Was die Wissenschaft in der Praxis aus dem Angriff auf die Klimaforschung lernen sollte

Die Liste der beklagten Fehlleistungen der Klimaforscher und ihrer Vermittler war lang. In Anspielung an den Watergate-Skandal erfand man schon mal den Begriff des “Climategate”. Jetzt liegen erste Untersuchungen über die Forschung und ihre Kommunikation vor, die eher Schwachstellen der heutigen Wissenschaftspraxis erkennen lassen als solche der Forschung.

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klimaforschung der university of east anglia: beklaut, angeklagt und rehabilitiert

Alles begann mit eine Diebstahl: Kurz vor der Klimakonferenz in Kopenhagen tauchten e-mails auf, die aus der Datenbank der University of East Anglia entwendet worden waren. Sie nährten in medialer Windeseile die Vorstellung, die Klimaforscher hätten überzeichnet, ja bewusste Manipulation betrieben. Dies verunsicherte die Verhandlungen der Klimakonferenz in Kopenhagen. Nur kurz darauf musste der UN-Klimarat zugeben, dass sich Fehlangaben zum Rückgang der Gletscher und zu den Folgen der Meeresspiegelerhöhung für die Niederlande in die Berichterstattung eingeschlichen hatten. Das untergrub die Glaubwürdigkeit wissenschaftlich hergestellter Befunde zu Themen, welche politische relevant, sinnlich nicht erfahrbar sind, selbst in namhaften Zeitungen.

Zwischenzeitlich liegen drei Gutachten zur Klimaforschung und ihrer öffentlichen Vermittlung vor. Beteiligt waren das britische Unterhaus, die Royal Society und die East Anglia University selber. Die Forschung selber nehmen sie weitgehend in Schutz. Die Kommunikation ist indessen ein Problem, vor allem dann, wenn sich nicht nur Forschungsergebnisse, sondern auch Berichte von Interessengruppen, die nicht weiter geprüft werden, in die Resultatekommunikation einfliessen. Medial in Fahrt gekommene Kritik entwickelt sich eigengesetzlich, und sie treibt weit herum eigentümliche Blüten.

Empfohlen wird den KlimaforscherInnen, sich offener gegenüber Anfragen zu verhalten und ihre eigenen Resultate offensiver zu kommunizieren. Der Weltklimarat seinerseits muss Qualitätskriterien entwickeln, die klar machen, welche Forschungsberichte berücksichtig werden dürfen und welche nicht. Und an die Adresse der Medien ist gerichtet, dass sie die Unsicherheiten der Forschung ebenso vermitteln müssten wie deren Sicherheiten.

Von aussen betrachtet wird man sagen können: Die Wissenschaft, die sich an die politische Oeffentlichkeit richtet, kann nicht damit rechnen, als reine Expertenstimme wahrgenommen zu werden. Sie muss deshalb neue Wege gehen, ihre eigenen Resultate verständlich und direkt an die Politik heranzutragen. Die Politik ist ihrerseits gehalten, Wissenschaft als eine höchst relevante Stimme zu verstehen, die möglichst unvermittelt in Entscheidungen einfluessen soll. Denn in den Vermittlungsprozess mischen sich zwischenzeitlich Medien, Lobbygruppen, MeinungsmacherInnen und Internetschwärme, welche jede Sache, die wichtig ist, nach ihren Interessen oszillieren lassen, um so auf die Entscheidungfindungen Einfluss zu nehmen.

Eigentlich sollte man angesichts der täglich vermittelten wissenschaftlichen Berichte viel mehr über solche Zusammenhänge wissen und lehren, um Fälle wie die Kritik an der Klimaforschung inskünftig verhindern zu können. Denn das Risiko von Reputationsschäden bleibt unabhängig von Rehabilitationen.

Steckbrief WissenschafterInnen: Braucht es Intellektuelle, Fachleute, Gelehrte oder AkademikerInnen?

Auf scatterplot, einem blog aus der welt der amerikanischen universitäten, habe ich eine interessante Typologie gefunden, was WissenschafterInnen (nicht) sein sollten. Vier Rollen werden unterschieden, die mich angeregt haben, mich in meinem Umfeld umzusehen. Eine kleine Charakteristik an Wissenschaftertypen – mit einem grossen Augenzwinkern!

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Was nur sollen angehende WissenschafterInnen werden?

