die Wahlforschung zeigt seit vielen Jahren, die Beteiligung an Wahlen hängt stark vom Alter ab. Sie nimmt im Schnitt bis zum 70 Altersjahr zu, verringert sich dann aus gesundheitlichen Gründen. Bei den jüngsten Wahlberechtigten, den 18-29jährigen, klafft aus ganz anderem Grund eine grosse Beteiligungslücke: Eine Disposition, sich politisch regelmässig zu äussern, besteht nicht. Abstimmen aus Betroffenheit mag gehen, Parteipolitik ist einem eher fern.

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Die Selects-Nachbefragung 2007 legt zudem nahe, dass ein grosser Unterschied zwischen jungen Männern und jungen Frauen besteht. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, das die Differenz wurde als Folge der Polarisierung gedeutet, die besonders Frauen von der Politik abhalten würde.

Eine Spezialauswertung der aktuellen Wahlbarometer-Daten hierzu zeigt, das dem nicht so ist. Zwischen den Beteiligungsabsichten von jungen Frauen und jungen Männern gibt es keinen Unterschied. Gut zwei Wochen vor der Wahl wollen rund ein Viertel der unter 30jährigen Frauen und Männer an der anstehenden Wahl teilnehmen. Tendenz steigend – oder anders gesagt: Der Wert bis zum Wahltag kann auch höher sein.

Die Wahlbarometer-Daten widerlegen die Annahme einer dauerhaften und gleichgerichteten, geschlechterspezifischen Diffferenz in den Beteiligungsabsichten. Vielmehr zeigen sie, dass das vorherrschende Thema die Teilnahmebereitschaften der jungen BürgerInnen geschlechtsspezifisch beeinflussen: Wenn über Masseneinanderung diskutiert wird, spricht das mehr die jungen Männer an. Wenn es um den Ausstieg aus der Kernenergie geht, bewegt das die jungen Frauen mehr. Seit keines der Themen mehr dominiert, haben die Beteiligungsbereitschaften unter den jungen BürgerInnen keinen geschlechtsspezifischen Charakter mehr.

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Deshalb lanciere ich eine Gegendarstellung: Generelle geschlechtsspezifische Stereotyp zur politischen Partizipation zu bemühen, ist nicht nötig. Politische Beteiligung der jungen Menschen ist situativ, und hängt vom vorherrschenden Thema an. Das man mehr machen sollte, um die nachfolgenden Generationen in die Politik einzubeziehen, ist ganz allgemein gut. Es ist allerdings nicht nur ein Probleme der ganz jungen BürgerInnen!

Claude Longchamp

Szenarien für die Bundesratswahlen vom 14. Dezember 2011

Gegenwärtig bin ich häufiger Gast in ausländischen Botschaften. Mit schöner Regelmässigkeit erwartet man von mir Auslegeordnungen zu den anstehenden Bundesratswahlen. Hier meine Kernbotschaften.

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Niemand weiss, was am 14. Dezember 2011 geschieht. Weil die Bundesversammlung den Bundesrat wählt. Und die Wahl der neuen Bundesversammlung am 23. Oktober 2011 erst beginnt und mit den zweiten Wahlgängen für den Ständerat am 30. November 2011 endet. Die neue Zusammensetzung des Nationalrates kann man noch einigermassen erahnen, die des kommenden Ständerates ist unklarer.

In solchen Situation verzichtet man am besten auf jegliche Prognose. Machbar aber sind aber Szenarien: mögliche Zukünfte, bei denen man zwischen Wünschbarkeit und Wahrscheinlichkeit unterscheidet. Wissenschaftlich von Belang ist nur die Ausprägung möglicher Szenarien, verbunden mit ihrer Probabilität. Entscheidungen zur Wünschbarkeit sind Sache der Politik.

Ich halte (gegenwärtig) fünf Szenarien für hilfreicht; einigermassen realistisch sind drei, wobei zwei noch je ein Subszenario beinhalten:

erstens der Status Quo,
zweitens die Rückkehr zur alten Zauberformel und
drittens die Neudefinition der Regierungskonkordanz.

Status Quo
Beim Status Quo geht man vom Machterhalt aus. Das ist die normalste Logik bei Bundesratswahlen. Es bleibt alles wie es ist. Veränderungen in der parteipolitischen Zusammensetzung sind erst bei Rücktritten angesagt. Und auch dann nur, wenn sich das Parteiegefüge nachhaltig verändert hat. An diesem Szenario interessiert ist vor allem die BDP. Sukkurs erhält sie von der CVP. Auf Status Quo setzen aber auch SP und FDP, denn sie könnte je einen Sitz verlieren. Kein Interesse an dieser Variante hat die SVP. Die sie bliebe bis auf Weiteres halb drinnen und halb drassen. Allerdings, die SP risikiert am meisten, denn sie hat die Nachfolge von Micheline Calmy-Rey im Bundesrat zu regeln. Um diese geht es im letzten Wahlgang. Das ist der Moment aller Wadenbeisser, die sanktionslos zuschlagen können. Ohne Absicherung bei den anderen Parteien wird das für die SP zur Zitterpartie, denn die SVP hat bereits angekündigt, dass sie ihren zweiten Sitz notfalls auch gegen die SP holen wolle.

Alte Zauberformel
Das macht ein vorgängiges Arrangement der interessierten Parteien denkbar. Gefordert sind vor allem SVP und SP, allenfalls auch FDP. Die drei (voraussichtlich auch inskünftig) wählerstärksten Parteien in der Schweiz könnten sich auf die alte Zauberformel einigen. Sie bekämen je zwei VertreterInnen im Bundesrat, die vierte Partei einen. Damit wird das machtpolitische Gerangel beseitigt. Allerdings wäre das auch das Ende der kleinen BDP als Bundesratspartei, und Eveline Widmer-Schlumpf würde abgewählt oder würde sich im letzten Moment zurückziehen. Hauptinteressent an dieser Variante ist die SVP, Denn die Parteienlandschaft hat sich seit 1959, als diese Regel erfunden wurde, massgeblich verändert. Die SVP ist stark gewachsen, die FDP und die CVP sind stark geschrumpft. Neu hinzugekommen sind die Grünen. Das liefert denn auch den Haupteinwand: die 2:2:2:1 Formel findet in der Parteienlandschaft keine wirkliche Entsprechung mehr. Das Subszenario käme dann zum Tragen, wenn die CVP die FDP im Nationalrat überholen sollte. Dann würde nicht nur die BDP-Bundesrätin über die Klinge springen müssen, auch ein FDP wäre dann gefährdet. Das gäbe der CVP die Möglichkeit, der BDP eine Fraktionsgemeinschaft anzubieten, ihre Bundesrätin zu belassen um dereinst den Sitz zu erben. Die SVP würde dann zulasten der FDP bedient. Im Hauptszenario hat die SP ein Problem, denn bei 2 SVP und 2 FDP wäre die Mehrheit, die den Ausstieg aus der Kernenergie hergestellt hatte, nicht mehr gegeben. Die SP würde den Vorwurf riskieren, den eigenen Machterhalt über die Sachpolitik gestellt zu haben.

