Die Referenzabstimmungen sind eine Referenz für unsere Umfragen.

Zugegeben, bei der Minarett-Abstimmung gibt es Zweifel an der Vorbefragungen zu Volksabstimmungen unseres Instituts für die SRG. Aus dem Einzelfall eine Regel zu konstruieren, ist allerdings unzulässig. Der sog. Minarett-Effekt wiederholte sich seither nie mehr.

Nimmt man alle Umfragen zu den denkbaren Referenzabstimmungen bei der Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’, erweisen sie der Demoskopie durchaus eine Referenz.

Beispiel 1: Bei der ’18-Prozent-Initiative’, die im Jahre 2000 eine obere Begrenzung des Ausländeranteils forderte, zeigte die letzte Umfrage vor der Abstimmung 48 Prozent Gegnerschaft und 40 Prozent Zustimmung. 12 Prozent waren unentschieden. Der Trend verwies ins Nein. Endergebnis: 36 Prozent dafür. Treffer-

Beispiel 2: Bei der ‘Ausschaffungsinitiative’, die 2010 verlangte, dass kriminelle AusländerInnen die Schweiz verlassen müssen, zeigte die letzte Umfrage vor der Abstimmung 54 Prozent Ja-Stimmende an und 43 Prozent Nein-SagerInnen. Trend: leicht Richtung Nein. Die Vorlage wurde mit 52 Prozent angenommen. Erneut Treffer.

Beispiel 3: Provisorische Einführung der Personenfreizügigkeit 2005, bei der die letzte Umfrage ein Ja-Nein-Verhältnis von 50:39 nahelegte, mit wachsenden Trends auf beiden Seiten: Resultat: 55 Prozent dafür. Nochmals Treffer.

Beispiel 4: Die definitive Einführung der Personenfreizügigkeit 2009, als die jüngste Vorumfrage vor der Abstimmung 50:43 ergab, ohne einen Trend aufzuzeigen. Das Ergebnis: 60 Prozent Zustimmung. Treffer, mit Abstrichen. Allerdings nicht zugunsten der Vorlage, sondern der Opponenten der Personenfreizügigkeit.

Fazit: In allen Fällen wurde die richtige Mehrheit erkannt. Wo es Trends gab, stimmten sie und halfen, abzuschätzen was zwischen der zweiten Umfrage und dem Abstimmungssonntag geschehen kann. Bei Behördenvorlagen heisst dies im Regelfall, dass das Ja zunimmt, bei Initiative, dass das Nein wächst.

In der Tat ist die Lage bei der Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’ “tricky”. Denn die Mehrheit ist im Nein, der Trend aber geht Richtung Ja. Diese Kombination ist für eine Volksinitiative untypisch und kommt in keiner der Referenzen vor. Hauptgrund: Die Mobilisierung, die durch den Abstimmungskampf ausgelöst worden ist und auf die Beteiligung von Proteststimmenden setzt. Der Ausgang ist diesmal etwas schwieriger einzuschätzen, vor allem wenn die Beteiligung nochmals steigen sollte.

Claude Longchamp

Das Nein zur SVP Initiative ist nicht in Stein gemeisselt

Vordergründig scheint alles klar: 37 Prozent der Teilnahmewilligen befürworteten zu Jahresbeginn die Volksinitiative der SVP ‘Gegen Masseneinwanderung’; 55 Prozent lehnten sie ab. 8 Prozent waren unschlüssig. Die SRG-Umfrage kommt damit zu einem ähnlichen Schluss wie die 2 Wochen zuvor publizierte Ergebung von Sonntagszeitung/LeTemps.

Wir haben über diese Kernbotschaft hinaus versucht, die Stimmabsichten in das Umfeld einzuordnen. Aus der mehrheitlichen Erfahrung mit Prozessen der Meinungsbildung bei Volksinitiativen würde man sagen, das diese Initiative am Abstimmungstag scheitert. Denn die lehrt, dass das Nein eher zu- und das ja eher abnimmt. Hauptgrund: Die Kritik am Lösungsvorschlag einer Initiative übertüncht meist den Problemdruck. Die Abstimmung über die ‘SVP-Familieninitiative’ steht mustergültig hierfür.

Nun gibt es auch eine minderheitliche Erfahrung, wonach genau das Gegenteil geschieht. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Beteiligungsabsichten mit dem Abstimmungskampf aus der Opposition heraus ansteigen und überdurchschnittlich werden respektive wenn, trotz aufwendiger Nein-Kampagnen, das Problem, auf das die Initiative abstellen kann, alles dominiert. Die ‘Abzockerinitiative’ war das letzte Beispiel hierfür.

Was nun ist die Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’? – Erhellend ist der Argumententest in der SRG-Umfrage:

  • Bei der Problemdefinition gibt es Vorteile für die InitiantInnen – was neu ist. Denn für 61 Prozent der Teilnahmewilligen sind mit der Aussage einverstanden, die unkontrollierte Zuwanderung habe zu Lohndruck, Wohnungs- und Verkehrsproblemen geführt; nur 57 Prozent folgen der Auffassung, die Personenfreizügigkeit ein wichtiger Pfeiler für den aktuellen Wirtschaftserfolg.
  • Beim Lösungsansatz gibt es ein Patt: 64 Prozent möchten, dass wir die Einwanderung wieder selber steuern können; für 66 Prozent führt das Kontingentsystem zu Bürokratie und Kosten.
  • Schliesslich, die Erwartungen von Konsequenzen bei einem allfälligen Ja: 57 Prozent sehen die Personenfreizügigkeit als Teil der Bilateralen gefährdet, nur 46 Prozent sind bereit, die bilaterale Beziehung aufs Spiel zu setzen.

So eindeutig zugunsten eines Volksbegehrens, wie das bei der ‘Minderinitiative’ 2003 der Fall war, ist das alles nicht. Doch ist es auch nicht mehr so klar, wie bei früheren Volksentscheidungen zu den Bilateralen. Mit anderen Worten: Die Personenfreizügigkeit ist umstrittener. Den unbestrittenen ökonomischen Hauptwirkungen stehen ebenso unbestrittene gesellschaftliche Nebenwirkungen gegenüber.

