#Frischgebloggt: Wo und warum der Gender-Gap wächst

Ganz neu ist es nicht: Doch die Schere in der politischen Selbstverortung von Männern und Frauen auf der Links/Rechts-Achse ist heute so groß wie noch nie, sagt eine Auswertung der heutigen NZZaS.

Die neue Polarisierung
Seit 2010 nimmt der Anteil Frauen und Männer unter 30 zu, die sich als links bezeichnen bzw. als das klassiert werden. Bei den jungen Männern stoppte der Trend nach den letzten eidg. Wahlen. Bei den jungen Frauen ging er weiter, verlangsamt sich aber neuerdings. Der Unterschied in den Anteilen ist mit knapp 20 Prozentpunkte auf Rekordhöhe.
Gegenteilig entwickelte sich der rechte Pol. Bei jungen Männern ging der Anteil von knapp 30 auf über 40 Prozent hoch. Der Trend ist zwar nicht konstant, aber ungebrochen. Einen ersten Peak kannte er um 2015 mit der damaligen Asyldebatte. Bei Frauen stagniert der Vergleichswert rund um 25 Prozent. Einen Trend gibt es nicht. Die Differenz beträgt hier auch 20 Prozentpunkte.
Das Neue besteht nun darin, dass sich die Schere seit Klimastreik und Metoo-Bewegung öffnet, weil junge Männer nach rechts und junge Frauen gleichzeitig nach links gehen. Lange war das nicht so gegensätzlich der Fall. Die Wahlen dürfen als Katalysator gewirkt haben.die Wahlchancen von Frauen sind sprunghaft gestiegen, die von Männern vor allem bei Proporzwahlen gesunken!

Einstellungen und Entscheidungen
Schon die Nachanalyse der eidg. Wahlen 2019 ergab einen Rekordwert für Grün- resp. Grünliberal-Wählende. Nur bei der SP war das nicht der Fall. Zusammen kamen bei unter 34jährigen Grüne, SP und GLP erstmals auf 50 Prozent. Bei Frauen fielen Anteile durchwegs höher aus als bei Männern. Das bestätigt die aktuelle Auswertung, selbst wenn die Wahlanalysen keinen Split für Alter und Geschlecht ausweisen. Allenfalls kann man seit ganz Jüngstem vermuten, dass der Links-Trend bei Jungen Frauen keinen weiteren Vorteil für grüne Parteien mehr liefert.
Die Nachanalyse der Volksabstimmung vom Herbst 2022 über die AHV-Reform konkretisierte den Unterschied. Die Reform wurde mit knapp 51 Prozent angenommen. Männer waren verstärkt dafür, Frauen vermehrt dagegen. Nirgends war den Unterschied zwischen den Geschlechtern so groß wie bei den jüngeren Altersgruppen. Unter 40jährige Männer waren zu 65% dafür, Frauen im gleichen Alter 75% dagegen, dass das Rentenalter für Frauen erhöht werde.
Gemäß NZZaS Auswertung kann man das sogar verallgemeinern. Gerade wenn es um Fragen der Umwelt, des sozialen Ausgleichs oder der gesellschaftlichen Liberalisierung geht, stimmen Frauen jeglichen Alters im Schnitt stärker dafür. Umgekehrt sind Männer verstärkt für Mehr Sicherheit, restriktive Einwanderung, wirtschaftliche Liberalisierung und restriktive Finanzen.

Gender-Gap begründet und eingeordnet
Der Gender-Gap in politischen Einstellungen und Verhaltensweisen ist damit gut belegt. Das zeigt die Forschungsliteratur auch für zahlreiche andere Länder. Gelockerte Kirchenbindungen gelten als allgemeine Voraussetzung, das nachfolgende (Frauen)Generationen andere Einstellungen als ihre Eltern haben. Länderspezifische Kulturen kommen dazu. Und die Positionen der Parteien und Medien in Sachfragen bringen es jeweils spezifisch auf den Punkt. Linke Jungparteien sind seit Längerem für Neuverteilungen der Rechte und Pflichten, rechte reagieren neuerdings darauf. Solange das spielt gibt es keinen Grund, von einer generellen Trendwende auszugehen, vielmehr dürfte die Polarisierung vorerst weiter wachsen.
Dabei sollte man nicht übersehen, das die Unterschiede zwischen Parteien oder auch Stadt/Land noch grösser sind als den Geschlechtern.

Bemerkung:
Grundlage sind die Daten aus dem VOX/Voto-Projekt. Befragt wird damit nach jedem eidg. Urnengang ein repräsentativer Querschnitt von Stimmberechtigten. Die weltanschauliche Position wird mit einer einfachen Skala von 0-4 für links bis 6-10 für rechts vermessen.

#Frischgebloggt: ein weiteres dreifaches Ja

Sébastien Pérseguers ist Physiker, Ingenieur und Unternehmer. Nebenbei ist er auch Abstimmungsprognostiker. Seine vorläufigen Vorhersagen für den 18. Juni 2023 ergeben ein dreifaches Ja. Streng genommen sind es zwei sichere und ein wahrscheinliches Ja beim Covid19Gesetz.

Vorläufige Prognosen von Pérseguers

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Künstliche Intelligenz
Der Modellierer verlässt sich auf künstliche Intelligenz. Er bedient sich beim Parolenspiegel bei Swissvotes und bei den Umfragewerten bei LeeWas und gfs.bern. Daraus wird, gemessen an den bisherigen Abweichungen zum Endergebnis, ein weiteres Endresultat geschätzt.
Für seine finale Prognose braucht Pérseguers auch die Medienanalyse von Fög und die Ergebnisse der aller letzten Umfragen. Dann ist sein Vorgehen das präziseste überhaupt. Doch liegt das erst wenige Tage vor der Abstimmung vor.
Seit letztem Herbst hat der ambitionierte Statistiker sein Risiko erhöht. Er modelliert auch nur mit den Parolen und den ersten Umfragen. Das Vorgehen war im letzten Herbst nicht ganz hieb- und stichfest. Denn bei der AHV21-Vorlage rechnete er mit einem Nein, effektiv war es Ja. Der Rest stimmte aber.