Neue Regierungskonkordanz
Das dritte Szenario geht davon aus, dass die Regierungskonkordanz neu definiert werden muss. Die Proportionalität der Regierungszusammensetzung würde erhöht, wenn die BDP nicht mehr vertreten wäre, die SVP mit einem zweiten Sitz bedient würde, die FDP aber einen an die Grünen (und da an die GPS) abtreten müsste. Der zweite Wahlgang bei den Bundesratswahlen, der zu Eveline Widmer-Schlumpf liefe genau gleich ab wie im zweiten Szenario, doch dann käme es bei der Wiederwahl eines der beiden FDP-VertreterInnen zu einer neuerlichen Wende: Sollte die FDP die Parlamentswahlen klar verlieren, die CVP nicht wirklich gewinnen, Rotgrünschwarz aber eine Mehrheit in der Bundesversammlung haben. wäre ein solcher Ausgang denkbar. Er hätte den Vorteil, dass die Regierungsmehrheit weiterhin von Parteien gebildet würde, die in Sachen Kernenergie ausstiegswillig sind. Ein wenig wahrscheinliches Subszenario hierzu wär, dass sich die abgewählte Eveline Widmer-Schlumpf gegen die FDP austellen lasse würde, wofür aber SP, CVP, BDP und GLP eine Parlamentsmehrheit bräuchten. Denn die GPS dürfte einem solchen Vorgehen kaum zustimmen, ist aber Hauptnutzniesserin der Neudefinition der Regierungskonkordanz.

Andere Szenarien
Selbstredend gibt es auch noch weitere Szenarien: eine Regierung ohne SP oder ohne SVP. Doch das wäre der definitive Bruch mit der Regierungskonkordanz. Die Rückkehr zur Zauberformel, 2009 und 2010 bei den damaligen Bundesratswahlen angelegt, wäre die theoretisch reinste Form Konkordanz. Der Verbleib beim Status Quo würde die SVP vor den Kopf stossen, was man zu mindern versuchen könnte, indem der Sitz der BDP beim Rücktritt von Widmer-Schlumpf an die SVP ginge. Die neuen Konkordanzformel hängt in erster Linie vom Wahlergebnis ab. Mit dem wird man auch die Wahrscheinlichkeit der Szenarien bestimmen können.

Uebergeordnete Prinzipien bei der anstehenden Wahl sind die Stabilität des Landes, die Abbildung der politischen Kräfte und die Bestückung der Regierung mit fähigen PolitikerInnen. Das führt fast zwangsläufig zur letzte Frage, die mir in Botschaften regelmässig gestellt wird: Wer wird neu das Aussenministerium leiten? Das ist gar nicht vorhersehbar, pflege ich zu antworten – und mit dem Hinweise zu ergänzen, es sei auch gar nicht so wichtig. Denn anders als in geführten Regierungen, wie der oder die AussenministerIn in der Regel die Nummer 2 der Regierung ist, ist das Prestige des Postens in der Schweiz deutlich tiefer. ChefIn im EDA zu werden, ist eigentlich nur für den Chef im VBS ein Aufstieg.

Claude Longchamp

Wahlbörsen: Zwischenbilanz zu den Ständeratswahlen

Ich war heute in Bern einkaufen. In der Hauptstadt begegnete man zahlreichen KandidatInnen bei den anstehenden Parlamentswahlen. Ständeratsbewerber Hans Stöckli, vormaliger SP-Stadtpräsident in Biel/Bienne, führte Strassenwahlkampf. Und wollte wissen, ob man der Wahlbörse von SRF trauen kann. Hier meine Antwort.

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Zunächst: Wahlbörsen gehören seit 1988 zu Wahlkämpfen. Erfunden wurden sie an der University of Iowa in den USA. Sie haben sich als Informationstool zum Stand der Meinungsbildung zu Parteien und Kandidaten nebst Wahlumfragen etabliert. Theoretisch basieren sie auf der liberalen Annahme, dass Märkte Informationen effizient und genau verarbeiten, denn Marktteilnehmender wollen keines Falls gewinnen, idealerweise gewinnen. Deshalb informieren sie sich umfassender als andere, bilden sich nicht nur eine eigene Meinung, sondern reflektieren auch, was die öffentliche Meinung ist.

Sodann: Wahlbörsen sind nicht geeignet, die klassischen Fragen der Umfrageforschung zu beantworten. Diese lassen sich mit der www-Formel zusammenfassen: Wer (wählt) wen warum? Wahlbörsen eigenen sich aber, um die Frage zu beantworten; Wer gewinnt, wer verliert. Und das nicht nur für sich selber, sondern als Wette mit anderen.

Die SRF-Wahlbörse funktioniert nach diesen Prinzipien. Die Gewinnaussichten sind indessen marginal. Und der Geldeinsatz ist symbolisch. Man kann es auch so sagen: Die Eintrittsschwelle ist unüblich tief. Das eröffnete SpielerInnen, die Freude am Gamblen haben Tür und Tor. Auch politisch Interessierten, die als Gruppe versuchen, die Börsen zugunsten ihrer FavoritInnen zu manipulieren.

