Volkswahl des Bundesrates: vermehrte Blockbildungen zu erwarten

“Volkswahl des Bundesrates” tönt gut. Denn so drückt sich der Volkswille bei der Bestellung der Schweizer Regierung unvermittelt aus. Denkt man jedenfalls. Doch die Erfahrung lehrt: Es kommt auf das Kleingedruckte an.

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Die angekündigte Volksinitiative zur “Volkswahl des Bundesrates” ist für die Politologen eine reizvolle Denkaufgabe. Institutionalisten sind herausgefordert, über die Wirkungen der Neuerung nachzudenken.

Das Berner Modell
Das Modell, das die SVP am Samstag für ihre Initiative zugunsten einer Volkswahl des Bundesrates gewählt hat, lehnt sich eng an das bestehende im Kanton Bern an. Gewählt wird nach dem (gemässigten) Majorzverfahren, mit einer Sitzgarantie für die Sprachminderheiten. Die Berner Erfahrungen legen nahe, dass die Wahlchancen von Parteien und KandidatInnen je nach Ausgestaltung unterschiedlich ausfallen. Im Wesentlichen kommt es auf zwei Faktoren an:

Erstens, sind vorgedruckte Wahlzettel erlaubt oder nicht? Und:
Zweitens, gehen die Parteien Allianzen ein oder nicht?

Kombiniert kann man drei Szenarien unterscheiden, deren Auswirkungen hier kurz besprochen seien:

Szenario 1: Vorgedruckte Wahlzettel, gemeinsamer Vorschlag der Regierungsparteien
Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Regierungsparteien einig sind, wer dazu gehört und wer auf wieviele Sitze Anspruch hat. Als Masstab hierzu könnte der WählerInnen-Anteil bei der jüngsten Nationalratswahlen dienen oder die Sitzzahl unter der Bundeskuppel. Können sich die Regeirungsparteien darüber hinaus auch auf die geeignetsten KandidatInnen einigen, unterbreiten sie den WählerInnen einen gemeinsamen Siebnervorschlag. Nicht auszuschliessen ist, dass sich auch Aussenseiter bewerben, ohne aber grosse Wahlchancen zu haben. Formell kommt es damit zwar zur Volkswahl des Bundesrates, doch ist es im Wesentlichen eine Bestätigung des stillschweigend eingegangene Proporzes. Gegenüber dem Status quo ändert sich nicht viel. Wahrscheinlich ist ein solches Szenario bei parteipolitischer Polarisierung nicht.

Szenario 2: Vorgedruckte Wahlzettel, mit mindestens zwei Blöcken

Vor allem dann, wenn es keine allgemein anerkannten Regeln gibt, auf welche Parteien und in welchem Masse die sieben Sitze zu verteilen sind, ist bei einer Volkswahl mit einer beschränkten Konkurrenzsituation zu rechnen. Zu erwarten ist ein linker Block, voraussichtlich aus SP und Grünen bestehend, ein rechter, der SVP und FDP umfassen dürfte, sowie ein Zentrumsblock mit CVP und kleinen Parteien. Jeder Block stellt Ansprüche, die über den eigenen Wähleranteile hinausgehen. Gegenwärtig könnten das vier oder fünf rechte Kandidaturen sein, zwei oder drei aus der Mitte und zwei oder drei von links. Damit kommt es zum Parteien- und KandidatInnen-Wettbewerb.Dieses Szenario ist in der gegenwärtigen Situation am wahrscheinlichsten, garantiert aber keine parteipolitische Stabilität, wie die Wahlen in kantonale Regierungen zeigen. Tendenziell bevorteilt es den stärksten Block, voraussichtlich die SVP mit der FDP.