Die beteiligungsbereiten WählerInnen links der Mitte gewichten den Nutzen insgesamt höher, die Basis der SVP macht das pure Gegenteil. Mehrheitsbildend sind in solchen Situationen die WählerInnen der bürgerlichen Parteien und die Parteiungebundenen.

Es kommt hinzu, dass es an der Basis fast aller Parteien Minderheiten gibt, die gegen die offizielle Parteiposition sind, vorerst aber schweigen.

Nun war auch die ‘Ausschaffungsinitiative’ eine Parteiinitiative der SVP und mit dem jetzigen Begehren vergleichbar. Anders als etwa die Volkswahl des Bundesrats behandelte es kein staatspolitisches Thema, sondern nahm es ein gesellschaftliches Problem auf. Und wurde (trotz offiziellem) Gegenvorschlag angenommen.

In der ersten SRG-Befragung startete dieses SVP-Anliegen allerdings deutlich besser als das jetzige. 58 Prozent waren damals bestimmt oder eher dafür; am Abstimmungstag waren es 52 Prozent. Davon sind wir gegenwärtig einiges entfernt. Damit es zu einem vergleichbaren Ergebnis käme, müssten die Mehrheiten der Parteiungebundenen und der FDP.Die Liberalen-AnhängerInnen bei der jetzigen SVP-Initiative kippen und auch bei der CVP müsste einiges ins Rutschen kommen. Darauf wird man im anstehenden Teil des Abstimmungskampfes besonders achten müssen!

Denn der Meinungswandel zugunsten der Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’ ist nicht das Hauptszenario, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, denn die Ablehnung der SVP-Initiative ist angesichts der Problemdrucks diesmal nicht in Stein gemeisselt.

Claude Longchamp

Im gegenwärtigen Abstimmungskampf legen die Gegner aller Vorlagen zu

Harte Zeiten für InitiantInnen und Behörden. Denn im laufenden Abstimmungskampf legen die Gegner aller drei Vorlage teils kräftig zu.

Bei Volksinitiativen überrascht der negative Trend nicht wirklich. Es ist eine bekannte Regel, dass sie gut starten und schlechter enden. Stets nimmt der Nein-Anteil in Umfragen zu und der Ja-Anteil meist insbesondere bei jenen ab, die eher dafür waren. Hauptgrund ist der Szenenwechsel: Am Anfang eines Meinungsbildungsprozesses beurteilt man vor allem das mit der Initiative angesprochene Problem, am Schluss die mit dem Begehren vorgeschlagene Lösung.
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Bei der 1:12 Initiative heisst das: Zuerst dominierte die Problematik der aufgegangenen Lohnschere, quantitativ, aber auch ethisch. Entsprechend führten die InitiantInnen einen Diskurs zur Lohngerechtigkeit. Je länger die Kampagne dauert, umso mehr spricht man über die Schwächen der Initiative: die Regelung der Löhne durch den Staat und die Folgen für Steuern und Sozialversicherung. Die Befragung zeigt, dass sich die Meinungsbildung genau in diesem Dreieck von ersterem zu letzteren verlagerte und so auch die Stimmabsichten von rechts bis über die Mitte hinaus veränderte.
Bei der Familieninitiative kann das allgemeine Gesetz wie folgt ausgedeutscht werden: Begünstigungen bestimmter Familienmodell durch den Staat sind den Stimmberechtigten ein Dorn im Auge. Mit genau diesem Anker ist die Initiative gestartet, und sie hatte breite Sympathien. Seither holt die Gegnerschaft auf: Mit den Steuerausfällen für Bund und Kantone, aber auch mit der Nebenwirkung der Initiative auf die gewollte Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das begründet den Meinungswandel namentlich bei (links)liberalen Wählerschichten vom anfänglichen Ja ins heutige Nein.
Bei der Autobahnvignette überraschen die Befragungsergebnisse jedoch. Denn der Normalfall bei einer Behördenvorlage besteht darin, dass sich die Unschlüssigen (in einem offenen Verhältnis) auf beide Seiten verteilen. Wäre das geschehen, hätte der Ja-Anteil mindestens leicht ansteigen müssen und die Vignetten-Vorlage wäre wohl angenommen worden. Angesichts der jetzigen Umfragewerte muss genau das offen bleiben. Denn auch hier nahm die Ablehnungsbereitschaft zu, und es verringerte sich die Zustimmungstendenz.
Erster Grund dafür sind Elite/Basis-Konflikte. Für die Zunahme der Opposition ist der Trend in der FDP relevant: Als Partei befürwortet sie die Vorlage; ihre Wählerschaft konnte sie aber mehrheitlich nicht überzeugen. Zweitens: Von der Nein-Botschaften mitgenommen werden auch die parteipolitsche Ungebundenen. Hier vergrösserte sich nicht nur der Nein-Anteil überdurchschnittlich, es nimmt auch die Teilnahmebereitschaft gerade dieser Bevölkerungsgruppe zu. Drittens, die Betroffenheit als AutofahrerInnen wirkt sich in der Meinungsbildung zugunsten der Opponenten aus. Je mehr Autos man hat, desto eher ist man dagegen.
Damit ist die SVP, welche das Referendum lancierte, nicht mehr allein; vielmehr tragen weite Teile der rechtsbürgerlich gesinnten StimmbürgerInnen und AutofahrerInnen die generelle Kritik an Gebühren und Abgaben. Etabliert hat sich so ein Diskurs, der von jenem im Parlament und der federführenden Bundesrätin abweicht. Die Behördenposition prägte somit auch den Medientenor und thematisierte primär die Sicherheit auf den Strassen. Dieser Diskurs rechtfertigte die einmalige Erhöhung des Vignettenpreises nach fast 20 Jahren Stillstand.
Claude Longchamp

Die SVP im Dilemma

Was ist los mit der SVP, fragte gestern die NZZ im Tageskommentar. Anlass bot die Kampagne zur Volkswahl des Bundesrates, die sich so offensichtlich von jenen unterscheidet, welche die SVP namentlich in Migrationsfragen zur erfolgreichsten Partei in der Schweiz gemacht hatte. Auf der Suche nach möglichen Chancen und Risiken der “neuen” SVP.