Angesichts der Teilnehmendenzahlen bei den Börsen zu den Ständeratswahlen wiegt das umso schwerer, als die Wettgemeindschaften klein (geblieben) sind. Im Schnitt beteiligen sich rund 100 Personen an den Wahlbörsen. Das ist zwar nicht einfach wenig, Missbrauchsmöglichkeiten können aber nicht ausgeschlossen.

Die Grundaussage, die aus den Wahlbörsen zu den Ständeratswahlen entsteht, ist meines Erachtens nicht einfach falsch. Sie ist eine Diskussionsgrundlage. Wie genau so ist, wird sich erst erweisen, wenn der erstmalige Test abgeschlossen ist und die Kurswerte der KandidatInnen anhand der effektiven Ergebnisse evaluiert werden können. Nimmt man die vorläufigen Resultate zwei Wochen vor dem 1. Wahlgang zum Nennwert, kann man Folgendes festhalten:

Erstens, in vielen Kantonen kommt es zu zweiten Wahlgängen. Diese erscheinen in den grossen und mittleren Kantonen als Normalfall.
Zeitens, bisherige können nicht einfach damit rechnen, auf Anhieb wieder gewählt zu werden. Es sind sogar einzelne Abwahlen denkbar, wie das Beispiel Uri nahelegt.
Drittens, in den meisten Kantonen mit Konkurrenz hat es 3 bis 4 ernsthafte Bewerbungen, die es auf 30-40 Prozent der Stimmen bringen könnten.
Viertens, die Allianzbildung für den zweiten Wahlgang wird entscheidend sei, wie die kleine Kammer in der nächsten Legislatur aussieht.

Bedenken bestehen also. Ein besseres Informationstool als das gegenwärtige gibt es zu den Ständeratswahlen indessen nicht.

Mit den Schlussfolgerungen war Hans Stöckli jedenfalls sichtbar zufrieden.

Claude Longchamp

Nationalrat: Was uns die verschiedenen Informationstools zum Wahlausgang sagen

Am Donnerstag war ich in Zug. An der Kantonssschule. Im Rahmen einer Studienwoche für 17jährige GymnasiastInnen hielt ich einen Vortrag über Wahlanalysen. Dabei ging es mir unter anderem darum, über Möglichkeiten und Grenzen der Wahlprognose bei Nationalratswahlen zu berichten.

J. Scott Armstrong, der einen dicken Wälzer über Principles of Forecasting geschrieben hat, kommt zu einem wesentlichen Schluss: Kein noch so entwickeltes Prognosetool ist perfekt. Am besten verwendet man deshalb mehrere Instrumente nebeneinander, um zu vergleichen, was sie ergeben. Gemeinsame Ergebnisse sind wahrscheinlicher. Divergente sind Zeichen für Vorsicht.

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Anahnd der verschiedenen Informationstools zu den Nationalratswahlen in 14 Tagen kann man das wie folgt ausführen.

Bisher gibt es: Kantonale Wahlübersichten, WählerInnen-Befragungen und Wahlbörsen.

Wahlübersichten haben einen Vorteil. Sie beziehen sich auf effektive Wahlen. Ebenso gewichtig ist ihr Nachteil. Sie liegen zwischen 6 Monaten und über 40 Monaten zurück. Zudem sind die Angebote unterschiedlich, es variiert teilweise das Wahlrecht, und vor allem die Beteiligung ist ungleich. Wahlbefragungen sind da aktueller. Ihre Qualität hängt aber vom Zugang zur gesamte Wählerschaft ab (zum Beispiel auch zu AuslandschweizerInnen), und sie können durch eine selektive Auskunftsbereitschaft in ihrer Aussagegenauigkeit beeinträchtigt werden. In der Schweiz ist 10 Tage vor der Wahl Schluss mit der Publikation von Umfragen. Das ist dann die Zeit der Wahlbörsen, die bis zum Wahltag gemacht werden (dürfen). Sie basieren auf der Weisheit der Schwärme, der Kollektive, die interagieren. Ihre Prognosegüte hängt von der Zahl der Teilnehmenden ab. Je geringer sie ist, desto eher können einzelne Vögel den Schwarm irreführen.

2007 haben sich, wie es Armstrong sagte, alle Instrumente einigermassen bewährt. Die Kantonsanalyse unterschätzten die CVP, die sie im Wahljahr aufbäumte. Die Wahlbörsen waren bei grossen Parteien gut, bei kleinen aber schlecht. Die Wahlbefragungen waren insgesamt korrekt, überschätzten die SP aber etwas, und bildeten die Stärke der SVP nicht hinreichend genug ab. Die Effekte der letzten Tage, vor allem die Krawalle in Bern, die der SVP genützt haben, wurde als wichtigste Begründung hierfür erwähnt.

Und 2011? – Die aktuellen Tools haben drei Gemeinsamkeiten: Es legen BDP und GLP zu. Es verliert die FDP. Allenfalls auch die CVP. Die Grünen halten sich. Und unklar ist der Ausgang bei SP und SVP, denn die Instrumente widersprechen sich hier. Kantonsanalyse sehen die SVP auf der Plusseite, anders als die SP, die eher verliert, während Umfragen und Börsen tendenziell vom Gegenteil ausgehen.

Politisch gesprochen kann man sagen: Alle Hinweise, die wir heute haben, sprechen von einer Verstärkung der Mitte, allerdings neu auf drei Parteien aufgeteilt. Das relativiert die Polarisierung als bisher klarstes Interpretationsmuster deutlich. Noch ist unklar , ob die Polarisierung fortgesetzt wird, das heisst SVP und/oder Rotgrün zulegen oder nicht. Zwischenpositionen, wie die Mitte/Rechts-Position der FDP, haben es dagegen schwer, nachvollzogen zu werden.

LehrerInnen und SchülerInnen dankten mir für diese Klärung!

Claude Longchamp

PS:
Nur wenige Tage davor hielt ich einen ähnlichen Vortrag in St. Gallen. Das St. Gallen Tagblatt fasst meine Abwägungen unter dem Titel zusammen: “SVP verliert, SP gewinnt“. Soviel zur Zwangshaften Konstruktion einer Prognose durch gewisse Medien.

Bundesbernsehen

“Treffpunkt Bundesplatz”, die grosse Plattform der SRG zu den Parlamentswahlen im Herbst 2011, gehört der Vergangenheit an. Ein guter Moment, um eine Bilanz zu ziehen.

