Was uns Medienanalysen in Abstimmungskämpfen bringen – und was nicht.

Erstmals haben wir im Rahmen der Berichterstattung zu den SRG-Trendfragen auch den Abstimmungsmonitor des Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) verwendet. Zeit eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

Die Kernaussagen der aufdatierten fög-Medieninhaltsuntersuchung lauten: Die drei Vorlagen kennen einen unterschiedliche Resonanz, die Abzocker-Initiative führt, über den Familienartikel findet die geringste Berichterstattung fest. Bei der Raumplanung überwiegen die positiven Artikel (in den Leadmedien der deutsch- und französischsprachigen Schweiz), bei den beiden andern Vorlagen ist, übers Ganze gesehen, keine Tendenz erkennbar. Das wird anders, teilt man den Abstimmungskampf in Phasen auf.


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Die zentrale Erwartung solcher Untersuchungen ist, dass sich der Medientenor auf die Meinungsbildung namentlich unschlüssiger BürgerInnen auswirkt. Die Erfahrungen, die wir sammeln konnten, zeigen, dass das nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig ist. Die Chance, dass die Medienberichterstattung die Meinungsbildung der Bevölkerung beeinflusst, hängt nicht nur von der Richtung der Berichterstattung ab, vielmehr ist auch die Intensität wichtig.

Beim Raumplanungsgesetz ist beides gegeben: gerichtete Berichterstattung und mittlere Intensität. In der Tat zeigt die Analyse der Meinungsbildung der teilnahmewilligen BürgerInnen einen vergleichbaren Trend. Die verbreitete Unschlüssigkeit hat sich verringert, und zwar in beide Richtungen, zum Ja eher mehr als zum Nein. Das hat die vorteilhafte Ausgangslage für das Ja insgesamt nicht verändert.

Bei den beiden anderen Vorlagen sind die Effekte weniger eindeutig – mit Grund meine ich: Die Intensität der Medienberichterstattung ist das schlicht zu gering, um Wirkung zu entfalten. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass die auf Politmarketing aufbauende Kampagnen der Nein-Seite von Belang ist, denn die anfänglich klar positiven Stimmabsichten sind in erheblichem Masse getrübt worden. Das “Extrablatt” der SVP zeigt Wirkung im rechtsbürgerlichen Umfeld, aber auch bei parteiungebundenen BürgerInnen und älteren Menschen. Darüber hinaus sind kaum Einflüsse nachweisbar, sodass eine im politischen Spektrum eingrenzbarer Meinungswandel eingesetzt hat, der das Nein markant ansteigen liess, wobei das Ja in der Mehrheit bleibt. Was weiter geschieht, muss offen gelassen werden. Würde sich der Trend fortsetzen, wäre ein Scheitern der Vorlage denkbar. Dafür bräuchte es wohl aber mehr als eine einmalige Aktion zur Lancierung einer Abstimmungskampagne. Letztlich wissen wir aber erst am 3. März 2013 mehr.

Nochmals anders liegt der Fall der Abzocker-Initiative. Hier wäre die Medienresonanz für Einflüsse sehr wohl gegeben, letztlich ist die mediale Bewertung der Initiative neutral. Richtungsmässige Einflüsse sind deshalb nicht zwingend zu erwarten. Letztlich ist die unüblich lange Phase, mit der über das Problem und seine Lösungen diskutiert wird entscheidend: Die jahrelange Thematisierung hat eine kritische Grundstimmung aufgebaut, die durch die schleppende Behandlung im Parlament noch befördert worden ist. Daraus entstanden ist die aktuelle Konstellation mit einer Verfassungsabstimmung über eine Initiative, gekoppelt mit einem Gegenvorschlag auf Gesetzebene, über den nicht direkt das Volk entscheidet.

Normalerweise würde man sagen, wirkt sich die Verlagerung der Perspektive vom Problem auf die Lösung des Problems gegen die Volksinitiative aus. Wenn dies, wie unsere Befragung nahe legt, nicht der Fall ist, liegt der Hauptgrund darin, dass der Optikwechsel nicht gelang. Das Problem, die Abzockerei, ist bevölkerungsseitig gross und ungelöst, so dass man ein Zeichen setzen muss. Die Nein-Kampagne hatte nicht einfach handwerkliche Fehler, sie fällt in ein Umfeld, das für sie ungünstig ist, und läuft gegen vorgefasste Meinung auf, die durch die aktuellen Ereignisse sicher nicht widerlegt, viel eher bestätigt werden. Das bleibt auch die letzte Waffe, die Drohung mit Nachteilen bei einem Ja meistens stumpf.

Fazit: Medieninhaltsanalysen helfen sehr wohl zu verstehen, was in den Massenmedien geschieht. Hierarchisierung von Abstimmungsvorlagen ist eine ihrer Wirkungen, die sie mittels Aufmerksamkeit steuern. Sie sind auch nützlich, weil sie aufzeigen, wie Medien ereignisorientiert Bewertungen vornehmen. Diese müssen sich aber bei weitem nicht eins-zu-eins auf die Bevölkerung übertragen. Kampagnen auf der einen Seite, Prädispositionen auf der andern kompensieren Medienwirkungen. Sei es, weil die Kampagnen intensiver sind als die Medienberichterstattung, oder weil die vorgefassten Meinungen wichtiger sind als Medienhypes.

Mir jedenfalls hat die Kombination geholfen, klarer zu sehen, was geschieht, und ich würde mir wünschen, man könnte dieses erstmalige Experiment fortsetzen, um an differenzierten Arbeitshypothesen zu Medien- und Kampagnewirkungen arbeiten zu können.

