SP-Wahlanalyse: Lücken Mitte/Links aufarbeiten und selber füllen.

Am Samstag war bei der SP des Kantons Bern Wahlanalyse angesagt. Auf die Wahlen 2010 schaute man mit einem lachenden und weindenden Auge zurück. Die rotgrüne Mehrheit in der Regierung konnte gehalten werden; bei den Parlamentswahlen verloren SP und Grüne gemeinsam.

Irène Marti Anliker, die scheidende Präsidentin der SP im Kanton Bern, trug die Ergebnisse der internen Wahlanalyse vor. Ich übernahm den Part einer Einschätzung von aussen. In einigen Befunden und Interpretationen waren wir uns einig. Die SP hat ihren Wahlkampfauftritt nach 2007 verbessert. Er hat mehr Linie, ist visuell frischer, visiert Zielgruppen an, und macht ihnen ausgewählte programmatische Angebote. Die SP politisiert zudem aktiver auf einigen ihrer Kernthemen.

Darüber hinaus gingen die Einschätzung jedoch auseinander. Die ProtagnistInnen der Partei halten die bisherigen Positionen hoch und setzen internen Resigantionserscheinungen Durchhalteparolen entgegen. Denn angesichts der Krise neoliberaler Rezepte ist es für sie klar: Die Wähler und Wählerinnen werden früher oder später nach links schwenken, und die SP muss sich als führende Avantgarde für den erwartete Linksrutsch anbieten.

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Nicht nach links, sondern nach rechts polarisiert sich das politische Spektrum in den Unter- und Mittelschichten angesichts der Globalisierung, prognostizierte Herbert Kitschelt die politsiche Entwicklung in Europa schon vor langem; jetzt habe ich versucht, das der SP des Kantons Bern klar zu machen und daraus Folgerungen für die Parteientwicklung zu ziehen.

Meine Analyse unterscheidet sich genau in diesem Punkt. Im Gefolge der Untersuchungen des deutsch-amerikanischen Politikwissenschafters Herbert Kitschelt zu den Auswirkungen der Globalisierung auf die europäischen Parteien erwarte ich keine Links-, sondern eine Rechts-Entwicklung, wenn die Sicherheitsbedürftnisse der Unter- und Mittelschichten durch die nationalstaatliche Politik vernachlässt werden und die international ausgerichteten Obersichichten die Klimaerwärmung zuoberst auf ihre Politikagenda setzen. Polarisierungen zwischen linksliberalen und rechtsautoritären Ideologien sind zu erwarten, mit den Konsequenzen, wie wir sie 2007 schon erlebt haben: Es gewinnt die nationalkonservative SVP brschränkt auch die klar ökologisch ausgerichteten Parteien. Der SP gelingt es, anders noch als 2003, nicht mehr, im Wahlkampf eine tragende Rolle zu spielen und mit sozialen Fragen die reformorientierten Interessen gebündelt zum Wahlsieg zu führen.

Bei den Berner Wahlen haben sich die Probleme noch akzentuiert. SP und Grüne wurden durch Demobilisierungen geschwächt und verloren bisherige WählerInnen an die Grünliberalen. Die SP musste zudem herbe Verluste an die neue BDP hinnehmen. Das ist neu. Daraus abgeleitet habe ich versucht, die Grundstimmungen links der Mitte zu identifizieren. Vereinfacht ausgedrückt bin ich auf drei gekommen:

. auf den rotgrünen Mainstream,
. eine sozialliberale Strömung und
. eine sozialkonservative Strömung.

Die Politik der SP, so meine Sichtweise von aussen, konzentriert sich zu stark auf den linken Mainstream, der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Umweltpolitik aus einem Guss und mit Mitteln der staatlichen Interventionen angehen will. Zu wenig reflektiert wird in den linken Vorständen, dass man dabei in eine Finanzierungsfalle geraten ist, aus der man sich mit sozialverträglichen Budgetreduktionen retten will, ohne aber so die eigenen Reformprojekte verfolgen zu können. Die sozialliberale Strömung hat hier zwei Lehren daraus gezogen: das Oeko-Projekt ist gegenwärtig wichtiger als das soziale, und es soll nicht nur in und mit dem Staat, sondern vermehrt auch in und mit der Privatwirtschaft realisiert werden. Damit will man den Problemen der leeren Staatskassen ausweichen. Die sozialkonservative Strömung wiederum kritisiert die rosarote Sonnenbrille, mit der Modernisierungen beurteilt werden. Sie erwartet grössere Anstrengungen nicht nur bei wirtschaftlich flankierende Massnahmen zum Oeffnungsprozess, sondern auch beim gesellschaftlichen. Vermehrte Integrationspolitik in einer offenen Gesellschaft wird hier von linker Seite gefordert.