Intellektuelle
Intellektuelle verstehen es, redend oder schreibend zu intervenieren. Sie rufen dazwischen und beeinflussen so den Gang der Dinge. Ohne Medien würde sie gar nicht gehen. Denn diese bieten Intellektuellen erst den Raum, den sie brauchen, um sich zu entfalten. Intellektuelle erkennt man daran, dass sie sich für ein Projekt einsetzen, eine Idee verfolgen und ein klares Wertemuster haben, und das mit Verve. Deshalb wissen sie auch, wie die Zukunft aussieht – jedenfalls aussehen sollte. Hierfür setzten sie sich unablässig ein. Details interessieren Intellektuelle nicht, vielmehr wollen sie das Ganze verständlich machen oder mit ihrer Kritik das Falsche in der Entwicklung diskreditieren. Intellektuelle haben gelernt zu stören, ohne dass sie das selber wirklichen stören würde. Allerdings, gerade unter den WissenschafterInnen, werden Intellektuelle immer seltener.

ExpertInnen
Kein Experte, keine Expertin ohne Fakten. Wer es mit Fachleuten zu tun hat, begegnet keinen Gesinnungsmenschen. Dafür gelegentlich Datenhubern. Denn ExpertInnen sind von einem überzeugt: Daten sind die neutralste Form der Beschreibung von Realität. Diese hat es den ExpertInnen angetan, sie können es nicht lassen, sie immer wieder zu analysieren. Experten sind Informationsverarbeiter mit klar umgrenztem Sachgebiet. Die besten Fachleute arbeiten am klarsten nach den Regeln der Vernunft. Das verspricht Vorteile – für wen auch immer. Den Managern, den Politikerinnen und den ChefredaktorInnen stellen sie ihr Wissen zur Verfügung. Vertrauen in ihre Arbeit und anerkannte Kompetenz begründen ihre Glaubwürdigkeit – und die ist ihr Kapital, gerade wenn die Logik und die Statistik in der Vermittlung nicht mehr weiterreicht. ExpertIn zu sein, ist heute der verbreiteste Wunsch unter WissenschafterInnen.

Gelehrte
Welches Phänomen auch immer ein Gelehrter (oder eine Gelehrte) aufgreift, ihm oder ihr eröffnet sich damit unverzüglich das ganze Universum unserer Kultur. Gelehrt zu sein heisst, weise zu sein. Dafür braucht es Geduld, die sich meist erst im Alter einstellt. Denn frühestens dann ist man mit der ganzen Geistesgeschichte der Menschen vertraut, bei den antiken Philosophen wirklich zuhause, und hat man die Werke der Kirchenväter ausgiebig studiert. Gelehrte dürfen aber nicht nur in der europäischen Vergangenheit heimisch sein, sie müssen auch eine Hauch der östlichen, ja fernöstlichen Lehren in sich aufgenommen haben. Gelehrte sind immer auch ein bisschen ein Guru. Das Publikum ist ihnen nicht egal, am besten ist es aber nicht zu zahlreich, denn das erlaubt es, sich austauschen und vertiefen zu können. Denn wer Gelehrte wissen: Wer das Glück hat, ihne zu begegnen, will danach inspiriert sein.

AkademikerInnen
AkademikerInnen schliesslich haben vor allem einen Lebenslauf, der ihre bisherige Karriere dokumentiert. Für Akademiker ist es wichtig, viel geschrieben zu haben. Publizieren nennen sie das, ohne dass sie sich wirklich für Publizistik interessieren würden. Denn entscheidend sind nicht die LeserInnen, sondern ist die Bibliographie. Möglichst lang soll sie sein und aufzeigen, wie gut man vernetzt ist. Entsprechend zitiert man auch. Oder auch nicht. Denn AkadmikerInnen wissen eines: Andere AkademikerInnen entscheiden über den weiteren Verlauf ihres Erfolges. Deshalb eifern AkademikerInnen akademischen Vorbildern nach. Und beobachten genauestens, was andere AkadmikerInnen mit vergleichbarem Ruf machen, könnten sie doch dereinst KonkurrentInnen sein, wenn es um eine gute Stelle geht, um Gelder für Forschungen, um Ehrungen, die man so gerne dem eigenen Lebenslauf noch beifügen möchte.

Und nun?
Was nun braucht die Wissenschaft? Nichts davon, von allem etwas oder einen ganzen bestimmten Typen. Sachdienliche Hinweise sind erwünscht.

Arbeitsmarkt-Rating für universitäre Studiengänge.

In seiner heutigen BZ-Kolumne kritisiert Rudolf Strahm, Ex-Preisüberwacher der Schweiz, SP-Nationalrat aus den Kanton Bern und seit Jahren erfolgreicher Sachbuchautor die Hochschulautonomie. Als Korrektiv der vorherrschenden Selbstreferenz schlägt er unter anderem ein Arbeitsmarkt-Rating für universitäre Studiengänge vor.