Claude Longchamp

Was von einem kombinierten Medientenor mit Trendbefragungen vor Volksabstimmungen zu erwarten wäre

Es gilt unverändert: Die Abzocker-Initiative findet von den drei Vorlagen der eidg. Volksabstimmungen vom 3. März 2013 die grösste Aufmerksamkeit. Der Nein-Trend in der Medienberichterstattung scheint seit neuestem aber gebrochen zu sein. Was das für die kommenden Stimmabsichten heisst, sei hier als Instant-Hypothese formuliert.

Die erste Kampagnenphase gehörte den BefürworterInnen der Abzocker-Initiative. Die Medienaufmerksamkeit war hoch, der Medientenor positiv. Höhepunkt in diesem Spannungsbogens war die Parolenfassung der SVP, dramatisiert durch den Zweikampf zwischen Christoph Blocher und Initiant Thomas Minder.

Die Nein-Parole der SVP wirkte wie ein doppelter Wendepunkt in der Medienberichterstattung zur Abzocker-Initiative. Die Aufmerksamkeit liess nach, und der Tenor wurde zunehmend kritischer. Die Nein-Kampagne zeigte Wirkung. Das galt bis vor rund zwei Wochen.

Das zweite Grossereignis, das massenmedial vermittelt wurde, war die Bilanz-Medienkonferenz der UBS, mit der die Boni-Frage angesichts eines defizitären Abschlusses neu aufs Tapet gebracht wurde. Unfreiwillig vorbereitet wurde dieses Medien-Event durch den Abgang mit Daniel Vasella bei Novartis, verbunden mit der umstrittenen Abgangsentschädigung. Das mediale Interesse hatte damit wieder zugenommen, und der negative Trend in der Berichterstattung zur Initiative wich einer insgesamt neutralen Beurteilung.

Der Abstimmungsmonitor der Forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft (fög), ein der Uni Zürich angegliederter Forschungsbereich, zeichnet diese Trends aufgrund der Berichte in Massenmedien wie Blick, Le Matin, Le Temps, Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger und 20 Minuten im Wochenrhythmus nach. Erstmals erfolgt dies als Begleitprojekt zum Abstimmungskampf, denn früheren Analysen dieser Art wurden erst im Nachhinein erstellt. Damit erhöht sich der Wert des Abstimmungsmonitors als Instrument der Analyse von kampagnenbezogenen Medieneinflüssen.

Medientenor und Stimmabsichten müssen nicht direkt übereinstimmen. Denn die Meinungsbildung zu Sachvorlagen beginnt bei Beginn des Abstimmungskampfes nicht bei Null. Gut belegt ist, dass in einem variablen Mass Prädispositionen bestehen, die sich aus der Alltagserfahrung mit dem Thema nähren; hinzu kommt die vorbereitende Behandlung des Problems in den Medien. Beides bildet zusammen die Basis der Meinungsbildung unter Kampagneneinflüssen.

Die erste der beiden Befragungen, welche das Forschungsinstitut gfs.bern zu Stimmabsichten und Meinungsbildung leistet, legte nahe, dass die Meinungsbildung bei der Abzocker-Initiative am weitesten gediehen war. Mitte Januar 2012 bekundeten 52 Prozent der beteiligungsbereiten Befragten, eine feste Stimmabsicht zu haben. Beim Familienartikel waren es 44 Prozent, beim Raumplanungsgesetz gar nur 37 Prozent.

Verglichen mit dem Stand der Meinungsbildung bei Wahlen ist das insgesamt viel weniger. Stellt man es zu anderen Abstimmungsvorlagen in der Schweiz in Bezug, kann man bei der Abzocker-Initiative von einer mittleren bis hohe Prädisponierung ausgehen, beim Familienartikel von einer mittleren und beim Raumplanungsgesetz von einer mittleren bis tiefen. Das legt erste Vermutungen nahe zu den Kampagneneinflüssen, denn je geringer die frühe Prädisponierung von Stimmabsichten ist, umso mehr muss es der Abstimmungskampf richten.

Alles in allem wird erwartet, dass die Sicherheit der Entscheidung mit Dauer des Abstimmungskampfes zunimmt. Bei der zweiten SRG-Befragung dürften die zitierten Anteile durchwegs höher ausfallen. Erwartet werden kann auch, dass sich der Medientenor, seinerseits bestimmt durch die Ereignisse, sich auf die Veränderungen der Stimmabsichten zwischen beiden Befragungen auswirkt. Mit anderen Worten: Die Kombination das Abstimmungsmonitors von fög und der Trend-Befragungen für die SRG ist vor allem hinsichtlich der Veränderungen von Entscheidungen von Belang. Beim Familienartikel kann, angesichts der eher positiven Presse, mit einer Zunahmen der (mehrheitlich) positiven Stimmabsichten gerechnet werden, beim Raumplanungsgesetz ist das angesichts der eher kritischen Berichte und der geringen Prädisponierung nicht sicher, während die neutrale Position der Medien insgesamt zur Abzocker-Initiative der Nein-Seite nicht helfen dürfte, ihren Rückstand wett zu machen.

Klar muss sein, dass damit nicht alle Einflussfaktoren genannt sind. Mit Sicherheit müsste man auch die Werbeintensität mitberücksichtigen, aber auch die Meinungsbildung in den Parteien. Mehr dazu später.

Claude Longchamp

Das neue Abstimmungsmonitoring der fög


Darauf hat man eigentlich schon lange gewartet: dass jemand mit Verstand die Trends in der Medienberichterstattung zu Volksabstimmungen eingeht. Die forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft der Uni Zürich leistet mit ihrem Abstimmungsmonitor genau das zu den Entscheidungen vom 3. März 2013.

Umfrage vor Volksabstimmungen kennt man. Werbeanalysen von Inseraten oder Plakaten werden zwar meist nicht veröffentlicht, sind aber immer häufiger zu haben.