Vorbei scheinen die Zeiten, als die SVP selbst Verbündete provozierte, als die Partei mit ihren Plakaten regelmässig die Aufmerksamkeit der gesamten Öffentlichkeit auf sich zog und als man sich an den Tag, an dem ihre Abstimmungskampagnen eröffnet wurde, wegen markigen Aussagen so gut erinnern konnte. Vorbei auch die Phase, wo das alles sichere Erfolge brachte.

“Gratwanderung” bezeichnet René Zeller, NZZ-Chef im Bundeshaus, die Neuausrichtung der SVP, ohne eine verbindliche Antwort geben zu können, was sie der Partei und der Politik in der Schweiz bringt.

Die nun vorliegenden Ergebnisse der ersten (von zwei) SRG-Befragungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen geben einen vertieften Einblick: Bei der Revision des Asylgesetzes haben sich die BefürworterInnen einen Vorteil erarbeitet. Die Allianz aus der Parlament, angeführt vom SVP-Nationalrat Peter Brand aus Graubünden, hielt den Entscheidungen der bisherigen Entscheidungen der Parteidelegierten stand. Wackelkandidatin war die CVP, bei der sich die Frauen für ein Nein aussprachen, während die Gesamtpartei ihren Mitgliedern ein Ja empfiehlt. Die Umfrage zeigt nun, dass Mehrheiten der WählerInnen dieser Parteien die Revision unterstützten. Bei SVP und FDP sind sie in der absoluten Überzahl, bei der CVP immerhin in der relativen.

Ganz anders ist die Ausgangslage der SVP bei ihrer Volksinitiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Schon im Parlament agierte sie weitgehend isoliert; alle anderen Fraktionen mögen sich selber nicht entmachten. Im Abstimmungskampf ist ihr, wenigstens bisher, keine einzige Partei gefolgt. Und auch die Befragung eines repräsentativen Querschnitts der Stimmberechtigten verweist auf die schwierige Position der SVP. Denn es sind nicht nur zwei Drittel der Personen, die sich in der Abstimmung äussern wollen, dagegen; es sind auch in allen grösseren Parteien ausserhalb der SVP Mehrheiten im Nein. Das gilt auch für FDP- und CVP-Wählende, in ihren konservativen Kreisen sonst für SVP-Anliegen offen.

Die Krux der neuen SVP-Strategie besteht allerdings nicht nur darin, diesmal keine Zusatzstimmen aus der desinteressierten politischen Mitte zu bringen; vielmehr zeigt die SRG-Befragung auch, dass ihr die Mobilisierung der Protestpotenziale nicht mehr gelingt, wie das beispielsweise in der letzten Legislatur noch der Fall war. Misstrauische Zeitgenossen wollen sich weder überdurchschnittlich beteiligen, noch sieht die Mehrheit, die teilnehmen will, einen zwingenden Grund, nun für die Volkswahl des Bundesrates zu votieren. Von der sonst so bekannten Mobilisierung der Unterschichten oder der RentnerInnen keine Spur.

Kurzfristig trägt die SVP eher einen Schaden davon: Ihre frühere Mobilisierungsstärke hing direkt mit der Provokation zusammen, die medial verhandelt wurde; das ist nun weg. Umgekehrt ändern sich Grundhaltungen der bürgerlichen WählerInnen nicht so schnell, dass man die Geschichten der letzten Jahre vergessen hätte und mit wehenden Fahnen der SVP folgen würde. Das mag mittelfristig anders aussehen: Dann nämlich, wenn das brüchig gewordene bürgerliche Lager wieder zusammenfinden sollte, mit einer rechtskonservativen SVP als stärkster Partei, welche die politische Richtung vorgibt und Gefolgschaft findet, dafür aber auf Populismus verzichtet.

Auszuschliessen ist eine solche Neuorientierung im rechten Spektrum heute nicht mehr, wie die ersten Ansätze über die Migrationsfragen hinaus in der Finanz- oder Gesellschaftspolitik zeigen. Nagelprobe werden allerdings die europapolitischen Abstimmungen sein, sei es die eigene Masseneinwanderungsinitiative, die quer steht zur Personenfreizügigkeit mit der EU, aber auch die Ausdehnung eben diesem Grundpfeiler der Bilateralen auf Kroatien als neues Mitgliedsland in der Europäischen Union, wo sich der Widerstand der SVP heute schon regt. Da wird sich weisen, was im Landesinteresse und was im Parteiinteresse ist, und wie das politisch vermittelt werden wird. Denn eines dürfte der SVP nicht mehr schaden als die eine oder andere Abstimmungsniederlage: Wenn sie ihre Hegemonie am rechten Pol wegen einen neuen, national agierenden Rechtspartei verlieren sollte, die von einer angepassten SVP profitieren könnte.

Claude Longchamp

Die Positionen der Schweizer Parteien im politischen Raum

Räume haben es an sich, sie sind dreidimensional. Politik wird meist vereinfach dargestellt, auf einer Dimension zwischen Links/Rechts. Jan Vontobel weist einen Ausweg, nun auch Parteipolitik räumlich darstellen zu können.

Die gestern besprochene Lizentiatsarbeit von Jan Vontobel zur empirischen Bestimmung der politischen Positionen Schweizer Tageszeitungen liefert in einem Nebenaspekt eine interessante Positionierungsmethode politischer Parteien.


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Ausgangspunkt ist die Gliederung des weltanschaulichen Raumes in drei Dimensionen, wie es die beiden Geografen Michael Hermann und Heini Leuthold vor knapp 10 Jahren vorgeschlagen haben. Demnach gibt es in der Schweiz Polarisierung zwischen

• links und rechts (wenn es um Sozialstaat, BürgerInnen-Rechte und Landesverteidigung geht)
• konservativ und liberal (wenn man sich über nationale Souveränität, Verhältnis zu Fremden und Reform der Institutionen streitet) resp.
• ökologisch und technokratisch (wenn sich die Kontroverse um Naturschutz oder technischen Fortschritt dreht).

