Voranalysen der Zürcher Kantonsratswahlen 2011 im Vergleich

In vier Wochen wählt Zürich, der bevölkerungsreichtste Kanton der Schweiz, sein Parlament neu. Was sagen die Analysen zu Wahlabsichten und Gewinn-/Verlust-Erwartungen einen Monat vor dem entscheidenden Moment?

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Wird am kontroversesten eingeschätzt: BDP gemäss Wählbörse Sieger, gemäss Wahlbefragung irrelevant

Die Börse auf “Wahlfieber” ortet 30 Tage vor der Wahl zwei Sieger: die BDP und die Grünliberalen. Sie liegen, abgesehen von Tagesschwankungen, bei 5 resp. 8 Prozentpunkten. Bei der BDP sind das lauter Gewinne, denn die Partei tritt in Zürich erstmals zu Wahlen an. Bei der GLP, der zweitjüngsten Partei würde das ein Plus von 2 Prozentpunkten bedeutet.

Bei der FDP des Kantons Zürich ist an der Wahlbörse von Stabilität die Rede. Wie bei letzten Wahlen wir ein Wert von 16 Prozent erwartet. Erheblich wären die Rückgänge bei SVP und CVP, beschränkt bei Grünen, EVP und SP, wen die Wettgemeinschaft Recht hat.

Faktisch erwartet man bei den Börsianern, dass es unter den kleinen Mitte-Parteien eine Umgruppierung gibt, während die Linke und Rechte etwas schwächer würde.

Dem widerspricht die bisher einzige Wählerbefragung, von Isopublic für verschiedene Zürcher Medien realisiert. Sie hielt vor drei Wochen einen Rechtsruck fest, mit Gewinnen insbesondere für die SVP. Die GLP hätte gehalten oder leicht zugelegt, die FDP wäre stabil. Kaum messbare Gewinne würden für die BDP resultieren.

Verluste in den frühen Wahlabsichten gab es für die EVP, in beschränktem Masse auch für die Grünen, die CVP und die SP. Hier werden auch Angaben für die Kleinparteien gemacht, die gleich blieben, oder wie die AL minimal zugelegt hätte.

Beide Instrumente sind nicht gleich: Die Wahlbefragung versucht, anhand eines repräsentativen Ausschnitts aus der Bevölkerung, Aussagen über die jeweils aktuellen Entscheidungen zu eruieren, während die Börse Erwartungshaltungen über Gewinne und Verluste unter Wettfreudigen vergleicht.

Internationale Erfahrungen zeigen, dass beide Instrumente in der Regel besser sind als ExpertInnen-Urteile oder Schätzgleichungen, die Wirtschaftslage, Regierungspopularität und ähnliches modulieren. Welche von beiden Tools das bessere ist, kann man nicht generell feststellen, nur fallweise überprüfen.

Claude Longchamp

Luftschlösser, Stimmungslagen und Strategieüberlegungen

In der Luft liegt eine Mitte/Rechts-Regierung” titelte der “Sonntag”. Er berief sich dabei auf die “Strategie 51 Prozent” von Nationalrat Ulrich Schlüer. Einige Nachgedanken zwischen Luftschlössern und Strategiedenken.

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Zunächst zum Brauchbaren: Der Artikel von Othmar von Matt beschäftigt sich mit dem Ausgang der Parlamentswahlen 2011. Zitiert werden die offiziellen Wahlziele der SVP, vermutet wird aber auch eine “versteckte Agenda”. Der neue Geheinplan beinhalte verschiedene Spielarten einer Mitte/Rechts-Regierung, die samt uns sonders auf die Brüskierung der SP als Regierungspartei ausgerichtet seien. Erwähnt werden 4 Szenarien.

Szenario Bruch: Demnach verliert die SP Ende Jahr bei Bundesratssitze an die bürgerlichern Parteien.
Szenario Bestrafung: Demnach verliert die SP einen Bundesratssitz an die SVP.
Szenario Schwächung: Demnach verliert die SP einen Bundesratssitz an die Grünen
Szenario Status Quo: Demnach koalieren SVP, FDP und SVP, um die SP im Bundesrat regelmässig ins Leere laufen zu lassen.

Letzteres ist auch heute möglich. Es scheiterte stets am gemeinsamen Willen der bürgerlichen Parteien und ihrer BundesratsvertreterInnen, die sich sachpolitische Freiheiten ausbedingen.