Das Einfachste, um Entwicklungen der Meinungsbildung verfolgen zu können, sind jedoch Medienberichte. Und ausgerechnet das fehlt(e) in der Schweiz, wenigstens vor den Abstimmung, fast gänzlich.

Im Wochenrhythmus analysiert nun die fög zwei Trends der Meinungsbildung zum Verfasssungsartikel zur Familienpolitik, die Entscheidung über die Abzocker-Initiative und diejenige zum Raumplanungsgesetz:

erstens, die Ressonanz der Vorlagen, und
zweitens, die Richtung der Berichterstattung.

Hauptergebnis 1: Die Medienaufmerksamkeit folgt der Gewichtung durch Behörden nicht. Diese erwähnen Verfassungsänderungen stets vor solchen bei Gesetzen. Und sie rangieren die Projekte der Behörden vor denen des Volkes. Die Medien verfolgen ihre eigene Logik: Entscheidend ist die Brisanz der anstehenden Entscheidungen. Und die liegt eindeutig bei der Abzocker-Initiative, derweil der Familienartikel, bei den Behörden die Nummer 1, in den Medien die Nummer 3 sind.

Hauptergebnis 2: Das Raumplanungsgesetz wird, wenn es bewertet wird, mehrheitlich positiv beurteilt; beim Familienartikel, so über ihn berichtet wird, ist das in der überwiegenden Zahl negativ. Die Bewertung der Abzocker-Initiative ist, übers Ganze gesehen, neutral.

Das Trend-Barometer erhellt mehr als das, denn mit etwas Glück hätte man es auch erraten können. Es zeigt im Wochenrhythmus auf, was sich ändert, und es benennt die relevanten Ereignisse. Das zeigt zweierlei auf:

. die frühe Hierarchisierung von Vorlagen durch Medien, die einer eigenen Logik folgt, und
. die Bevorzugung von Dramatisierungsstrategien, die auf personelle Zweikämpfe angelegt sind.

Nur so ist der phänomenale Frühstart der Initianten in Sachen Abzocke zu erklären, der eine Intensität der Medienberichterstattung auslöste, welche höher ist als bei bisher exemplarisch untersuchten Konfliktthemen. Im Trend erkennt man aber auch, dass die Vorteile von Initianten schnell schwinden, wenn sich die Hoffnung auf den medialen showdown nicht mehr halten lassen. Dann setzt der lange vermutete und hier belegte Mechanismus ein, wonach die Einwände gegen eine Initiative mit dem Fortschreiten einer Kampagne an Gewicht gewinnen.

Sicher kann man diskutieren, ob das hier gezeichnete Medienbild vollständig ist. Denn es fehlt die Ebene der Leserbriefe in der zitierten Auswertung. Gerade bei latent populistischen Kampagnen ist das eine Lücke, deren Behebung dazu führen würde, dass man Ansätze der doppelten Meinungsbildung zwischen medialen und populären Diskursen erkennen könnte.

Das Beschriebene hat trotz des Einwandes Vorteile. Es kontrolliert subjektive Eindrücke, die nicht immer falsch, aber immer selektiv sind, und bei denen man nie weiss, wie weit Hoffnungen und Aengste zum Ausgang das Entscheidende sind. Die Objektivierung der Information ist deshalb auf jeden Fall von Vorteil.

Zu hoffen ist, dass das neue Vorhaben von fög nicht nur aus aktuellem Anlass erfolgte, sondern auch mit einer kontinuierlichen Absicht. Wünschenswert wäre es auch, wenn die Trends, die aus den Beiträge im Blick, in Le Matin, Le Temps, der Neue Zürcher Zeitung, des Tages-Anzeigers und 20 Minuten ermittelt werden medienspezifisch aufgeschlüsselt zu erhalten, sodass man auch Eigenheiten nach Redaktionen und Regionen ersichtlich würden.

Claude Longchamp

Identify. Empower. Ask.

Sein Auftritt war perfekt. Souverän bewegte er sich auf der Bühne. Die Sildeshow im Hintergrund gefiel. Der Inhalt verdient ein ähnliches Prädikat. Dennoch, am Schluss staunte nicht das Publikum, sondern der Redner John Della Volpe!

John Della Volpe hat italienisch-irische Wurzeln. Doch ist er durch und durch Amerikaner. Als Polling Director am Institut of Politics der renommierten Harvard University amtet er.

Am eben zu Ende gegangenen SwissMediaForum 2012 zu den neuen sozialen Medien hat er gestern über amerikanische Wahlkämpfe im 21. Jahrhundert berichtet.

Zum Beispiel über die geschichtsträgtige email von John McCain, die im Jahr 2000 die politische Kommunikationsrevolution auslöste.
Oder über die zielgruppenspezifischen Botschaften von Karl Rove, der 2004 die Wiederwahl von Goerge W. Bush sicherten.
Und über Barack Obama, der 2008 den entscheidenden Moment der Ausmarchung innerhalb der Demokraten Hillary Clinton mit den Stimmen der Junge via Facebook für sich gewann.

Della Volpes These zu den neuen soziale Medien leitete sich aus deren Entwicklung in den letzten 20 Jahren ab: Sie lautet, amerikanisch einfach wie auch amerikanisch einprägsam:

Identify, Empower. Ask.
Schaffe Identifikation, lass Selbstbestimmung zu, und frage nach.