Da diese Dimensionen anhand von Ergebnissen aus Volksabstimmungen aus den 80er und 90er Jahren hergeleitet wurden, hat Vontobel der Idee entwickelt, die Parteien aufgrund der Parolen bei den jeweils 20 typischen Entscheidungen auf jeder Dimension einzeln zu beschreiben. Das Ergebnis lässt sich sehen:

• Die SVP ist demnach rechts, technokratisch und konservativ.
• Die FDP erscheint als rechte, liberale und technokratische Partei.
• Typisch für die CVP ist ihre Position als liberale, rechte und technokratische Partei
• Die SP dagegen ist links, ökologisch, liberal positioniert,
• während die GPS ökologisch, links und liberal ausgerichtet ist.

Quantifiziert können die Parteien im dreidimensionalen Raum wie folgt verortet werden.


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Damit liegt ein neuartiger Versuch vor, die Parteien mehrdimensional zu klassieren. Da es sich dabei um eine begründete und berechnete Charakterisierung handelt, ist sie jenen vorzuziehen, die man intuitiv, gestützt auf Parteiprogrammen oder Medienimages machen kann. Typisch hierfür ist die Auflistung der Positionen im Wikipedia-Artikel zu den Schweizer Parteien, die verschiedenstes mischt:

• SVP: rechtspopulistisch, nationalkonservativ, teils wirtschaftsliberal, isolationistisch
• FDP: bürgerlich, wirtschaftsliberal, gesellschaftsliberal, Mitte-rechts
• CVP: christdemokratisch, bürgerlich, breites Spektrum von leicht links der Mitte bis klar rechts
• GPS: ökologisch, pazifistisch, feministisch, gesellschaftsliberal, links
• SP: gewerkschaftsnah, für starken Sozialstaat, ökologisch, gesellschaftsliberal, links

Natürlich kann man sich angesichts des ermittelten Ergebnisses fragen, ob es wirklich drei Dimensionen braucht. Theoretisch spricht einiges dafür, vor allem für den Zeitraum des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die mit dem Postmaterialismus einerseits, dem neuen Nationalismus anderseits kamen im Gefolge der Waldsterbe-Debatte (1984) resp. des abgelehnten EWR-Beitritts (1992) neue ideologische Strömungen auf, die heute von etwas unterschiedlicher Strahlkraft sind.

Eine Variante hierzu ist es, sich auf zwei Dimensionen zu beschränkten. Gesetzt sind dabei die markanten Unterschiede zwischen der konservativen Position der SVP einerseits, der mehr oder weniger liberalen der anderen Parteien gibt. Denn Fragen der Oeffnung, des Fremden und der institutionellen Reformen unterscheiden die Parteien meist in dieser genau dieser Spaltung.


Quelle: avenir suisse/Hermann 2011

Denkbar ist darüber hinaus, dass die beiden verbleibenden Dimensionen zweimal ähnliches abbilden, nämlich die links-ökologische und die rechts-technokratisch Weltanschauung. Damit wäre man dann wieder recht nahe bei dem, was Michael Hermann in neueren Analysen betont. Denn heute verwendet er selbst bei Zeitvergleichen nur noch zwei Dimensionen, mit ausgetauschten Bezeichnungen für die Hauptdimensionen.

Wie auch immer, die Uebersicht Vontobels muss bei gleichbleibender Methode mit neuen Daten fortgesetzt werden. Erstaunlich, dass bis heute niemand anders auf die Idee gekommen ist, und meines Wissens auch niemand an die Aktualisierung gedacht hat. Werde mich bald möglichst dahinter machen!

Claude Longchamp

Die Position Schweizer Tageszeitungen im politischen Raum

Die Idee ist innovativ: Die Qualitätsmedien der Schweiz politisch zu positionieren. Bestechend ist auch die Durchführung der entsprechenden Untersuchung, denn sie veri- und falsifiziert Eindrücke, die selbst Experten vermitteln. Genau deshalb würde man sich wünschen, dass die so ermittelten Ergebnisse regelmässig aufdatiert und über die Deutschschweiz hinaus ausgeweitet würden.

Man nehme wichtige (Deutsch)Schweizer Tageszeitungen, analysiere deren Kommentare und Nachrichten und ordne die untersuchten Massenmedien ins politische Koordinatensystem ein, um eine Uebersicht über die politischen Positionen Schweizer Tagesmedien zu erhalten.

Geleistet hat dies Jan Vontobel (heute Chefredaktor von Radio Top in Winterthur) mit seiner medienwissenschaftlichen Lizentiatsarbeit an der Uni Zürich. Ausgewählt hat er den Tages-Anzeiger, die Neue Zürcher Zeitung, die Berner Zeitung, die Mittellandzeitung und die Neue Luzerner Zeitung. Untersucht hat er zwei Mal drei Monate in der Zeitspanne von Dezember 2002 bis August 2004, der Zeit also vor und nach den Schweizer Parlamentswahlen 2003. Die Staffelung hat den Vorteil, situative Eindrücke durch eine nationale oder kantonale Wahl zu vermeiden. Berücksichtigt wurden dabei die Nachrichtenbeiträge auf der Front- und den beiden (ersten) Inlandseiten sowie alle Kommentare zu innenpolitischen Themen, egal, wo sie jeweils platziert waren. Geprüft wurden mit den so gewonnenen Daten 3 Hypothesen, deren Test die folgenden Schlüsse zulässt:

Erstens, alle fünf Zeitungen nehmen durchaus eine politische Position ein, die si speziell in den Kommentaren zum Ausdruck bringen. Die grössten Unterschiede resultieren auf der Links/Rechts-Dimension, wobei der Tages-Anzeiger die linke Seite abdeckte, während NZZ, BZ und NLZ nahe der Mitte positioniert sind und die MZ eher die rechte Seite bedient. Auf den weiteren analysierten Dimensionen sind die Unterschiede geringer, denn alle fünf Zeitungen kennen eine insgesamt ökologisch-liberale Ausrichtung, die die der MZ und der NZZ am klarsten, bei NLZ, aber auch BZ etwas eingeschränkt zum Ausdruck kommt. Als Hauptgrund hierfür nennt der Autor die Auswahl, die sich auf regional führende Tageszeitungen stützte, andere Typen von Printmedien aber nicht berücksichtigte.