Szenario 3: Keine vorgedruckten Wahlzettel; jede(r) gegen jede(n)

Die dritte Variante leuchtet unter dem Stichwort “Volkswahl” auf den ersten Blick am meisten ein. Demnach wären, wie das im Kanton Bern 2010 erstmals auch der Fall sein wird, vorgedruckte Wahlzettel nicht erlaubt. Allianzbildung zwischen den Parteien sind dann weniger wichtig, weil sie die Aussichten der eigenen KandidatInnen schmälern. Selbst wenn man sich formell gegenseitig empfiehlt, gibt es ohne vorgedruckte Wahlzettel nämlich keine Garantie, dass man übers Kreuz auf die KandidatInnen anderer Parteien wählt. Doch hat auch dieses Szenario zwei Nachteile: Einerseits sind die Amtsinhaber begünstigt; anderseits können sich neue BewerberInnen nur mit landesweiten Wahlkampagnen durchsetzen. Die Werbeausgaben einerseits, die Medienberichterstattung anderseits bestimmen die Wahlchancen in erheblichem Masse mit. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios halte ich für mittel, geringer ist es, dass die sinnvollste Einschränkung, die Amtszeitlimitierung, beispielsweise auf 8 Jahre, gleichzeitig eingeführt wird.

Erste Bilanz
Kurz gesagt: Bei einer Annahme der “Volkswahl für den Bundesrat” ist damit zu rechnen, dass vorgedruckte Wahlzettel möglich sind, es zur verschärften Blockbildung innerhalb der Regierungslager kommt, der Wettbewerb unter ihnen verstärkt wird und die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates floaten wird. Bevorteilt ist dabei der stärkste Block, und innerhalb dieses die stärkste Partei. Politische Stabilität auf der Basis der Konkordanz wird leiden. Als Varianten kommen reine Bestätigungswahlen in Frage, allenfalls auch der Durchstart zu Bundesratswahlen mit eigentlichen Wahlkämpfen à la américain. Oder noch klarer: In keinem zu erwartenden Fall wird die Parteienmacht gebrochen, allenfalls durch die Medienmacht ergänzt.

Claude Longchamp

Kollegium der Regierung und Diversität des Landes sprechen gegen die Volkswahl

Warum sich Volkswahl des Bundesrates und das System der Konkordanz schlecht vertragen. Eine Replik auf die eben lancierte Volksinitiative.

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Bundesratswahlen in der Schweiz sind mehr als ein Entscheid per Maus-Click, findet die Ueberzahl der PolitikerInnen und Polit-WissenschafterInnen

Alt-Bundesrat Christoph Blocher und alt Nationalratspräsident André Bugnon widersprachen sich am Samstag, als es an der SVP-Delegiertenversammlung darum ging, die Modalitäten der Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates zu bereinigen. Der Waadtländer befürwortete das Proporzverfahren mit der Begründung: “Wir dürfen nicht Angst haben vor unserem eigenen Erfolg.” Den siegreichen Gegenstandpunkt vertrat der Zürcher mit dem Argument, dass “damit endlich Persönlichkeiten und nicht mehr Parteiprogramme in den Bundesrat gewählt werden”.

Die Kontroverse entbehrt nicht der Ironie, wenn man sich erinnert, wie die SVP ihr eigenwilliges partei- und fraktionsinternes Auswahlverfahren für linientreue Bewerber begründet. Denn es geht ihr gegen alle Widerstände nur darum, dass die Positionen der Partei in der Bundesregierung “lupenrein” vertreten werden; halbe Bundesräte sind nicht die Sache der SVP.

Doch das ist gar nicht der Punkt meines Beitrags. Denn in den Kommentaren zum Nebenschauplatz “Wahlverfahren” ist die Würdigung des Hauptsachverhaltes “Volkswahl” bisweilen untergegangen. Ganz anders als dies in Behörden und Wissenschaft der Fall ist, die im Zusammenhang mit der Staatsleitungsreform die Frage gründlich behandelt haben und dabei in der überwiegenden Zahl zu einem negativen Schluss gekommen sind.

Die Botschaft des Bundesrates nennt hierzu drei generelle Argumente:

Erstens, die verschiedenen Kriterien wie Zugehörigkeit zu Partei, Sprache, Landesteile und Geschlecht können nicht mehr umfassend einbezogen und zeitgemäss weiterentwickelt werden. Faktisch würde mit der vorgeschlagenen Version die labile Balance zwischen allem mit der doppelten Sitzgarantie für die Lateiner geregelt.

Zweitens, insbesondere die Einzelwahl der BundesrätInnen weicht das Prinzip der Kollegialbehörde weiter auf. Angesichts der Diversität des Landes, die höher ist als jene der Kantone, ist das nicht noch zu fördern. Faktisch ist damit zu rechnen, dass gerade amtierende Bundesräte mit dem Portfolio ihre Departementes Wahlkampf führen würden, während vielerorts verlangte Gesamtsicht in den Hintergrund geriete.