Die neue frühe Prognose
Nun sieht Pérseguers bei der Mindeststeuer einen 73prozentigen Ja-Anteil kommen. Beim Klimagesetz kommt er auch 66 Prozent und beim Covid19Gesetz auf 61 Prozent.
Die Streubereiche sind recht gross. Sie betragen mindestens +/-10%p. Doch überlappt nur der beim Covid19Gesetz die 50 Prozent-Marke.
Oder anders gesagt: Der Ja-Anteil kann auch anders als angegeben sein, bleibt aber mit einer Ausnahme sicher mehrheitlich.
Den Bundesrat wird freuen. Ausser der SVP und der SP, die je ein Nein vertreten, auch alle Parteien.

Meine Einschätzung
Pérseguers bestätigt meine Annahmen, die ich hier schon mehrfach vertreten habe: Am kommenden Abstimmungswochenende ist das 3xJa-Szenario am wahrscheinlichsten. Die Zustimmungswerte schwanken dabei je nach Tool. Aber sie sind (fast) immer gleich gerichtet, sprich mehrheitlich Ja.
Ich habe auch meine ganz einfache Evaluierung der Prognosen Dritter. In der laufenden Legislaturperiode waren die GLP, Mitte und die FDP die drei politischen Parteien, die mit ihren Parolen am häufigsten das Abstimmungsergebnis vorwegnahmen. Und sie empfehlen diesmal alle drei dreimal Ja.
Eigentlich alles klar!
Ausser es entwickelt sich noch ein ganz unüblicher Abstimmungskampf mit einer ungewohnten Mobilisierung. Dann treffen alle frühen Prognosen nicht ein.

#Frischgebloggt: Ja, Ja, Ja!

Wäre bereits anfangs Mai über die drei eidg. Vorlagen vom 18. Juni abstimmt worden, wären alle drei angenommen worden. Das sagt die erste von zwei SRG-Umfragen, durchgeführt vom Forschungsinstitut gfs.bern.


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Die Hauptergebnisse
Beim Covid-19-Gesetz hätten 68% bestimmt oder eher Ja. 28 % bestimmt oder eher Nein gesagt. Beim Klimagesetz hätte das Verhältnis 72 zu 25 gelautet. Und bei der OECD-Mindestbesteuerung wäre eine 84 zu 12 herausgekommen.
Die SRG-Umfrage zeigt auch, dass der Stand der Meinungsbildung bei der Covid-Vorlage am weitesten fortgeschritten ist. 70 Prozent haben eine feste Stimmabsicht so oder so. Beim Klimagesetz sind es mit 69 Prozent fast gleich viel. Geringer ausgebildet ist die Entscheidungsfreudigkeit dagegen beim der Mindeststeuer.
Das hat mit der Abstimmungsgeschichte zu tun. Die Schweiz hat bereits 2021 zweimal über eine Covid-Gesetzesrevision abgestimmt. Beim Klima-Gesetz war das einmal der Fall, nämlich beim CO2-Gesetz. Neu ist dagegen die Mindeststeuer-Thematik.

Parteibindung bisher entscheidend
In allen drei Fällen zeigt sich in erster Linie eine parteipolitische Konfliktlinie. Am ausgeprägtesten ist sie beim Klima-Gesetz. Erwartungsgemäss ist da die SVP-Basis dagegen, kann aber auch bei der FDP und den Ungebundenen auf eine minderheitliche Zustimmung zählen. Auch beim Covid-Gesetz ist das Nein bei der SVP mehrheitlich. Zudem ist es bei den parteipolitisch Ungebundenen stark ausgeprägt. Die Mindeststeuer wird in allen Parteiwählerschaften mehrheitlich unterstützt. Ein Fünftel der SVP-Basis ist im Nein, nur ein Sechstel ist es trotz Nein-Parole bei der SP-Anhängerschaft.

Die Argumententest verstärken den Eindruck zu den Stimmabsichten. Sechs Argumente je Vorlage, gut verteilt auf Pro und Kontra, wurden geprüft. In aller Regel sind die drei Ja-Argumente mehrheitsfähig, während die drei Nein-Argument nur minderheitliche Zustimmung finden. Die einzige Ausnahme bildet die gegnerischen Kontra-Begründung zum Covid-Gesetz, wonach es “höchste Zeit ist, dass die direkte Demokratie vollständig wiederhergestellt wird. Der Ausnahmezustand muss eine Ausnahme bleiben.” 54 Prozent stimmen dem eher zu, ohne dass es die bisherigen Stimmabsichten relevant beeinflussen würden.

Vergleich SRG/Tamedia-Umfragen
Die Ergebnisse der SRG Umfrage fallen für die Behörden einiges komfortabler aus als bei der Tamedia-Erhebung, vor einer Woche erschienen.
Beide Umfragen wurden mit unterschiedlichen Methoden erstellt. Die Tamedia-Umfragen basiert ausschliesslich auf einer gewichteten Online-Erhebung. Jene der SRG besteht aus einem Mix von telefonischem Fest- und Fix-Net, ergänzt durch eine gewichtete online-Umfrage. Das reduziert Einflüsse eines Befragungstools auf die Ergebnisse. Damit verbunden ist, dass die Tamedia-Umfrage eine Mitmach-Umfragen ist, während die der SRG vor allem auf einer repräsentativen Auswahl basiert.
Mit den bisherigen Erfahrungen übereinstimmend sind Mitmach-Umfragen mittels Online zu einem frühen Zeitpunkt regierungskritischer. Das ist auch diesmal so, fallen doch die Ja-Anteil 7-16 Prozent tiefer aus. Das liess den Ausgang insbesondere beim Covid-Gesetz offen erscheinen.

Momentaufnahme und Prognosen
Bei beiden Befragungen darf nicht vergessen werden, dass es sich um eine Momentaufnahme unterwegs handelt. Sie müssen nicht mit dem Endergebnis übereinstimmen, denn die Meinungsbildung ist in keinem der drei Fälle abgeschlossen.
Für Unsicherheit sorgt vor allem die tiefe Beteiligungsabsicht. Mit 40% liegt sie unter dem langjährigen Schnitt.
Angesichts der mehrheitlich positiv bestimmten Ausgangslage kann damit gerechnet werden, dass die Zustimmungsrate mit dem Abstimmungskampf insbesondere beim Klimagesetz noch sinkt.