Eingebunden in Mehrparteienregierungen ist die SP heute noch in der Lage, ihre Positionen zu formulieren und Bündnisse aus sozialer Sicht mit liberalen oder konservativen Kräften einzugehen. Wenn es aber um Parlamentsarbeit geht, verharrt die Partei in einer akzentuierten Links-Position, ohne zu sehen, dass sie sich damit gesellschaftlich wie auch politisch immer mehr isoliert. Ihre Bindungsfähigkeit zu WählerInnen links der Mitte, die liberaler oder konservativen als der Mainstream sind, zu erhöhen, sehe ich als wichtigste Herausforderung der künftigen Basisarbeit. In der politischen Arbeit muss die SP zudem ihre Fähigkeit, thematische Allianz mit anderen Parteien bilden zu können verstärken.

Das bedeutet nicht, dass ich die SP inskünftig in der Mitte sehe, aber dass sie die Lücken füllt, die sich zwischen Links und der Mitte auftun. Eine offensive Position der SP hiesse, gar keinen Raum zu bieten, dass solches entstehen kann.

PS: Meine Rede ist am Montag abend hier abrufbar.

Die Zentrumspartei der Zukunft

Michael Hermann ist ein profilierter Kommentator der schweizerischen Parteienlandschaft. Sein neuester Vorschlag: Die Mitte in ihre Bestandteile zerlegen, um sie neu z formieren. Ich halte dagegen: Die Schweiz braucht nicht mehr, sondern weniger Parteien, darunter eine starke Zentrumspartei auf nationaler Ebene.

Die These
Für Hermann ist die Zukunft des schweizerischen Parteiensystems klar: Die Gewerbler in der FDP und CVP schliessen sich mit ihren Kollegen in der BDP zusammen. Der ökosozialliberale Flügel der CVP orientiert sich neu an der GLP. Von der FDP bleibt der wirtschaftliberale Block als Sprachrohr der globalisierten Oekonomie – und von der CVP nichts mehr!

Publizistisch passt der Knaller gut in die gegenwärtige Landschaft: Das Zentrum, wie es sich die CVP nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat erhoffte, hat letzten Herbst Schiffbruch erlitten. Seither mehren sich Wahlniederlagen für die CVP nicht nur in den Stammlanden, sondern auch im urbanen Gebiet. Besonders in der Stadt Zürich machte die glp der CVP einen dicken Strich durch die Rechnung.

Und dennoch zweifle ich an der Richtigkeit der Analyse. Ohne eine Partei wie die CVP ist die Politik in mehreren wichtigen Kantonen kaum denkbar. Das gilt auch für den Ständerat, wo die Fraktion der CVP entscheidet, ob sich bürgerliche Projekte durchsetzen oder schwarz-rot-grüne.

Die Gegenthese
Der Denkfehler ist die grenzenlose, parteipolitische Polarisierung. Diese hat die schweizerische Parteienlandschaft neu aufgemischt, läuft aber aus: Rotgrün gewinnt nicht, die SVP nur noch abgeschwächt. Zwar haben die katholisch geprägten, ruralen Politlandschaften einen Nachholbedarf gegenüber den reformiert-urbanen, wo der Freisinn in FDP, SP und SVP zerfiel. Das nützt gegenwärtig der SVP und den Grünen.

Die Zukunft von Parteien kann indessen nicht ausschliesslich soziologisch begründet werden: Wollen sie mehr als Wellenreiter mit raschem Auf und Ab sein, müssen sie auch ihre Position in den Regierungssystemen suchen und finden. Und diese funktionieren in der föderalistisch und direktdemokratisch geprägten Schweiz unverändert nach der Kooperation, nicht nach der Ausschliessung.