Dann zum Unbrauchbaren: Das Luftschloss “Subito 51 Prozent für die SVP” unterliegt einem verbreiteten Denkfehler. Nur wenn das bürgerliche Lager gemeinsam zu Lasten von Rotgrün wächst, wäre eine eigentlicher Regierungswechsel angezeigt.

Solange die SVP aufgrund von Fusionen mit Kleinparteien zulegt, muss sie eine klaren Rechtskurs halten, was ihre Regierungsfähigkeit im Schnittfeld zwischen Oppsitionspartei in Migrationsfragen und Regierungspartner in Wirtschaftsfragen schwächt. Und wenn die auf Kosten der bürgerlichen Parteien zulegt, erschwert sie die Zusammenarbeitsmöglichkeiten mit ihnen, denn man befindet sich im Rollenkonflikt, Konkurrent zum Partner zu sein. Da hat der Luftschlossherr Schlüer recht: Das kann man nur gewinnen, wenn man die Mehrheit erreicht.

Real wird die Abgrenzung zwischen den bürgerlichen Parteien mindestens bis zu den Wahlen im Herbst ’11 vorherrschen. Die Trends in Kantonen wie Zürich und Bern bei den aktuellen Wahlen bestätigen dies. Und danach entscheiden die Wählerstärken, allenfalls die Sitzzahlen der Parteien, was rechnisch möglich ist, und was politisch Sinn macht. Bevor man die Konkordanz weiter schwächt, wäre es richtig, die numerische Grössen und den politischen Willen nüchtern zu analysieren, um zu Vorschlägen zu gelangen.

Bleibt vorerst die Frage, wem der Artikel nützen sollte? SVP-Exponenten wie Nationalrat Mörgeli und Schlüer sind dafür bekannt, dass sie Wahlsiege in politische Forderungen ummünzen. 2007 stammte die Idee konservative Revolution mit vermehrter Einflussnahme der SVP auf, Schulen, Medien und Verwaltungen aus ihrem Kreise. Doch führte dieser offensichtliche Machtanspruch zum Fiasko bei Bundesratswahlen von Ende 2007. Entsprechend variieren die Reaktionen von SVP-Seite zwischen vorsichtiger Zustimmung und demonstrativer Distanzierung.

Anders sieht es auf linker Seite aus. Lanciert wurde die Geschichte vom grünen Nationalrat Jo Lang, der damit seine Partei als allzeit sensibilisierten Anit-SVP-Pol profilieren konnte. Und der gewievte Polittaktiker aus Zug weiss genau so gut wie Christian Levrat, dass die Angst, institutionell marginalisiert zu werden, zu den Mobilisierungsmassnahmen zählt. Diese Stimmungslage war wohl die Absicht für die grosse Aufmache vom Sonntag.

Immerhin, die Doppelseite hat mich in einem Punkte zum strategischen Nachdenken angeregt: Wenn schon im Nachgang zur Fusion von FDP und Liberalen ein Zusammengehen von CVP und BDP ins Spiel gebracht wird, wäre es nur folgerichtig auch über die Kooperation von SP und Grünen über den Status Quo hinaus nachzudenken. Sachpolitisch ist die Uebereinstimmung seit langem hoch; machtpolitisch gäbe es dann einen genügend Gegenkräfte auch zu einer erstarkten SVP.

Wie wär’s also damit?

Claude Longchamp

Parteien- und PolitikerInnen-Finanzierung wird zum öffentlichen Thema

Parteien- und PolitikerInnen-Finanzierung wird auch in der Schweiz immer mehr zum öffentlichen Thema. Denn der politische Druck von aussen und innen nimmt im Vorfeld der Parlamentswahlen 2011 sichtbar zu.

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Ueber die Zusammenhängen von Geld und Politik wird man erst dann mehr erfahren, wenn Transparenz herrscht bei der Parteien- und Politikfinanzierung

Lange hat man in der Schweiz öffentlich dazu geschwiegen, jetzt kommt es schrittweise ans Tageslicht. Der Bericht der OSZE-Wahlbeobachter, die 2007 in der Schweiz waren, kritisierten zweitens, dass rassistische Muster in unsere Wahlkampagnen eingeflossen sind. Und erstens, dass zum Geld in Wahlkampagnen und ihren Auswirkungen auf Wahlergebnis und Medienberichterstattung weitgehend tabuisiert sind.

Nun ändert sich einiges. Im heutigen “Blick” kündigt Politologe und SP-Nationalrat an, die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga habe eine Bericht ünber die Parteienfinanzierung in europäischen Ländern bestellt. Sie reagiert damit auf verschiedenen Kritiken, die von der OSZE, vom Europarat und von Transparency International erhoben worden sind.

