Die SVP im Dilemma

Was ist los mit der SVP, fragte gestern die NZZ im Tageskommentar. Anlass bot die Kampagne zur Volkswahl des Bundesrates, die sich so offensichtlich von jenen unterscheidet, welche die SVP namentlich in Migrationsfragen zur erfolgreichsten Partei in der Schweiz gemacht hatte. Auf der Suche nach möglichen Chancen und Risiken der “neuen” SVP.

Vorbei scheinen die Zeiten, als die SVP selbst Verbündete provozierte, als die Partei mit ihren Plakaten regelmässig die Aufmerksamkeit der gesamten Öffentlichkeit auf sich zog und als man sich an den Tag, an dem ihre Abstimmungskampagnen eröffnet wurde, wegen markigen Aussagen so gut erinnern konnte. Vorbei auch die Phase, wo das alles sichere Erfolge brachte.

“Gratwanderung” bezeichnet René Zeller, NZZ-Chef im Bundeshaus, die Neuausrichtung der SVP, ohne eine verbindliche Antwort geben zu können, was sie der Partei und der Politik in der Schweiz bringt.

Die nun vorliegenden Ergebnisse der ersten (von zwei) SRG-Befragungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen geben einen vertieften Einblick: Bei der Revision des Asylgesetzes haben sich die BefürworterInnen einen Vorteil erarbeitet. Die Allianz aus der Parlament, angeführt vom SVP-Nationalrat Peter Brand aus Graubünden, hielt den Entscheidungen der bisherigen Entscheidungen der Parteidelegierten stand. Wackelkandidatin war die CVP, bei der sich die Frauen für ein Nein aussprachen, während die Gesamtpartei ihren Mitgliedern ein Ja empfiehlt. Die Umfrage zeigt nun, dass Mehrheiten der WählerInnen dieser Parteien die Revision unterstützten. Bei SVP und FDP sind sie in der absoluten Überzahl, bei der CVP immerhin in der relativen.

Ganz anders ist die Ausgangslage der SVP bei ihrer Volksinitiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Schon im Parlament agierte sie weitgehend isoliert; alle anderen Fraktionen mögen sich selber nicht entmachten. Im Abstimmungskampf ist ihr, wenigstens bisher, keine einzige Partei gefolgt. Und auch die Befragung eines repräsentativen Querschnitts der Stimmberechtigten verweist auf die schwierige Position der SVP. Denn es sind nicht nur zwei Drittel der Personen, die sich in der Abstimmung äussern wollen, dagegen; es sind auch in allen grösseren Parteien ausserhalb der SVP Mehrheiten im Nein. Das gilt auch für FDP- und CVP-Wählende, in ihren konservativen Kreisen sonst für SVP-Anliegen offen.

Die Krux der neuen SVP-Strategie besteht allerdings nicht nur darin, diesmal keine Zusatzstimmen aus der desinteressierten politischen Mitte zu bringen; vielmehr zeigt die SRG-Befragung auch, dass ihr die Mobilisierung der Protestpotenziale nicht mehr gelingt, wie das beispielsweise in der letzten Legislatur noch der Fall war. Misstrauische Zeitgenossen wollen sich weder überdurchschnittlich beteiligen, noch sieht die Mehrheit, die teilnehmen will, einen zwingenden Grund, nun für die Volkswahl des Bundesrates zu votieren. Von der sonst so bekannten Mobilisierung der Unterschichten oder der RentnerInnen keine Spur.

Kurzfristig trägt die SVP eher einen Schaden davon: Ihre frühere Mobilisierungsstärke hing direkt mit der Provokation zusammen, die medial verhandelt wurde; das ist nun weg. Umgekehrt ändern sich Grundhaltungen der bürgerlichen WählerInnen nicht so schnell, dass man die Geschichten der letzten Jahre vergessen hätte und mit wehenden Fahnen der SVP folgen würde. Das mag mittelfristig anders aussehen: Dann nämlich, wenn das brüchig gewordene bürgerliche Lager wieder zusammenfinden sollte, mit einer rechtskonservativen SVP als stärkster Partei, welche die politische Richtung vorgibt und Gefolgschaft findet, dafür aber auf Populismus verzichtet.