In einem politischen System, das auf Konkordanz ausgerichtet ist, braucht nach einer langen Periode der Polarisierung wieder mehr Mitte. Perspektivisch gesehen ist eine Zentrumspartei gefragt, die den Kräften rechts wie links Paroli bieten kann. Denn die Regierungspolitik muss von der Mehrheitsfähigkeit ausgehen, die sich bei keinem Pol abzeichnet. Und sie muss an der Umsetzung arbeiten, welche anders als der Aufriss von Problemen nicht die Stärke der nationalkonservativen und rotgrünen Parteien ist. Denn nur das garantiert bei thematisch offenen Entscheidungen politische Stabilität.

Das Projekt
Die Zentrumspartei der Zukunft muss die Funktion der CVP als ausgleichende Mitte wahrnehmen. Sie muss die binnenorientierte Wirtschaft der Schweiz repräsentieren, und sie muss die verschiedenen nationalen, ökologischen, sozialen und konservativen Strömungen gemässigter Natur mit markanten Köpfen einbinden.

Doch darf die Zentrumspartei der Zukunft nicht mehr auf der konfessionellen Spaltung der vergangenen Gesellschaft aufbauen, denn zerfallende Moral und leere Kirchen sind keine Vorbilder mehr.

In der Zentrumspartei der Zukunft haben lösungsorientierte WählerInnen von CVP, BDP und FDP Platz. 25 bis 30 Prozent sollten so zusammen kommen, und die neuen Partei sollte ein Ziel verfolgen: Je mehr es sind, desto eher wird ihr Projekt zum neuen Magneten in der schweizerischen Parteienlandschaft, an dem sich die anderen reiben müssen.

BDP: die neue politische Kraft im Kanton Bern

Die aussichtsreichste Position für die BDP in der politischen Landschaft ist, jedenfalls im Kanton Bern, im Zentrum. Eigeninteresse, Regierungssystem und WählerInnen-Basis sprechen dafür.

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Uebersicht über die WechselwählerInnen-Bewegungen bei den jüngsten Berner Grossratswahlen

Die BDP war bei den Berner Wahlen der grosse Sieger. Sie errang 16 Prozent der Stimmen und 25 der 160 Sitze im Grossen Rat. Und im Regierungsrat ist sie weiterhin vertreten, neu mit Beatrice Simon. Damit sicherte sie nicht nur die Uebertritt von der SVP im Jahre 2008 ab; die jüngste Partei im Kanton Bern legte nochmals kräftig zu.

Die aussichtsreichte Position für die BDP in der politischen Landschaft ist, jedenfalls im Kanton Bern, im Zentrum. Dafür sprechen drei Gründe:

Eigentinteresse: Die BDP ist als Abspaltung der SVP entstanden. Sie kann die Rolle der “anständigen SVP” einnehmen und sich nur unwesentlich daneben platzieren; dann dürfte die BDP den Ruf nicht los bekommen, kaum eine Alternative im bürgerlichen Lager zu sein. Positioniert sie sich dagegen im Zentrum, spricht links der FDP und in der Nähe der CVP, hat sie eine Chance, eine eigene Kraft zu werden. Insbesondere im Kanton Bern, wo es keine namhafte CVP auf dieser Position gibt, und auch EVP und glp kein Ersatz dafür sind, besteht das grösste Vakuum in der Mitte.

Regierungssystem: Dafür spricht auch, dass die BDP sowohl mit SVP und FDP eine bürgerliche Mehrheit im Grossen Rat hat. Anders als die FDP kann sie aber auch mit SP, Grünen und EVP eine solche herstellen. Damit ist sie die Scharnierpartei zwischen Regierung und Parlament, die andere Mehrheiten kennen. An ihr liegt es, dass es zwischen den beiden wichtigsten Instanzen der politischen Meinungsbildung eine systematische Blockade vermieden werden kann.