Drittens, schliesslich wird mit einem vermehrten Einfluss der Medien auf die Politik gerechnet, die sich an der Personalisierung bereits heute festmachen lässt, was die Kommunikation erleichtert, aber nicht immer zu einer sachorientierten Politik beiträgt. Zu befürchten ist, dass die Gesetze der Medien noch mehr als heute jene der Politik bestimmen würden.

Mit Didier Burkhalter, könnte man beifügen, hat die Bundesversammlung jüngst den Zeiger in die diametrale Richtung zur SVP-Initiative gestellt. Gewählt wurde mit ihm nicht nur der Repräsentant der Romandie, sondern auch der überzeugte Vertreter der Konkordanz und der Anti-Held der Medien.

Claude Longchamp

Die Debatte zur Volkswahl von BundesrätInnen ist lanciert

Die Debatte über die Volkswahl des Bundesrates ist neu lanciert. Sie entzweit nicht nur das Volk und die PolitikerInnen. Auch unter den PolitikwissenschafterInnen werden beide Standpunkte zwischen Demokratisierung und Mediokratisierung von Bundesratswahlen vertreten.


(Rundschau vom 1.7. anclicken)

In der gestrigen “Rundschau” des Schweizer Fernsehens ordnete der Freiburger Historiker Urs Altermatt die neu aufgebrachte Forderung der SVP des Kantons Zürich in den grösseren Kontext ein: Er sieht darin den Angriff auf die BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf 2007, die als SVP-Vertreterin gewählt, dann von der eigenen Partei ausgeschlossen wurde. Die Initiative ist für den arrivierten Bundesratsforscher die Begleitmusik hierzu.

Unter den Politikwissenschaften werden kontroverse Einschätzung gemacht. Michael Hermann von der Uni Zürich sieht darin eine Chance der Demokratisierung von Bundesratswahlen, die sich in den Kantonen bewährt hat und nun auf der Bundesebene Anwendung finden soll. Er verspricht sich mehr politisches Interesse durch Volkswahlen des Bundesrates.

Ich selber vertrete die Gegenposition: Was mit der Volkswahl von BundesrätInne kommt, ist die gesteigerte Bedeutung von Personen für die politische Mobilisierung sowie die Amerikanisierung von Wahlen, verbunden mit einer Stärkung der Medienmacht. Das sich das mit der Konkordanz für den Bundesrat nicht verträgt, tendiert die Aushebelung der Rückbindung von Regierungsmitgliedern ans Parlament zum Uebergang des Regierungssystems der Schweiz zur Konkurrenzdemokratie mediokratischen Stils.

Claude Longchamp

“Volkswahl des Bundesrates”: indirekte Wirkungen wichtiger als direkte

Das Volk lehnte bis jetzt die Wahl des Bundesrates in Volksabstimmung immer ab. Dennoch hatten entsprechende Initiative oder Projekte indirekte Wirkungen, stärkten sie doch die Vertretung der Parteien, welche die Initiativen lancierten, im Bundesrat früher oder später.

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Das Ergebnis der Abstimmung von 1900 zur KK/SP-Initiative: 35 Prozent Ja bei einer Beteiligung von 59 Prozent der Stimmberechtigten.

Bereits zweimal wurde über die Volkswahl des Bundesrates abgestimmt: 1990 aufgrund einer Volksinitiative, getragen von den Katholisch-Konservativen und den Sozialdemokraten; 1942 als Folge eine Volksinitiative der SP. In beiden Fällen mobilisiert das Thema im Schnitt; zweimal scheiterte das Anliegen in der Volksabstimmung klar: 1900 votierten 65 Prozent dagegen, und es lehnte 14 Kantone ab; 1942 waren 68 Prozent und alle Kanton gegen die Vorlage.

1942
Das Ergebnis der Abstimmung von 1942 zur SP-Initiative: 32 Prozent Ja bei einer Beteiligung von 62 Prozent der Stimmberechtigten.

Das Abstimmungsergebnis erhellt nicht nur der Blick auf den räumlichen Kontext der Resultate. Der Zeitpunkt der Entscheidung ist mindestens so wichtig.