Konkreter, aber eingeschränkter ist ein ebenfalls übers Wochenende angekündigter Initiativ-Vorschlag verschiedener JungpolitikerInnen unter Federführung des angehenden Juristen und SVP-Nationalrat Lukas Reimann, der von den gewählten ParlamentarierInnen restlose Auskünfte über ihre Haupt- und Nebeneinkünfte verlangen soll.

Damit könnte eine der wenigen Schwächen der schweizerischen Demokratie direkt abgebaut werden. Denn wir wissen genau, wer für eine Partei kandidiert, und wer die Bewerbungen speziell unterstützt. Wir wissen aber nicht, wer dafür Geld gibt, und in welchem Masse hierfür Gegenleistungen erwartet werden. Das ist einer reifen Demokratie unwürdig. Das sagen uns ausländische Organisationen und immer mehr auch einheimische PolitikerInnen.

Eine Grundlage, die Parteien- und PolitikerInnen-Finanzierung auf einer etwas gesicherteren Grundlage diskutieren zu können, hat übrigens der ehemalige CVP-Generalsekretär geleistet. Hilmar Gernet, heute als Kommunikationsberater tätig, reichte 2008 an der Uni Freiburg eine Dissertation zum genannten Thema ein. Seine Forschungsresultate und die daraus abgeleiteten Thesen sind noch viel zu wenig diskutiert worden.

Nötig wäre es, denn die Staatspolitische Kommission des Nationalrates kippte am Freitag einen Vorstoss von Links aus dem Programm, wonach Parteispenden von 10000 CHF und mehr inskünftig öffentlich gemacht werden müssten. Denn hier gilt: Der Graben verläuft mehr zwischen Bevölkerung und Politik, nicht zwischen linke und rechten Parteien.

Claude Longchamp

Wohin sich politische Blogs in der Schweiz entwickeln könnten

Die Bloggerszene der Schweiz ist nicht gross. Die politische ist noch kleiner. Dabei dominiert der Typ des kommunikativen Lokalpolitikers, der attackiert, kommentiert oder kontempliert (wie diesen). Darüber hinaus gibt es einige politische Fachblogs (wie diesen). Bisher selten sind aber spezialisierte Reports, die gezielt die politische Berichterstattung bedienen, um auf sie Einfluss zu nehmen (wie ansatzweise diesen).

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Differenzierung hin zu spezifischen Dienstleistungen statt Sammelsurrium zu allem und jedem ist der Trend in den US-amerikanischen Politblogs

Die US-amerikanischen Wahlen 2010 machten es deutlich. Hochspezialisierte politische Reports, die wöchentlich oder täglich aktualisiert werden, sind – nebst Parteien, KandidatInnen und Medien – zu eigenständigen Treibern der Wahlberichterstattung geworden.

Betrieben werden sie von politischen Analysten, die nicht warten, bis Medien sie anfragen, sondern ihre eigene Agenda verfolgen. Sie verarbeiten meist eigene und fremde Datenquellen, beschreiben Zustände, analysieren Trends, und sie erstellen Prognosen, was man alles als Newsletter auch abonnieren kann. Parteien stellen auf sie ab, aber auch Massenmedien konsultieren sie, und in der politischen Blogosphäre sind sie eigentliche Gurus.

Charles E. Cook gehört zu ihnen. Er gehört seit 12 Jahren zum Netzwerk “National Journal Group”, berät NBC News, hat verschiedene Kolumnen und ist Zuträger zu Think Tanks. Die New York Times kennzeichnet seine Dienste als “…a newsletter that both parties regard as authoritative”, während die Washington Post Cook “perhaps the best non-partisan tracker of Congressional races”.

Weitere Grössen im Geschäft sind beispielsweise die Politikwissenschafter Larry J. Sabato, Stuart Rothenberg. Dazu zählen auch der Demoskopie-Kenner Nate Silver, der für die New York Times analysiert, und der anonyme Votemaster, der die Seite electoral vote betreibt, die sich darauf spezialisiert hat, alle Umfragen in den einzelnen Bundesstaaten der USA zu dokumentieren und zu bewerten. Seine Dienste werden während amerikanischen Wahlkämpfen bis zu einer Million mal täglich abgerufen. Sie dienten beispielsweise auch der Schweizer Presse als wichtigste Referenz bei der Präsidentschaftswahl 2008.