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Die bisherigen Bestandesaufnahmen und Prognosen mit anderen Tools verweisen fast durchwegs von einem dreifachen Ja am 18. Juni 2023. Namentlich sind dies

. Nationalrat NR: Quelle: Parlamentsdienste, Schlussabstimmung, Bestandesaufnahme (behördenfreundlich)
. Parteiparolen: Swissvotes, Stimmenanteil der Ja-Parteien bei den Nationalratswahlen 2019, Bestandesaufnhme
. Abstimmungsbüchlein: Stellus (Pseudonym eines mir bekannten Mathematikers), hochgerechnete Textbewertung mit künstlicher Intelligenz, Prognose
. Wettbörse: 50plus1 (Uni Zürich), Panel von ExpertInnen, die auf den Ja-Anteil wetten, Prognose
. Umfragen: Tamedia/LeeWas: gewichtete Online-Befragung resp. SRG/gfs.bern tel. Repräsentativbefragung, Bestandesaufnahme
. Medientenor: Foeg (Uni Zürich), noch nicht fertiggestellt, vorläufige Schätzung von mir
. Werbeanalyse: Anneepolitique (Uni Bern), noch nicht fertiggestellt, vorläufige Schätzung von mir

#Buchbesprechung: Die Schweizer Grünen – eine erfolgreiche Kraft der europäischen Parteifamilie mit Linkstendenz

Pünktlich zum 40. Geburtstag der Schweizer Grünen erscheint dieser Tage unter dem Titel «Die Grünen in der Schweiz. Entwicklung – Wirken – Perspektiven» ein aufschlussreiches Buch. Herausgegeben wurde die (parteinahe) Schrift von den Politikwissenschafter:innen Sarah Bütikofer (“DeFcato”) und Werner Seitz (vormals BfS).

Die Sicht von innen und von aussen
Wer die Forschungsliteratur zu den Schweizer Grünen regelmässig verfolgt, weiss um Vieles, das der Sammelband zeigt. Sein Verdienst ist es, die Datenlage handlich zwischen zwei Buchdeckel auf den neuesten Stand gebracht zu haben.
Eine löbliche Ausnahme bildet zudem der Artikel von Martin Dolezal. Der österreichische Politikwissenschafter vergleicht die Schweizer Grünen mit den Schwesterparteien in Deutschland, Oesterreich, den Niederlanden, Frankreich, Schweden und Finnland. Der Perspektivenwechsel hilft dabei, nationale Eigenheiten zu erkennen und Stärken und Schwäche der Schweizer Grünen zu benennen.

Die europäischen und die schweizerischen Grünen
Die europäischen Grünen bewertet Dolezal als «relevante politische Kraft in Europa». Der Klimawandel habe ihr genuines Thema, den Umweltschutz, erneut ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Unbestritten sei ihre inhaltliche Kompetenz in der aktuellen Herausforderung. Der Bedeutungsrückgang traditioneller Parteien öffne den Grünen vor allem links, aber auch rechts der Mitte Möglichkeiten für Regierungskoalitionen.
Die Schweizer Grünen bezeichnet der Autor als starkes Mitglied der grünen Parteifamilie. Gemessen an den Wahlergebnissen gehöre sie zu den erfolgreichsten in Europa. Die Schweizer Grünen sind europaweit am längsten in einem Parlament vertreten. Namentlich 2019 katapultierten sie sich mit ihren 13.4 Prozent Wählenden-anteil bei den Nationalratswahlen in die Spitzengruppe innerhalb der Parteifamilie. Allerdings sei es ihnen bisher nicht gelungen, auf der nationalen Ebene Teil der Regierung zu werden. Das habe weniger mit der Arbeit der Grünen zu tun, denn mit den Regierungssystem der Schweiz Denn die Hürde des Regierungseintritts sei in einer Konsensdemokratie viel höher als in einer der Konkurrenzdemokratien.

Linke Programmatik
Dolezal bilanziert sowohl für die Programmatik als auch für die Wählenden insgesamt grosse Aehnlichkeiten zwischen den Grünen in der Schweiz und seinen Vergleichsparteien. Das inhaltliche Profil der europäischen Grünen sei zwischenzeitlich weitgehend konsolidiert und sehr homogen. Die Schweizer Grünen seien allerdings ganz am linken Flügel der europäischen Grünen angesiedelt. Das sei weniger eine Folge der Positionen in kulturellen Streitfragen. Es werde klar durch die linke sozioökonomische Programmatik der Schweizer Grünen bestimmt. In der Schweiz ist das bisher kaum ein Thema geworden, da es durch die Einstellungen der grünen Wähler:innen in der Schweiz weitgehend gestützt werde. Nicht explizit angesprochen wird dabei die Abspaltung der GLP, die der Autor nicht als genuin grüne Partei ausklammert.

Wählerschaft mit typischen Akzenten bei Bildung und Frauen
Das sozio-strukturelles Profil der Schweizer Grünen etwa beim Bildungsniveau oder dem Geschlecht gleiche dem der übrigen grünen Parteien. Allerdings sei die Unterstützung in der Gruppe der jüngsten Wähler:innen in der Schweiz einiges weniger ausgeprägt. Tiefe Wahlbeteiligungen und Konkurrenz durch andere (Jung)Parteien dürften hier entscheidend sein.

Erneuter Rückgang bei den jüngsten Wähler:innen?
Immerhin ist es den Schweizer Grüne bei den Wahlen 2019 gelungen, genau diese Schwäche auszugleichen und eine Spitzenergebnis bei Parlamentswahlen zu erzielen.Neueste Umfragewerte stellen das aber wieder in Frage. Gemäss dem SRG-Wahlbarometer ist der Rückgang der Grünen in der Gunst der Wählenden nirgends so gross wie bei den U30jährigen. Das könnte ein wesentlicher Grund werden, dass sich der jüngste Wahlerfolg nicht wiederholt, die Regierungsbeteiligung erneut ausbliebt und der Spitzenplatz unter den europäischen Grünen Parteien relativiert werden könnte.

Claude Longchamp

#Frischgebloggt: Ja-Ja-Ja? zu den eidg. Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023

Heute veröffentliche die Tamedia-Gruppe ihre erste von drei Umfragen zu den eidg. Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023. Demnach wären alle drei Vorlagen angenommen worden. Warum das? Und wie sicher sind die aktuellen Umfragewerte?