1900 befand sich die KK im Aufstieg zum Regierungspartei. Seit 1891 war sie als Minderheit mit einem Sitz im siebenköpfigen Bundesrat; im Parlament, vor allem im Ständerat hatte sie aufgrund ihres regionalen Profiles aber mehr Gewicht. 1942 war die SP auf dem Weg in den Bundesrat. Was ihr seit Längerem von bürgerlicher Seite verwehrt wurde, sollte 1943 effektiv erstmals erfüllt werden.

Volksinitiativen für die Volkswahl des Bundesrates gehören damit zu den Instrumenten, die Parteien einsetzen, welche ihre Macht in der Regierung stärken wollen. Sie kennen deshalb ein ausgesprochen taktisches Element. Von einer eigentlichen Konfliktlinie, die alle bestimmen würde, kann damit, wenigstens im historischen Rückblick, nicht gesprochen werden. Die Initiativen scheiterten recht deutlich, da sie keine soziologisch oder ökonomisch beschreibbares Potenzial kannten.

Angewendet auf die Gegenwart heisst dies: Die SVP fühlt sich im Bundesrat untervertreten. Sie verspricht sich, dass von der diskutierten Initiative Druck aus geht; das war schon im Jahr 2000 so, und es dürfte auch momentan der Fall sein. Direkte Wirkungen zeigten die Initiative nicht, weil sie in der Volksabstimmung scheiterten; indirekte Wirkungen stellten sich aber bisher immer ein: 1919 wurde die KK mit zwei Vertretern im Bundesrat bedient, und 1943 wurde die SP erstmals in die Bundesregierung aufgenommen. Bei der SVP reichte schon die Ankündigung der Initiative, dass die Verdoppelung ihrer Vertretung 2003 vorbereitet werden konnte.

Claude Longchamp

Einwände zur Volkswahl des Bundesrates

Die Volkswahl des Bundesrats wird in der Schweiz wieder zum Politikum. Vorgetragen wird sie gegenwärtig erneut durch die SVP, die ein entsprechendes Initiativprojekt diskutiert, obwohl ein analoger Vorschlag erst 2009 durch den kommunistischen Abgeordenten eingebracht, im Nationalrat klar abgelehnt worden ist.

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Quelle: Tages-Anzeiger, 30. Juni 2009

Seit 1848 sind alle Bestrebungen dazu gescheitert

Seit 1848 die Volkswahl des Bundesrats in der Diskussion der ersten Verfassung der Schweiz abgelehnt worden ist, wird das Thema regelmässig wieder diskutiert; alle Vorschläge hierzu sind bisher verworfen worden.

Sicher, die Voraussetzung seit damals haben sich geändert; die Kantone sind nicht mehr ausschliessliche und nach Innen gerichtete Teilstaaten. Dennoch gibt es kaum nationale Medien, eher ein sprachregional geprägtes Mediensystem, das die Möglichkeiten gesamtschweizerische Diskussion und Wahlen mindestens einschränkt.

Drei Einwände gegen die Volkswahl des Bundesrats werden immer wieder vorgebracht:

1. Der permanente Wahlkampf

Die Volkswahl des Bundesrates würde die Anbindung der Regierung an die Oeffentlichkeit stärken. Bei allen Vorteilen, die das auch hat, bleibt ein Problem: Die Gewählte würden sich dem ständigen medialen Dauerdruck der Abwahl ausgesetzt sehen. Diese wären letzlich auch in der Lage, die Abwahl in eigener Regie zu inszenieren. Ganz sicher wären die Medien auch eine zentrale publizistische und werberische Wahlvoraussetzung. Denn nur wenige PolitikerInnen erreichen die Bekanntheit, die nötig wäre, um national gewählt werden zu können. Faktisch sind das heute die Bundesräte nach der Wahl und Spitzenvertreter der Opposition wie das bei James Schwarzenbach, Jean Ziegler und Christoph Blocher der Fall war. Letztere sind geeignet, neue Themen aufzubringen und der politischen Diskussion zuzuführen, haben sich aber letztlich als zu wenig geeignet erwiesen, auch lösungsorientierte Sachpolitik zu betreiben.

