Medienwirkungen in Abstimmungskämpfen: nur differenzierte Ansätze zeigten, was gilt.

Dieser Blogbeitrag erschien zuerst als Standpunkt auf swissinfo.ch

Kürzlich berichtete swissinfo.ch von einer kleinen wissenschaftlichen Sensation. Erstmals sei der Zusammenhang zwischen der Nutzung eines Mediums mit politischer Ausrichtung und wechselnder Stimmabsicht in einer Sachfrage nachgewiesen worden. Ich halte dagegen: In Anbetracht des verkannten Forschungsstandes ist die gemachte Beobachtung kaum verallgemeinerbar.

Der neue Befund
Laurent Bernhard, Forscher am NCCR, präsentierte seine These an den 9. Aarauer Demokratietagen. Drei Fallbeispiele dienten ihm zur Erläuterung. Bei der Unternehmenssteuerreform II (2008) zeigte eine kombinierte Vor- und Nachbefragung eines repräsentativen Querschnitts von Stimmberechtigten einen Meinungswandel, der im direkten Zusammenhang mit der Mediennutzung stand. Konkret: Wer mehr in der Sache positiv berichtende Medien konsumiert hatte, der wechselte häufiger vom Nein ins Ja als umgekehrt.
In einem Blogbeitrag auf «DeFacto» rühmte sich der Autor, als erster den Effekt von Medieninhalten auf das Stimmverhalten im Bereich der direkten Demokratie aufgezeigt zu haben. Sein Schluss: “Stimmbürger und Stimmbürgerinnen lassen sich auf systematische Weise beeinflussen, wenn sie auf inhaltlicher Ebene mit höchst komplexen und wenig vertrauten Volksabstimmungen konfrontiert sind.”

Was die Wirkungsforschung sagt
Die Medienwirkungsforschung unterscheidet drei Folgen der Medienberichterstattung: Die elementarste besteht darin, Informationen zu erhalten und zu verarbeiten, die eine Meinungsbildung überhaupt erst erlauben. Einen sichtbaren Einfluss haben Medien zudem, wenn sie die eigentliche Ursache eines Meinungswandels sind. Man spricht aber auch dann von Medienwirkungen, wenn Medien durch die Ansprache tiefliegender Werte und Stereotypen in einem Abstimmungskampf eine Position begünstigen.
Selbst wenn Medienwirkungen in der politischen Kommunikation der theoretische Normalfall sind, gelingt ihr empirischer Nachweis meist nicht. Denn es ist schwierig, einen bestimmten zu isolieren und seinen spezifischen Effekt aufzuzeigen. Bei Schweizer Volksabstimmungen kommt das jedoch durchaus vor. Die SRG-Befragungen haben hier vieles erhellt, der Abstimmungsmonitor von foeg hilft bisweilen auch.
Typisch für spezifische Forschungsarbeiten zum Thema ist die politikwissenschaftliche Abschlussarbeit von Edward Weber von der Uni Zürich. Untersucht hat er 65 Volksabstimmungen im Zeitraum von 1998 und 2011. Seine Ergebnisse sind seit fünf Jahren greifbar.
Einer der interessanten Fälle ist auch bei Weber die Unternehmenssteuerreform II. Hauptgrund: sehr knappes Ergebnis. Er weist dabei einen Zusammenhang zwischen dem Werbeüberhang auf der Ja-Seite einerseits, der Zunahme der Zustimmung im Abstimmungskampf anderseits nach. Mehr noch: Mittels Modellrechnung kommt er zum Schluss, dass das Ergebnis ablehnend gewesen wäre, hätte bei den Werbeausgaben ein Gleichstand geherrscht. Gleiches fand er in seinem riesigen Datensatz nur sehr selten.

Nur komplexe Forschungsdesigns bringen eine Klärung
Cloé Jans hat mit ihrer politikwissenschaftlichen Abschlussarbeit an der Universität Bern den bisher komplexesten Erklärungsansatz überprüft. Denn er umfasst alle denkbaren Ursachen, die sich messen lassen. Angewandt hat sie das Modell auf 35 Volksabstimmungen zwischen 2006 und 2011. Seit 3 Jahren ist auch diese Arbeit verfügbar. Drei wesentliche Erkenntnisse lassen sich aus ihr ableiten:
Erstens, in einem Abstimmungskampf verändern sich die Ablehnung einer Vorlage als Folge der Koalitionsgrösse. Je geringer die Einigkeit auf befürwortender Seite ist, desto eher nehmen die Neinstimmen im Abstimmungskampf zu.
Zweitens, die finanziellen Mittel beeinflussen die Veränderungen der Stimmabsichten. Der Zusammenhang ist systematisch, wenn die Opposition investiert, derweil der Effekt auf der Ja-Seite unsicher bleibt.
Drittens, auch die Komplexität und Relevanz der Vorlagen haben einen Einfluss auf die Dynamik der Meinungsbildung. Die Zusammenhänge sind aber nicht robust. Sie finden sich bei komplexen Vorlagen vor allem dann, wenn das Ja-Lager uneinheitlich auftritt oder die Nein-Seite Geld in die Hand nimmt.
Cloé Jans war am Ende ihrer vorbildlichen Master-Arbeit enttäuscht. Hauptgrund: In keinem Modell blieb der angenommene Medieneffekt signifikant. Oder anders gesagt: Nicht alles von dem, was man an Medienwirkungen im Einzelfall durchaus findet, ist verallgemeinerbar.

Meine Bilanz
Nun sagt die Studie von Jans nicht, dass die Beobachtungen von Bernhard falsch wären. Was jedoch fehlt, ist die korrekte Einordnung seiner Ergebnisse in den sehr wohl vorhandenen Forschungsstand. Der zeigt, dass die Sache in aller Regel komplex ist, und nur angemessene Forschungsdesigne gesicherte Zusammenhänge erhellen. Slogans zur Medienwirkung in Abstimmungskämpfen sind deshalb nicht angebracht. Untersuchungen basierend auf einer möglichst grossen Anzahl Fälle bringen am ehesten Licht ins Dunkel der vielfach vermuteten Wirkungen. Solche Erklärungen, die nicht nach einer einzigen Ursache suchen, sind allen anderen vorzuziehen.
Selbst wenn die These dadurch medial weniger steil ausfällt.

Claude Longchamp