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Zur neuen OECD-Mindeststeuer hätten 77 Prozent Ja oder eher Ja gesagt. 18 Prozent wären gleich stark dagegen gewesen. Beim Klimaschutzgesetz hätten die Werte 58 zu 38 gelautet. Beim Covid-19-Gesetz wären sie auf 52 zu 42 gekommen.
Genau genommen wäre die Entscheidung zur Bewältigung der Pandemie offen gewesen. Denn nur 42 Prozent waren sicher im Ja, und 34 Prozent sicher im Nein.

Argumente
Die Auswertungen des durchführenden Instituts LeeWas lassen erkennen, welche Kampagnen-Sichtweisen bisher zogen:
. Beim Covid-19- Gesetz geht es in erster Linie um die Zukunftsfrage. Für Ja-Stimmende ist die Zustimmung eine Sicherheit, bei einer weiteren Pandemie-Welle vorbereitet zu sein. Aus Sicht der Nein-Stimmenden ist das gar nicht nötig, denn die Pandemie sei vorbei.
. Beim Klimagesetz gibt es zwei Kontroversen. Ja-Stimmende wollen einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten. Nein-Stimmende zweifeln, ob die Schweiz das alleine überhaupt bewerkstelligen könne. Sie haben auch Angst vor Versorgungslücken, namentlich beim Strom. Die Ja-Stimmenden sind da zuversichtlicher. Sie sehen die Sicherheit der Energieversorgung sogar steigen, wenn wir dank einheimischem Strom weniger abhängig vom Ausland werden.
. Personen mit einer Ja-Stimmabsicht bei der Mindeststeuer befürworten, dass internationale tätige Konzerne mehr Steuern bezahlen müssen. Ihre Widersacher befürchten, dass genau das zu einer Abwanderung von Unternehmen führen werde.

Die Konfliktlinien
Bei der Mindeststeuer sind heute alle Parteiwählerschaften mehrheitlich dafür. Auch die Wählenden der Grünen und der SP sind klar dafür, obwohl ihre Parteien Stimmfreigabe resp. eine Nein-Parole beschlossen haben.
Anders verlaufen die Konfliktlinien beim Klimaschutz resp. bei Covid-19-Gesetz. In beiden Fällen wird es von der SVP abgelehnt. Beim Klimaschutz ist bei der FDP ein Ja vorgespurt, aber noch nicht beschlossen. Zum Covid-19-Gesetz hat die FDP bereits ja gesagt.
Klar ablehnende Mehrheiten gibt es in beiden Fällen in der SVP-Wählerschaft. An der FDP-Basis sind die Mehrheiten etwas unsicher. Das macht deutlich, dass die Skepsis gegenüber den beiden Vorlagen nicht nur national-konservativ begründet ist, sondern auch liberal-konservativ oder rechtslibertär. Alle anderen Parteiwählerschaften befürworten beide Vorlagen.
Die gesellschaftlichen Konfliktlinien sind weniger ausgeprägt als die politischen. Beim Covid-19-Gesetz spielen Schulbildung und Alter eine Rolle. Mehr Zustimmung gibt es bei älteren Personen und bei oberen Bildungsabschlüssen. Beim Klimaschutz findet sich gleiches entlang der Schulbildung, nicht aber des Alters.

Vergleich mit Referenzabstimmungen
Die Entscheidungen zum Covid-19- aber auch zum Klimaschutzgesetz haben eine Vorgeschichte. Ueber Aenderungen am Covid-19-Gesetz haben wir 2021 schon zweimal abgestimmt. Beide Mal wurde die Revisionen mit 60+ Prozent angenommen.

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Die Leewas-Umfragen begannen in beiden Serien mit 66 resp. 63 Prozent Ja höher als jetzt, und sie zeigten eine (leicht) steigende Zustimmung über die Zeit. In beiden Fällen wies die letzte Befragung aber deutlich zu viele Ja-Stimmen aus, und zwar im Bereich von 7-8 Prozentpunkte beim Ja-Anteil. Auch das lässt den Ausgang der aktuellen Entscheidung als unsicher erscheinen.
Anders sind die Verhältnisse beim Klimaschutzgesetz. Der Startwert liegt aktuell im Ja 4 Prozentpunkte höher als der zum CO2-Gesetz. Der Endstand in den Umfragen war aber wiederum zu hoch. Er betrug beim Ja-Anteil +5 Prozentpunkte.

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Die Nachanalyse ergab damals, dass die Vorlagenkombination und die damit verbundene äussere Mobilisierung massgeblich für den finalen Absturz des CO2Gesetzes war. Das dürfte diesmal nicht der Fall sein, da die Klimaschutzvorlage die Beteiligung wohl am stärksten beeinflussen dürfte.
Die Aussichten des Klimaschutzgesetzes in der Volksabstimmung abgenommen zu werden, sind jedenfalls gegeben.

Zwischenbilanz
Die Ergebnisse der ersten Tamedia-Umfrage bestätigen einiges, was ich hier schon mit anderen Tools analysiert und festgehalten habe. Die grösste Differenz besteht beim Covid-19-Gesetz, das bisher als gesichert im Ja erschien. Das Verschwinden der Pandemie aus den Alltagsproblemen der BürgerInnen dürfte der Hauptgrund für die Neubewertung sein. Graduell ist der Unterschied beim Klimaschutzgesetz. Die meisten Tools sehen da ein Ja voraus, nur die Inhaltsanalyse des Bundesbüchleins spricht für einen sehr knappen Ausgang.