Der Start war verhalten. Denn vor 10 Tagen war schlechtes Wetter – ein Killer für jede Freiluftveranstaltung, wie das beim Treffpunkt Bundesplatz der Fall war. Die SP, die sich an diesem Tag präsentierte, stand förmlich im Regen. Doch dann taute Politbern auf und erstrahlte in der herbstlichen Sonne, welche die Vorstellung der anderen 9 anderen grösseren und kleineren Parteien überstrahlte. Erst am letzten Tag zogen vorübergehend dunkle Wolken auf, wenigstens im übertragenen Sinne, denn die FDP beschwerte sich lauthals, im Parteienporträt schlecht weggekommen gewesen zu sein, sodass ein veränderter Film ausgestrahlt werden musste.

Im Zentrum der regulären Politikvermittlung kurz vor den Wahlen standen PräsidentInnen-Frühstücks im Radio, PolitikerInnen-Diskussionen im Fernsehen und Reden von Hoffnungsträger der Parteien auf dem Bundesplatz. aufgenommen wurde alles in den improvisierten Medienräumen der SRG SSR, zu sehen und zu hören war es jedoch im ganzen Land. 2 bis 3 Kantone waren zudem je einen mit Regierungsdelegationen, Folklore und Souvenirständen zu Gast. Spontan zur Musik aus der Bündner Herrschaft stiess Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, um sie im Bad der Menschenmenge zu stärken, bevor in weniger als 3 Monaten über ihre politische Zukunft entscheiden wird.

Vom Fernsehen ins Bild gerückt wurden resp. durch das Radio zum Wort gekommen kam in den 10 Tages des Treffpunktes Bundesplatz eine grosse Zahl an Prominenz wie alt-Bundesrat Adolph Ogi, der frühere Staatssekretär Franz von Däniken, die Diplomatin Gret Haller und der Auslandjournalist Haig Simonian. Das gilt auch für zahlreiche ExpertInnen der Analyse von Finanzmärkten, der Lehre in Schweizer Geschichte oder der Lehre in politischer Kommunikation. Ja, zahlreiche Politikwissenschafter gaben sich in diesen 10 Tagen die Hand. Ich selber war ich in den vier Wahlarenen zu Migrationsfragen, zur Gesundheitspolitik, zum Ausstieg aus der Kernenergie und zu Ursachen und Folgen des starken Frankens.

Der Rahmen für alle diese Auftritte war würdig. Im südlichen Hintergrund das Bundeshaus, in dem die ParlamentarierInnen zum letzten Mal in der bestehenden Formation tagten, um rechtzeitig vor den Wahlen den Ausstieg aus der Atomenergie zu besiegeln, die integrierte Versorgungskette im Gesundheitswesen einzuführen und das Namensrecht für Verheiratete neu zu regelen. Auf der östlichen Seite stand die Schweizerische Nationalbank fest in der Brandung der Euro-Krise, welche die Schweiz reich und bedroht zugleich macht, ohne dass man das viel beschäftigten Präsidium viel gesehen hätte, während im Westen die 26 Brunnen, je einen Stand im Bundesstaat repräsentierend, die permanente Erneuerung der Kraft im Bundesstaat durch Wahlen darstellten. Im Norden schliesslich ging es fast nahtlos auf den Bärenplatz über, der an Zeiten erinnert, als die Eidgenossenschaft ihre Autonomie im Kaiserreich erlangte, in die italienischen Kriege aller Herren Länder verwickelt war, rasches Geld machte, was dann zur Reformation, der moralisch-sittlichen Gegenbewegung, führte.

Die Reaktionen, die ich hatte auf die ganze Veransaltung hatte, waren überwiegend positiv. Politik machte für einmal Freude. Angesprochen wurde man an jeder Ecke, und gegrüsst wurden man quer durch alle Reihen. Nicht immer sprach man von den Wahlen, aber immer öfter. Von Hoffnungen war die Rede, die politischen Konfrontation möge endlichen ihren Tiefpunkt durchschritten haben, sodass der Gedankenaustausch unter BürgerInnen und mit PolitikerInnen wieder mehr Beachtung geschenkt werden. Vor allem ältere Leute auf dem Platz schätzen es, dass ein Gemeinschaftsgefühl aufkam. Männer und Frauen jeden Alters spielten mit PolitikerInnen Schach oder klopften mit Mediengrössen einen Jass, und jüngere BürgerInnen genossen es, rasch auf ein Bier oder Cüpli vorbeikommen zu können, um einen Hauch von der anstehenden Entscheidung mitzubekommen.

Ich weiss, auf meinen Reisen durch die Schweiz in diesen Tagen bin ich auch negativen Stimmen begegnet. Die sagten, es sei zu viel, worüber man informiert werde. Es werde auch zu viel Propaganda gemacht. Das erzeuge Zwietracht unter (N)Eidgenossen. Davon zeugten die geteilten Reaktionen in der Presse. Ein ehemaliger Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, jetzt bei der Konkurrenz tätig, sprach von einer penetranten PR-Offensive der SRG, welche die Politik in Sachen Online-Werbegelder auf ihre Sache ziehen wollen. Andere JournalistInnen wiederum lobten die Dichte an Informationen, die an interessierte Publikum gezielt vermittelt wurden. Meinerseits bekam ich erstmals einen Eindruck von der viel gepriesenen Konvergenz zwischen Senderarten, Landesteilen und neuen Medien. Vorbildlich empfand ich auf jeden Fall die schnelle und informativen Zusammenfassungen der Kernaussagen auf dem Bundesplatz auf Internet. So war man überall dabei, ohne dass man immer vor Ort sein musste!

Noch besser gefallen hat mir, dass Bern, ganz anders als vor vier Jahren nicht durch Politkrawall zwischen SVP und Schwarzem Block auffiel, sondern als Polit-Schweiz in Erscheinung trat. Wie selten bekam man das Gefühl zu spüren, was man mit Politzentrum meinen könnte. So bleiben mir zwei Hoffnungen auszusprechen: Dass die Wahlen mit einem Beteiligungserfolg ausgehen, und dass die SRG auch in Zukunft in die Hauptstadt investiert.