Auszuschliessen ist eine solche Neuorientierung im rechten Spektrum heute nicht mehr, wie die ersten Ansätze über die Migrationsfragen hinaus in der Finanz- oder Gesellschaftspolitik zeigen. Nagelprobe werden allerdings die europapolitischen Abstimmungen sein, sei es die eigene Masseneinwanderungsinitiative, die quer steht zur Personenfreizügigkeit mit der EU, aber auch die Ausdehnung eben diesem Grundpfeiler der Bilateralen auf Kroatien als neues Mitgliedsland in der Europäischen Union, wo sich der Widerstand der SVP heute schon regt. Da wird sich weisen, was im Landesinteresse und was im Parteiinteresse ist, und wie das politisch vermittelt werden wird. Denn eines dürfte der SVP nicht mehr schaden als die eine oder andere Abstimmungsniederlage: Wenn sie ihre Hegemonie am rechten Pol wegen einen neuen, national agierenden Rechtspartei verlieren sollte, die von einer angepassten SVP profitieren könnte.

Claude Longchamp

Mein Einsatzplan für den Abstimmungssonntag

Der Abstimmungssonntag naht. Anbei mein Einsatzplan in den SRF-Medien.

Anbei meine Einsätze für den Abstimmungssonntag. Terminänderungen aufgrund der Aktualität oder dem Resultatefluss sind immer möglich.

Alle Neuerungen werden via Twitter (@gfsbern, @claudelongchamp) verbreitet. Lukas Golder fasst das Wesentliche periodisch auf dem Institutsblog zusammen (www.gfsbern.ch).

1230 TV ev. Trendrechnung Abzocker-Initiative
1237 Radio ev. Trendrechnung Abzocker-Initiative
1300 TV Trendrechnung alle drei Vorlagen
1315 Radio Trendrechnung alle drei Vorlagen
1330 TV 1. Hochrechnung Abzocker-Initiative/Raumplanungsgesetz, kleine Analyse
1345 Radio 1. Hochrechnung Abzocker-Initiative/Raumplanung, kleine Analyse
1400 TV 1. Hochrechnung Familienartikel, kleine Analyse
1415 Radio 1. Hochrechnung Familienartikel, kleine Analyse
1430 TV Reservetermin
1500 TV Hochrechnung Stimmbeteiligung, kleine Analyse
1625 TV Erstanalyse Abzocker-Initiative/Familienartikel
1638 TV Erstanalyse Raumplanungsgesetz
1850 TV Schlussanalyse Abstimmungssonntag

Erläuterungen:
Die Trendrechnung ist schnell, aber unsicher. Es werden keine Zahlen kommuniziert, nur ob ein Ja oder Nein erwartet werden kann, allenfalls, dass (aufgrund der vorhandenen Information) noch keine Aussage gemacht werden kann.
Die 1. Hochrechnung enthält gerundete Angaben zum Volksmehr mit einem Fehlerbereich von +/-3 Prozentpunkten. Angaben zum allfällig abweichenden Ständemehr erfolgen mündlich. Die Hochrechnungen werden halbstündlich aufdatiert, aber nur kommuniziert, wenn sich etwas Relevantes verändert.

Claude Longchamp

1. Vorabstimmungsanalyse zur eidgenössischen Abstimmung vom 3. März 2013

Die erste von zwei Befragungen zu den Volksabstimmungen vom 3. März 2013, durchgeführt vom Forschungsinstitut gfs.bern für die Medien der SRG, gibt für alle drei Vorlagen eine Ja-Mehrheit. Das alles ist jedoch keine Prognose, sondern eine Bestandesaufnahme zu Beginn des Abstimmungskampfes. Worauf es ankommt, sei hier in geraffter Form zusammengefasst.