Wählerbasis: Schliesslich kann man auch auf die heterogene WählerInnen-Basis der BDP verweisen, um die These zu begründen. Die SVP und FDP haben ihre elektoralen Grundlagen geklärt und sie dabei eher nach rechts gerückt. Sie verloren Wählende gegen das Zentrum, insbesondere an die BDP. Sie hat aber auch bei NichtwählerInnen gewonnen, bei Wählenden der kleinen Zentrumsparteien zugelegt, und – das ist entscheidend – auch bisherige Wähler und Wählerinnen der SP für sich gewinnen können. Das ist einerseits durch die Parteigründung, anderseits durch den zurückliegenden Wahlkampf geschehen.

Die BDP hat das Potenzial, sich neu als dritte Partei im Kanton Bern zu etablieren und das Feld zwischen SVP und SP erstrangig zu besetzen. National wird das schwieriger sein, denn einige der Voraussetzungen sind da im gleichen Masse nicht gegeben. In einem Kanton muss aber anfangen, was dereinst auf nationaler Ebene blühen soll.

Experiment www.bernerwahlen.ch

Es war ein spannendes Experiment, über die Ergebnisse zu den Berner Regierungswahlen in einem eigens hierfür errichteten Blog zu berichten.

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Kurzanalyse der FDP: Splitterbruch würde man in der Medizin sagen, denn die FDP verliert Wählende in alle Richtungen.

www.bernerwahlen.ch ging erst letzte Woche ins Internet. Ziel war es, eine Plattform zu etablieren, für Wahlergebnisse und -analysen zum Kanton Bern. Die Regierungs- und Grossratswahlen bildeten den Auftakt, die Stände- und Nationalratswahlen 2010 geben eine weitere Gelegenheit ab.

Das Mandat für eine Hochrechung zu den gestrigen Wahlen, welches das Institut für Politikwissenschaft und das Forschungsinstitut gfs.bern acquirierten, gab den Anstoss für die Plattform.

Die Nutzung übers Wochenende gab uns recht. 4200 Besuche verzeichneten wir alleine gestern. Rund 1000 waren es in den Tagen davor, fast ebenso viele heute. Die besten Beiträge während der Hochrechnung wurden 500 bis 700 Mal in einer halben Stunde angeclickt. Selbst zoonpoliticon profitierte durch Verlinkung. Am Sonntag wurden 2500 Besuche registiert. Das alles sind Zahlen, die sich sehen lassen können.

Sichtbarstere Verlierer der Grossratswahlen sind die FDP und die SP. Der Neuaufsteiger ist die BDP, gefolgt von der GLP. Dazu haben wir erste Analysen zu Wählerströmen gemacht. Sie zeigen das die BDP von fast allen Parteien WählerInnen aufnahm und von Neumobilisierten profitierte. Schliesslich haben wir untersucht, wie die Blöcke bei den Regierungsratswahlen gespielt haben, und welche Bedeutung die Unterstützung ausserhalb dieser für den Wahlerfolg bei den Exekutivwahlen hatte.

Quintessenz hierzu: Barbara Egger-Jenzer und Beatrice Simon hatten jeweils die geringste Blockunterstützung. Die beiden Frauen in der Berner Regierung markieren also die deutlichsten zur Mitte und ins andere Lager tendierenden PolitikerInnen.

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Wer heute morgen das Berner Rathaus betrifft, sieht schon Zahlen für den Ausgang der Regierungsratswahlen. Doch gibt es keine Namen dazu. Der beste Moment um die Auslegeordnung zu machen.

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Was ist heute möglich? 4 Bisherige aus dem rotgrünen Lager treten gegen 2 Bisherige und 3 Neue von bürgerlicher Seite an. Zudem gibt es noch 7 weitere BewerberInnen, doch werden ihnen kaum Chancen eingeräumt. Vereinfacht ausgedrückt gibt es drei Szenarien, die auch der Analyse der Hochrechungen zugrunde liegen. Hier sind sie:

Szenario 1: 5 Rechte, 2 Linke oder “Totaler Sieg der vereinigten Bürgerlichen”:
Alle 5 KandidatInnen aus SVP, FDP und BDP werden gewählt. Der Jura-Sitz wechselt so automatisch nach rechts. Es scheitert aber auch ein zweiter linker Regierungsrat. Am ehesten wird erwartet, dass es SP-Volkswirtschaftsdirektor Rickenbacher treffen könnte. Weniger wahrscheinlich ist, dass dies der Grüne Pulver oder die SP-Frau Egger wäre.