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Rudolf Strahm will nicht die einzelnen Besetzungen von Professuren beeinflussen, die Kriterien der Professorenwahlen Richtung Praxistauglichkeit erweitern.

Anlass der Kritik ist der Berner Universitätsgesetz, das 2010 beraten und in Kraft gesetzt werden soll, um den Autonomiegrad der Universität zu erhöhen.

Rudolf Strahm, Chemiker und Volkswirtschafter, Dozent an verschiedensten Hochschulen, weiss, dass gerade seine Generation, die 68er, die Hochschulautonomie hochgehalten hatte. Denn die obersten Bildungsanstalten sollten Orte der Ideenentwicklungen sein, um gesellschaftliche Innovationen auszulösen. Heute werde Autonomie jedoch anders verstanden, schreibt Strahm: als Selbstreferenz des Bildungswesens, um Universitätskarrieren zu erleichtern.

Das müsse mit dem Universitätsgesetz korrigiert werden, fordert Strahm mit Hinweis auf die 280 Mio. Franken Steuergelder, welche der Kanton jährlich an die hiesige Uni leiste. Konkret verlangt er, Praxiserfahrung, Lehrbefähigung und Organisationskompetenz zusätzlich zum wissenschaftlichen Ausweis als Kritierien für die Wahl auf eine Professur aufzunehmen.

Zudem schlägt er ein Rating vor, dass die Arbeitsmarktfähigkeit von Fakultäten und Studiengängen aufzeigt. Dieses soll der Oeffentlichkeit klar machen, wie viele StudienabgängerInnen eine Anstellung gefunden haben, die ihrem Studienabschluss entspricht.

Eine Diskussion hierzu ist sicher zu begrüssen: einmal, weil das Bildungssystem den Doppelcharakter der Wissenproduktion an sich, aber auch der Ausbildung von SpezialistInnen ausserhalb des Hochschulsystems hat; sodann auch, weil die lokalen Entwicklungen nachhaltig von der globalen und regionalen Ausstrahlung einer Uni abhängen.

Ein Gespräch, das ich diese Woche mit einem Kollegen einer süddeutschen Uni bestätigt mich darin. Denn die Schaffung des neuesten Lehrstuhls für Politologie sei direkt an den Nachweis geknüpft worden, das man die Brauchbarkeit des Wissens für den Arbeitsmarkt beweise.

Claude Longchamp

Politologische Intervention

Wenn Franz Walter ausholt, wird es gefährlich. Denn der Göttinger Parteienforscher beherrscht die politologische Intervention wie kaum ein anderer. Seine Aufsätze im “Spiegel” sind mit spitzer Feder geschrieben, – am liebsten in Sachen SPD, der er selber angehört.

M. Lengemann
Franz Walter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen, versteht die politologische Intervention als Beitrag zur Entwicklung der Politik und wird dafür von Fachkollegen gerne der Unwissenschaftlichkeit bezichtigt.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl schrieb Walter treffsicher: “Alle Welt wird über Namen raunen, wird über den künftigen starken Mann/die starke Frau orakeln. Wowereit oder Gabriel oder Nahles oder Scholz – das wird die Sozialdemokratologen beschäftigen. Doch dass dieses Spiel keinen politischen Ertrag abwirft, haben all die zahlreichen Vorsitzwechsel in der Partei während der letzten Jahre hinlänglich bewiesen.”

Walters Analyse ist anders: Der SPD schlägt er einen Fünf-Punkte-Plan für eine innerparteiliche demokratisch Kultur vor:

1. “Die Sozialdemokraten haben endlich anzuerkennen, dass sie weder die Mutter noch die alleinige politische Repräsentanz des Spektrums links von der Mitte sind.”
2. “Die Anführer der SPD haben grundsätzlich ihren fatalen, ja entwertenden Umgang mit den eigenen Mitgliedern, Multiplikatoren, Anhängern zu überdenken. Mit Ausnahme der letzten sechs Wahlkampfwochen sind diese Gruppen für die SPD-Spitze nämlich nicht mehr wichtig.”
3. “Die Kandidaten der Sozialdemokratie sollten künftig durch das Säurebad eines großen demokratischen Nominierungsprozesses gehen müssen.”
4. “Die Sozialdemokraten haben zu klären, was sie eigentlich wollen. Alle Organisationsreform, alle neuen Leute an der Spitze allein werden nicht das Geringste bewegen, wenn die Partei nicht weiß, wer sie ist, für wen sie Politik machen will, auf welchem Wege, zu welchem Ziel und mit welchen Weggenossen.”
5. “Die SPD wird diesen Klärungsprozess anders als in früheren Jahren nicht als Scharmützel von Cliquen und Clans führen dürfen, sondern als eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung gesellschaftsbezogener Strömungen.”