2. Die Schwächung des Parlaments

Der Parlamentarismus ist die Norm der Demokratie. Darüber hinaus sind die direkte Demorkatie und das Präsidialsystem als Erweiterungen bekannt. Eine Kombination der drei System gibt es nationalstaatlich gesehen letztlich nirgends. Auf der Ebene der Gliestaaaten kommt Kalifornien dem am nächsten, – und zeigt mit hoher Regelmässigkeit die Schwäche: Da der Gouverneur, das Parlament und Volksabstimmung, alle ähnlich legitimiert, sehr unterschiedliche Politiken befürworten können, mangelt es schnell an Kohärenz, womit die politischen Satbilität, wie auch die jüngste Krise gezeigt hat, schnell leidet. Die Schweiz hat sich für den starken Ausbau der direkten Demokratie entschieden. Sie ist nach 1874 in verschiedenen Schritten stark ausgebaut worden, sodass sie die Bedeutung des Parlaments strukturell und in Policy-Fragen relativiert hat. Mit der Volkswahl des Bundesrates würde man dem Parlament nun auch die Wahlfunktion nehmen, womit nicht auszuschliessen wäre, dass das Parlament ganz zwischen Stuhl und Bank fallen würde, demokratiepolitisch eindeutig verantwortungslos.

3. Der erschwerte Minderheitenschutz

Volkswahlen der Regierung finden nach dem Mehrheitswahlrecht statt. Denn nur dieses legitimiert, im Namen der Mehrheit sprechen zu können. Entsprechend werden in aller Regel nicht Regierungen direkt gewählt, sondern das Präsidium. Die konsequente Anwendung des Mehrheitswahlrechtes auf nationaler Ebene für jedes einzelne Regierungsmitglied hebt konsequenterweise den Minderheitenschutz auf, oder aber schränkt über diesen das Mehrheitswahlrecht ein. Der Kanton Graubünden, als einziger Gliedstaat der Schweiz mit drei Regionalsprachen, hat ganz bewusst darauf verzichtet, den Sprachenproproz in die Volkswahl des Regierung einzuführen. Ohne das ist aber davon auszugehen, dass die deutschsprachige Schweiz – und mit ihr die Zürcher Optik – Volkswahlen der Bundesregierung dominieren müsste. Umgekehrt müsste man bei einem geregelten Minderheitenschutz müsste man klar sagen, wer in den Genuss kommen würde: nur die französischsprachige Schweiz? auch die italienischsprachige Schweiz? Und in welcher Zahl: je einen? zusammen zwei? Die Siebner-Zahl ist da nicht die einfachste.

Fazit
In der Tat kennt die Schweiz in den Kantonen die Volkswahl der Regierungen, kombiniert mit einem Parlament und direkter Demorkatie. Könnte man das nicht einfach auf die Schweiz übertragen? Meine Einschätzung lautet: eher Nein. Denn die Stabilität des Systems ist auch in den Kantonen nur gewährleistet, solange sich die grösseren Parteien untereinander an einen freiwilligen Proporz halten, der dem gleich, was wir im Bundesparlament haben. In den grösseren Kantonen werden in die Grenzen immer wieder sichtbar: Zürich, Bern, Waadt, Genf und Aargau kennen faktisch keine festen Schlüssel mehr für die Regierungszusammensetzung. Blöcke bilden sich, die bei Regierungswahlen gegeneinander antreten. Gesamtschweizerisch muss man klar Farbe bekennen: Wer die Volkswahl einführen will, will genau diese Polarisierung und verabschiedet sich von der politischen Konkordanz.

Claude Longchamp

Initiativprojekt zur Volkswahl des Bundesrates angekündigt

Die Zürcher Sektion der SVP greift mit der Volkswahl des Bundesrates eine Idee auf, welche die Mutterpartei im Jahre 2000 vorbereitet, dann aber fallen gelassen hatte. Sie will eine Volksinitiative, die es bei Annahme ermöglichen würde, dass die WählerInnen inskünftig Parlament und Regierung gleichzeitig wählen könnten.

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Alfred Heer, Zürcher Nationalrat und Präsident der SVP des Kantons Zürich, präsentierte das Projekt für die Initiative “Volkswahl des Bundesrates”

Die Forderung
Das Vorhaben für eine Volksinitiative sieht vor, dass der Bundesrat gleichzeitig mit den Nationalratswahlen von den Wahlberechtigten bestimmt würde. Die direkte Wahl der BundesrätInnen soll nach dem Mehrheitswahlrecht erfolgen und der lateinischen Sprachminderheit fest zwei Sitze garaniteren. Diese sollen nach dem Verfahren vergeben werden, das im Kanton Bern für die Bestimmung der fest gesetzten Vertretung des Berner Juras gilt.