Szenario 2: 4 Rechts, 3 Linke oder “Sieg der vereinigten Bürgerlichen”:
Ein Bisheriger aus dem linken Lager wird abgewählt. Grundsätzlich gibt es hierfür zwei Varianten: Die erste lautet, dass der Jura-Sitz von SP-Perrenoud an Astier von der FDP geht. Die zweite geht von einer Abwahl einem oder einer der drei linken RegierungsrätInnen aus dem Restkanton ab. Am ehesten dürfte wiederum Rickenbacher betroffen sein. Die drei übrigen aus dem bürgerlichen Lager können sich verschieden zusammensetzen: Rein von der Parteienstärke wären noch 2 SVP und 1 FDP zu erwarten. Nicht auszuschliessen ist aber auch je eine Vertretung aus den drei Parteien des Lagers, wobei es bei der SVP grundsätzlich beiden Bewerbern gelingen kann, gewählt zu sein. Und ebenfalls nicht ganz unmöglich ist, dass die BDP die FDP verdrängt, und nebst der SVP in die Berner Regierung einzieht.

Szenario 3: 4 Linke, 3 Rechte oder “Sieg der vereinigten Linken”:

Alle Bisherigen von rotgrüner Seite werden wieder gewählt, womit die Linke ihre Mehrheit in der Regierung erfolgreich verteidigt. Die bürgerliche Wende bleibt ganz aus. Für ihre drei Gewählten gilt die gleiche Auslegordnung wie in der zweiten Variante des zweiten Szenario.

Szenarien sind keine Wunschprogramme; sie basieren auf Wahrscheinlichkeiten. Szenarien sind keine direkte Prognose. Zwar trifft wohl eine hier skizzierten Varianten heute ein. Welche es ist, weiss man nicht; letztlich kann man nur spekulieren, wie das gegenwärtig im Wahlbistro geschieht. Doch wird man bald mehr wissen.

PS:
Eingetroffen ist das dritte Szenario, bei der Verteilung im bürgerlichen Lager bekam jede Partei einen Sitz. Bei der SVP setzte sich der Bisherige gegen den Neuen durch. Im Wahlbistro hat einzig Harald Jenk richtig getippt. Gratulation!

Mauluege …

Würden Sie ihn wählen? – Ganz sicher bin ich mir jedenfalls nicht …

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John Antonakis, Professor für Leadership, betätigt sich als Wahlprognostiker

“Die sechs Bisherigen und die Simon.” Das ist die Wahlprognose von John Antonakis, Marketingprofessor an der Universität Lausanne. Seit kurzem prognostiziert er Wahlausgänge, vor allem aufgrund der Wahlwerbung.

Seine Begründung: Was wir über Politik wissen, entnehmen wir nicht mehr unserem Alltag, sondern den Medien. Mit der Medialisierung treten Taten und Fähigkeiten jedoch in den Hintergrund, derweil das Imagemanagement wichtiger wird.

Die Bernerzeitung lud John Antonakis ein, eine seiner Wahlprognosen zu erstellen. Denn Antonakis behauptet, das Geheimnis des Wählens entdeckt zu haben. Das Aussehen in der Werbung sei entscheidend, denn im Schnellentscheid wollen wir uns wiedererkennen; korrigiert werde es durch die geleistete politische Arbeit, wenn sie frei von Skandalen sei.

In sieben von zehn Fällen funktioniere das, bilanziert Antonakis. Das heisst auch, dass man sich in 2 von 7 Angaben täuschen kann. Nämlich dann, wenn sich die WählerInnen doch eine Meinung bilden, die mehr als “20 Minuten” in Anspruch nimmt. Wie bei den Neuenburger Regierungsratswahlen, wo der von Antonakis topgesetzte Gesundheitsdirektor trotz der äusserlich gewinnender Merkmale für seine Spitalpolitik abgesetzt wurde.

Mal sehen, wo der Marketing-Professor bei den Berner Wahlen recht und wo er sich irrt, denn ganz so eindeutig ist seine Prognose nicht, wie man beim Schnellesen meinen könnte. Im Test beurteilten 102 StudentInnen die Fotos der RegierungskandidatInnen hinsichtlich Führungskraft, Intelligenz und Kompetenz. Danach machten 236 Studierende mit, die erfuhren, wer bisherig ist und wer für den Jurasitz kandidiert. Das Ergebnis: Für den Jurasitz kürten sie Perrenoud vor Zuber und Astier, des Weiteren wählten sie in dieser Reihenfolge: Pulver, Käser, Simon, Jost, Neuhaus, Egger, Rickenbacher und Rösti.