Während viele akademischen WahlforscherInnen seit Sonntag abend 18 Uhr schweigen, mischt sich Walter lustvoll ein, sagt, was er denkt, und schreibt es, dass man es versteht. Damit trägt er viel zu Verbreitung politikwissenschaftlicher Erkenntnisse bei.

Genau das ertragen nicht alle KollegInnen auf den Lehrstühlen. Der ausgewiesene Parteienforscher mit Standardwerken zur SPD und FDP muss sich regelmässig Kritik gefallen lassen, seine Popularisierungen gingen auf Kosten der Wissenschaftlichkeit. Anerkennt wird, dass er mit seiner Fachkenntnis die tektonischen Verschiebungen in der Gesellschaft genau verstehe, aber nicht aber theoretisch verorten könne.

Die Universität Göttingen versuchte gar, das Seminar für Politikwissenschaften zu streichen. Da wusste Walter in eigener Sache politisch zu intervenieren. Das Wissenschaftsministerium bezeichnete ihn 2007 als „Aushängeschild der niedersächsischen Hochschullandschaft“ und baute seinen Lehrstuhl aus.

Claude Longchamp

Forschung ist vor Fälschung nicht gesichert!

Das Staunen war gross, als die Oeffentlichkeit heute vernahm, an der renommierten ETH könnten wissenschaftliche Arbeiten auf manipulierten Daten basieren. Statt Zitiersindices aus akademischen Fachjournalen braucht es Uebersichten, die zeigen, welche theoretischen Erkenntnisse sich in der Praxis bewähren. Denn das ist fälschungssicher.

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Die ETH Zürich, die angesehenste Forschungsanstalt der Schweiz, hat ihren ersten Fälschungsfall in der Forschung offengelegt

Es sei der erste Fall solcher Art, beteuerte der Rektor der ETH. Und die Selbstregulierung habe funktioniert, schob der Vizerektor, selber in den inkrimierten Fall verwickelt, nach. Denn der Verdacht auf Fälschung kam auf, als man die Ergebnisse eines Forschungsprojektes nicht wiederholen konnte.

Eine Schuldigen hat man nicht gefunden. Die Unterlagen, die das beweisen könnten, sind verschwunden. Vielleicht ist das sogar gut so. Denn damit hätte man auch die Ausrede gehabt, dass es auch unter ForscherInnen einzelne schwarze Schafe gibt – wie überall!

Das Problem liegt wohl tiefer: Akademische Karrieren kann man heute nur noch machen, wenn man Entdeckungen macht, die man auch unter seinem Namen publizieren kann. “Publish oder perish”, zu deutsch: “Veröffentliche oder verschwinde!”, lautet die Devise.

Nichts gegen Leistungsnachweise! Sie objektivieren subjektive Einschätzungen, die es auch in der neutralen Wissenschaft gibt. Doch geht die Polarisierung heute so weit, dass man nicht nur das publik macht, was die Sache wert, sondern auch Sachen darüber hinaus.

Das Ganze wird durch Zitierindices verschärft. Gemäss Hirsch-Index – der ausgehend von der Physik in immer mehr Fachbereichen als Referenz akzeptiert wird -, bestimmt sich der Wert eines Forschers oder einer Forscherin an der Häufigkeit zitierter Publikationen: Ein 10 bedeutet, dass man 10 Veröffentlichungen hat, die je 10 mal in anderen Veröffentlichungen erwähnt wurden.

Symptomatisch hierfür ist die Aussage im Untersuchungsbericht, der heute publik wurde. Das Forschungsteam, das jetzt angeklagt wird, hat zwei Artikel in angesehenen Journalen publiziert, und es entstand eine Doktorarbeit aus diesem Projekt. Und jetzt kommt’s: Da die gemachten Messungen mit den vorgeschlagenen Modellerwartungen nicht übereinstimmten, wurden diese nicht in Frage gestellt, sondern die Daten angepasst.

Denn auch das lernt man in der wissenschaftlichen Forschung: Um im heutigen Wissenschaftsbetrieb zitiert zu werden, braucht man nicht der Wahrheit auf der Spur zu sein, wie das Karl R. Popper seinerzeit forderte. Wichtiger ist die richtige Vernetzung und die Lancierung von Thesen, Modelle und Theorien, die in diesen im Schwange sind. Denn das garantiert interne Reputation, positive Gutachten, Zulassungen zur Veröffentlichungen, wissenschaftes Ansehen und damit neue Fördergelder. Selbst wenn man die Untersuchungen, welche die Annahmen bestätigen sollen, hierfür frisiert hat.

