Was man nach den letzten Umfragen zu den AHV-Abstimmungen weiss

Heute morgen erschienen die letzten wissenschaftlichen Umfragen zu den beiden AHV-Abstimmungen vom 3.März 2024.
Was man nun einigermassen gesichert weiss.


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Volksinitiative 13. AHV Rente

Vorlage: Diese Volksinitiative verlangt eine 13. AHV-Rente für alle, was einer Erhöhung der Rentenleistungen von 8.3% entspricht.
Polarisierung: Unter den Akteuren gab es eine Links/Rechts-Polarisierung, wobei einige kleine, konservative Parteien sich wie die Linke positionieren.
Die Initiative wurde von den Gewerkschaften lanciert. Sie geniesst die Unterstützung von SP und GPS, MCG und Lega. Sie sehen den Ausbau der AHV als Sicherung der Kaufkraft und Würde im Alter.
Dagegen sind der Bundesrat, die SVP, FDP, M, GPS und GLP. Die Kosten und das Verteilsystem sind die hauptsächlichen Kritikpunkte.
In solchen Fällen entscheiden Zentrums- bzw. parteiungabhängige Wähler:innen.
Meinungsbildung: Umfragen zeigten anfänglich eine Zustimmungsmehrheit bei allen Parteianhängerschaften. Das hat sich zwischenzeitlich geändert. Die bürgerlichen Reihen sind zwar nicht geschlossen. Doch stimmen die Mehrheiten ihrer Parteianhängerschaften nun wie die Parteiparolen. Klar im Ja sind Parteiungebundene. Das lässt auf ein insgesamt gespaltenes politisches Zentrum schliessen.
Der Prozess der Meinungsbildung ist fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen.
Konfliktmuster: Unterschiede im Stimmverhalten deuten sich nebst der Parteibindung auch entlang der Sprachregionen, des Einkommens und des Alters an.
Trends:Der Trend der Stimmabsichten verläuft wie bei einer linken Volksinitiative üblich vom mehrheitlichen Ja-Richtung Nein. Der Trend ist negativ, die Mehrheit bleibt aber zustimmend. Der Ausgang ist noch offen.
Argumente: Populärstes Argument auf der Ja-Seite ist die Verbesserung der finanzielle Lage der Pensionierten, da vieles teurer geworden ist.
Auf der Nein Seite haben die Kosten einer Annahme der Vorlage die höchste Zustimmung, gefolgt von der Kritik am Verteilprinzip.
Am meisten polarisiert ein Einzelargument der Nein-Seite. Es betrifft die unsichere Zukunft des AHV bei einem allfälligen Ja.
Abstimmungskampf: Gestützt wird der negative Trend durch einen deutlichen Nein-Ueberhang bei der Werbung (ausgewiesen 30:70) und einen wohl leicht negativen Medientenor. Eine detaillierte Analyse liegt da aber noch nicht vor.
Verstärkt wird dies durch die geschlossene Opposition der grossen Wirtschaftsverbände, die sich gegen die Gewerkschaftsinitiative gestellt haben.
Beteiligung: Jüngere Menschen wurde durch den Abstimmungskampf zusätzlich mobilisiert, ältere demobilisiert. Die vorläufige Stimmbeteiligung ist überdurchschnittlich hoch und steigt an. Sie wird final über 50 Prozent liegen. Einzelne Städte vermelden sogar rekordverdächtige Zwischenergebnisse.
Prognosen: Die Befragten gehen zu zwei Dritteln von einer Annahme der 13. AHV Rente mit 50-60% Ja aus. Das gilt auch für die Wettbörse 50plus1.
Gemäss Prognostiker Sebastien Perseguers gibt es ein knappes Ja mit 53% Zustimmung. In diesem Bereich kann das Ständemehr in beide Richtungen kippen.
Bei den Kantonen zeichnet sich eine Polarisierung zwischen zustimmendem Südwesten und ablehnendem Nordosten ab. Es dürften eine Rösti- und Polentagraben geben.
Entscheidender Kanton ist gemäss Perseguers Solothurn, allenfalls kommen Graubünden und Solothurn dazu. Gfs.bern sieht bei einem fifty-fifty-Volksmehr Solothurn im Ja, während Zürich, Graubünden, Schaffhausen, Glarus und Luzern unsichere Kippkantone sind. Davon brauche es zwei Ja für eine Annahme.
Rahmung: Bestimmt wird die Rahmung durch die Kontroversen zu den Bundesfinanzen. Die Schweiz muss nach Jahren über Ueberschüssen erstmals wieder sparen. Prominent vertreten wird diese Position von Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP). Gemäss Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider würde die Sanierung der AHV von 2019 resp. 2022 bei einem Ja. Mehrwertsteuererhöhungen wären gemäss Finanzministerin unvermeidbar. Die Initiantinnen bevorzugen allerdings erhöhte Abgaben von Arbeitgebern und -nehmern.
Bilanz: Meinungsforscher Michael Hermann wertet ein allfälliges Ja als Zeitwende in der Sozialpolitik. Noch nie habe eine gewerkschaftliche Initiative mittels Volksinitiativen eine Mehrheit bekommen. Würde sie bei einem Nein mehr als 41 Prozent Ja erhalten, wäre es trotzdem eine positiven Entwicklung der Zustimmung gegenüber 2016. Negative Trends in der Wirtschaftslage resp. bei der Glaubwürdigkeit zentraler Wirtschaftsorganisationen wären voraussichtliche Erklärungen.
Vergleichsabstimmung: 2016 stimmte die Schweiz über die vergleichbare AHV+ Initiative ab. Sie endete mit 41 Prozent Ja. Die letzte Umfrage von gfs.bern lag mit 40% Ja deutlich näher als jene von LeeWas mit 49%. Beide Serien zeigten aber einen Nein-Trend. Umfragenvergleich: Diese Einschätzung basiert im wesentlichen auf der letzten SRG Umfrage und weitere Materialien. Der 10. Februar (T-21) war der mittlere Befragungstag. Die gleichzeitig publizierte letzte Tamedia-Umfrage sieht es etwas positiver für die Initiantin. Der Trend ist aber in beiden Serien negativ.