Claude Longchamp

Ochsentour: Den Bundesstaat wieder gründen

Die Fassade des Bundeshauses ist voller Symbolik. Dazu gehören das mythologische Gründungsdatum von 1291 und dasjenige des Bundesstaates von 1848. Beidseitig der Eingangspforte sind auch zwei sitzende Männergestalten. Der rechts steht für den Chronisten oder Journalisten, der alles notiert, was im Bundeshaus geschieht. Der links ist Historiker, der aus der Distanz sagt, was sich im Rückblick bewährt hat – und was nicht.


links: der Historiker, rechts: der Chronist/Journalist

Heute war Auftakt zum meiner Stadtwanderung „Ochsenbein, unserem Verfassungsvater“. Meine Gäste waren aus Zürich, alles Mitglieder des dortigen Rotary Clubs. Angeführt wurden sie von Nationalrat Beat Walti, vormals Fraktionspräsent der FDP unter der Bundeskuppel.
Für den Journalisten ist das Leben von Ochsenbein voll von Geschichten. Er war Helden und Versager zugleich. kometenhaft stieg er Vom Stadtpräsidenten in Nidau, zum Regierungspräsident des Kantons Bern, und zum ersten Bundesrat der Schweiz überhaupt auf. Er war der Mann der Stunde Null im neuen Bundesstaat. Doch war er auch der erste abgewählte Bundesrat, der sich danach als General in französischen Dienten verdingte und versuchte nochmals erfolglos in die Politik einzusteigen, nun als Konservativer. Das tragische Ende war, als sich aus seiner Jagdflinte ein Schuss löste, der seine eigenen Frau tötete.
Für den Historiker zählt die bleibende Leistung des Verfassungsvaters von 1848. Ihm verdankt die Schweiz das Zwei-Kammer-Parlament im Bundesstaat. Er war es auch, dem einen Ausgleich zwischen Radikalen und Liberalen im Bund resp. Freisinnigen und Konservativen im Kanton Bern gelang. Der Bundesstaat befriedete so die Konfliktparteien aus dem Bürgerkrieg von 1847. Er schaffte damit den wirtschaftlichen Durchbruch ins Industriezeitalter. Geschaffen wurde 1848 auch eine repräsentative Demokratie in Mitten von Monarchien, die erst 1918/19 den Übergang zu einer Republik mit demokratischen Institutionen schafften.
Dieses Jahr gedenkt die Schweizerische Eidgenossenschaft zum 175. Mal der Gründumg des Bundesstaats von 1848. Ochsenbein spielte damals eine entscheidende Rolle. Doch ist er fast ganz in Vergessenheit geraten. Wir wissen, dass Konrad Adenauer nach dem Zweiten Weltkrieg die BRD prägte, oder Karl Renner resp. Tomas Masaryk nach dem Ersten Weltkrieg für die Republiken in Österreich resp. Inder Tschechoslowakei stehen.
Bei Ochsenbein zucken die meisten Meiner Zeitgenoss:innen die Schultern!
Die vergessenen Figur der modernen Schweiz mit ihrem Licht und Schatten wieder hervorzuholen, ist meine Absicht der Führung „Ochsentour“ im Jubiläumsjahr der Bundesverfassung. Der Wiederanfang war heute, der Höhepunkt wird am 1. Juli 2023 sein!

Analyse der weltanschlichen Oppositionspotenziale vor den Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023

Analysen der weltanschaulichen Landschaft unterscheiden meist zwei Dimensionen: eine ökonomische und eine kulturelle. Ein Anwendung bei den eidg. Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023.

Positionierung der Schweizer Parteien gemäss Chapel Hill Expert Survey


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Der Chapel Hill Expert Survey
Verbreitet ist es, die erste Dimension des ideologischen Feldes mit “Links/Rechts” für Staat vs Markt zu umschreiben. Bei der kulturellen Spaltung setzt man häufig auf die gal/tan-Aufteilung; dabei steht “gal” für den Pol «grün (ökologisch), alternativ, libertär» und “tan” für «traditionell, autoritär und nationalistisch».
Ein gutes Beispiel dafür ist der Chapel Hill Expert Survey (CHES). Dabei wurden alle Programme der europäischen Parteien untersucht und Stand 2019 auf beiden Dimensionen klassiert.
Eine Weiterentwicklung davon wird hier abgebildet. Sie füllt die ideologischen Quadranten mit konkreten Weltanschauungen.
Ein Beispiel: Im links-libertären Quadranten findet sich beispielsweise der Sozialliberalismus, die soziale Demokratie, die ökologische Weltanschauung und der demokratische Sozialismus. Randständig gibt es auch den links-libertären Anarchismus.
Genau solche Spezifizierungen kann man verwenden und die Parteien genauer zu umschreiben und über sie die Konfliktlinien bei Abstimmungen zu bezeichnen. Kennzeichnend für die Parteiprogramme sind demnach:

SVP: nationalkonservativ bis libertär-konservativ
FDP: konservativ-liberal
Mitte: zentristisch (bis christdemokratisch)
EVP: paternalistisch konservativ
GLP: neoliberal, wobei sich das neo auf nachhaltig bezieht
SP: sozialdemokratisch bis demokratisch-sozialistisch
Grüne: ökologisch bis demokratisch-sozialistisch

Bezogen auf die kommenden Abstimmungen heisst das nun:

Opposition zur Mindeststeuer
Bei der Mindeststeuer hat sich national nur die SP für ein Nein entschieden; die Kantonalparteien aus Baselstadt und –Landschaft haben jedoch eine Stimmfreigabe beschlossen. Das gilt auch für die Grünen, die sich national nicht festlegen konnten.
Seitens der Verbände hat sich der Schweizerische Gewerkschaftsbund angeschlossen.
Der argumentative Kern der Ablehnung kann als demokratisch-sozialistisch mit einer klar internationalistischen Ausrichtung bestimmt werden. Demgegenüber sind OekologInnen und Sozialliberale dafür, typisch Sozialdemokratinnen hin- und hergerissen.
Die klar linke Position wird argumentativ bei Aussagen deutlich, die sich der «internationalen Solidarität» verschreibt und gezielt «gegen den interkantonalen Steuerwettbewerb» richten. Hinzu kommt das Nein wegen der Umgestaltung, welche «Standortattraktivität mit Steuervergünstigungen» zu sichern suche. Gefordert wird als Alternative das über «mehr soziale Sicherheit und ausgebaute Infrastruktur» zu bewerkstelligen, wofür «mehr finanzielle Mittel an den Bund» gehen sollten.
Ohne eine klar Ausweiterung der Opposition und ihrer Argumentation bleibt die Ablehnung recht klar eingrenzbar.