Deshalb: Auf Wiedersehen, Bundesbernsehen!

Claude Longchamp

Wahljahr im Zeichen der Schuhe

Diese Woche war ich jeden Abend unterwegs. In Wahlsendungen, auf Podien und als Vortragsredner. Um über Wahlen, Wahlkämpfe und Wahlanaysen zu sprechen. Hier meine Einleitung zum Hauptreferat.

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“Meistens seien meine Analysen relevant, schrieb jüngst die BernerZeitung. Seltene Abweichungen davon bestätigen die Regel, füge ich bei. Dennoch bin ich vorsichtiger geworden als ich auch schon war: Um mich zu vergewissern, ob ich nur mit dem Kopf arbeite oder auch mein ganzer Körper mitgeht, achte ich auf meine stillen, bisweilen auch unbewussten Veränderungen.

Im Wahljahr 2011 ziehe ich nach 9 Monaten folgende Bilanz: Noch nie habe ich so viele Schuhe gekauft!

An den Schwestern Penelope und Monica Cruz kann es ja nicht liegen. Deren Kampagne für Vögele Schuhe wurde wegen offensichtlichem Misserfolg vorzeitig eingestellt. Wahrscheinlich gehörte ich auch nicht zur anvisierten Zielgruppe. Denn dafür bin ich dann doch zu politisch.

Die ersten Schuhe, die im Wahljahr meine Aufmerksamkeit erheischten, kamen am 1. Januar 2011 mit der Neujahrskarte von Micheline Calmy-Rey. Sie zierten, als offensichtlicher eye-catcher, die Neujahrsgrüsse der Bundespräsidentin. Mancher Genossin dürfte die Atem stecken geblieben sein, denn das Bild hätte auch der Lauterkeitskommission der Werbung zustellt werden können – wegen sexistischer Reduktion einer Frau auf ihre Füsse und Schuhe.

Man hat in der welschen Presse spekuliert, es sei MCR selber gewesen, die in verführerischen Pumps an uns vorbei ging. Genau genommen: aus dem Bild lief. Im Nachhinein könnte man meinen, sie kündigte ihren Rücktirtt aus der Bundesregierung auf ihre Art und Weise an. Dabei verpasste sie es nicht, eine Botschaft zu hinterlassen: Die Kugeln am Boden deutete die Sozialdemokratin wie folgt: “Die Konkordanz ist zerbrechlich, tragen wir ihre Sorge!” Für viele überraschend, die zertretenen Kugel lagen links, rechts bestanden sie noch.

Auf solche Eleganz in der Kommunikation verzichtet das zweite Bild zu meiner These, wir befänden uns im Wahljahr der Schuhe. Dabei geht es nicht um feine Highheels, nein, es dreht sich alles um mächtige Stiefel. Gemeint ist das Wahlplakat, das die SVP laudauf, landab schalten lässt, um die Wähler zu mobilisieren. Da läuft auch niemand davon, nein, da wird eingewandert. Massenhaft. Man glaubt auch zu erkennen, es seien keine Frau daruntern, nur Männer, wohl direkt aus …

Lassen wir das! Fakt ist, verwendet wird eine faschistische Symbolik – von einer nicht-faschistischen Partei. Die Grenzüberschreitung hat System: Es geht um Provokation, an die Adresse der Gutmenschen, die hysterisch aufschreien sollen. Damit sich die Presse dem Ganzen annimmt, damit die Geschichte bis zu den Wahlen weiter erzählt werden kann, wibei man genau weiss: Kein Schweizer Gericht wird auf denkbare Klagen wegen Verletzung der Rassismusnorm eintreten.

Meine Damen und Herren: Beide Bilder bewegen, aber unterschiedlich. Das ein kleidet die Haut, damit wir uns fragen, wo wir stehen. Das andere geht unter die Haut, damit wir keine Fragen mehr stellen, sondern handeln. Herrn Segert, dem Werber der SVP, rufe ich zu: Bingo! Ihr Bild kam selbst in meinen Träumen vor, was beweist, dass sie eine meiner Emotionen getroffen haben, auch wenn mein Kopf das nicht zugehen will. Das beweist, dass man Veränderungen in Kampagnen gefühlmässig mindestens so klar erkennen kann wie verstandesmässig. Wer Kampagnenanalysen vor Wahlen betreibt, sollte das nicht vergessen. Und nun zu Sache selber!

Claude Longchamp

Wahlkampf in den Online-Medien

Das Projekt Chronik-ON des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern analysiert die Online-Berichterstattung in elektronischen Print- und sozialen Medien. Erste Resultate zeigen, dass die wahlkampfbezogene Berichterstattung steigt, prominente Personen der Parteien diesen helfen und Online-Medien vor allem den ereignishaften Wahlkampf verstärken.

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Intensitäten der Parteiberichterstattung gemäss dem neuen Forschungsprojekt “Chronik-ON” des Instituts für Politikwissenschaft an der Uni Bern

Seit Anfang Juni werden RSS-Feeds von über 60 Schweizer Online-Print- und sozialen Medien aus drei Sprachregionen gesammelt.Aehnlich wie die Nachrichtenticker liefern sie Titel und Textanrisse sowie Links zu Originalartikeln. Untersucht werden dabei sechs zentrale Wahlkampfthemen (EU, Migration, Energie und Umweltschutz, Verkehr, Steuern und Abgaben sowie Sozialwerke).

Die bisherige Auswertung (Kalenderwochen 24 bis 36) verdeutlicht den Trend zu stärkerer Parteiberichterstattung. Die Analyse bringt insbesondere drei erfolgreiche Muster der Berichterstattung zu Tage:

Erstens wird häufig über Parteihandlungen berichtet, wobei die Parteien die mediale Aufmerksamkeit mitbeeinflussen können. Ein solches Parteiereignis kann ein Wahlfest, ein Bundesratsrücktritt oder die Einreichung einer Initiative sein. Die Rücktrittserklärung von Micheline Calmy-Rey sowie die Einreichung der Cleantech-Initiative bescherte beispielsweise der SP in Kalenderwoche 36 hohe mediale Aufmerksamkeit.