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Zweitens, im Nachrichtenteil herrscht weitgehend mainstream. Selbst die getesteten Konzepte der „instrumentellen Aktualisierung“ resp. der „opportunen Zeugen“, mit denen Redaktionen Akzente setzen können, ergeben kaum Unterschiede, sodass sich die Kommentierung kaum auf die Nachrichtenauswahl auswirkt. Eher noch gilt, dass sich die Stärke einer politischen Partei die Berücksichtigung ihrer Meinungen bestimmt.

Drittens, parteipolitisch gesehen stand der Tages-Anzeiger im Untersuchungszeitraum der SP am nächsten. Vontobel schreibt, das sei zu erwartet gewesen. Indes, das Ergebnis für die vier anderen Zeitungen überraschte ihn (und macht dies wohl auch bei anderen), denn sie zeigten mit Ausnahme der MZ Affinitäten zu den Grünen (und das selbst dann, wenn man auf die ökologischen Themen verzichtet). Im gewählten Sample an Zeitungen hat die SVP keinen “Medienpartner”, FDP und CVP müssen mit der Distanz des TA umgehen, GPS und SP mit der der MZ, während bei letzerer auch die BZ entfernt ist in ihren Kommentaren.

In der Einleitung zu seiner Untersuchung zitiert Jan Vontobel die bekannte Uebersicht des zwischenzeitlich emeritierten Professors Roger Blum, die er zu Tages- und Wochenzeitungen periodisch veröffentlicht. Er kritisiert dabei sachte das verwendete methodische Vorgehen, das sich nicht auf eine Inhaltsanalyse stützt, sondern auf die Erfahrungen des prominenten Medienwissenschafters, die er mit 10 Kontrollgesprächen validiert. Zwar ist nach der Lektüre der ersten Analyse der neuen Art nicht alles neu. Bei der NZZ und der NLZ weicht die Positionierung aber prominent ab, denn Blum stuft beide als rechtsliberal ein, derweil sie Vontobel (im innenpolitischen Teil) in der Mitte platziert.


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Zu wünschen wäre, dass der stringent entwickelte und klar formulierte Ansatz des Zürcher Medienwissenschafters insbesondere für die Kommentaranalyse weiter gebraucht würde: mit mehr Zeitungen, insbesondere unter Berücksichtigung der mittleren und kleineren Regionalpresse und mit aktuelleren Daten. Denn seit 2002/4 hat die Schweizer Oeffentlichkeit eine bemerkenswerte Kehrtwende Richtung konservativer Deutungen vollzogen, die sich gerade auch im Mediensystem ausdrücken dürfte. Zu erwarten ist nämlich, dass die Weiterverwendung des vorgestellten Analyserasters hilft, die Differenzierungen politischer Positionen im Mediensystem nicht nur auf der Basis von Opportunitäten zu machen (wie das in Medienwächterkreisen gerne geschieht), sondern aufgrund gesicherter Analysen vorzunehmen (und damit einer rationaleren Diskussion zuzuführen). Auffällig ist hierzulande nämlich, wie fleissig man die Positionen der Parteien in Wahl- und Abstimmungskämpfen bestimmt, während man immer noch so tut, als ob die “vierte Gewalt” im Staat reine Transporteure von Nachrichten aus der Politik seien, ohne die öffentliche Meinung auch eigengesetzlich zu bilden.

Claude Longchamp

Aufgrund der Genfer Stimmbeteiligung zeichnet sich am 3. März 2013 eine leicht über- durchschnittliche Stimmbeteiligung ab

Nirgends weiss man so viel über aktuelle Stimmbeteiligungen wie im Kanton Genf. Denn an jedem Wochentag publiziert die Staatskanzlei der Zwischenstand der brieflich eingegangenen Stimmzettel. Der Vergleich der täglichen Teilnahmewerte lässt Schätzungen zu, was am 3. März 2013 in Genf und in der Schweiz in Sachen Beteiligung sein könnte.

Kanton Genf: Eingegangene Stimmzettel in Prozent der Stimmberechtigten nach Tagen

Quelle: Kanton Genf, eigene Darstellung
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Eines ist jetzt schon klar: Die Genfer Stimmbeteiligung zu Abzocker-Initiative, Familienartikel und Raumplanungsgesetz wird kein Extremfall. Weder ist sie so hoch wie bei Ausschaffungs- und Steuergerechtigkeitsinitiative (28.11.2010), noch so tief wie beim Tierseuchengesetz (25.11.2012). Vielmehr liegt sie, höchstwahrscheinlich dazwischen.

Aktuell haben 23 Prozent der Stimmberechtigten abgestimmt. Das jedenfalls vermeldete die Genfer Staatskanzlei gestern Abend. Das ist, auf den Vergleichstag bezogen, genau gleich viel wie bei der BVG-Entscheidung im Frühling 2010. Der Schlusswert für die Genfer Beteiligung lag damals bei 49 Prozent.

Eine punktgenaue Prognose ist das nicht, denn die Dynamik in den Tageswerten hängt auch von den Themenbehandlung im Abstimmungskampf ab. Atypisch war namentlich die Abstimmung über die Biometrischen Pässe 2010, die (zumindest in Genf) eine starke Schlussmobilisierung kannte.