Nicht ganz so griffig war der Ausblick auf das Wahljahr 2012. Twitter hätten sich sich die Republikaner Nach der Wahlniederlage von 2008 erschlossen, bekam man zu hören. Zum Beispiel Kandidat Newt Gingrich, der 1,4 Millionen Follower habe. Indes, der Schein trüge: Zwei Drittel der Accounts seien ein Fake. Obama habe rasch viel Boden gut gemacht, wenn es um Twitter gehe. Er habe sensationalle Tageszuwachsraten. Und dennoch, John Della Volpe wollte ihn keineswegs zum Sieger für die Wahl im November 2012 erklären. Denn, so die professorale Kritik, seine Kampagne sei auffällig uninspirierend – ganz anders als 2008.

Das Publikum im Saal staunte. Da wurde es vom Harvard Pollster nach den eigenen Wahlabsichten befragt. Gegen 90% für Obama, gut 10% für Romney, war das Ergebnis der Umfrage bei der politmedialen Crème der Schweiz.

Und nun staunte der Bühnenstar John Della Volpe.
Twitterte aber bald schon das Resultat.

Claude Longchamp

Politische Kommunikation – für die Schweizer Praxis

Politische Kommunikation, theoretisch abgestützt, in der Praxis angewandt, ist das Thema des neuesten Buches zur politischen Kommunikation mit starkem Schweiz-Bezug.

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Barbara Günthard-Maier war mal in Bundesbern tätig. Im Umfeld von Politik und Wirtschaft. Dann machte sie sich selbständig. Als Leiterin einer Spezialagentur in Winterthur. Dabei betreute sie auch den CAS an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft, in dem ich (nebst anderen) unterrichte.

Nun ist die heutige Dozentin am MAZ in Luzern unter die Buchautorinnen gegangen. Dieser Tage erscheint ihr Erstling, “Politische Kommunikation” betitelt, im bekannten Orell Füssli Verlag.

Am Buch überzeugt vor allem die Systematik. Politische Kommunikation ist nicht einfach alles und jedes, es wird aufgelöst in Integrierte Kommunikation, Lobbying und Campaigning. Jeder Buchteil hierzu beginnt mit einem Fallbeispiel, das die Autorin selber bearbeitet hat. Daran wird ausführlich aufgezeigt, was der Lösungsansatz war und was weitere Anwendungen sein könnten. Abgeschlossen werden die Ausführungen durch eine Checkliste, die das Wichtigste für den Schnellgebrauch festhalten.

Selbst die Lösungsansätze werden in diesem Buch stark formalisiert präsentiert. Was ist das Ziel?, was die Strategie?, was die Massnahmen? und aufgrund von was kann man Wirkungen evaluieren?, fragt sich die Kommunikationswissenschaftler mit harter Strenge über 350 Seiten hinweg. Wer das macht und durchhält, ist kein(e) SchaumschlägerIn, wie sie in der Branchen verbreitet sind.

Und was so entsteht, ist beinahe ein Handbuch, allerdings nicht aus der Sicht der Fachwelt, sondern aus der Optik der Fachfrau. Stolz kann sie darauf sein, die Menge der Informationen in ein Modell integriert zu haben, das man seinen Kommunikationsproblemen immer wieder zu Grund legen kann. Für mich eine gelungene Synthese aus Informationen, Erfahrungen und Systematiken.

Ueberhaupt, Barbara Günthard-Maier weiss, wovon sie spricht. Das spürt man auf jeder Seite. Sie weiss auch, von wo sie kommt. Auch das ist unübersehbar: Deshalb leitet sie ihr Buch auch mit einem ausführlichen Kapitel zu den Besonderheiten der politischen Kommunikation in der Schweiz ein, das Fremde kurz und knapp in die Kommunikationskultur unseres Landes einführt. Spannend gemacht ist das, weil sie 10 Fallstricken diskutiert, denen man hierzulande erliegen kann.

Vielleicht hätte allerdings eine 11. gebraucht, von der sich die Autorin selber nicht ganz befreien konnte. Die Begrenzung der politischen Kommunikation auf ein Land macht bei der Integrierten Kommunikation eines lokalen Akteurs noch Sinn. Schwieriger wird es schon, wenn man Lobbying national definiert, denn immer mehr Entscheidungen werden nicht in Zürich oder in Bern getroffen, sondern in Brüssel, Singapur oder weiss wo. Das gilt ganz besonders für das Campaigning, wo ich mit der Autorin im Ansatz nicht übereinstimme. Denn Campaigning ist nicht einfach eine Kampagne ohne zeitliche Begrenzung, wie die Autorin schreibt. Campaigning ist auch thematisch und örtlich entgrenzt. Träger des Campaignings ist, meines Erachten, kaum eine Stadtpartei, eher eine internationale Organisation, die ihre Ziele mit den Mitteln der Kommunikation verfolgt, wo auch immer das nötig ist und zu was auch immer man Stellung nehmen muss.

Der Einwand mindert den Wert des Buches jedoch nur wenig. Denn es ist selber Ausdruck einer Professionalisierung der Kommunikation gerade in und zur Politik, die in den letzten 20 Jahren vielerorts, besonders auch in den Milizstrukturen des Schweiz stattgefunden haben. Diskutiert werden dabei nicht mehr einfach Tricks, wie das weiland Klaus Stöhlker machte, auch nicht vorwiegend die windows of opportunity, wie uns das Iwan Rickenbacher lehrte. Präsentiert werden drei Spezialitäten der heutigen Kommunikationswissenschaft, deren Vorgehensweise in der Theorie abgestützt sind, die sich aber in der Praxis weiter entwickelt haben und durchaus als standardisierte Verfahren des Vorgehens mit Modellen, Methoden und Leitfäden popularisiert werden können.

Genau das hat mich bewogen, das Vorwort zum neuen Meilenstein in der politischen Kommunikation zu schreiben, und Kollege Peter Stücheli-Herlach von der ZHaW hat das Nachwort verfasst. Jetzt ist es an BeraterInnen, BeamtInnen, FunktionärInnen und PolitikerInnen, sowohl die Einsichten als auch Vorschläge zur Lösung von Problemen in den Seiten dazwischen zu beherzigen.