Sie alle zeichnet aus, dass sie nicht in erster Linie nach dem Motto bloggen, “ich bin ein politisch denkender Menschen, und so bringe ich mich hier ein”. Sie sind professionelle Dienstleistungen von absoluten Spezialisten, die das Medium Blog verwenden, um aktuell, rasch und einflussreich politisch Interessierte zu bedienen.

Man kann gespannt sein, ob die Schweizer Wahlen in einem Jahr einen solchen Typ von Blog und Bloggern auch bei uns hervorbringen wird.

Claude Longchamp

Womit die amerikanischen Wahlprognostiker bei den Wahlen ins Repräsentantenhaus rechnen

Gut 50 Sitzverluste sagt die auf Wahlprognosen spezialisierte Website “Pollyvote” den amerikanischen Demokraten voraus. Damit würden sie die Herrschaft über das Repräsentantenhaus verlieren.

Jede Prognosemethode hat Vor- und Nachteile. Das gehört zu den Ueberzeugungen von Pollyvote. Deshalb stellt die auf Wahlprognosen spezialisierte amerikanisch-deutsche Arbeitsgruppe auf mehrere Methoden ab, und innerhalb jeder Methode auf mehrere Quellen: “Polly’s method is to average within and across several forecasting methods. This yields the Pollyvote, an average of averages.”

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Bei den morgigen Halbzeit-Wahlen ins amerikanische Repräsentantenhaus sind die demoskopischen Projektionen von Sitzen, Wahlbörsen und ökonometrische Modelle.

Die Wirtschaftsmodelle werden in der Regel einmal erstellt. Im Mittel rechnen sie mit 41 Sitzverlusten. Typisch hierfür ist die Prognose des Schweden Douglas Hibbs. Anders ist die Vorhersage der Börsianer von Intrade, die auf die Parteien wetten. Sie ist dynamisch und geht im Schnitt mit 55 Sitzverlusten aus. Projektionen aufgrund von Wahlbefragungen oder vergleichbaren Informationen bewegen sich in der Mitte. Aktuell rechnen sie mit gut 50 Sitzverlusten, Trend auch hier steigend. Vorbildlich in dieser Gruppe ist Larry Sabato.

Der Mittelwert alles Analysen lag bei Beginn der Prognoseserie vor knapp 6 Monaten bei 33 Sitzverlusten für dei Demokraten. Die letzte Aufdatierung der Vorhersage kam zu minus 53 Sitze.

Damit ist wahrscheinlich, dass die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus kippt. Die Wahlanalytiker überrascht das wenig: “Normally, the party of the president loses seats at midterm. The average loss since 1870 is 35 seats.” Für einen Mehrheitswechsel braucht es diesmal 39 Sitzverluste für die Demokraten.

Bei den Senatswahlen geht man bei Pollyvote nicht von einem Wechsel der Mehrheit aus. Vielmehr liegt hier aufgrund der Projektionen ein hauchdünner Vorsprung der Demokraten in der Luft. Erwartet werden 8 Sitzverschiebungen zugunsten der GOP.

Zwar ist es das erste Mal, dass sich die Spezialisten von Pollyvote an die Zwischenwahlen heranwagen; das lässt Vorsicht ratsam erscheinen. Doch hat sich das Vorgehen dieses Forschungsteams bei den Hauptwahlen 2008 als das Beste insgesamt erwiesen – was für Zuversicht zu den gemachten Aussagen spricht.

Claude Longchamp

Prominenz und Politik

Seit Ronald Reagan es schaffte, US-Präsident zu werden, gibt es einen Mythos mehr in der Politik: Prominenz reiche, um gewählt zu werden. Mitnichten, entgegne ich, und füge bei, gottlob!

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Corinne Schmidhauser, frühere (Riesen)Slalomfahrerin, will als Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga in den Ständerat

Schauspieler, Sportlerinnen und JournalistInnen stehen sichtbar in der Oeffentlichkeit, haben hohe Medienpräsenzen und sind weitherum bekannt. Und Bekanntheit ist eine der zentralen Voraussetzungen, um gewählt zu werden. So reizt es Leute wie Alfred Rasser, den Kabarettisten, wie Adolf Ogi, den Sportsfunktionär, und Filippo Leutenegger, in die Politik einzusteigen. Sie alle hatten beruflichen Erfolg, wurden Nationalrat, in einem Fall reichte es gar bis in den Bundesrat.

Irrig wäre jedoch die Annahme, für jeden Promi sei der Weg in die Politik ein Kinderspiel: Toni Schaller, genauso wie Leutenegger mal Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, fasste nie wirklich Fuss in den Parlamenten, für die er sich bewarb. Genauso erging es Ernst Schläpfer, Schwingerkönig, und Adolf Muschg, dem Schriftsteller, oder Schang Hutter, dem Plastiker.