Systemreform im Selbstverständnis der SVP
Das reaktualisierte Initiativprojekt wendet sich deutlich gegen andere Reformversuche des Bundesrates, etwa gegen die Ausweitung der Departementszahl, die unter einem Präsidenten durch MinisterInnen geführt würden, aber auch gegen die Stärkung des Präsidiums im jetzigen Gremium. Denn man möchte bei der knapp ausgestalteten Kollegialregierung bleiben, mit einem Präsidenten oder einer Präsidentin aus der Mitte der Mitglieder, jeweils für ein Jahr bestimmt.

Die SVP versteht ihren Reformvorschlag nicht als Schritt zu einem Präsidialsystem im amerikanischen Sinne. Vielmehr sieht es als Komplettierung des schweizerischen Sonderweges in der Demokratie-Entwicklung, die durch einen analogen Aufbau von unten nach oben bestimmt ist, und überall Volkssouveränität durch die Wahl von Parlament und Regierung, aber auch durch Abstimmungen über Sachfragen garantiert. Die jetzige Abhängigkeit der Regierung vom Parlament und nicht vom Volk betrachten die Gutachter für schlicht systemwidrig.

Recht offen kritisiert wird der Proporzgedanke für die Zusammensetzung der Bundesrates, weil er die Wahlfreiheit einschränke. Das hält man mit demokratischen Grundsätzen für unvereinbar. In solche Sätzen kommt denn auch der angestrebte Systemwechsel hin zu einer Konkurrenzdemokratie am klarsten zum Ausdruck.

Pikantes im Kleingedruckten
Etwas unbedacht wirkt in der gegenwärtigen Debatte über “Romand(e)s” das Kleingedruckte. Zur Regelung des Minderheitenschutzes hat man nämlich die lateinischen Gebiete der Schweiz aufgezählt. Dabei wird eine Zuordnung ganzer Kantone zu den Sprachregionen postuliert. Der Kanton Freiburg gilt demnach integral als Kanton der Romandie.

Das dürfte Urs Schwaller, möglicher Kandidat der CVP bei der anstehenden Bundesratswahl, freuen. In der Oeffentlichkeit wird bestritten, dass der deutschfreiburger Ständerat die Romandie vertreten können. Der diskutierte Initiativtext sähe hier keine Probleme. Ich werde mich umschauen, wie sich die SVP im Fall seiner Nomination verhält.

Claude Longchamp

Der Herbst der jetzigen Bundesratswahlen (Bundesratswahlen 2008/12)

Einen Tag vor der spannenden, aber auch unklaren Ersatzwahl für Bundesrat Samuel Schmid meldet sich der neue Zürcher Staatsrechtler Andreas Auer zu Wort. Im Tages-Anzeiger von heute kritisiert er das Regierungssystem, das unverändert die Züge von 1848 trage und nicht mehr zur heutigen Zeit passe. Er spricht sich für die Volkswahl der Regierung aus.

Andreas Auer, seit 2008 Professor für Staatsrecht an der Uni Zürich
Andreas Auer, seit 2008 Professor für Staatsrecht an der Uni Zürich

Die Wirren um die Nachfolge von Samuel Schmid gefallen dem Staatsrechtler nicht. Zwar nennt er die Uneinigkeit der Parteien nur vorsichtig als Grund, und auch die Medialisierung der Nomination wird eher zurückhaltend erwähnt. Doch sieht Auer in der Oeffnung der Bundesratswahlen über den Raum des Bundesversammlung hinaus ein Ungleichgewicht aufkommen: Das Volk, in der direkten Demokratie gewöhnt, alles zu entscheiden, wird in der zentralen Personenfrage auf Zuschauen zurückgebunden.

Andreas Auer spricht sich klar für die Volkswahl eines institutionell erneuerten Bundesrates aus. Hier seine zentralen Forderungen:

. Die Bundesregierung setzt sich inskünftig auf BundesrätInnen und MinisterInnen zusammen.
. Die Bundesräte werden vom Volk gewählt. Sie müssen die Landesteile repräsentieren nicht die Kantone. Der Bundesrat leitet die Geschäfte politisch.
. Das Parlament bestimmt die Minister, welche die Departemente führen.
. Die Zahl der Departement wird erhöht, um einen Grössenausgleich zu schaffen.
. Die Amtszeit wird generell beschränkt.

