Mein Spinnennetz

Sieben BundesrätInnen hat die Schweiz – und sieben medienwirksame PolitikwissenschaftInnen. Das jedenfalls suggeriert die Bernerzeitung mit ihrem heutigen Rating (Bericht auf newsnetz, Rating selber leider nicht) zu unserer Berufsgilde unter dem Titel “Das Schattenregime der Politologen”.

Top_Politologe

Die Auslegeordnung, die BZ-Journalist Jürg Steiner mitten im Wahlkampf riskiert, liesst sich gut. Denn sie kommt im richtigen Moment, und sie ist nicht ohne Augenzwinkern gemacht. Verwendung findet nämlich das Spinnennetz von smartvote, das Instrument also, das Politwissenschafter gebrauchen, um Politiker zu bewerten, ausser dass nun der Medienschaffende die Politologen bewertet.

Als “Vermessener” danke ich zuerst: Denn selten wurden die Kriterien, nach denen wir PolitologInnen in der Praxis von JournalistInnen taxiert werden (können), so klar und deutlich offen gelegt, wie in diesem Zeitpunkt-Beitrag. Und selten konnte man sich so klar in Beziehung setzen zu den medialen Mitbewerbern.

So entnehme ich den Spinnennetzen, Wissenschaftlichkeit, Prägnanz, Unterhaltungswert, Originalität, Parteilichkeit, Geschwindigkeit, Relevanz und Präzision sind von journalistischem Belang, um im Wahlkampf an unsere Gilde zu gelangen. Ich weiss jetzt auch, dass Michael Hermann in Sachen Geschwindigkeit, Prägnanz und Wissenschaftlichenkeit besser sei als ich, Regula Stämpfli wieder origineller und unterhaltsamer, und Adrian Vatter präziser. Meine Gesamtbilanz ist durchaus robust, und ich selber werde, was mich freut, als der relevanteste taxiert!

Doch: Warum fehlt Andreas Ladner, der Politologe von TeleZüri, auf der Liste, kommt dafür Hans Hirter vor, der Pensionär. Und warum ist die Verständlichkeit unserer Analysen kein Beurteilungskriterium? Schliesslich: Was macht es aus, das Politgeograf Hermann für einen Medienschaffenden der wissenschaftliste Politologe ist? Zu gerne würde man auch solches erfahren, denn die BZ kritisiert unsere Berufsgilde mitunter wegen mangelnder Transparenz – ohne selber offen zu legen, wie sie zu ihren Schlüssen kommt.

Als “Doyen des politologischen TV-Auftritts” erlaube ich mir eine Methodenkritik: Sieben der acht Kritierien im Rating sind so ausgerichtet, dass es positiv ist, je mehr Ratingpunkte man bekommt. Beim achten versagt diese Logik. Es betrifft die Parteillichkeit, bei der Regula Stämpfli in der BZ auf den Idealwert kommt, dafür aber regelmässig gescholten (und bisweilen auch geschnitten) wird! Und so frage ich: Sollen wir parteilich oder unparteileich sein? Das ist nicht nur ein rhetorisches Nachhaken: Die Erwartung des Publikums ist nämlich durchwegs “unparteilich”, die der JournalistInnen nicht wirklich – nicht zuletzt, damit sich die VerfasserInnen von Artikeln oder Interviews dahinter verstecken zu können, wie Roger Blum, emeritierter Professor für Medienwissenschaft, einst so treffend analysierte.

Damit bin ich beim springenden Punkt: In den meisten Zusammenhängen, in denen ich beispielsweise medial zitiert werde, stützen sich Medienschaffende entweder (ohne Nachfrage) auf ältere Aussagen, die in ihrer Mediendatenbank abgelegt sind, oder auf Antworten zu Fragen, welche sie selber formuliert haben. Da kann man nur mitmachen oder absagen; Einfluss nehmen auf die Stossrichtung kann man kaum. Nur im Ausnahmefall setzen wir mit Studien oder Essays die Themen oder Argumente, die schliesslich vermittelt werden. Die Macht der PolitologInnen kleiner als die Macht der Berichte über sie.

Eines sollte man nicht übersehen: Die “Parade der Politologen” wird nicht durch die Politwissenschafter organisiert, sondern von den Medienhäuser bestimmt. Die MedienpolitologInnen sind deshalb auch “Schattenregime”, sondern IndividualistInnen mit Rivalitäten, die sich nie koordinieren werden, um gemeinsame Positionen zu vertreten!

Ueberhaupt: Die “heimliche Macht”, die uns der Aushang unterstellt, kann nur ausserhalb von Oeffentlichkeit entstehen – basiert Macht auf Oeffentlichkeit, wie das bei der Medienpolitologie per definitionem der Fall ist, ist sie nicht heimlich.

Claude Longchamp