Opposition zum Klima- und Innovationsgesetz
Das Klima- und Innovationsgesetz wird national nur von der SVP bekämpft. Im Parlament stimmten auch vereinzelte FDPler Nein, und wenige von ihnen sind im Nein-Komitee aktiv. Die nationale Partei hat noch keine Entscheidung getroffen. Kantonal besteht eine Tendenz zum Ja.
Seitens der Verbände haben sich national nur die Hauseigentürmer und Gastrosuisse angeschlossen.
Das spricht primär für eine traditionelle Werthaltung im national-konservativen Umfeld, sekundär für einen libertären Konservatismus in der Opposition.
Die Opposition wird demnach durch eine traditionelle Weltanschauung bestimmt, erweitert durch konservativ Libertäre. Allenfalls kommen auch liberal-konservative Positionen hinzu.
Sollte die FDP ein Nein beschliessen oder sich für Stimmfreigabe entscheiden, gäbe es eine Ausweitung in Richtung dem Konservativ- oder Rechtsliberalismus. Auch bei einem Ja der FDP stellt sich die Frage, wie stark diese Parole an der Basis greift. Genau das macht die Einschätzung der Vorlage schwierig.
Argumentative kommt die traditionelle Werthaltung vor allem beim Nein zur Energiewende «ohne Plan» zu Ausdruck. Sie führe zu einer «verschärftem Strommangel», der die «Versorgungssicherheit gefährdet» und «die Strompreise ansteigen lässt». Die libertären Strömungen werden durch die Kritik an der mit dem Gesetz verbundenen «staatlichen Umerziehung» eingebunden.

Opposition zum Covid-19-Gesetz
Auch das Covid-19-Gesetz wird national von der SVP abgelehnt. Hinzu kommen jedoch auch die Piraten- resp. die Libertäre Partei. Wenige FDPler sind im Nein-Komitee aktiv. Die nationale Partei hat sich aber dafür ausgesprochen.
Die Opposition ist auch hier weltanschaulich traditionell. Hinzu kommen Libertäre mit konservativem Weltbild, das nicht zuletzt anti-internationalistisch ist.
Verbandsseitig gibt es für die weitgehend ausserparlamentarische Opposition kaum nennenswerte Unterstützung. Allerdings sind seitens der rechtsbürgerlicher Medien Sympathien bemerkbar.
Es bleibt der Eindruck, dass die Opposition trotz dem Nein der wählerstärksten Partei isoliert ist.
In der konkreten Argumentation wird die «Freiheit des Individuums» in den Vordergrund gerückt, die «keine Einschränkung durch staatliche Vorschriften und Kontrollen toleriert». Zudem kommt ein starkes Behördenmisstrauen zum Ausdruck, wenn beispielsweise die «nutzlosen Schutzmassnahmen» beklagt werden, die «nur im Interesse der Globalisten» seien.

Kurze Bilanz
Alle drei Vorlagen haben, wenn auch unterschiedlich starke Chancen in der Volksabstimmung angenommen zu werden. Am grössten erscheinen sie beim Covid-19-Gesetz, am geringsten beim Klima- und Innovationsgesetz. Hier haben wir zu zeigen versucht, wo die weltanschaulichen Gründe dafür sind.
Die gleiche Analyse der Ja-Lager ist weniger eindeutig, da sie in allen drei Fällen überparteilich sind, stets die FDP, Mitte, GLP und EVP umfassen, die verschiedene weltanschliche Milieus vertreten. Solange die Allianz nicht auseinanderbricht, ist der ideologische Pragmatismus für den den positiven Ausgang der Abstimmungen am 18. Juni 2023 entscheidend.

Claude Longchamp

#Frischgebloggt Eidg. Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023: Ja-naja-Ja

Heute veröffentlichte Stellus seine Prognosen zu den eidg. Abstimmungen vom 18. Juni 2023. Meine Einordnung in die anderen Vorhersage-Tools.


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Das Tool
Vorab ein Wort zum Tool und zur Person. Es handelt sich um einen Absolventen der EPFL, der heute in einem anderen Gebiet tätig ist und deshalb anonym bleiben will. Man kann sich aber online mit ihm austauschen. Gerechnet werden verschiedene Machine Learning Modelle, die alle auf der Analyse der Abstimmungsbüchlein zwischen 1979 und 2017 basieren. Die Modelle haben gelernt, aufgrund der Beschreibung der Ausgangslage, der Argumente der Befürworter und Gegner sowie des Gesetzestextes das Abstimmungsresultat vorherzusagen. Es gibt qualitative und quantitative Modelle, die entweder ein Ja/Nein prognostizieren oder einen Ja-Wert ergeben.
Mehr dazu gibt es hier: https://www.stellus.ch/

Die Prognosen
Nun die Prognosen von Stellus:

Umsetzung des OECD/G20-Projekts zur Besteuerung grosser Unternehmensgruppen:
Prognose: Ja (Ja-Stimmenanteil 52.5%, 11/23 Stände)
Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit:
Prognose: Ja (aber Ja-Stimmenanteil 49.5 % d.h. Nein)
Änderung vom 16. Dezember 2022 des Covid-19-Gesetzes:
Prognose: Ja (Ja-Stimmenanteil 62.1%)

Damit ist ein Ja zum Covid-19-Gesetz eindeutig erwartbar, während es bei der Mindestbesteuerung eher gegeben sein dürfte. Offen erscheint der Ausgang zum Klima- und Innovationsgesetz.
Stellus kommentiert das so: «Ein Widerspruch wie beim Klimagesetz zwischen dem Klassifikationsmodell und dem Regressionsmodell tritt gelegentlich auf. Die Ablehnung durch das Regressionsmodell ist dabei sehr knapp, und ein Ja liegt im Fehlerbereich dieses Modells. Das Klassifikationsmodell gibt gleichzeitig eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Annahme an, was insgesamt eher für eine Annahme spricht.»

Der Toolvergleich
Ich verfolge die Prognosen von Stellus seit Beginn. Sie sind in der überwiegenden Zahl korrekt, gelegentlich nicht. Wie alle Prognosemodelle!
Das hat mich dazu geführt, zuerst zwischen Ergebnisprognosen und Bestandesaufnahmen zu unterscheiden. Zu ersteren zähle ich die Schlussabstimmungen im Nationalrat, die nach Wählendenstärke gewichteten Ja-Parolen, den Startwert (plus 2 Wochen) der Wettbörse “50plus1” und eben die Inhaltsanalyse des Bundesbüchleins von Stellus. Namentlich die Schlussabstimmungen überschätzen den Ja-Anteil, wenn die Opposition erst im Abstimmungskampf entsteht.
Beobachtungstool mit höchstens indirektem Prognosecharakter sind Umfragen zu Stimmabsichten sowie Medien- und Werbeanalyse während des Wahlkampfs(, die alle noch nicht vorliegen).