Ohne die nicht ganz nachvollziehbare Korrektur des grossen Zampanu würde also der bisherige SP-Volkswirtschaftsdirektor Andreas Rickenbacher scheitern, und der neue Sunnyboy EVP-Kandidat Marc Jost in die Regierung einziehen. Das könnte auch ganz einfache Erfahrung und nicht Methode sein.

PS:
Volltreffer! Aber nur in der interpretierenden Uebersicht. Im Experiment lag ja offenbar Jost vorne, wurde aber nicht gewählt. Und Rickenbacher, dem man schlechte Karten nachsagte, erreichte das drittbeste Resultat.

Wetten, dass … die BDP am meisten zulegt!

Wer gerne auf Wahlergebnisse wettet, kann das im Freundeskreis tun. Dann geht es meist um eine Flasche guten Wein oder ein Nachtessen. Oder man kann sich auch auf Wahlfieber im Internet einloggen, Geld frei geben, und mit anderen Interessierten über Sieger und Verlierer von Wahlen spekulieren. Wer dem Ergebnis am genauesten kommt, räumt ab, die anderen zahlen.

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Typischer Verlauf für eine neue Partei im Prognosemarkt: Bis das Gleichgewicht gefunden ist, gibt es starke Ausschläge; danach etablierte ein recht konstanter Wert von 9-10 Prozent für die BDP.

Zu den Berner Parlamentswahlen haben die Wettprofis eindeutige Bewertungen entwickelt:

Erstens, grosser Sieger wird die BDP sein.
Zweitens, die GLP wird als kleiner Gewinner hervorgehen.
Drittens, alle anderen Partei(gruppierungen) werden an die beiden neuen Parteien verlieren.

Die anonyme, virtuelle Wettgemeinschaft hat ihre Bewertungen erst im Verlaufe des Wahlkampfes entwickelt. Einen Tag vor der Wahl sieht sie die BDP bei 9.9 Prozent WählerInnen-Anteil. Die GLP kommt demnach auf 4.0 Prozent. Die grössten Verluste werden mit -3 Prozentpunkten der SVP nachgesagt. Je rund 2 Prozent es bei der SP, den Grünen und der FDP. Gleich hohe Verluste werden bei den drei konfessionellen Parteien insgesamt erwartet.

Damit würden sowohl das bisherige bürgerliche Lager wie auch das gewohnte rotgrüne Lager geschwächt. Die Mitte würde wohl stärker, wenn sich BDP und GLP da einreihen, aber auch pluralistischer. Der BDP könnte auf Anhieb eine Leadrolle zufallen, namentlich dann, wenn sie als einzige Partei aus dem Zentrum in der Regierung vertreten sein sollte. Dazu äusserten sich die Wettbrüder und -schwestern in ihrem Spiel “Wetten, dass …” übrigens nicht.

Die für Berner Wahlen erstmals realisierte Wahlbörse ist bis heute abend noch offen … und kann morgen Abend erstmals auch evaluiert werden!

PS:
Auch hier stimmt das Gerüst der drei Kernaussagen. Die BDP übertraf aber die diesbezüglichen Erwartungen der Wettgemeinschaft klar. Und FDP/SP schnitten klar schlechter als erwartet ab. Den Wählerrückgang enger begrenzen konnte dagegen die SVP.

Terminplan Hochrechnung Berner Regierungsratswahlen 2010

Am Sonntag 28. März 2010 wählt der Kanton Bern seine Behörden neu. Zu den Regierungsratswahlen führen das Institut für Politikwissenschaft und das Forschungsinstitut gfs.bern gemeinsam eine Hochrechnung für Telebärn und Radio Capital FM durch.