Ich habe ein andere Vision: Statt den selbstreferenziellen Zitierindices hätte ich gerne Uebersichten, die zeigen, wie aus wissenschaftlichen Entdeckungen eine Praxis entsteht, die dadurch, dass sie sich ausserhalb der akademischen Zirkeln bewährt, glaubwürdig ist und bleibt!

Claude Longchamp

Project syndicate: Quelle der Weltanalyse

2008 hat unter anderem gezeigt, wie interdependent die Welt von heute ist. Genau das stellt die Frage, ob auch unsere Bewusstsein mit dieser Vernetzung mithält. Eine interessante Möglichkeit, das zu versuchen, ist die Auseinandersetzung mit dem “project syndicate”.

Die Finanzkrise in den Vereinigten Staaten, aber auch die US-amerikanischen Wahlen haben das Weltbewusstsein befördert. Globale Rezession, multipolare Weltordnung sind zu neuen Schlagworten geworden, welche die weltweite Diskussion über Wirtschaft, Politik und Gesellschaft neu lanciert haben.

Wer die Debatten verfolgen will, die in den Zentren der Wissenschaft und der Publizistik rund um den Erdball geführt werden, dem sei das “project syndicate” empfohlen. Das Prager Netzwerk, das seit 1995 besteht und sich gegenwärtig an 400 Zeitungen in 150 Staaten, die gemeinsame eine Auflage von 50 Millionen Ausgaben haben, wendet, veröffentlicht seine Analysen und Kommentare seit längerem auch auf Internet. Zu Wort kommen Fachleute und Nobelpreisträger, Staatsmänner und Aktivistinnen, aber auch Philosophen und Geschäftsleute mit internationaler Ausrichtung. Finanziert wird sie von Georges Soros’ “Open Society Foundation” und zahlreichen weitere Stiftungen namentlich aus Europa.

Die Internet-Publikation wird wöchentlich (The World in Words) aufdatiert. Rund 20 führende DenkerInnen, unter ihnen Chris Patten (vormals EU Kommissar), Joshka Fischer (vormals deutscher Aussenminister), Joseph Stiglitz (Nobelpreisträger für Oekonomie), Joseph Nye (US-Politologe) oder Naomi Wolf (feministische Aktivistin) kommen mit einer monatlichen Rubrik zu Wort. Uebergeordnete Themen sind der Klimawandel, Wirtschaftswachstum und politische Ordnung, die Menschenrechte und der Islam und die Welt der Islam. Der medinzinische und der technologische Fortschritt werden mit seinen Auswirkungen auf Gesellschaft und Mensch separat thematisiert.

Für mich besonders interessant ist schliesslich die Rubrik “Worldly Philosophers“, die in Kooperation mit dem Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen betrieben wird, und sich fächerübergreifend, grossen Themen der sozialwissenschaftlichen Analyse widmet.

In der Schweiz sind der L’Agefi, Le Temps und der Tagesanzeiger Mitglieder des Projekts. Dennoch ist es hierzulande zuunrecht unbekannt geblieben. Die Internetausgabe könnte da Abhilfe schaffen, denn man kann die updates bequem via RSS abonnieren. Zu den grossen Vorteilen dieser Publikation zählt, dass die Beiträge meist gleichzeitig auf Englisch, Arabisch, Chinesisch, Tschechisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Russisch erscheinen.

Die Beiträge sind meist persönlich gehaltene Analyse und Kommentare. Sie verbergen ihre Standpunkte kaum. Als Ganzen lässt die Plattform keine eindeutige politische Ausrichtung erkennen, sie ist pluralistisch ausgerichtet. Wer mit seiner Allgemeinbildung zur Welt mit eben deren Entwicklung mithalten will, sei die Lektüre wärmstens an Herz gelegt!

Claude Longchamp

Denkfabriken in der Schweiz

Isabelle Steffen und Wolf Linder, zwei Schweizer PolitikwissenschafterInnen haben jüngst eine Uebersicht über Denkfabriken in der Schweiz erstellt. Auch das Forschungsinstitut gfs.bern reihen unter diesen Neuerscheinungen in der Schweizer Politik ein. Eine kleine Uebersicht mit Kommentar aus eben dieser Denkfabrik.

Der Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der Analyse sind die ausgedehnten Beziehungen in der Schweiz, welche die Verbände mit dem Staat halten. Diese würde eine gute Basis bilden für die Einführung wissenschaftlicher Ideen und Argumente, um politische Prozesse zu beeinflussen. Direkte Demokratie und Konsenspolitik würden, so die AutorInnen die Tendenz zu wissenschaftlicher Politikberatung noch verstärken.