Auer stellt sich die Frage, warum die Volkswahl von Regierungen in den Kantonen klappen, beim Bund aber versagen sollen. Die Berechenbarkeit von Bundesratswahlen – bisher das wichtigste Argument für den Status Quo – entfalle nämlich zusehends. Und in den Kantonen werde mit ausgleichendem Wahlrecht und Wahlabsprachen unter den Parteien sehr wohl Rücksicht auf eine ausgewogenen partei- und regionalpolitische Zusammensetzung genommen.

Der Staatsrechtler attestiert, die voraussichtlichen Wahlkampfausgaben seien die Schwäche des Vorschlags. Sie müssten geregelt werden. Die Schwäche des heutige Systems sei, dass man, um der Ohnmacht der BürgerInnen Ausdruck zu verleihen, der Wahl der Regierung in Medien immer deutlicher mit obskuren Machenschaften in Verbindung bringe.

Das sei der Demokratie nicht würdig.

Claude Longchamp

“Samuel Schmid im Tief” oder “Keine Volkswahl des Bundesrates”

Am Samstag berichtete der “Blick” auf zwei Seiten über eine Umfrage von Isopublic zur Unterstützung der BundesrätInnen, insbesondere zum support von Bundesrat Samuel Schmid. Zusammengefasst wird das Ganze unter dem Titel: “Schmid verliert die Gunst des Volks”. Ich halte mal dagegen, denn der Titel zur Studie hätte heissen müssen: “Keine Volkswahl des Bundesrates”.

Die Brisanz ist klar. Bundesrat Schmid hat bei der Ernennung der Person des Armeechefs einen Fehler gemacht. Er hat das im Bundesrat und in der Oeffentlichkeit selber bestätigt. Der Bundesrat stützt ihn unverändert. In den Worten von Bundespräsident Couchepin ist das Ganze eine virtuelle Krise, – von den Medien entfacht. In der Bevölkerung werde Schmid genauso wie im Bundesrat getragen, so die präsidialen Worte.

Nüchtern betrachtet, legt die Umfrage von Isopublic drei Schlüsse nahe:

. Eine knappe Mehrheit will, dass der Bundesrat im Parlament gewählt wird.
. Eine knappe Mehrheit will, dass Schmid im Amt bleibt.
. Eine knappe Mehrheit misstraut dem VBS-Chef nach dem gemachten Fehler.

Selber gefragt, würde die Bevölkerung zwei Bundesräte nicht wiederewählen: Couchepin (FDP) und Schmid (BDP).

Diese Befunde gelten übrigens weitgehend auch für die einzelnen Parteien. Selbst bei der SVP findet die Aussage, Schmid solle im Amt bleiben, eine Zustimmung von über 50 Prozent.

Die mediale Verarbeitung der Umfrage erfolgte ganz anders. Der “Blick” drehte an der Schmid-Rücktritts-Schraube munter weiter. Ganz nach dem Motto: “Wer angeschlagen ist, darf man weiter schlagen!”

Eine saubere Analyse der Umfrageergebnisse hätte eigentlich einen anderen Schluss nahe gelegt: Die Volkswahl des Bundesrates hat in der Schweiz kaum Tradition. Für das Gros der Menschen in der Schweiz gilt: Die Wahl und Abwahl von BundesrätInnen ist Sache des Parlamentes. Denn gegenüber diesem Gremium muss sich ein Bundesrat in Sachfragen bewähren und die spezifische Unterstützung finden. In der Bevölkerung geht ist die Stimmung mal besser, mal schlechter. Die diffuse Unterstützung, die sich daraus ergibt, ist kein hinreichendes Kriterium die Aufstellung oder Abbestellung eines Bundesrates.

Unvoreingenommen hätte die Geschichte statt “Samuel Schmid im Tief” eigentlich “Keine Volkswahl des Bundesrates!” lauten müssen. Und das Interview hierzu hätte man mit Micheline Calmy-Rey führen sollen.

Claude Longchamp