Erste Zwischenbilanz
Fasst man das zusammen, ragt das Ja zur 3. Abstimmung über das Covid19 Gesetz heraus. Die Erwartungen liegen bei 60%plus für den Ja-Anteil. Auch bei der OECD-Mindeststeuer ist eine Zustimmungsmehrheit erwartbar. Sie dürfte zwischen 50 und 60 Prozent liegen. Kein Tool geht von einer sicheren Ablehnung aus.
Es bleibt das Klima- und Innovationsgesetz: Hier bleibt der Ausgang … naja! Im Parlament war die Zustimmungsmehrheit noch klar. Bei den Parteiparolen besteht noch etwas Unsicherheit, weil sich die FDP noch nicht entschieden hat; erwartet wird hier aber eine Ja-Empfehlung. Der Startwert der Wettbörse verwies auf eine 87% sichere Ja-Mehrheit von weniger als 60 Prozent. Stellus mit dem faktischen Patt zwischen Ja-Ausgang und minimaler Nein-Mehrheit bis jetzt am skeptischsten. Mitnehmen kann man, dass ein knapper Ausgang möglich ist.
Die Beobachtungstools folgen erstmals in der kommenden Woche. Auf den 3. Mai 2023 werden die Tamedia-Umfragen erwartet. Vielleicht sieht man dann klarer …

Claude Longchamp

#Frischgebloggt: Wie man den Ausgang der eidg. Abstimmungen vom 18. Juni 2032 bereits jetzt abschätzen kann

Die Zwischenbilanz ist eindeutig: Die analytischen Tools gehen unisono von drei Ja-Mehrheiten am 18. Juni aus.

Der Abstimmungskampf zu den nächsten eidg. Volksabstimmungen ist angelaufen. Beim Klima- & Innovationsgesetz sind beide Seiten bereits aktiv. Beim Covidgesetz ist vorerst nur die Gegnerschaft im Kampagnenmodus, bei der OECD Mindeststeuer die Ja-Seite.

Beobachtungsinstrumente, welche die Meinungsbildung (in den Medien, gemäss Werbung oder anhand der Stimmabsichten) messen, liegen so früh naturgemäss nicht vor. Dafür gibt es Tools, die den Abstimmungsausgang analytisch abschätzen. Namentlich sind die die Schlussabstimmungen im Nationalrat, die (erwartete) Stärke der Ja-Allianz und die ExpertInnen-Schätzung gemäss Wahlbörse. Sie sind nicht als direkte oder punktgenaue Prognosen zu verstehen, geben aber ein Eindruck zur Grössenordnung der Zustimmung und Ablehnung resp. sie bezeichnen die Wahrscheinlichkeit von Ja und Nein.

Die Zwischenbilanz zu den analytischen Tools ist eindeutig: Sie gehen unisono von drei Ja-Mehrheiten aus.

Noch fehlen einzelne Parolen, doch können sie aufgrund der Fraktionsentscheidungen (KIG) oder der offensichtlichen Referenzabstimmung (CovidG) mit hoher Wahrscheinlichkeit vorweggenommen werden. Relevant wäre vor allem ein Nein der FDP zum KIG.

Bleibt es wie erwartet, geht der letzte Abstimmungssonntag der jetzigen Legislaturperiode ganz im Sinne der Behörden aus. Die grösste Unsicherheit bei Referenden besteht darin, dass die Grosswetterlage stark misstrauisch wird. Denn dann ist mit Absetzbewegungen quer zu den Parteien zu rechnen.
Das kann man nie ausschliessen, aber es ist aktuell eher unwahrscheinlich.

Claude Longchamp

Eidg. Abstimmungen vom 18. Juni 2023: Vorschau auf Covid19-Referendum

Unsere Voranalyse der dritten Vorlage, über die am 18. Juni entschieden werden dürfte, zeichnet die Ausgangslage entlang vier wichtiger Indikatoren nach, soweit sie jetzt schon klar sind: namentlich sind dies die Parlamentsentscheidung, die Position der Parteien, der Medientenor und den Stimmabsichten.


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Die Pandemie war das grosse Thema der ersten Hälfte der jetzigen Legislaturperiode. Dauerhektik herrschte der Not gehorchend vor. Das Covid-Gesetz musste mehrfach überarbeitet werden. Zweimal haben Massnahmen-GegnerInnen das Referendum ergriffen. Zweimal votierten die Stimmenden mit rund 60 Prozent Ja im Sinne der Behörden. Nun ist ein drittes Referendum mit rund 60000 beglaubigten Unterschriften zustande gekommen, sodass es am 18. Juni erneut zu einer Volksentscheidung kommt.

Parlament
Das Parlament hat die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, dass die Corona-Massnahmen bis Mitte 2024 verlängern werden können.
Konkret geht es um die Möglichkeit der Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern resp. der Einreise-Beschränkung für AusländerInnen. Auch das Covid19-Zertifikat resp. die SwissCovid-App sollen bei Bedarf reaktiviert werden können.
Im Parlament waren die Meinungen weitgehend gemacht: Der Nationalrat stimmte bei sechs Enthaltungen mit 140 Ja und 50 Nein klar dafür. Geschlossen dagegen votierte nur die Fraktion der SVP; 2 Freisinnige schlossen sich ihr an. Alle anderen Fraktionen ausnahmslos dafür.
Im Ständerat waren bei vier Enthaltungen 39 KantonsvertreterInnen auf der Ja-Seite. Man zählt einzig die Stimme des Berner Standesherrn Werner Salzmann dagegen.
Die Zustimmungsquote in der grossen Kammer betrug damit 70%, in der kleinen gar 85%. Der Anteil aus dem Nationalrat gilt als besserer Prädiktor für den Volksentscheid, auch wenn er häufig etwas zu hoch ausfällt. Das spricht für Annahme der Vorlage mit weniger als 70 Prozent Ja-Stimmen.