Denkfabriken werden im Anschluss an Martin Thunert als “privat oder öffentlich finanzierte, anwendungsorientierte Forschungsinstitute verstanden, der hauptsächliche Funktion es ist, wissenschaftliche begründete, häufig interdisziplinäre erstellte Analysen und Kommentare in einem breiten Feld relevanter politische Sachfragen einzubringen. Dabei werden vier Typen unterschieden:

. academic think tanks
. mission oriented research institutes
. advocavy tanks
. research plattforms

Beispiele für die Schweiz
In der Schweiz dominieten vorerst die akademischen Denkfabriken. Erwähnt seien das IUHEI (Institut universitaire de hautes etudes internationales), die EAWAG oder das ORL der ETHZ, das IDHEAP, das KPM, Swisspeace, das Swiss Forum for Migration. Beschränkt zählen auch das KOF und das BAK hierzu. Sie alle sind in den letzten 30 Jahren in oder am Rande von Universitäten angesiedelt, ziehen eine Teil ihrer Budget von dieser Institution und arbeiten vor allem für den Staat. Die Ressortforschung des Bundes, teilweise auch der Universitätskantone bilden die Grundlage für Aufträge.

Neuerdings tauchen in der Schweiz auch die beiden anderen Typen von Denkfabriken auf. Zuerst erwähnt seien die “mission-oriented”-Institute. Sie haben in den letzent 20 Jahren eine überparteiliche Ausrichtung, und sind auch nicht direkt an einen Verband oder Interessengruppe gekoppelt. Zu ihren Auftraggeber gehören aber nicht nur der Staat, sondern auch private Institutionen. Namentlich werden dazu gezählt: BASS, Büro Vatter, Econcept, Ecoplan, Evaluanda, gfs.bern, Infras, Interface, Landert, Farago &Co., Itéral management, Social Insight und Synergo. Im Einzelfall staunt man etwas über die Erwähnung, insgesamt ist die Typisierung und Aufzählung sicher richtig. Ergänzt werden müsste so wohl um Institutionen wie Prognos oder plaut economics.

Sodann geht es hier um die advocacy tanks, die in der Schweiz erst mit der jüngsten Welle (seit 1999) entstanden sind und noch weniger zahlreich sind. Zu ihnen zählen prominent Avenir Suisse, eine von führenden Schweizer Firmen finanziert Denkfabrik, deren klar bestimmbare Aufgabe es ist, neo-liberalen Ideen im öffentlichen Diskurs zum Durchbruch zu verhelfen. Das Gegenstück hierzu ist das Denknetz, das gewerkschaftsnah ausgerichtet ist. In die gleiche Kategorie gehören aber auch das Liberale Institut oder das von der Migros finanzierte GDI.

Schliesslich erwähnen die Autoren verschiedene Forschungsstellen, die noch ganz in Volkswirtschaftliche Abteilungen von Banken, Wirtschaftsverbänden oder die staatliche Administration integriert sind und für sie Dienstleistungen erbringen. In der Regel treten sie dann als ChefanalytikerInnen oder ähnliches in der Oeffentlichkeit auf.

Kommentar

Im Vergleich zur Experten-Deabtte, die im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen in der Schweiz von Martin Lendi und einige Ständeräte mit politischer Absicht losgetreten wurde, nimmt sich der Artikel ausgesprochen neutral aus. Zurecht verweisen die beiden AutorInnen darauf, dass in der Schweiz, der Staat und die Universitäten bei der Ausbildung von Denkfabriken eine grössere Rolle spielten als dies etwa im angelsächsischen Raum der Fall war. Dennoch neigen sie dazu, diesen Beitrag zu stark zu betonen, denn Denkfabriken stehen in der Schweiz ganz allgemein zwischen den Ansprüchen der Wissenschaft, des Staates und der Verbände. Wenig ausgeleutet ist dafür das Verhältnis zwischen Denkfabriken und Medien, seien sie nun Kunden oder Nutzniesser von öffentlich relevantem Wissen. Man hätte sich auch gewünscht, dass die Bedeutung von Kommunikationsagentur als Auftraggeber, als Koordinationsstellen wie auch als Multiplikatoren genauer angesehen worden wäre. Richtig sehen die AutorInnen dagegen, dass die Parteien, in der Regel finanzschwach und ohne Stiftungen, die ihnen nahe stehen, für die Entwicklung von Denkfabriken in der Schweiz unwesentlich sind.
Die Grundlage ist gelegt; ein Mehreres in diese Richtung wäre angezeigt.

Claude Longchamp

Quelle: I. Steffen, W. Linder: “Switzerland; Think Tanks and Vested Interests in Swiss Policy Making”, in German Policy Studies. Vol. 3, 2/1006, pp. 310-346.