Zweitens steigern Auftritte von Parteiexponenten wie Bundesräte oder Parteipräsidenten die mediale Aufmerksamkeit. Ob die Aushängeschilder dabei überlegt vorgehen oder sich eher ungeschickt verhalten spielt für die Medienpräsenz vorderhand keine Rolle. Die Ergebnisse von Chronik-ON zeigen beispielsweise eine überraschend hohe onlinemediale Präsenz des Freisinns, welche grösstenteils Fulvio Pelli zu verdanken ist.

Eine besondere Herausforderung ist drittens das Erzeugen von Ereignissen, die sich über längere Zeit in den Medien halten und Reaktionen von anderen politischen Akteuren provozieren. Letztere kommen einer Multiplikation des Medienechos gleich, von der insbesondere die provozierende Partei profitiert: Ohne ihr Zutun wird über sie berichtet. Auch Negativberichterstattung verhilft zu Medienaufmerksamkeit und mobilisiert – so das Kalkül – mindestens die eigene Wählerschaft.

Die verschiedenen Parteien sind in den drei Mustern unterschiedlich erfolgreich. Während kleinere Parteien kaum eigene Medienereignisse produzieren können, deckt die SVP alle drei Muster ab. Durch sehr rasche Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse und provokative Zuspitzungen erreicht die Partei Reaktionen von allen Seiten. Zwar haben auch die SP und die FDP Strategien entwickelt, um in den Medien präsent zu sein, jedoch gelingt ihnen dies nicht im selben Ausmass wie der SVP.

Das Chronik-ON Projekt ist gegenüber dem einfachen Google-Rating, welche die Sonntagszeitung präsentiert, sicher ein Fortschritt. Nicht unproblematisch am neuen Projekt ist aber der Vorgriff, auf das, was Wahlkampf-Themen sind. So fehlt mit der “Starke Franken” als explizite Kategorie: Es fehlt die Offenheit gegenüber dem Unbekannten im Wahlkampf – was nachgerade sein konstitutives Element im Jahre 2011 geworden ist.

Claude Longchamp

PolitologInnen in der Medienöffentlichkeit

Ich bin seit der BZ-Publikation über PolitologInnen im Wahlkampf mehrfach angegangen worden, weshalb es PolitologInnen in der Oeffentlichkeit brauche. Nicht nur von PolitologInnen, auch von PolitikerInnen, JournalistInnen und BürgerInnen. Hier mein Versuch einer allgemeinen Antwort.

Im deutschen Sprachraum hat sich keiner so gründlich mit Sprechern in der modernen Oeffentlichkeit auseinander gesetzt, wie der Soziologe Friedhelm Neidhardt. Oeffentlichkeit, bestimmte der ehemalige Präsident des Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, müsse Transparenz herstellen, Fakten spiegeln, Meinungen prüfen, um dem Publikum Orientierungshilfen anzubieten. Da etablierte Positionen wie jene des Staates oder der organisierten Akteure in der Medienöffentlichkeit tendenziell mainstreaming seien, komme SprecherInnen in Medien die Aufgabe zu, untervertretene Standpunkte zu artikulieren: Sie repräsentieren mitunter das Volk, statt das den Behörden zu überlassen; sie sprechen für die Minderheit statt für die Mehrheit; sie sind Fachleute, wo Laienstandpunkte vorherrschen; und sie moralisieren, wo der Eigennutzen im öffentlichen Auftritt seine Begrenztheit übersieht.

Bezogen auf PolitologInnen als Sprecher in der Oeffentlichkeit schliesse ich auf drei mehr oder minder akzeptierte Medienrollen:

Sie informieren als ExpertInnen,
sie intervenieren als Intellektuelle, und
sie handeln als FürsprecherInnen.

ExpertInnen unter den PolitikwissenschafterInnen haben Routinen im Umgang mit neuen Gegebenheiten, kennen die Sache aus eigener Erfahrung und sind zu Abstraktionen fähig, welche es ihnen erlaubt, ihr überdurchschnittliches Wissen mit Erfolg auf neue Situationen anzuwenden. ExpertInnen sind auf ihrem Gebiet Spitze; sie haben sich als Instituts-, Forschungs- oder Projektleiter etabliert. Sie haben sich durch Literaturkenntnisse und eigene Publikationen nicht nur eine interne Reputation erworben; sie verfügen auch über Kommunikationskompetenzen, die ihnen externe Reputation bring. In der Milizkultur der Schweiz, sind ExpertInnen angesichts globaler Phänomene, welche die Oeffentlichkeit beschäftigen, internationaler Trends, die vor den Grenzen nicht halt machen, aber auch der Spezialisierung der Diskurs gefragter denn je. Voraussetzung dafür ist allerdings, sehr gute Sprachfertigkeiten haben, live im Fernsehen zu bestehen, de persister en direct à la radio, or to be active as wellknown blogger. ExpertInnen in der Oeffentlichkeit sind sachorientiert, können schnell denken, sind verständlich in ihrer Argumentation, und rheorisch gewandt in der Diskussion.

Intellektuelle PolitologInnen haben ihr Fenster der Gelegenheiten. Denn sie leben davon, dass es in der Medienöffentlichkeit immer wieder übervertretene Standpunkte gibt, zu denen sie Gegensteuer geben. Schon deshalb sind sie parteiisch, verfolgen sie ausgewählte Themen, haben sie ein Projekt. Intellektuelle Politologen misstrauen den Mächtigen, haben eine republikanische Gesinnung, sind die Sachwalter der Moral, wenn sie vor die Hunde zu gehen droht. Intellektuelle emören sich, um Widerstand zu organisieren. In der Oeffentlichkeit intellektuell zu intervenieren, darf indessen nicht zur Routine werden; im Zweifelsfalle gilt: Hättest Du geschwiegen, wärst Du eine oder ein Intellektuelle(r) geblieben! Intellektuellen unter den PolitologInnen geht es ähnlich wie denen unter den Schriftstellern: nicht jede(r), der sich dazu zählt, taugt als dazu. Intellektuelle Bücher dürfen uns nicht einfach unterhalten, sie müssen uns zu Veränderungen inspirieren.