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Hier der Terminplan für den Sonntag Nachmittag:

14 00 Beginn der Berichterstattung mit einer ersten Einschätzung des möglichen Wahlausgangs
ab 15 00 (allenfalls schon 1430) Hochrechnung mit halbstündiger Aufdatierung
ca. 18 00 Endergebnis zu den Regierungsratswahlen

Die Hochrechnungsergebnisse werden von Lukas Golder vom gfs.bern auf den Sendern präsentiert und von Prof. Adrian Vatter mit Matthias Lauterburg analysiert. Die Ergebnisse der Hochrechnung werden mit 10 Minuten Verzögerung auf www.bernerwahlen.ch aufgeschaltet. Hier wird Claude Longchamp die vorläufigen Ergebnisse zu den Regierungsratswahlen aus der Hochrechnung auf Internet kommentieren.

Am Montag abend 18 00 wird eine Zusammenfassung der Erstanalyse der Regierungsrats- resp. der Grossratswahlen auf dem gleichen Blog aufgeschaltet.

Die Berner SVP vor der grössten Herausforderung ihrer Geschichte

10 Siege, 3 Niederlagen erlebte die SVP in den kantonalen Wahlen seit der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat. Was sind die Aussichten für die Berner SVP bei den anstehenden den kantonalen Wahlen?

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Mehr Siege, aber auch Niederlagen seit 2007
In Nidwalden kam es am 7. März 2010 zu einem eigentlichen Erdrutschsieg für die SVP. In der Kantonsregierung hat sie jetzt 2 von 7 Sitzen, und im Kantonsparlament steigerte sie sich von 18 auf 32 Prozent. In der Analyse, die Christoph Blocher vor der Bundeshausfraktion hielt, gibt es hierfür einfache Erklärungen. Die Partei rücke die klassischen SVP-Themen ins Zentrum, und sie politisiere gerade auch im Landrat mit einer klaren Linie. Das erscheint dem Vizepräsidenten gerade in Neuenburg nicht der Fall. Gerne grenze man sich zur Mutterpartei ab, und man pflege die Themenvielfalt. Die Kantonsregierung werde nicht angegriffen, sodass man bei den Wahlen ins Kantonsparlament soviel verlor wie sonst nirgends.

Das Schema des (Miss)Erfolgs
Das Schema des (Miss)Erfolgs ist damit einfach; es folgt ganz dem Schwarz/Weiss-Denken eine Polpartei:

Wer programmatisch mit der nationalen SVP politisiert gewinnt, wer sich abgrenzt verliert.
Wer die anderen Parteien angreift, wird belohnt, wer Rücksicht auf die Regierungsmehrheit nimmt, den bestraft der Wähler.
Wer eine klare Linie verfolgt, ist auf der guten Seite, während jene, die eine Vielfalt anbieten, auf der schlechten sind.
Wer den Auftritt pflegt, holt Pluspunkte, wer sich mit sich selber beschäftigt, bekommt einen Malus.

Die Beurteilung der Berner SVP
Mit der Abspaltung der Exponenten, die zur BDP gewechselt haben, ist ihre Orientierung an der Regierungspolitik zurück gegangen. Doch ist die Partei gerade auf Gemeindeebene viel zu stark ein Teil des Staates, um eine wirkliche Opposition zu sein.
Die Attacken auf andere Parteien pflegen namentlich die jungen SVP-Vertreter. Ausser gegenüber der BDP erscheint die Berner SVP indessen nicht als besonders angriffig.
Im Auftritt hat man vor allem beim mediengerechten Positionsbezug hinzu gelernt und das Klotzen aus den nationalen Kampagnen kopiert, kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass man aufgrund der Parteispaltung am Wundenlecken ist.
Und auch in programmatischen bleibt die Bilanz durchzogen: In Steuer- und Ausländerfragen ist man meist auf nationalem Kurs, in der Europapolitik resultierte nicht selten eine moderatere Linie.

Die Charakteristik der kantonalen Parteilandschaften
Vor allem fehlt im Kanton Bern eine CVP, die vormals die führende Partei war, deren national und konservativ gestimmte Wählerschaft das Wechselspiel zwischen rechts und links auf der nationalen Ebene jedoch nicht mehr versteht. Denn das ist die wichtigste Gemeinsamkeit der grossen SVP-Wahlsiege in der Inner- und Ostschweiz.