Claude Longchamp

Interesse für politische Parteien im Internet vermessen

Im Ausland kennt man das Tool schon länger. Bei Schweizer Wahlen propagiert neu die Sonntagszeitung Internetanalysen als Parteienbarometer im laufenden Wahlkampf.

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Nachfrage nach Informationen zu Parteien auf Internet gemäss Google in den letzten 12 Monaten: Der Wahlkampf erzeugte bis jetzt ein geringeres Interesse als die Volksabstimmungen vom November 2010; der Stand gleicht dem bei den Zürcher Wahlen vom Frühling 2011.

SVP vor SP, FDP und CVP. Dies ist die Rangierung der politischen Parteien im neuen Barometer der Sonntagszeitung. Eingestellt hat sich die Reihenfolge in der Woche vom 7. August; seither ist sie stabil. Der Vorsprung der SVP ist kräftig, während vor allem FDP und CVP sehr nahe beieinander liegen.

Das neue sog. Parteienbarometer der Sonntagszeitung basiert nicht auf kantonalen Wahlanalyse. Es brücksichtigt keine WählerInnen-Befragungen, und es stellt auch nicht auf Wahlbörsen ab. Vielmehr basiert es auf eine Medieninhaltsanalyse, einer speziellen allerdings – O-Ton Sonntagszeitung: “Die aufgezeigten Trends stellen lediglich Suchanfragen nach den genannten Parteien dar. Ziel von Google Insights for Search ist es, Erkenntnisse über verbreitete Suchmuster zu liefern. Die Berechnung der Ergebnisse basiert auf verschiedenen Schätzungen. Die Insights for Search-Karte ist für allgemeine Volumenanalysen vorgesehen.”

In der Wahlforschung rangieren solche Tools hinter der Wahlbefragungen und Wahlbörsen nur an dritter Stelle, wenn es um den analytischen Wert zu den Wahlaussichten geht. Das hat seine Gründe: Zuerst die Messeinheit, die Interesse an, nicht aber Unterstützung von Parteien bestimmt; dann das Beobachtungsmedium, das mit Internet eine klare Eigenselektivität hat, und schliesslich die Messtechnik, die von google stammt, und pauschal umschrieben, für Marktforschung geeignet ist.

Vor Quantifizierungen, zum Beispiel zu Parteistärken, sei deshalb ausdrücklich. Etwas zuverlässiger sind Reihenfolgen unter den Parteien. Das Beste an solchen Instrumenten sind jedoch die Zeitverläufe. Denn sie zeigen, dass das Interessen an Parteiinformationen abhängig von Ereignissen ist: Politischen Gross-Events wie herausragende Volksabstimmungen, BundesrätInnen-Wahlen oder eben dem anziehenden Wahlkampf.

Auf die Dauer muss das aber nicht so sein. So zeigt die Uebersicht über die vermessenen Parteiinteressen seit anfangs 2009, dass die SVP im Internetintesse vor der FDP liegt, gefolgt von der SP und der CVP. Die FDP kennt damit mehr Interesse auf Internet als Anteile unter Wählenden. Bei der CVP klafft beides in umgekehrter Richtung auseinander.

Man wird, in den Wochen bis zur Wahl, die Indices der Parteien schnell konsulitieren, um etwas über das Internet-Interesse zu erfahren. Angekündigt ist übrigens auch vom FOeG der Uni Zürich aus, in den letzten 6 Wochen eine vergleichbare Analyse über einen Querschnitt aller Medien mit Parteipräsenzen zu veröffentlichen.

So bleibt die Bilanz: Die Ankündigung eines neuen Parteienbarometers vermag das Instrument kaum einzulösen. Wenn man dessen Ergebnisse mit Prognosen oder aktuellen Wahlabsichten nicht verwechselt, ist es für die Trendanalyse ganz nützlich.

Claude Longchamp

Ausschaffungs- und Masseneinwanderungs-Initiative als Wahlkampf-Vehikel

1. August: Die SVP nutzt die Aufmerksamkeit für den Bundesfeiertag, um ihren nationalen Wahlkampf für den Wahlherbst zu lancieren. Ein Thema wird gesetzt, das anderntags mit Initiativbögen im Briefkast aufgenommen wird. Die Plakatierung der ganzen Schweiz beginnt. 2007 genauso wie 2011. Eine Kurzanalyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

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Eines sei gleich vorneweg gesagt: Ich gehe davon aus, dass die neue Volksinitiative der SVP in Sachen Personenfreizügigkeit durchaus eine Grundstimmung der Jetzt-Zeit trifft. Es gibt eine vermehrte Kritik an der unkontrollierten Einwandeurng. Betroffen ist nicht nur der Arbeitsmarkt, auch der Wohnungsmarkt ist ein Thema, für Unter- und Mittelschichten. Allerdings, soweit ich sehe, reicht das nicht, um notfalls alle Errungenschften der Bilateralen mit der Kettensäge aufs Spiel zu setzen.

Sieben Unterschiede zwischen den Ausschaffungsinitiative 2007 und der Masseneinwanderungsinitiative 2011 sind augenfällig:

Erstens, das Thema:
2007 nahm die SVP ein Gesellschaftsthema in den Kampagnenfocus. 2011 geht es um eine Wirtschaftsfrage. Ersteres brachte ihr einen breiten Applaus, denn Initiative zur Ausländerkriminalität erlöste zahlreiche Akteure – gerade im bürgerichen Lager. Letzteres ist demgegenüber umstritten, denn es trifft vitale ökonomische Interessen.