Fürsprecher unter den PolitwissenschafterInnen haben Mandate, vertreten aber nicht einfach ihren Mandanten, vielmehr ihre eigene Sache, die zu der ihrer Mandaten werden kann. Fürsprechen müssen Transparenz walten lassen, wen sie vertreten,. ohne dass sie deshalb zu schlechten Sprechern werden. Da sind die AnwältInnen den PolitologInnen noch voraus. Fürsprecher arbeiten meist als Selbständige für den Staat, für die Verbände, für die Parteien, für Bewegungen oder Denkfabriken, um ihre Mandaten auf Konflikte vorzubereiten oder sie in einer öffentlichen Debatte zu stärken. Letztlich sind sie BeraterInnen. Man erwartet, dass sie klare Standpunkte einnehmen, dafür Positionen beziehen, Interessen vertreten. Doch müssen sie akzeptieren, dass auch das Gegeninteresse mit Fürsprechern auffährt. Das fordert von ihnen eine professionelle Selbstbeschränkungen, von ihren Mandaten eine gewisse Selbstbegrenzungen, und von den Medien minimale Fairness.

Ich weiss, AbsolventInnen eines Politologiestudium können auch ganz anderes machen. Sie können ihre Ausbildung als GeneralistInnen-Training verstehen und danach irgend einen Beruf ergreifen. Oder sie werden GeneralsekretärInnen von Parteien, LeiterInnen von Public Affairs Abteilungen in Verbänden, oder in Denkfabriken für Bewegungen arbeiten. Wenn sie als das in der Oeffentlichkeit auftreten, sind sie vor allem RepräsentantInnen ihrer Organisationen. Das gilt weitgehend auch für PolitologInnen, die in die Medien gehen, zu PublizistInnen werden, sich als Meinungsführer betätigen, oder in Regierungen gewählt werden. Ihr Status als ausgebildete PolitikwissenschafterInnen in Medien- und Politikberufen qualifizert sie nicht als PolitologInnen in der Oeffentlichkeit – ausser auch sie nehmen eine der drei Rollen ein, die ich zu den spezifischen und akzeptierten gezählt habe.

Claude Longchamp

Mein Spinnennetz

Sieben BundesrätInnen hat die Schweiz – und sieben medienwirksame PolitikwissenschaftInnen. Das jedenfalls suggeriert die Bernerzeitung mit ihrem heutigen Rating (Bericht auf newsnetz, Rating selber leider nicht) zu unserer Berufsgilde unter dem Titel “Das Schattenregime der Politologen”.

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Die Auslegeordnung, die BZ-Journalist Jürg Steiner mitten im Wahlkampf riskiert, liesst sich gut. Denn sie kommt im richtigen Moment, und sie ist nicht ohne Augenzwinkern gemacht. Verwendung findet nämlich das Spinnennetz von smartvote, das Instrument also, das Politwissenschafter gebrauchen, um Politiker zu bewerten, ausser dass nun der Medienschaffende die Politologen bewertet.

Als “Vermessener” danke ich zuerst: Denn selten wurden die Kriterien, nach denen wir PolitologInnen in der Praxis von JournalistInnen taxiert werden (können), so klar und deutlich offen gelegt, wie in diesem Zeitpunkt-Beitrag. Und selten konnte man sich so klar in Beziehung setzen zu den medialen Mitbewerbern.

So entnehme ich den Spinnennetzen, Wissenschaftlichkeit, Prägnanz, Unterhaltungswert, Originalität, Parteilichkeit, Geschwindigkeit, Relevanz und Präzision sind von journalistischem Belang, um im Wahlkampf an unsere Gilde zu gelangen. Ich weiss jetzt auch, dass Michael Hermann in Sachen Geschwindigkeit, Prägnanz und Wissenschaftlichenkeit besser sei als ich, Regula Stämpfli wieder origineller und unterhaltsamer, und Adrian Vatter präziser. Meine Gesamtbilanz ist durchaus robust, und ich selber werde, was mich freut, als der relevanteste taxiert!

Doch: Warum fehlt Andreas Ladner, der Politologe von TeleZüri, auf der Liste, kommt dafür Hans Hirter vor, der Pensionär. Und warum ist die Verständlichkeit unserer Analysen kein Beurteilungskriterium? Schliesslich: Was macht es aus, das Politgeograf Hermann für einen Medienschaffenden der wissenschaftliste Politologe ist? Zu gerne würde man auch solches erfahren, denn die BZ kritisiert unsere Berufsgilde mitunter wegen mangelnder Transparenz – ohne selber offen zu legen, wie sie zu ihren Schlüssen kommt.

Als “Doyen des politologischen TV-Auftritts” erlaube ich mir eine Methodenkritik: Sieben der acht Kritierien im Rating sind so ausgerichtet, dass es positiv ist, je mehr Ratingpunkte man bekommt. Beim achten versagt diese Logik. Es betrifft die Parteillichkeit, bei der Regula Stämpfli in der BZ auf den Idealwert kommt, dafür aber regelmässig gescholten (und bisweilen auch geschnitten) wird! Und so frage ich: Sollen wir parteilich oder unparteileich sein? Das ist nicht nur ein rhetorisches Nachhaken: Die Erwartung des Publikums ist nämlich durchwegs “unparteilich”, die der JournalistInnen nicht wirklich – nicht zuletzt, damit sich die VerfasserInnen von Artikeln oder Interviews dahinter verstecken zu können, wie Roger Blum, emeritierter Professor für Medienwissenschaft, einst so treffend analysierte.

Damit bin ich beim springenden Punkt: In den meisten Zusammenhängen, in denen ich beispielsweise medial zitiert werde, stützen sich Medienschaffende entweder (ohne Nachfrage) auf ältere Aussagen, die in ihrer Mediendatenbank abgelegt sind, oder auf Antworten zu Fragen, welche sie selber formuliert haben. Da kann man nur mitmachen oder absagen; Einfluss nehmen auf die Stossrichtung kann man kaum. Nur im Ausnahmefall setzen wir mit Studien oder Essays die Themen oder Argumente, die schliesslich vermittelt werden. Die Macht der PolitologInnen kleiner als die Macht der Berichte über sie.