Die Wahlforschung verweist mit schöner Regelmässigkeit auf die hohe Bedeutung der Bekanntheit , insbesondere bei Majorzwahlen. Doch das alleine reicht nicht, sagen letztlich fast alle Studien. Denn die Bekanntheit muss sich mit einem glaubwürdigen Bild eine Politikers, einer Politikerin paaren, welche in Parteien Rückhalt halt, welche politisch kompetent ist, und welche gelernt hat, sich auch auf dem politischen Parkett durchzusetzen. Den Promis fehlt es häufig schlicht an politischer Sozialisation – auf Partei- und Aemterebene.

Im Kanton Bern kann man zur Zeit ein solches Experiment beobachten. Corinne Schmidhauser, weiland eine unserer besten Skirennfahrerinnen, war in den Bergen schnell, wenn es von oben nach unten ging. Jetzt will sie genauso rasch von der FDP-Gemeinderätin in Bremgarten zur Ständerätin Berns werden. Dabei scheut sie nicht, etablierte Kräfte wie Nationalrätin Christa Markwalder herauszufordern. Toll! Aber auch sinnvoll?

Ich will gar nicht in die Falle trampen, bei alten Images von Frau Schmidhauser stehen zu bleiben. Doch bewirbt sie sich für eines der höchsten Aemter, die im Kanton Bern via Wahlen vergeben werden. Da stellen sich andere Fragen als an eine Lokalpolitikerin oder einen Lokalpolitiker. Vor allem auch, wenn die Anmeldefrist für Kandidaturen schon abgelaufen ist. Man kann deshalb der FDP nur raten, solche Experimente nicht zu weit zu treiben. Es mag sein, dass die EU-BeitrittsbefürworterIn Markwalder nach dem ersten Wahlgang auch bei mehr Stimmen als SVP-Kandidat Adrian Amstutz nicht zur bürgerlichen Einheitskandidatin wird. Die Chance aber, dass Schmidhauser dann vor Amstutz liegt, ist noch geringer.

Claude Longchamp

Mögliche NachfolgerInnen von Simonetta Sommaruga als Ständerätin unter der Lupe

Es war der erste Arbeitstag von Simonetta Sommaruga als Bundesrätin. Es war aber auch ein Tag mit Ereignissen, was die Nachfolge der ehemaligen Berner Ständerätin angeht. Eine erste Auslegeordnung.

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Positionen der Parteien und KandidatInnen (anhand der NR-KandidatInnen 2007), die aussichtsreiche Bewerbungen für die Nachfolge von Sommaruga im Ständerat anbieten.

Bei der SVP, der grössten Partei im Kanton Bern, ist schon länger alles klar: Adrian Amstutz, der bestgewählte Nationalrat auf der Parteiliste, will ins Stöckli. Die SP, die Nummer 2 unter den kantonalem Parteien, bestimmte ihre Kandidatur dieser Tage: Ursula Wyss, ebenfalls bestgewählte SP-NationalrätIn, will den Ständeratssitz von Sommaruga erben.

Weniger klar ist Situation im bürgerlichen Zentrum: Die liberale Nationalrätin Christa Markwalder galt bisher als Favoritin der FDP, bekam heute aber Konkurrenz. Die Ex-Skifahrerin Corinne Schmidhauser, Grossrätin, will ebenfalls kandidieren. Der Entscheid der Partei fällt nächste Woche. Nicht solange warten will die CVP: Sie kündigte eine Kampfkandidatur aus der Mitte an, ohne Namen zu nennen.

Verzichtet haben die Grünen, und die BDP ist bereits mit einem Sitz bedient. Keine Ambitionen angemeldet hat die GLP; Gleiches gilt vorerst auch für die anderen kleineren Parteien EDU und EVP.

Von den BewerberInnen bringen Amstutz und Wyss die grösste Hausmacht mit. Beide sind klare ParteivertreterInnen: Amsutz ist Vizepräsident der SVP Schweiz, und Wyss ist Fraktionschefin der SP im Bundeshaus. Beide politisieren in der rechten resp. linken Hälfte ihrer Fraktion, was ihrer Bindungsfähigkeit in die Mitte nicht förderlich ist. Beide können aber darauf zählen, sehr bekannt und klar identifizierbar zu sein – und 2007 erfolgreich Panaschierstimmen gesammelt zu haben.