Zweitens, die Signifikanz der Initiativen:

2007 funktionierte die Arumentation, es werde ein verdrängtes Thema aufgenommen. Das erinnerte an die Asylthematik, mit der die Partei und ihr Justizminister 2006 erfolgreich Mehrheiten hinter sich scharte. 2011 lag der Focus anders: mit der Neupositionierung der Personenfreizügigkeit nimmt die Partei eine Kündigung des Abkommens und damit der Bilateralen in Kauf. Das polarisiert – gerade auch unter EU-Gegnern.

Drittens, die Reaktionen der Wirtschaft:

2007 enthielten sich die Wirtschaftsverbände der Stimme, als es um die Ausschaffung ging. 2011 wandten sie sich sofort gegen die neue Initiative, economiesuisse als erste Organisation der Wirtschaft, der Gewerbverband als zweite. Im Gefolge distanzierten sich gewichtige Vertreter des SVP-Wirtschaftsflügels von der eigene4n Initiative – mindestens hinsichtlicher ihrer Ausformlierung und Präsentierung.

Viertens, die Positionierung der Parteien:

Spätestens seit den angenommenen Initiativen zum Minarettverbot und zur Ausschaffung haben FDP und CVP reagiert. Sie wissen um die Stimmen in ihrer Basis, die sachpolitisch der SVP nahestehen können. In der Wahlkampfvorbereitung 2011 haben sie deshalb die Swissness-Frage nicht mehr einfach der Konkurrenz überlassen. Vielmehr stehen sie ausdrücklich dazu, schweizerische Interessen zu verteidigen.

Fünftens, das Umfeld:

Ueberhaupt, das Umfeld 2007 und 2011 könnten anders nicht sein. Damals herrschte Optimismus vor. Finanzmarktkrise, Staatsbankrotte und Euro-Sanierungsprogramme kannte man nicht einmal dem Namen nach. Heute sind sie allgemeinwärtig, entsprechend ist dominiert vorsichtige Zuversicht, oder ist man gleich skeptisch. Da schaut man genauer hin, wer mit welchem Mittel welche Vorteile der Schweiz gegenüber dem Ausland verteidigt oder aufs Spiel setzt.

Sechstens, die Gradlinigkeit:
2007 hatte die SVP die Konsquenz auf ihrer Seite. Ihre Politik galt als unbeirrt, egal wie Bundesrat und Parlament denken. Gradlinigkeit ist der Partei gerade in der Personenfreizügigkeitsfrage indessen abhanden gekommen, denn sie spekuliert aut eine Position zwischen Wirtschaftspartei und Tea-Party-Orientierung. Das ging, wie der Kurswechsel in Sachen Nationalbank deutlich machte, diesmal schief. Da politisierte das bürgerliche Zentrum gradliniger.

Siebstens, das Ueberraschungsmoment:
2007 hatte die SVP im Wahlkampf das Ueberraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie setzte die Themen, mit denen sie zwischen sich und den anderen polarisieren konnte. Damit trieb sie auch die Medien an und dominierte sie die Bevölkerungsdiskussionen. Das ist 2011 so eindeutig nicht mehr der Fall. Das Strickmuster der SVP-Wahlkampagne ist zwischenzeitlich bekannt. Es ist immer noch cleveres Handwerk. Aber es fehlt die Surprise, die eine gute Kampagne zur Superkampagne macht.

Noch steht uns der heisse Wahlkampf bevor. Vor allem der der KandiatInnen. Das ist für die Mobilisierung der BürgerInnen vor der Wahl gerade auf dem Land uind in den kleinerer Kantonen von eminenter Bedeutung. Mit voreiligen Schlüssen aus dem Wahlkampfgeschehen auf das Resultat vom 23. Oktober 2007 halte man sich also zurück.

Sicher ist vorerst nur: Die Kampagne der SVP ist die intensivste und auffälligste. Doch zieht sie nicht mehr mit der gleichen magnetischen Wirkung die Kampagnenakteure in ihren Bann.

Es wird Zeit, dass auch ich mich mit den Wahlkampagnen der anderen Parteien (kritisch) beschäftige.

Claude Longchamp

Wie sich der Wahlkampf 2007 entwickelte

Man erinnert sich: 2007 stand der Wahlkampf zu den Parlamentswahlen ganz im Zeichen der SVP-Kampagne. Ein kleiner Rückblick und Ausblick zu den Gemeinsamheiten und Unterschieden mit dem Wahlkampf 2011.

Am 27. August 2007 schrieb Bettina Mutter im Tagesanzeiger: “Die SVP sagt, Linke und Grüne schmiedeten ein Komplott, um Christoph Blocher aus dem Bundesrat zu drängen. Andere Parteien meinen, das sei billiger Wahlkampf.” Nachträglich weiss man es. Die SVP fürchtete sich zurecht, wenn auch im falschen Moment.

Parteipräsiden Ueli Maurer brachte die Befindlichkeit der Partei an der Medienkonferenz desselben Tages auf den Punkt. Wenn Blocher abgewählt wird, zerstört Links-Grün das bewährtes Konkordanzsystem. Die SVP muss dann den Bundesrat verlassen und aus der Opposition heraus politisieren. Um das zu verhindern, kündigte er eine eigentliche Kampagnenoffensive an.

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Wie Medienanalysen des FOeG an der Uni Zürich zeigten, löste die Kontroverse eine riesige Medienressonanz aus. Während Tagen war die SVP mit Abstand die am meisten behandelte Partei in den Medien. Gefordert war vor allem die CVP, beschuldigt mit Rotgrün zu paktieren. In die Bedrängnis geriet auch die FDP, deren Bundesrat Couchepin am meinte, kein Land brauche einen Douce – womit klar war, wen er gemeint hatte.