Ueber die akademische Hintertreppe auf die wissenschaftliche Dachterrasse

(zoon politicon) Ueber dieses Buch eine Rezension zu schreiben, ist fast schon ein Ding der Unmöglichkeit. Denn es enthält selber einen geistreichen Artikel über Rezensionen. Der ist schon fast ein Lehrbuch im Dreispringen; auf Buchbesprechungen gemüntzt, geht es um die Fragen: Was steht drin? – Was ist neu? Was gibt es auszusetzten?

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Die neue Form der Leichtathletik sei nicht ohne, wird festgehalten: “Denn das meiste, was Wissenschafterler über Bücher sagen, haben sie nicht durch ausführliche Lektüre, sondern durch eine Querschnitt der Besprechungen herausgefunden.” Zudem wird die Krise der Rezension in Zeitschriften beklagt. Sie werde heute von der online-Besprechung abgelöst, die schneller erscheint, einfacher mit Bestellmöglichkeiten verbunden werden könne und höhere Reichweiten erziele. Buchverlage seien dabei, ihre anfängliche Zurückhaltung aufzugeben, bedienten Redaktionen von e-Portalen genauso wie die Zeitschrift einer Universität.

Doch das ist nur einer der 177 Kurzbeiträge, die Clause Leggewie und Elke Mühlleitner als KulturwissenschaftlerInnen über das wissenschaftlichen Kommunizieren der Gegenwart geschrieben und zum Buch unter dem Titel “Die akademische Hintertreppe” vereinigt haben. Besprochen werden die Eigenheiten von Tagungen und Vorlesungen, von Zettelkästen und Fussnoten, vom Vorsingen und Klatsch. Und weil sich alles ein wenig skurril entwickelt, lebt das Buch durchs Band weg von der Selbstironie, die das Lesen zum Genuss macht. Wer die Wissenschaft von Innen her erlebt, oder wer sie von Aussen her verstehen will, dem sei dringend empfohlen, dieses kleine Lexikon des gelehrten Kommunizierens von A (wie Abstract) bis Z (wie Zunft) zu lesen. Ich garantiere: Ein jeder der Artikel in diesem Buch trifft und erhellt.

Mehr noch: Das Buch bildet seine LeserInnen, denn es stellt sich wichtige Fragen, zum Beispiel, ob die moderne Wissenschaft, im Gutenberg-Zeitalter mit dem Buch und der Bibliothek entstanden, heute nicht einem fundamentalen Wandel unterliege. Die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation in der Wissenschaft, die durch die Verbindung des Wissenschafters mit dem Buch abgelöst worden sei, tendiere heute zur Anschlussfähigkeit des Forschers an die weltweiten Computer-Netze, die zum einen visueller und performativer seien, zum anderen mehr Kooperation erlaubten und erforderten.

Na, denn, wohl auf, zum Sturm auf die wissenschaftliche Dachterrasse!

Claude Longchamp

Claus Leggewie, Elke Mühlleitner: Die akademische Hintertreppe. Kleines Lexikon des wissenschaftlichen Kommunizierens, Frankfurt am Main/New York 2007

Die Zitierung amerikanischer Think Tanks in Massenmedien nimmt dramatisch ab

(zoon politicon) Think Tanks haben in den USA seit dem 1. Weltkrieg in der Politik Tradition. Seit dem 2. Weltkrieg sind sie ein Teil der Verbreitung des American Way of Politics. Und seit den 90er Jahren gehören sie zu den wichtigen Stimmen in der medialen Oeffentlichkeit.

Der jährliche erstellte Fair-Report betont, nach 2005 und 2006 zum dritten Mal, dass die Verbreitung von Expertenmeinungen aus amerikanischen Denkfabriken in den amerikanischen Massenmedien rückläufig ist.

Das Phänomen betrifft mehr oder minder alle bedeutenden Think Tanks. Stellt man auf die 25 Top Denkfabriken ab, ist ihre Zitierquote inner Jahresfrist um 17 Prozent zurückgegangen.

Der Bericht ist ein wenig ratlos, erwähnt das Fehlen von nationalen Wahlen, aber auch grosser Issues. Das grösste Thema, der Irak-Krieg, traditionellerweise eine Profilierungsmöglichkeit für Denkfabriken, habe zu einer Ernüchterung in der Verwendung von Expertenmeinungen geführt.