Da gleicht die Situation eher der im Thurgau, Aargau oder im Schaffhausischen, wo man stark ist oder war, zwischen Zustimmung und Ablehnung der nationalen Parteilinie schwankt, und wo die eigenständige Profilierung der Partei an der Nähe zum Staat erschwert wird. Hinzu kommt, dass man in Bern gleich wie in Graubünden und Glarus von der BDP bedrängt wird, auf dem Land eher Stand halten kann, in den urbaneren Gebieten aber machtlos der Entstehung einer neuen politischen Kraft zusehen muss.

Sieg und Niederlage sind da nahe beieinander. Das erlebte die Berner SVP 2007 als sie bei den Nationalratswahlen erstmals zulegte. Und nur ein Jahr später musste sie die Abspaltung der BDP hinnehmen. Am Sonntag könnte dies alles bei den Regierungsratswahlen gewisse Früchte tragen, bei den Parlamentswahlen aber auch den historischen Tiefststand in der Wählerstärke bringen.

Wer wo steht: Berner RegierungratskandidatInnen im Themenvergleich.

Bern wählt am 28. März 2010 eine neue Regierung. Wer von den Kandidaturen steht wofür? smartvote hilft, sich hier einen raschen Ueberblick zu verschaffen.

Positionierung der Berner Regierungsratskandidaturen nach smartvote
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Die KandidatInnen für die Berner Regierungsratswahlen von links nach rechts: Philippe Perrenoud (SP), Barbara Egger-Jenzer (SP), Bernhard Pulver (Grüne), Andreas Rickenbacher (SP), Maxime Zuber (PSA), Patrick Gsteiger (EVP), Joseph Rothenflue (parteilos), Bruno Moser (parteilos), Marc Jost (EVP), Alexandra Perina-Werz (CVP), Beatrice Simon-Jungi (BDP), Marc Früh (EDU), Hans-Jürg Käser (FDP), Sylvain Astier (FDP), Christoph Neuhaus (SVP) und Albert Rösti (SVP).

Regierungsratswahlen nach dem Mehrheitswahlrecht gelten im Volksmund als Persönlichkeitswahlen. In der Tat wählt man Personen, doch bei der Auswahl spielt die Partei- oder Blockzugehörigkeit die grösste Rolle. Es kommen die Bekanntheit hinzu, wohl auch Regionalaspekte. Dank smartvote weiss man heute besser den je, wer thematisch wo steht.

Das Sozialstaats-Rating polarisiert zwischen dem SP-Regierungsrat Philippe Perrenoud und dem SVP-Kandidaten Albert Rösti. Wenn es um Umweltfragen geht, steht der bisherige Grüne Bernhard Pulver frontal zu Albert Rösti. Am geringsten ist die Polarisierung bei Themen der gesellschaftlichen Liberalisierung. Hier markiert Barbara Egger-Jenzer, die jetzige SP-Regierungsrätin, den liberalen Pol, und der konservative wird durch Christoph Neuhaus, dem gegenwärtig einzigen SVP-Regierungsrat markiert. Handelt es sich um ein Thema der wirtschaftlichen Liberalisierung, geht Hans-Jürg Käser, der FDP-Mann im Regierungsrat voran, und es blockt Barbara Egger-Jenzer. Bei Finanz- und Steuerfragen will Bernhard Pulver am meisten bremsen, während Albert Rösti am heftigsten Gas geben möchte.

Im zweidimensionalen Raum, der bei smartvote normalerweise zur Verortung von KandidatInnen dient, ist Philippe Perrenoud der am klarsten links positionierte Regierungsrat, während Albert Rösti am deutlichsten rechts steht. Er ist gleichzeitig auch der konservativste, während Patrick Gsteiger von der EVP als liberalster erscheint.

smartvote gibt keine Hinweise, wer welche Chancen hat, (wieder)gewählt zu werden. Es macht aber die klare Blockbildung auf linker Seite klar, die höher ist als am rechten Pol. Und es hilft auch, das individuelle Themenprofil der Bisherigen und der Neukandidierenden einiger Massen zuverlässig, vor allem aber übersichtlich zu vermitteln. Das eigentlich sollte die Personenentscheidungen bei den Berner Regierungsratswahlen erleichtern – und damit auch befördern.