Dennoch, ein starker Hinweis auf das, was in Genf am 3. März 2013 sein dürfte, ist der Zwischenstand bei der Stimmbeteiigung schon. Qualifizieren kann man die sich abzeichnende Mobilisierung im westlichsten Kanton der Schweiz als mindestens im „mittel“.
Nun liegt die Genfer Beteiligung meist über der der Schweiz. Ein direkter Rückschluss auf den eidgenössischen Teilnahmewert ist deshalb nicht zulässig. Im Referenzfall lag dieser schliesslich bei 46 Prozent – einem ebenfalls leicht überdurchschnittlicher Wert. Das deckt sich übrigens exakt mit dem, was die zweite SRG-Befragung vor Wochenfrist für die damalige Mobilisierung festhielt.

Spekulationen, die exemplarische Behandlung der Entschädigung für Daniel Vasella in den Medien mobilisiere ausserordentlich, finden damit (wenigstens vorerst) keine Nahrung. Wenn dem so bliebe, würde das nur die These bestätigen, dass Massenmedien aufgrund des Newswertes von Prominenz auf entsprechende Ereignisse übermässig stark reagieren.

Claude Longchamp

Kampagneneffekte oder Zeitenwandel? Der Vergleich der Entscheidungen zum Familienartikel und Familienzulagengesetz

2006 sagten die Stimmenden Ja zum heute geltenden Familiezulagengesetz. Kampagnenanalysen und Vorbefragungen legten schon früh eine Verhältnis von zwei zu eins nahe. Das galt beim Familienartikel, bevor der Abstimmungskampf begann. Doch seither ist alles anders. alles wegen dem Extrablatt oder wegen des Zeitenwandels?

Das wenig umstrittene Familienzulagengesetz
Hans Hirter, erfahrener Abstimmungsanalytiker, kommentierte in der VOX-Analyse die Volksentscheidung vom 28. November 2006 zum Familienzulagengesetz wie folgt: „Überdurchschnittlich oft mit Ja stimmten Personen, die grundsätzlich einen zentralistischen Staat dem Föderalismus vorziehen. Aber auch die Anhänger des Föderalismus gaben den Anliegen ihre Zustimmung zu einer Bundeslösung.” Hauptgrund sei gewesen, die kantonalen Familienzulagen zu harmonieren. Darin bestand weitgehend Einigkeit.

Bei einer Stimmbeteiligung von 45 Prozent, votierten 68 Prozent für die Vorlage. Soziale und ökonomische Merkmale der Stimmenden spielten eine nur untergeordnete Rolle, wie die Nachanalyse zeigte; viel wichtiger war die starke Prägung der Entscheidung über das Gesetz vom Links/Rechts-Gegensatz. Das zeichnete sich schon in der Kampagne ab. SP und CVP waren dafür, SVP und FDP dagegen. Die Basis folgte den Parteien mehrheitlich, wenn auch mit einer Ausnahme: Die FDP drang mit ihrem Nein selbst bei der eigenen Wählerschaft nicht durch. Zudem stimmten auch die Ungebundenen klar für das Familienzulagengesetz.


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Unsere Vorbefragungen für die SRG handelten die Entscheidung im gleichen Tenor ab. Die Meinungsbildung bei Behördenvorlagen mit mehrheitlich positiver Prädisponierung und nur schwachem Abstimmungskmapf gab den Interpretationsrahmen ab. In der Tat, acht Wochen vor dem Abstimmungstag waren 69 Prozent dafür, 3 Woche davor 70 Prozent. Das bekundete Nein lag bei 21 resp. 19. Prozent. Beide Male war die Polarisierung entlang der Parteibindungen am stärksten. Viel Bewegung brachte der Prozess der Meinungsbildung ausser bei der CVP nicht. Bei ihren SympathisantInnen aber erhöhte sich mit der Ja-Kampagen die Zustimmung.

Argumentativ stand die Vision im Vordergrung, eine gut ausgebildete Jugend zu fördern. Diese sollte nicht von kantonalen Unterschieden beeinträchtigt sein. Bei der Gegnerschaft wirkte die Überzeugung, durch die Hintertür werde ein neues Sozialwerk geschaffen, dass zu Staatskindern führe. Beides aber war nicht mehrheitsfähig, genauso wie das Nein zur Vorlage in der Minderheit blieb.


Der umstrittenere Familienartikel

Der Vergleich mit dem Wissen, das wir jetzt schon zur Meinungsbildung haben, die zum neuen Bundesverfassungsartikel in Sachen Familienpolitik läuft, weist neben gewissen Gemeinsamkeiten gewichtige Unterschiede auf.


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Die wichtigste Differenz besteht darin, dass mit dem Abstimmungskampf Bewegung in die Stimmabsichten gekommen ist. Sie begannen, mit 66 Prozent Zustimmungsbereitschaft fast am gleichen Ort wie man gut sechs Jahre zuvor startete. Doch anders als damals hielt das nicht, sondern erodierte in markantem Masse. Die Gegnerschaft holte um zwölf Prozentpunkte auf, liegt nun bei 35 Prozent, derweil die Befürwortung um elf Prozentpunkte auf 55 sank.

Auch diesmal ist die parteipolitische Aufladung wichtiger als gesellschaftliche Trennlinien. Anders als damals, zeigen die Parolen erhebliche Wirkungen. Bei der SVP sank die Zustimmung von anfänglichen 47 auf 31 Prozent, bei der FDP von 59 auf 44 Prozent. Drastischer noch sind die Auswirkungen auf die parteipolitisch ungebundenen BürgerInnen, bei denen die Zustimmungstendenz von 80 auf 48 verringerte. Von dieser Bewegung nicht erfasst wurde auch diesmal das Mitte/Links-Lager.

In der französischsprachigen Schweiz stellt man von diesem Meinungswandel kaum etwas fest. Deutlicher schon kommt er in der italienischsprachigen Schweiz zum Ausdruck, die stärkste Bewegung stellte die SRG-Umfrage aber in der deutschsprachigen Schweiz fest. Das spricht für ein Ost/West-Gefälle in den Ansichten zum Familienartikel.