Referendum
Die Unterschriftensammlung wurde von «Mass-voll» und den «Freunde der Verfassung» organisiert. Ihnen schlossen sich weitere regionale Gruppierungen sowie die EDU, die Piratenpartei und die Libertäre Partei an. Hinzu kamen vereinzelt auch rechtsbürgerliche Politiker.
Die Prüfung der Unterschriften steht noch aus, weshalb man die genaue Zahl nicht kennt.
Aus der Forschung weiss man, dass die Unterschriftenzahl bei fakultativen Referenden kein zuverlässiger Indikator für dem Abstimmungsausgang ist. Sie zeigt nur an, ob eine rasch handlungsfähige Organisation existiert.
Das Argumentarium der Gegnerschaft ist weitgehend bekannt. Es steht unter dem pauschalen Vorwurf, die Behörden würden das Ende der Pandemie leugnen, um Freiheiten einschränken zu können. Kritisiert wird auch, dass verschiedene Massnahmen nicht die angegebenen Effekte gezeigt hätten. Dabei baut man auf einem generellen Regierungs- oder Behördenmisstrauen auf.

Parolen
Die Parolenfassung blieb angesichts der langen Unsicherheit, ob es überhaupt zu einer Abstimmung kommt, hinter der der beiden anderen Vorlagen zurück. Nur die GLP hat schon vorgängig die Ja-Parole gefasst. Da sie die Partei mit der höchsten Parolenkongruenz zu den Stimmenden in der laufenden Legislaturperiode ist, verstärkt das den Eindruck der Mehrheitsfähigkeit der Vorlage.
Eine präventive Parole haben die Jungfreisinnigen und die Junge Mitte beschlossen. Die Delegiertenversammlung der JF entschied sich angesichts der knappen Verhältnisse für die Stimmfreigabe. Die Junge Mitte kritisierte dies postwendend; sie hatte kurz davor ein Ja herausgegeben.
Bei den Mutterparteien rechnet man damit, dass die SVP sich dem Nein-Lager anschliesst; SP, FDP, Mitte, Grüne und dürften den Gegenpol bilden. Interessant wird sein, ob es insbesondere bei der FDP abweichende Parolen auf Kantonsebene gibt oder nicht.
Bleiben von den Parlamentsparteien die SVP und die EDU allein im Nein, umfasst die zustimmende Allianz auf minimal 69%. Auch das verweist auf eine Annahme
Auch dieser Wert dürfte mit Blick auf die Volksentscheidung zu hoch sein. Denn die existierende ausserparlamentarische Opposition wird so nicht erfasst. Für einen Mehrheitswandel dürfte aber auch das nicht reichen.

Abstimmungskampf
Namentlich die Bankenkrise, ausgelöst durch die Fusion der CS mit der UBS samt staatlicher Unterstützung, prägt die politische Grosswetterlage aktuell stärker als das Abstimmungsgeschehen.
Mehrere Umfragen zu den Prioritäten der Stimmberechtigten im Wahljahr legen nahe, dass ihre Aufmerksamkeit 2022 sprunghaft nachgelassen hat. Neu sind anderen Themen wie die Rentenfrage, Gesundheitskosten, aber auch die Inflation und Lebenshaltungskosten wichtiger geworden.
Der spezifische mediale Abstimmungskampf hat erst begonnen. Die Einreichung der Referendumsunterschriften lösten einen ersten Peak namentlich bei der Gegnerschaft aus. In den sozialen Medien erzeugten AktivistInnen eine beachtliche Welle aus.
Erwartet wird ein Abstimmungskampf unter bekannten Voraussetzungen. Er dürfte weniger intensiv ausfallen als bei den beiden früheren Entscheidungen in der gleichen Sache. Das spricht gegen einen starken Mobilisierungsfall durch die Covid-Vorlage, wie wir es insbesondere im November 2021 erlebt hatten.

Referenzabstimmungen
Naheliegend ist es, die beiden ersten Abstimmungen über das Covid19-Gesetz als Referenzen heranzuziehen. Die Medienanalyse des fög zeigte, dass die Medienaufmerksamkeit Ende 2021 – auf dem Höhepunkt der Kontroverse – sehr hoch war, der Tenor aber immer positiv blieb (59:41). Bei der Abstimmung vom 26. Nov. 2021 war es medial die Leadvorlage. Deutlich geringer war die Themensichtbarkeit am 14. Juni 2021, als das erste Mal über abgestimmt wurde. Auch das war der Tenor mehrheitlich positiv (56:44).
Zu erwarten ist, dass die Verhandlungen in den Massenmedien diesmal ähnlich wie bei der ersten Abstimmung sein werden.
Die Voranalysen auf Befragungsbasis beiden Volksabstimmungen zeigten übereinstimmend, dass die Ja-Seite stets im Vorsprung war. Der Abstimmungskampf der Gegnerschaft mobilisierte am ehesten Unschlüssige. Doch handelte sich um weitgehend positiv vorbestimmte Entscheidungen.
Die Zustimmungsraten variierten zunächst nach politischen Gesichtspunkten (mehrheitlich Nein nur an der SVP Basis, nicht einmal bei Parteiungebundenen, aber Minderheiten in allen Lagern) sowie entlang dem Alter. Je höher dieses ist, desto klarer werden die Massnahme unterstützt.
Heute ist die Situation etwas anders, da sich auch die mainstream-Presse offener für Massnahmenkritik gibt. Beispielsweise kommt Friedenforschers Daniele Ganser mehr zu Worte. Das bestätigt, dass die Entscheidung zur Zustimmungshöhe vom rechtslibertären resp. –bürgerlichen Verhalten im Abstimmungskampf abhängen wird.

Bilanz
Ich rechne mit einer eindeutigen Annahme der Vorlage, vergleichbar mit den bisherigen Mehrheiten. Die beiden vorliegenden resp. abschätzbaren Indikatoren zum politischen Konflikt sprechen dafür.
Neu ist, dass die Bedrohungslage kleiner ist als 2021. Dafür dürfte auch die dritte Entscheidung in kürzester Zeit zu einer pauschalen Beurteilung wie bisher sorgen.