Erst nach Wochen flaute die Geschichte etwa ab. Noch einmal befeuert wurde sie durch die Sondersession der eidgenössischen Räte anfangs Oktober 2007, die sich dem Geheimplan beschäftigte. Für den Samstag danach hatte zudem die SVP für den 6. Oktober zu ihrer Manifestation in Bern aufgerufen – dem geplanten Höhepunkt ihres Wahlkampagne, der mit der Eskalation auf Berns Strassen zum Tiefpunkt des Wahlkampfes wurde. Medial hatte auch das der Partei genützt. Ihre Medienpräsenz erreicht in den drei letzten Wochen nochmals Höchstwerte, von denen die anderen Parteien nur träumen konnten.

“Ereignisorientierter Wahlkampf” analysierte ich dieses Vorgehen im Nachhinein.. Dabei ist nicht einmal entscheidend, wer was auslöst. Wichtiger ist, wer wie damit umgehen kann. Das spin doctoring findet in den Schweiz nicht in obskuren PR-Büros statt, wie man das oft behauptet, sondern in den Parteien selber, die jeden Tage beurteilen, was ihnen nützen und schaden kann. Wer mit seinen Kampagnen schnell reagieren kann, der wird so zum Treiber, der den Takt vorgibt und sie die anderen Akteure dominiert und die Medienberichterstattung auf dieser Art und Weise steuert.

Dazu gehört auch der Lead im gekauften Raum. Auch hier dominierte die SVP praktisch unbestritten. Sie begann als Erstes mit der Wahlwerbung, sie intensivierte sie vor allem anderen, und sie investierte auch das grösste Geldvolumen in Plakate, Inserate und Druckschriften.

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Der Vergleich der beiden Indikatoren für Wahlkampfaktivitäten mit den Trends im Wahlbarometer legten folgende Zusammenhänge nahe: Profitiert haben dürften SVP und FDP von ihren Investitionen im gekauften Raum. Der SVP dürfte zudem die Medienpräsenz genützt haben, weil sie so den Wahlkampf dominierte. Die SP wurde zusehends verdrängt, und galt in der Schlussphase als mitverantwortlich für die Krawalle in Bern, was ihr geschadet haben dürfte.

Und heute? Einen “6. Oktober” wird es dieses Mal wohl nicht mehr geben, ist doch die Hauptstadt für Manifestationen der Parteien kurz vor der Wahl gesperrt worden. Dennoch zeigt sich, dass die SVP versucht ist, eine vergleichbare Kampagne mit vorbereiteter Volksinitiative, Plakatwerbung und Zupsitzung mit Inseraten zu fahren. Klar wurde auch, dass die Dramatisierung bisher nicht wirklich gelingt, weil die beabsichtigte Focussierung der Wahlen 11 auf die Ständeratswahlen und da auf das Treffen im Kanton Zürich nicht wie erwartet funktioniert. Deshalb polarisiert die SVP auch weniger. Die Bundesratswahlen wurden als Wahlziel 2011 gestrichen. Inoffiziell will man einen zweiten Sitz, wenn es nicht reichen sollte, werde man 2015 mit drei Bundesräten zurück kehren.

Allerdings, auch das wird momentan immer deutlicher: Keine der anderen Parteien kann in die Lücke, die so im Wahlkampf 2011 entstanden ist, wirklich nützen, um sich besser als die anderen zu profilieren. Entweder sind die Verhältnisse durch die globalen Ereignisse so unübersichtlich geworden, oder der Wahlkampf 2011 steht uns noch bevor!

Claude Longchamp

Vom Meinungsklima

Politikwissenschaftliche Analysen der Parteiwahl insistieren auf eine gefühlsmässige Bindung an eine Partei, die Uebreinstimmung mit Programmen und die Identifikation mit herausragenden Personen. Die Medien- und Kommunikationswissenschaft, die sich mit Wahlentscheidungen gegenüber Parteien beschäftigt, fügt in der Regel ein relevantes Konzept hinzu: das Meinungsklima.

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Konkret: Im Vorfeld der jüngsten Bundesratswahlen war die Stabilisierung des Regierungssystems das zentrale Stichworte. Exzesse, wie bei der Bundesratswahl ein Jahr davor, sollten vermieden werden. Die Konkordanz galt es zu bewahren. Die Rede war von einer Allianz der Mitte, welche die Geschicke des Landes steuern und fallweise mit einer der Polparteien Allianzen bilden sollte. Bei den Bundesratswahlen sollten die Ansprüche der SP und FDP sollten umgehend eingelöst, jene der SVP nach den nächsten Parlamentswahlen entschieden werden. Dieses Klima begünstigte im Bundesratswahlkampf geforderten Parteien. Das sie ihre Interessen schliesslich durchsetzen konnten, beflügelte ihre WählerInnen; so waren motiviert und mobilisierbar. Ganz anders wirkte sich das auf die Wählerschften der Grünen, der CVP und der SVP aus. Doch hielt die Stimmungslage nicht an. Spätestens bei der Departementsverteilung wurde klar, dass eine Zentrierung der Regierung unter Ausschluss dr SP-Wünsche angesagt blieb.

SCHWEIZ INITIATIVE AUSSCHAFFUNGSINITIATIVE

Spätestens mit dem Abstimmungskampf zu den Volksentscheidung vom 28. November 2010 änderte sich die Grosswetterlage. Es griffen die SVP mit der Ausländerkriminalität und die SP mit den Steuerprivilegien an. Beide testeten damit ihre Wahlkampf-Fähigkeiten. Ein Klima der Anklage entstand, Populismus grassierte, medial angeheizt. Vermittelnde Positionen, wie die des Parlaments mit dem Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative hatten einen schweren Stand. Die SP stolperte, zuerst über eigenen Programmparteitag, dann über das negative Abstimmungsergebnis. Es obsiegte die SVP, die in ihrer Lieblingskonstellation – alle gegen sie – eine mehrheitliche Zustimmung in der Volksabstimmung bekam. Damit war der Tenor beim Nationalen, Konservativen, Ländlichen gesetzt. Der SVP bescherte er Spitzenwerte in allen Umfragen, und, im Verbund mit dem bürgerlichen Zentrum einen Abstimmungssieg bei der Waffen-Initiative der SP.