Wyss hat den Vorteil, von den Grünen unterstützt zu werden. Zusammen gibt das knapp 30 Prozent Hausmacht. Amstutz kann nicht damit rechnen, dass die BDP ihn namhaft unterstützt, da er an der Parteiabspaltung direkt beteiligt war. So hat auch er gut 30 Prozent aus dem eigenen Lager als Startbasis.

Um zu den entscheidenden Stimmen zu kommen, braucht jede erfolgreiche Bewerbung jedoch die Stimmen der bürgerlichen Mitte. Da muss man sich personell erst finden. Bei der FDP dürfte es darum gehen, wer von der BDP unterstützt wird, denn nur zusammen haben beiden Parteien Aussichten, vielleicht auf 30 Prozent zu kommen und damit den beiden anderen Lager die Stirn bieten zu können.

Für den ersten Wahlgang vom 13. Februar 2011 zeichnet sich kein eindeutiger, keine eindeutige FavoritIn ab. Es würde nicht überraschen, wenn am Wahltag die Bewerbungen von SVP und SP vorne liegen würden, ohne eine davon das absolute Mehr geschafft hätte. Entscheiden würde so ein zweiter Wahlgang, indem die FavoritIn ihre persönlichen Vorteile zum Tragen bringen könnten.

Man kann gespannt sein!

Claude Longchamp

PS: Ich habe vor, regelmässig über die Ständeratsersatzwahlen im Kanton Bern (und darüber hinaus) zu bloggen, das aber auf www.bernerwahlen.ch.

Oppositionsmodus der SVP

Der Parlamentsmonitor “Politools” vermittelt uns einen Ueberblick über die fortschreitende Polarisierung im Nationalrat. In der laufenden Legislatur isoliert sich die SVP immer mehr, ist der Hauptbefund.

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Man erinnert sich: Ende 2007 wird Christoph Blocher als Bundesrat abgewählt. Eveline Widmer-Schlumpf wird seine Nachfolgerin, gemeinsam mit Samuel Schmid, wir sie aber nicht mehr in die SVP-Fraktion aufgenommen. Diese verabschiedet sich unter Führung der Parteispitze in die Opposition, während die ehemaligen SVP-Mitglieder im Bundesrat zur neu gegründeten BDP wechseln. Erst 2009 kommt es zu einer Korrektur: Ueli Maurer wird neuer SVP-Bundesrat, während die Bundesversammlung Jean-François Rime den Einzug in die Bundesregierung 2010 verwehrt.

Wie sich das alles auf das Verhalten der SVP-ParlamentarierInnen ausgewirkt, hat ein Forschungsteam um den Berner Politikwissenschafter Daniel Schwarz untersucht. Die Zusammenfassung in der heutigen NZZamSonntag fasst der Sutdienleiter wie folgt zusammen: Die SVP hat aus ihrem Oppositionsmodus nicht mehr herausgefunden. Sie lässt sich selbst mit einer Vertretung im Bundesrat immer weniger einbinden.

Basis für diese Aussagen sind rund 2500 Namensabstimmungen im Nationalrat, die seit 1996 elektronisch dokumentiert vorliegen. Der Befund: Seit dem Parlamentsjahr 2008/2009 steigt die Frontbildung zwischen SP, FDP, CVP und Grünen gegen die SVP rasant an. Im laufenden Parlamentsjahr endete fast jede zweite Abstimmung mit dieser Konstellation. Das ist erstmals mehr als Parlamentsverhandlungen mit einer Uebereinstimmung unter allen grossen und grösseren Parteien. Und: Es ist klar häufiger als die Polarisierung der bürgerlichen Lagers gegen SP und Grüne.

Damit führt die Konsenssuche, mindestens in der Grossen Kammer immer seltener zu einer Einigung. Polarisierung prägen das Bild im Nationalrat. Die Mitte ist (und bliebt wohl auch) minderheitlich, sodass sie auf Unterstützung durch einen Pol angewiesen ist. Dies ist in dieser Legislatur immer weniger bei der SVP zu finden, immer häufiger auf der linken Seite.

Blockierungen der Mitte durch eine unheilige Allianz der Polparteien links und rechts bleiben numerisch unbedeutend, wenn sie auch Aufsehen erregen wie jüngst bei der 11. AHV-Revision. Genauso wie die Polarisierung zwischen FDP und SVP gegen Mitte/Links selten geblieben sind.