Eines sollte man nicht übersehen: Die “Parade der Politologen” wird nicht durch die Politwissenschafter organisiert, sondern von den Medienhäuser bestimmt. Die MedienpolitologInnen sind deshalb auch “Schattenregime”, sondern IndividualistInnen mit Rivalitäten, die sich nie koordinieren werden, um gemeinsame Positionen zu vertreten!

Ueberhaupt: Die “heimliche Macht”, die uns der Aushang unterstellt, kann nur ausserhalb von Oeffentlichkeit entstehen – basiert Macht auf Oeffentlichkeit, wie das bei der Medienpolitologie per definitionem der Fall ist, ist sie nicht heimlich.

Claude Longchamp

Was eine Ständeratskandidatur kostet.

190’000 Franken gibt Adrian Amstutz für die Wahlkampagne im Herbst 2011 aus. Damit verfügt er, gemäss einer Zusammenstellung der Berner Zeitung über das grösste Budget alles BewerberInnen für einen Ständeratssitz aus.

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Betont eigenständig: Adrian Amstutz, der die aufwendigste Kampagne zur den Berner Ständeratswahlen fährt, tritt mit einem Plakat auf, das sich von der visuellen Grundlinie der SVP-Werbung in den anderen Kantonen abhebt. Nichts desto trotz bezahlt die SVP 90 Prozent seiner Wahlkampfkosten.

Zuverlässige Angaben zu Wahlkampfausgaben sind in der Schweiz selten. Kein Wahlrecht verlangt diesbzügliche Transparenz, und von einem Recht, das von den Parteien ein bestimmtes Verhalten verlangt, kann man auf eidgenössischer Ebene gar nicht reden.

Immerhin, es ist üblich geworden, dass Medien die Lücke zu schliessen versuchen. Der häufigste Weg geht über die KandidatInnen selber. Bei Proporzwahlen kann man dem Test durch Antwortverweigerung entgehen. Bei Majorzwahlen, wie es die Ständeratswahlen sind, kann das zu Problemen führen.

Der Berner Zeitung gelang es, von allen namhaften Kandidierenden zu den Berner Ständeratswahlen im Herbst 2011 einige Angaben zu erhalten. Demnach gibt der Bisherige Adrian Amstutz von der SVP am meisten aus: 190’000 Franken sind es in der Selbstdeklaration. Es folgen Werner Luginbühl, BDP, und der Herausforderer der SP, Hans Stöckli. Sie deklarieren ein Budget von je 150’000 Franken. Als Vierter folgt Alec von Graffenried (GPS), der 120’000 Franken zur Verfügung hat. Das ist rund doppelt so viel wie bei Christian Wasserfallen, dem FDP-Kandidaten, der es auf 63’000 Franken bringt. Alle anders BewerberInnen investieren deutlich geringere Summen, haben auch kaum Aussichten auf einen Sitz im Stöckli.

Die individuell zu leistenden Anteile variieren erheblich: Zirka 40 Prozent sind es bei von Graffenried und Wasserfallen. Um einen Drittel macht der Betrag Stöckli und Luginbühl aus. Am meisten aus der Parteikasse bezieht Amstutz, zahlt er doch nur einen Zehntel des Wahlkampfes selber.
Auch wenn detaillierte Angaben fehlen: Alle Berner StänderätInnen sehr ihr Wahlkampf-Budget für Plakate und Inserate ein. Dazu kommen je nach Person Prospekte, Karten, Flyer, Give aways, Apps, eBoards und Online-Werbung. Tyisch ist, dass man einen Grafiker, allenfalls auch einen Werber hat, der bezahlt wird. Das gilt meist auch für den Kopf des Kampagnenstabes.

Ihre Zeit nutzen die Bewerber für den Ständerat vor allem für Wahlveranstaltungen. 100 in den Wochen vor der Wahl können es sein. Das sind dann Podien, Events, Strassenwahlkämpfe. Darüber hinaus setzen alle Kandidaten auf Medienarbeit, vermittelt über JournalistInnen oder direkt via Internet und die Beantwortung von BürgerInnen-Anfragen.

Das alles erscheint mir plausibel. Ganz anders KandidatInnen bei Nationalratswahlen, die meist auf Aktivitäten von Parteien und nahestehenden Interessenverbänden angewiesen sind, setzen StänderätsbewerberInnen auf selbst aufgezogene Kampagnen. Ihre Erfahrung aus früheren Wahlkämpfen hilft ihnen da; aus dieser Zeit nehmen sie meist auch einen Wahlkampfstab mit der Organisatorisches und Kommunikatives besorgt. Gelegentlich ist der mit Partei- und Verbandssekretariaten identisch, häufiger indessen nicht. Auch die Zahlen, welche die BZ publizierte, scheinen mir für einen grossen Kanton in Ordnung. Einzig aus Zürich kennt man Angaben, die das Doppelte oder Dreifache erreichen des hier genannten Spitzenwertes ausmachen.

Auffällig ist diesmal in Bern, dass die beiden Bisherigen viel, ja am meisten ausgeben. Das ist eher speziell, und mit der besonderen Situation begründet. Denn Luginbühl wurde 2007 als SVP-Ständerat gewählt, trat dann zur BDP über, während Amstutz erst bei der Ersatzwahl für Sommaruga im Frühling 2011 reüssierte.

Unklar an den publizierten Angaben ist, ob sich die Frankensummen alleine auf den ersten Wahlgang beziehen, oder auch eine Reserve für den zweiten beinhalten. Das erfährt man in der Regel nicht, denn es würde einiges vom internen Kalkül offen legen.
Wie könnte man das alles verifizieren. An sich recht einfach: Ein Index zum Plakaten, Zeitungsinseraten und Online-Werbung würde helfen, wenigstens die Verhältnisse untereinander, aber auch die Kommunikationsstrategien und Dramaturgiekonzepte zu erhellen. Das liegt Einiges unbeackert, was durch studentsiche Neugier beackert werden könnte.

An der Zusammenstellung in der BZ vom Samstag fand ich eine weitere Information erhellend. Von den NationalratskandidatInnen, die antworteten, investiert Thomas Fuchs von der SVP mit Abstand am meisten in seinen eigenen Wahlkampf. 90’000 Franken sind es nach eigenen Angaben.

Claude Longchamp