Volksinitiative Rentenalter

Vorlage: Die Volksinitiative zum Rentenalter verlangt eine generelle Erhöhung des Eintrittsalters in die Pension mit 66. Danach soll es an die Lebenserwartung gekoppelt werden.
Polarisierung: Die Initiative wurden von den Jungfreisinnigen lanciert. Sie geniesst die Unterstützung von FDP und SVP. (Im Parlament stimmte die Mehrheit der SVP allerdings noch dagegen. Ihre Ja-Parole legte sie erst an der DV fest.)
Dagegen ausgesprochen haben sich die Linke (SP, GPS) und das Zentrum (M, GLP, EVP). Das entspricht eine Polarisierung durch rechtsbürgerliche Kreise gegen alle anderen, was für ein Nein spricht.
Konfliktmuster: Das Konflilktmuster sie eine Polarität zwischen rechtsliberalem Lager und allen anderen.
Meinungsbildung: Umfragen zeigten von Beginn weg eine ablehnende Mehrheit. Die Vorlage fand nur an der Basis der FDP eine Mehrheit. Das hat sich im Abstimmungskampf nicht geändert. Damit resultiert bei der SVP eine Elite/Basis-Differenz.
Der Meinungsbildungsprozess ist nicht abgeschlossen aber fortgeschritten.
Trends: Die Zustimmung sinkt über die Zeit, die Ablehnung steigt.
Argumente: Auf der Ja-Seite haben Vergleiche mit steigenden Trends beim Rentenalter im Ausland die höchste Zustimmung.
Auf der Nein-Seite ist das bei den ungleichen Möglichkeiten einer früheren Pensionierung entlang dem Einkommen der Fall.
Abstimmungskampf: Nichts genützt hat der eindeutige Werbeüberhang der Ja-Seite, gestützt durch die grossen Wirtschaftsverbände, hier allerdings ohne den Schweizerischen Bauernverband.
Beteiligung: Die vorläufige Beteiligung erscheint namentlich in den Städten überdurchschnittlich.
Prognosen: Die Befragten rechnen eindeutig mit einem Nein. Das ist auch bei der Wettbörse und den Prognostikern der Fall.
Profil: Die Entwicklung entspricht der normalen Meinungsbildung einer Minderheitsinitiative von rechtsliberaler Seite.
Bilanz: Unter 40 Prozent wäre für die kommende Diskussion des Rentenalter ein negatives Signal. Mehr würde Handlungsbedarf mit einem anderen Modell signalisieren.
Umfragenvergleich: Die beiden Umfrageserien sind hier in den wesentlichen Punkten identisch.

Unterlagen
Für die SRG arbeitete gfs.bern, für Tamedia LeeWas.
Berichte zum Vergleichen
gfs.bern: https://cockpit.gfsbern.ch/de/cockpit/srg_trend_03032024_w2/
LeeWas https://www.tamedia.ch/tl_files/content/Group/PDF%20Files/Deutsch/Bericht_3Welle_AbstMaerz24.pdf

Claude Longchamp