Für Daniel Schwarz heisst dies: “Die SVP ist vom bürgerlichen Lager weggedriftet. Sie ist selbst für die FDP kein Partner mehr”. Das hat zwei unterschiedliche Auswirkungen. Die Geschlossenheit der SVP-Fraktion im Nationalrat ist im gleichen Zeitraum leicht rückläufig, denn ein Teil ihrer Mitglieder spürt die Isolierung. Die Partei selber verweist auf die Wahlerfolge, die sich mit ihrer konsequent eigenen Linie in den kantonalen Wahlen einfahren konnte.

Fast wäre man geneigt, eine Schritt weiter zu gehen, wil sich die Kluft zwischen SVP und bürgerlicher Mitte erhöht, während die Spaltung zwischen Zentrum und den Linken seltener wird. Doch täuscht diese Eindruck auch: Denn die Analyse bezieht sich auf die Namensabstimmung im Nationalrat, der viel polarisierter ist als der Ständerat.

Claude Longchamp

Einbinden oder ausgrenzen?

Francesco Benini, Redaktor der NZZ am Sonntag, publiziert heute ein Interview mit Wolfgang Schüssel, von 2000 bis 2007 Bundeskanzler der Republik Oesterreich. Thema des Gesprächs ist der Umgang mit dem Rechtspopulismus, der in zahlreichen europäischen Ländern Westeuropas anwächst. Der Ratschlag des Altkanzlers lautet: Die Populisten durch Einbindung entzaubern. Das sehen in Europa nicht alle gleich.

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Man erinnert sich: Wolfgang Schüssel, designierter Bundeskanzler der OeVP, brach nach den Nationalratswahlen 1999 mit dem üblichen Rot-Schwarz in Oesterreich. Vielmehr ging er 2000 eine Koalition der FPOe ein. Die Legitimierung der Partei Jörg Haiders trug Oesterreich vorerst viel Kritik von der EU ein; die verhängten Sanktionen wurden nach einem halben Jahr jedoch aufgeboben.

In der Folge entwickelte Schüssel seine Umarmungsstrategie gegenüber der FPOe vollumfänglich. Im Rückblick fasst er das wie folgt zusammen: Volksparteien, die mit rechtspopulistischen Parteien koalieren, sollten sich hüten, sich auf das meist einzige Thema ihrer Partner reduzieren zu lassen. Sie sollten ihren eigenen Gesamtentwurf für die Gesellschaft unverändert weiter verfolgen. MinisterInnen rechtspopulistischer Parteien soll man nicht verteufeln, vielmehr ist in einer Regierung Kooperation zum Vorteil des Landes angezeigt. Denn parlamentarische Demokratien sollten sich hüten, von BürgerInnen abgehoben zu funktionieren, weil sie auf die Sensibilitäten von Bürgerbewegungen angewiesen sind. Die Einbindung von Teilen der Rechtspopulisten schwächt, ist sich Schüssel sicher, ihre Attraktivität für Protestwähler. Deshalb können man davon ausgehen, dass rechtspopulistische Parteien in der Regierungsverantwortung Abnützungserscheinungen zeigen – und sich, um Wählerverluste aufzufangen bald schon spalten würden.

Generell müsse man in europäischen Demokratien mit Protestpotenzialen von einem Viertel der WählerInnen rechnen, doziert der Altkanzler in der NZZaSo. Protestpotenziale würden deshalb überall und wiederkehrend auftauchen. Am Anfang solche Zyklen stünden politisierende Ereignisse wie die Ermordnung Pim Fortuyns in den Niederlanden, die brennenden Vorstädte in Frankreich oder die Thesen von Thilo Sarrazin in Deutschland. Das mobilisiere eine Kraft, die einen neuen Diskurs in die etablierte Politik trage. Dem müsse man sich stellen, wenn man Regierungsverantwortung inne habe. Dafür müsse man gelegentlich auch das Unerwartete tun, so der OeVP-Politiker.

Das Erwartbare zeichnet sich für Schüssel in Wien ab. Er rechnet mit einer rot-schwarzen Koalition. Politische und wirtschaftliche Macht vereinige sich so und werde zusammen auch regieren können. Doch bleibe das Unbehagen, etwa mit der Asylpolitik. Denn der Wahlsieger, die FPOe, werde wieder ausgegrenzt. Das würde zwar den Exponenten der Opposition eine Plattform entziehen, sie aber auch nicht fordern. Vor allem aber nehme man so einen wesentlichen Teil der Bevölkerung aus und mit ihm auch das Unbehaben, das zum Wahlentscheid für Rechtspopulisten geführt habe, nicht ernst.