Die aktuelle Top-Liste sieht wie folgt aus:

1. Brookings Institution (Centrist, 2380 Zitierungen, -7 %)
2. Council on Foreign Relations (Centrist, 1191, -24 %)
3. American Enterprise Institute (Conservative, 1171, -18 %)
4. Heritage Foundation (Conservative, 1168, -16%)
5. Center for Strategic and International Studies (Conservative, 1068, -23%)
6. RAND Corporation (Centrist, 740, -20%)
7. Kaiser Family Foundation (Centrist, 706, -31%)
8. Center for American Progress (Center-Left, 673, -2%)
9. Cato Institute (Libertarian, 640, -18%)
10. Urban Institute (Center-Left, 558, +18%)

Da der Rückgang alle politischen Richtung betrifft, dominieren die Denkfabriken, die im Zentrum angesiedelt werden können, immer noch (47% aller Zitierungen), gefolgt von den konservativen (37%) resp. den progressiven (16%) Instituten.

Claude Longchamp

Kann Bloggen ihrer Karriere als WissenschafterIn schaden?

(zoon politicon) Wenn WissenschafterInnen bloggen, ist das schnell mal suspekt. Wenigstens für jene, die Wissenschaft als reine Veröffentlichung von Artikeln in Fachjournalen verstehen und die Produktion des Wissens auf Bücher in renommierten Fachverlagen reduzieren.

Ich will das gar nicht schlecht machen. Denn auch ich halte mich gerne an gute Lexika, übersichtliche Handbücher, lesenswerte Einführungsliteratur, kritische Buchbesprechungen, von denen ich annehmen darf, dass das Publizierte geprüft ist und sich am Stand der Diskussion ausrichtet.

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Sichere Karriereleitern gibt es nicht. Kommunikation ist eine Möglichkeit, sie besser zu meistern.

Doch stelle ich die Gegenfrage: Gibt es nicht auch wissenschaftliche Seminare, in denen man bewusst übt? War man noch nie in einem Kongress-Workshop, wo gerade die vorläufigen Gedanken am meisten angeregt haben? Und hat man noch nie einen Feuilleton-Artikel von Professoren, Institutsleitern und Wissenschaftspublizisten gelesen, die ganz ohne wissenschaftlichen Apparate daher kamen?

Natürlich, all das hat man doch schon selber erlebt. Denn: “Wissenschaft entsteht nicht mehr im Kopf von Genies”, sagt die unkonventionelle Konstanzer Wissenssoziologin Katharina Knorr-Cetina. Vielmehr wird sie produziert, in Laboratorien, in sozialen Strukturen wie Universitäten, Think Tanks und Massenmedien. Und das alles ist Kommunikation.

Zu den Problemen der Wissenschaftskommunikation zählt, dass sie Schleusen hat wie Zugangsbeschränkungen, die Hierarchien entstehen lassen, wie Fachgrenzen, die Leistungsvergleiche hemmen, und meist mit viel Prestige verbunden wird, was die Innovation der Wissensproduktion nicht unbedingt fördert.

Die Oeffnung der Schleusen in der Wissenschaftskommunikation ist deshalb von allgemeinem Nutzen. Das ist mein genereller Rat an die Wissenschaft und die WissenschafterInnen. Wissenschaftsblogs sind dabei ein Element, denn sie können Werkstätten der Forschung und ihrer Diskussion sein, ohne hohe Hürden der Kommunikation für Fachkreise zu haben.

Mehr noch: Wissenschaftsblog sind auch eine einfache und schnelle Form der Wissensschaftskommunikation. Was sich als richtig erwiesen hat, wird nicht ohne Weiteres als richtig eingesetzt. Denn es muss vermittelt werden. Es muss sich vor allem auf dem Marktplatz der Gegenwartsideen erst einmal durchsetzen. KollegInnen müssen informiert werden; möglichen AnwenderInnen müssen interessiert werden, und PublizistInnen müssen die Möglichkeit bekommen, sich selber ein Bild vom Fortschreiten der Wissensproduktion zu machen.

Wissenschaftsblogs haben denn auch diese Funktion. Sie sind ein Medium der Wissensvermittlung für spezifische Publika. Sie helfen, Wissens zu verbreiten, und sie helfen diese Verbreitung einfach zugänglich zu machen.

Klar: Wer eine Karriere als WissenschafterIn einzig als internen Reputationsprozess versteht, der oder die braucht nicht zu bloggen. Wer indessen an seiner Entwicklung als WissenschafterIn dauerhaft arbeitet, der oder die sollte weder bei der Produktion noch bei der Diffusion seines Wissens und Können auf eine so einfache Form der Kommunikation wie dem Bloggen verzichten!

Notabene genau so wenig wie zum Beispiel auf www.scienceblogs.de, einem inspirierenden Experiment der Wissenschaftskommunikation in der Blogosphäre.

Claude Longchamp