Am einfachsten ist die Lage beim Bundesbeschluss über die Familienpolitik, bei dem es sich um ein obligatorisches Referendum handelt. Der Konflikt unter den Parteien und Interessenorganisationen ist beschränkt. Das merken auch die BürgerInnen. Der Stand der Meinungsbildung ist vergleichsweise mittelstark oder mittelschwach. 44 Prozent unserer repräsentativ ausgewählten Befragten haben eine feste Stimmabsicht dafür oder dagegen; nur 11 Prozent sind noch gar nicht vorentschieden. Theoretisch sind die entscheidend, die eher dafür sind. Da sie mit 31 Prozent zahlreich sind, ist dieses Segment praktisch nicht zu unterschätzen. Indes, der Vorsprung ist der BefürworterInnen ist gross. Unsere Erfahrung mit solchen Ausgangslagen spricht dafür, dass hier wenig geschieht, denn die zu erwartenden Polarisierung von rechts gegen die Vorlage dürfte vor allem Unschlüssige ansprechen, womit sich der Nein-Anteil erhöht, nicht aber der Ja-Anteil verringert.
Grafik Familienpolitik
Etwas anspruchsvoller ist die Interpretation der Befragungsergebnisse zum teilrevidierte Raumplanungsgesetz, gegen das der Schweizerische Gewerbeverband erfolgreich das Referendum ergriffen hat, weshalb wir darüber abstimmen. Zwar blieb auch hier der Konflikt vergleichsweise gering, doch stösst die Debatte bevölkerungsseitig auf einen anderen Hintergrund als bei der Familienpolitik. Denn die Raumplanung ist für viele alltagsferner, und so bestehen weniger ausgeprägte Prädispositionen. In unserer Befragung manifestiert sich dies, dass nur 37 Prozent eine bestimmte Stimmabsicht haben, sei dies dafür oder dagegen. Dafür machen die, die gar keine Stimmabsicht haben, sich aber beteiligen wollen, 28 Prozent aus. Anders als beim Familienartikel sind sie nicht nur theoretisch die massgeblichen StimmbürgerInnen. Namentlich dann, wenn unter dem Eindruck des Referendums die parlamentarische Allianz im Abstimmungskampf zerfällt, ist eine Meinungswandel in der stimmberechtigten Bevölkerung nicht auszuschliessen. Die Augen sind dabei nicht nur auf die opponierende SVP gerichtet, vielmehr auf die CVP. Mit ihrer Ja-Parole hat die Partei einiges der denkbaren Brisanz gekappt; immerhin ist es nicht auszuschliessen, dass sich ausgehend vom Wallis eine Opposition gegen die Raumplanung in konservativen Mitte-Kreise ausdehnt, was die heutige Zustimmungsbereitschaft verringern könnte.
Grafik Raumplanung
Vordergründung am überraschendsten ist meine Analyse der Ausgangslage zur Abzocker-Initiative. Doch ist sie empirisch gut begründet. Denn es ist fast schon eine Binsenwahrheit, dass die anfängliche Zustimmungsbereitschaft zu Initiativen mit der Dauer des Abstimmungskampfes sinkt. Das hat mein der Logik der Meinungsbildung zu tun. Anders als bei Referenden, nehmen Initiativen fast immer mehr oder weniger breit getragene Themen aus der Bevölkerung, die von der Politik vernachlässigt werden. Das ist denn auch ihre Stärke. Ihre Schwäche ist, dass sie meist radikale Lösungen vorschlagen, denen in der Volksabstimmung Opposition erwächst. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Initiative klar der linken oder rechten Seite zugeordnet werden kann. Praktisch sicher ist, dass der jetzige Nein-Wert zur Initiative noch steigt; wahrscheinlich ist auch, dass sich der aktuelle Ja-Wert verringert. So gut das aus der Erfahrung heraus belegt ist, so wenig Gesichertes wissen wir aus der Vergangenheit über das Ausmass der Veränderung. Denn die folgt nicht einer fixen Mechanik, sondern ergibt sich aus der Interaktion der Kampagnen Pro und Kontra, die im Voraus schwer abschätzbar ist. Bekannt sind Bespiele, wo der Meinungswandel gerade mal 5 Prozentpunkte umfasste und damit nur eine Minderheit der BefürworterInnen, die anfänglich eher dafür waren. Es lassen sich aber auch Fälle zitieren, wo der Meinungswandel 25 Prozentpunkte ausmacht, und damit weitgehend alle, die zu Beginn der Meinungsbildung eher für die Initiative stimmen wollten. Bei der Abzocker-Initiative ergibt unsere Umfrage 26 Prozent, die zur fraglichen Kategorie zählen. Mit anderen Worten: Das Potenzial für einen erheblichen Meinungsumschwung ist gegeben. Jetzt kommt es auf die Wirkungen der beiden Kampagnen an!
Grafik Abzocker
Die grösste Unsicherheit in diesen Überlegungen betrifft übrigens die Beteiligung. Aktuell wollen sich 39 Prozent äussern – ein mittlerer Wert. Er steigt erfahrungsgemäss mit dem Abstimmungskampf an; 5 Prozentpunkte sind die Regel. Das alleine ändert die politische Zusammensetzung des Elektorates nicht entscheidend. Bei populistischen Themen und Kampagnen ist indessen nicht auszuschliessen, dass der Wert einiges höher ausfallen kann. Von den 3 Vorlagen, über die wir am 3. März entscheiden, eröffnet die Abstimmung über die Abzocker-Initiative die grössten Chancen, dass es dazu kommen könnte: mit dem Effekt, dass das Protestpotenzial unter den Stimmenden steigt, was wohl die Nein-Anteile rundum ansteigen lassen würde.