Wenig weiss man diesmal über die Argumente, was mit dem Abstimmungskampf zu tun hat: Von einer Ja-Kampagne kann man nicht wirklich sprechen. Ganz anders die Nein-Seite. Die Opposition in der Sache kann auf erhebliche Mittel zählen, die in Politmarketing investiert werden.

So ist, anders als damals, keine positive Vision entwickelt worden, die den Familienartikel beflügeln würde. Eher noch wird mit den unmittelbaren Vorteilen argumentiert, welche mehr Krippen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bringen würden. Genau das wird von der Nein-Seite heftig bestritten. Aufbauend auf dem konservativen Familienbild werden die Argumente von 2006 wiederholt.

Die Ursachen
Um das alles zu erklären, kann man auf zwei verschiedene (vielleicht auch komplementäre) Hypothesen zurückgreifen.


Extrablatt der SVP – Hauptwerbemittel im Abstimmungskampf
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Die erste besagt, der Umschwung ist eine reine Folge von Kampagnen. Würde es zweimal genau die gleiche gegeben haben, wäre zweimal das gleiche geschehen. Damit ist das Extrablatt die Ursache des Extrawandels.


Psychologisches Klima der Schweiz – Demoscope
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Die zweite geht davon aus, dass in der Mitte der 00er Jahre des 21. Jahrhunderts das politischen Klima gekippt ist, von einer eher progressiven zu einer eher konservativen Grundstimmung, in der rechtskonservatives Gedankengut nicht mehr nur in der SVP, sondern einiges darüber hinaus beheimatet ist. Was wir an bildungspolitischen Debatten gesehen haben, wiederholt sich bei familienpolitischen.

Claude Longchamp

Der aktuelle Forschungsbericht zum Familienartikel

Italien wählt, veröffentlicht keine Umfragen mehr und sagt doch, wer wie wahrscheinlich gewinnt

In den letzten 14 Tagen von der Wahl ist in Italien die Veröffentlichung neuer Umfragen rechtlich untersagt. Formell halten sich alle daran, informell wird die Restriktion mehr und mehr geschickt umgangen. Und das über neue Soziale Medien.

Was in Italien regulär erst im April 2013 hätte stattfinden sollen, wurde nach dem Rücktritt des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti auf Ende Februar vorgezogen. So wählt unser südlicher Nachbar bereits in einer Woche die beiden Kammern des Parlaments neu.

Fünf Bündnisse stellen sich der Wahl:

• “Italia. Bene Comune”, eine Koalition von Mitte-Links-Parteien mit Pier Luigi Bersani als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten,
• die von Silvio Berlusconi organisierte Koalition verschiedener Mitte-Rechts-Parteien, formell angeführt von Angelino Alfano,
• das MoVimento 5 Stelle, bestehend aus dem Komiker Beppe Grillo,
• die Agenda Monti per l’Italia, eine zentristische Koalition, die sich für eine Weiterführung der bisherigen Regierung ausspricht, und
• die Rivoluzione Civile, eine gemeinsame Wahlliste mehrerer linker und liberaler Parteien mit Antonio Ingroia für das Amt des Regierungschefs.

Die letzten Umfragen, allesamt vom 8. Februar, gaben der Mitte/Links-Koalition im Schnitt 35 Prozent WählerInnen-Anteile. Mitte/Rechts kam auf zirka 30 Prozent, das “M5S” auf knapp 16 Prozent, und für die Allianz von Monti gab es 14 Prozent. Der Rest verteilte sich auf die Rivoluzioni und die übrigen Parteien.

Dabei gilt es zu berücksichtigten, dass diese Angaben unschlüssige WählerInnen nicht enthalten. Je nach Umfrage machten sie 10-15 Prozent aus. Das ist nicht unerheblich, denn in den letzten zwei Wochen kann gerade da noch einiges geschehen.

Nun hat sich (auch) in Italien neuerdings eingebürgert, nicht nur Parteistärken zu kommunizieren, sondern auch Wahrscheinlichkeiten für die Siegchancen zu berechnen. Statistik-Spezialisten leisten dies quasi als Supplement. Zu ihnen zählt Alberto Nardelli, studierter Medien- und Politikwissenschafter, der fast schon im Stile von Nate Silver von sich sagt, nebst Politik „football, film, fashion and food“ zu lieben: Auf 86 Prozent schätzte der Info-Brooker nach der letzten Umfrage die Chance, dass Mitte-Links im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben wird. Seine Berechnungen für den Senat ergaben 54 Prozent Wahrscheinlichkeit. Die grösste Unsicherheit bestand in seiner Optik in der Lombardei. Gewinne Mitte/Linke hier nicht, sei sie auf einen Sieg in allen anderen Regionen angewiesen, um die Mehrheit in beiden Kammern zu sichern, liess er sein 130000 Follower wissen. Namentlich im Veneto erschien ihm das wenig wahrscheinlich, und auch den Ausgang in Sizilien klassierte er als offen.

Spannender hätte es der Blogger, der den Twitter-account “electionista” betreibt, nicht machen können. So schrieb er vor Wochenfrist: „Polls will no longer be published in Italy for the next two weeks, but of course they’ll be taken. Should I come across any, I’ll post any major trends/news here.“

Seither kann man Nardellis muntere Umrechnungen von unveröffentlichten Umfragen zu Wahrscheinlichkeiten via Soziale Medien verfolgen. Seine letzten Neuigkeiten: Nicht mehr 86, sondern 89 Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Mitte/Links-Sieg im Repräsentantenhaus, und 51 Prozent für die die Mehrheit der gleichen Koalition in der alles entscheidenden Lombardei.

Claude Longchamp

Die 3 eidg. Volksabstimmung vom 3. März 2013 zeigen verschiedenartige Links/Rechts-Profile

Bei allen drei eidgenössischen Abstimmungsvorlagen vom 3. März zeichnet sich eine Links/Rechts-Polarisierung ab, allerdings in unterschiedlicher Stärke und mit unterschiedlichen Ausprägungen. Eine Uebersicht.