Ohne Zweifel, da argumentiert einer, der als “Drachentöter” in die österreichische Politikgeschichte eingangen ist, in sich kohärent. Für ihn spricht, dass er Jörg Haiser entzaubert hat. Doch stellt sich die Frage, ob das Beispiel Oesterreich wiederholbar, ja verallgemeinerbar ist? Aehnliches wie mit Schüssels Regierung von damals geschieht gegenwärtig in Italien, ohne dass klar ist, wer hier welchen Part spielt und wer von wem entzaubert wird. Das war ja auch in der Schweiz nicht eindeutig, als Christoph Blocher im Bundesrat war.

Ein kleiner Ueberblick über die weitere Länder mit starken rechtspopulistischen Parteien zeigt, dass es auch andere Vorgehensweisen gibt. Beispielsweise nahm Nicolas Sarkozys UMP die Anliegen des aufstrebenden Front National auf, um ihn bei den nächten Wahlen erfolgreich zurückzubinden. Beispielsweise grenzen sich die schwedischen, dänischen und niederländischen Bürgerlichen ab, sind aber bereit, Konzessionen zu machen, damit ihre Minderheitsregierungen von den Rechtspopulisten geduldet werden. Anders verfahren linke Regierungen, wie jene Norwegens, welche die Fortschrittspartei ganz ausgrenzt, auch wenn sie 23 Prozent der WählerInnen-Stimmen hinter sich weiss.

Einschätzungen zum Dilemma im Umgang mit Rechtspopulisten sind erwünscht!

Claude Longchamp

Erstes Wahlbarometer 2011: Wie stark ist die SVP?

Wie stark wird die SVP 2011 sein? Diese Frage beschäftigt die politische Oeffentlichkeit im In- und Ausland bereits seit längerem. Denn die SVP ist grösste nationalkonservative Partei Europas, die in der Regierung ist. Und sie erreichte 2007 nicht nur das beste Ergebnis für sich, es war auch Schweizer Rekord für eine Partei, seit der Nationalrat nach dem Proporz bestellt wird. Wir sich das wiederholen?

Was sagt das Wahlbarometer der SRG SSR, erstellt von gfs.bern, das heute veröffentlicht wird? 26.1 Prozent der teilnahmewilligen BürgerInnen mit einer Parteiwahlabsicht würden sie heute unterstützen. Das ist eine Momentaufnahme, keine Unterstützung.

Ziehen wir Bilanz: Die SVP hat 10 der 17 kantonalen Wahlen seit 2007 gewonnen. Der Schwung war 2008 grösser als 2010. Addiert man die Sitze in den Kantonen, gewichtet nach Parlaments- und Kantonsgrösse, kommt die SVP heute auf 23 Prozent.

Mit anderen Worten: Sie ist seit ihren elektoralen Höhenflügen, die im Jahre 1999 begannen, national stärker immer stärker gewesen als kantonal. Das hat mit veränderten Rahmenbedingungen der Wahlen zu tun, vor allem mit der Möglichkeit, national oder wenigstens sprachregional werberisch Themen zu setzen, Medienaufmerksamkeit zu erringen und mobilisierend zu wirken. Keine andere Partei beherrscht das so gut wie die SVP, sodass sie vor allem national zugelegt hat. Die Diskrepanz zwischen nationaler und kantonaler Stärke ist sogar gewachsen. Selbst die Zunahme ist national grösser als kantonal.

Die SVP erreichte 2007 mit 28,9 Prozent ihr Rekordergebnis vor allem durch ihre Mobilisierungsfähigkeit. Sie profitierte am meisten von der erhöhten Wahlbeteiligung, und sie sog WählerInnen von existierenden oder früheren Parteien in ihrem Umfeld förmlich auf.

Das ist aktuell nicht im gleichen Masse der Fall. Die SVP hat in Graubünden ein Kantonalpartei an die Adresse der BDP verloren. Das Wichtigste aber ist, dass die SVP – gegenwärtig – eine abgeschwächte Ausstrahlungskraft auf die WählerInnen ganz am rechten Rand hat.

Summiert man das auf, kann man sagen: Sie ist heute, national schwächer als 2007 am Ende des Wahlkampfes. Dieser wird entscheiden, wo sie am 23. Oktober 2011 sein wird. Da ist bekanntlich vieles möglich. Ihre grösse Profilierungschance hat die SVP im Konflikt zwischen Oeffnung und Abkapselung. Das ist sie die einzige Partei, die klar gegen den mainstream ist.

Claude Longchamp