Japan Earthquake

Doch auch dies Stimmungslage fand ihr Ende, jäh, mit dem Erdbeben in Japan, dem Tsunamie über dem Pazifik und der AWK-Unfall in Fukushima. Die Newslage in den Medien wechselte abrupt. Die Kernkraftbetreiber auch hierzulande wurden zu Gebtrieben der Oeffentlichen Meinung. Die Parteien, welche Kernenergie ablehnten, wähnten sich im Aufwand – nicht zu letzt weil der Bundesrats das laufende Verfahrungen für die Rahmenbewilligung sistierten. Im Gefolge dieser Entscheidung mussten sich die Parteien, welche Kernenergie immer befürwortet hatten, neu positionieren, schweigen oder dem aufkommenden Thema ihre Spin geben. Profitiert haben die Grünen bei den lokalen Wahlen, vor allem von der Oeffnung für ihre Kandidaten und vom Wechselwählen enttäuschter Anhänger. Zu einem Tsunami in der Wählerschaft als Ganzes kam es bis jetzt nicht. Dennoch, das Meinungsklima ist neu definiert worden.

Was ist nun ist ein Meinungsklima? Gemeint sind damit nicht die aggregierten Wahlabsichten der BürgerInnen, die stehen am Schluss der Analysekette. Am Anfang steht die öffentliche Meinung, wie sie aus einem Gemisch von Ereignissen, Medienberichten und Rezeptionen bei meinungsbildenden Organisation entsteht und ihrerseits auf die Intentionen der BürgerInnen bei einer Wahl einwirkt. Das Meinungsklima ist die Hülle unerer Wahlentscheidungen, das übergeordnete politische Klima, die Grosswetterlage oder die Stossrichtung des Windes, an dem sich alle auszurichten beginnen. Es wirft ein grelles Licht auf die Programme der Parteien, die Stärken und Schwächen ihrer Protagonisten, und es definiert damit wer und was in und out ist.

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Bei der Definition des Meinungsklimas sind die Massenmedien entscheidend. Das ist eines der Hauptrgebnisse der Dissertation von Stephan Dahlem. Sein Fazit kann man heute noch zuspitzen: Massenmedien sind keine Analytikerinnen der hier beschriebenen Tendenzen mehr. Vielmehr sind sie zur Avantgarde des Meinungsklimas selber geworden, zu den Trendsettern, die nichts so ungern machen, wie darüber zu sprechen. Ihr Problem dabei ist, dass die mangelnde Reflexion über sich, über Ursachen und Folgen des Meinungsklimas, die Wirkungen von Stimmungslagen überschätzen lässt. Und vor allem besteht ein fast unerschütterlicher Glaube, dass ein einmal definiertes Klima dauerhaft anhält. Doch ist genau das das Trügerischste an Meinungsklimata. Denn nichts ist so sicher, wie ihr Ende, um einem neuen Gemisch aus Ereignissen, Interpretation und Verstärkungen Platz zu machen. Wann auch immer das geschieht.

Claude Longchamp

Nützliche Links zu Abstimmungen und Wahlen in der Schweiz

Letzte Woche unterrichtete ich an der Zürcher Hochschule in Winterthur im Rahmen des CAS “Politische Kommunikation”. Es ging um BürgerInnen und Demoskopie im weitesten Sinne, also um Fragen, wie aus BürgerInnen-Meinungen politische Entscheidungen werden und wie die Ergebnisse auf kollektiver Ebene auf die individuelle herunter gebrochen werden können.

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Mehrfach wurde ich danach gefragt, nebst den Literaturangaben eine Linksliste abzugeben. In der Tat hatte ich das in den Unterlagen nicht gemacht, weshalb ich das auf diesem Weg nachhole.

Amtliche Informationen:
Offizielle Informationen Wahlen und Abstimmungen Schweiz
Amtliche Wahlergebnisse Schweiz
Amtliche Volksabstimmungsergebnisse Schweiz

Abstimmungsforschung Schweiz:
Abstimmungsforschung (Schweiz)
Historisches Datenarchiv Volksabstimmungen Schweiz
VOX-Analysen eidgenössischer Abstimmungen
Vimentis: Ueberparteiliche Abstimmungsinformationen
Parlamentsmonitoring
SF Abstimmungen Archiv
Dispositionsansatz zur Analyse der Meinungsbildung bei Volksabstimmungen
SRG-Trendbefragungen zu Volksabstimmungen/Hochrechnungen/Erstanalysen
Ballotpedia (Archiv Volksabstimmungen in den US-Gliedstaaten)
Direkte Demokratie in Europa

Wahlforschung Schweiz:
Wahlforschung (international)
Prognosemodelle für Wahlen (vorwiegend für die USA)
Wahlatlas Schweiz
Selects – Schweizer Wahlstudien
Smartvote Wahlhilfe
Schweizer Parlamentswahlen 2007
Schweizerische Bundesversammlung
SF Wahlen 07
Grafik Datenbank Wahlbarometer 2007
Kommentierte Literaturliste politische Kommunikation (vorwiegend Wahlen)

Aktuelles findet sich jeweils auch in der Kategorien Wahlforschung, Abstimmungsforschung und Politische Kommunikationsforschung auf diesem Blog.

So, ich hoffe damit, diese Bringschuld eingelöst zu haben.

Claude Longchamp