Wie bei vielen Abstimmungen findet sich bei allen drei Vorlagen, über die am 3. März 2013 entschieden wird, eine Links/Rechts-Polarisierung. Das lässt sich anhand der Fraktionspositionen im Nationalrat zeigen, es wiederholt sich im Parolenspiegel, und auch Umfrageergebnisse können danach befragt und bewertet werden.

Verweisen alle drei Indikatoren (mehrheitlich) in die gleiche Richtung, kann man von einer (mehr oder minder) geschlossenen Parteiposition sprechen. Weichen insbesondere die Umfrageergebnisse von den Entscheidungen der Fraktion ab, kann man von einem (mehr oder minder ausgeprägten) Elite/Basis-Konflikt ausgehen. Kompliziert ist die Bewertung, wenn die Fraktions- und Parteispitzenposition nicht einheitlich ist.

Die Analyse nach Vorlage

Stellt man auf die eidg. Vorlagen vom 3. März 2012 ab, hat die Familienvorlage das klarste Links/Rechts-Profil. Geschlossen im Ja sind SP, GP und GLP, eine leicht gespaltene Befürwortung findet sich bei CVP und BDP, während die SVP leicht gespalten im Nein ist. Am schwierigsten noch ist die Positionierung der FDP: Die Fraktion war mehrheitlich dafür, die Parteispitze dagegen, ihr wird aber von der Frauen-Parteien in der FDP widersprochen. An der Basis überwiegt das Ja über das Nein. Allerdings gilt es festzuhalten, dass die 1. SRG-Befragung vor Einsetzen der Nein-Kampagne und der Parolenfassung auf nationaler Ebene war, sodass sich der Zustimmungswert auch in Negative entwickeln kann.


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Etwas konfliktreicher ist die Polarisierung, wie man sie beim revidierten Raumplanungsgesetz feststellen kann. Eine leicht gespaltene Befürwortung ergibt sich bei SP, GP und GLP. Dem steht eine leicht gespaltene Ablehnung bei SVP und FDP gegenüber. Nicht eindeutig klassierbar sind hier CVP und BDP. Bei letztere ist die Befragtenzahl zu gering, um eine eindeutige Qualifizierung abzugeben; bei der CVP fallt der Entscheid schwer, weil die Parteispitze im Ja ist, es aber auf Kantonsebene Abweichungen gibt und auch die Befragung zu Beginn des Abstimmungskampfes keine Zustimmungsmehrheit aufwies.


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Ziemlich kompliziert ist das Links/Rechts-Profil bei der Abzocker-Initiative. Vordergründig spricht einiges für ein bekanntes Muster: Die bürgerlichen Parteien sind dagegen, die linken dafür. Berücksichtigt man alle verfügbare Information, sind aber nur SP und GP geschlossen im Ja. Alles andere ist unsicher: Bei GLP und BDP verzichten wir angesichts der Fallzahlen in Befragungen auf eine Qualifizierung. Den klarsten Gegenpol zur Linken bildet die FDP; die Fraktion stimmte geschlossen gegen die Vorlage, die Partei empfiehlt, unwidersprochen, das Gleiche, doch gibt es, wenigstens in der ersten von zwei SRG-Befragungen einen tendenziellen Widerspruch an der Basis. Das ist bei CVP und SVP noch etwas komplizierter. Denn die CVP-NationlrätInnen stimmten in der Schlussabstimmung mehrheitlich vor die Vorlage – und auch die Basis tendiert gemäss Befragung ins Ja, derweil die Parteiparole „Nein“ lautet. Bei der SVP schliesslich stimmte die Deputation im Nationalrat mit einer Ausnahme gegen die Initiative, die Basis ist aber mehrheitlich dafür. Die Nein-Parole, welche die nationale SVP fasst wirkt stark löcherig, denn 10 Kantonalparteien haben das Gegenteil beschlossen.


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Sicher bleibt eines: Selbst die Links/Rechts-Polarisierung bei Volksabstimmungen ist in einem Parteiensystem, das durch relative Autonomie der Bundeshausfraktionen einerseits, der Kantonalparteien anderseits gekennzeichnet ist, gar nicht so einfach. Die klare Polarisierung zwischen bürgerlich und links, funktioniert kaum mehr, partiell gibt es eine Polarisierung zwischen mitte/links und rechtsbürgerlich, doch kann man auch unheilige Allianzen von links und rechts gegen das (liberale) Zentrum nicht mehr ausschliessen.

Die Zwischenbilanz nach Vorlage

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Parlamentsentscheid in der Volksabstimmung wiederholt, ist bei der Familienvorlage am grössten. Ist das nicht der Fall, kommt es zu einer kaum vorhersehbaren Ablehnung, die aus der (beschränkten) Dynamik im Abstimmungskampf erklärt werden müsste.

Etwas offener ist die Situation bei der Raumplanung, denn insbesondere die CVP kennt einen Elite/Basis-Konflikt. Würde er angesichts der Meinungsbildung im Abstimmungskampf grösser werden, wäre auch ein Scheitern denkbar. Ohne das, dürfte die Vorlage aber in der Volksabstimmung passieren.

Bei der Abzocker-Initiative fällt es schwer, den Parlaments- und Volksentscheid zu vergleichen. Zwar resultierte im Nationalrat eine knappe Nein-Mehrheit zur Initiative, sodass sich die Volkskammer entschied, keine Empfehlung herauszugeben. Weil der Bundesrat keine davon abweichende Position vertreten darf, gibt es auch hier keine Empfehlung, selbst wenn man um die ablehnende Position der Bundesregierung weiss. Unterstellt man aber ein mehrheitliches Nein in den Behörden, ist hier ein gegensätzlicher Volksentscheid durchaus möglich. Der Hauptgrund besteht darin, dass die Ablehnung rechts, auf Elite- wie auch auf Basis-Ebene uneinheitlich ausfällt.

Mehr zu dieser Analyse wird man wissen, wenn die zweite SRG-Befragung vorliegen wird. Spätestens am kommenden Mittwoch wird es soweit sein, denn danach ist die Publikation von Befragungen in der Schweiz untersagt.

Claude Longchamp