Gripen: Entscheidung Ausgang weiterhin offen


50 Prozent, sagt die zweite SRG-Befragung zu den Volksabstimmungen vom 18. Mai, hätten sich letzte Woche beteiligt, wäre bereits damals über den Gripen entschieden worden – Trend steigend, vielleicht bis zum Abstimmungssonntag.

Nun kann das alleine Konsequenzen auf die Ursachen veränderter Zustimmungswerte haben. Zum Beispiel beim Gripen: In der ersten Welle Ende März waren 42 Prozent dafür und 52 Prozent dagegen. bei einer Teilnahmeabsicht von 45 Prozent. Umgerechnet auf die aktuelle Teilnahmeabsicht von 50 Prozent bedeutet dies, dass die damaligen 42 Prozent jetzt gerundet 38 Prozent ausmachen, die früheren 52 Prozent nun vereinfach 47 Prozent.

Wenn die aktuelle Befragung effektiv Verhältnis von Zustimmung und Ablehnung von 44 zu 51 ausweist, heisst dies, das befürwortende Lager ist effektiv um sechs Prozentpunkte gewachsen, das gegnerische um vier. Oder anders gesagt: Beide Seite werden grösser, aber nicht gleich schnell. Die Ja-Seite hat einen Vorteil in der Mobilisierung.

Nun wissen wir nicht, was bis zum Abstimmungstag alles noch geschieht: Die zentrale Auseinandersetzung bis jetzt erfolgte über die Kosten für den neuen Flieger. Für die BefürworterInnen sind sie eine gute Investition in die eigene Sicherheit, für ihre WidersacherInnen verschwendetes Geld, das man besser für Schulen und sozialen Sicherheit ausgeben würde.

Bisher keinen genuinen Einfluss auf die Stimmentscheidungen hatte die sicherheitspolitische Lage in Europa. Zu weit weg erscheint der Konflikt in der Ukraine, zu weit hergeholt sind die Folgen für die Schweiz. Kontrovers ist dafür die Frage nach der Luftraumverteidigung. Die Ja-Seite ist überzeugt, dass man das mit eigenen neuen Flugzeugen leisten muss; das Nein-Lager denkt, wir seien auch ohne dies genügend gerüstet.

Das Konfliktmuster in den Stimmabsichten kennt vordergründig das Zustimmungsprofil, das wir aus früheren verteidigungspolitischen Entscheidungen kennen: Männer, Rentner, Deutschschweizer und LandbewohnerInnen. Bisher hat das für die Behördenseite meist gereicht. Indes, es gibt auch Abweichungen, denn das linke Lager alleine wäre nie mehrheitsfähig. Erweitert wird es, wenigstens gegenwärtig, durch eine Mehrheit der Parteiungebundenen. Hinzu kommen oberen Einkommensschichten, sonst für die Armee, hier aber mehrheitlich gegen den Gripen-Kauf.

Die Kombination von Argumenten und Merkmalsgruppen auf der Ja- und Nein-Seite führt uns zur Gesamtbeurteilung: Die Gegnerschaft hat einen Vorteil, die Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Weder ist der Nein-Anteil ausserhalb des Stichprobenfehlers, noch gehen die zeitlichen Veränderungen in der Ja-Zunahme darüber hinaus.

Massgeblich wird sein, ob es der Ja-Seite gelingt, die bürgerlichen Reihen unter den WählerInnen zu schliessen. Entscheidend ist auch, ob die Opposition der Parteiungebundenen hält, denn die Linke ist jetzt schon weitgehend geschlossen dagegen. Das macht es schliesslich aus, wie hoch der Ja resp. Nein- Anteil sein und wo die Mehrheit sein wird.

A suivre!

Claude Longchamp

Gripen Ja – Gripen Nein.

Wäre Ende März/anfang April über den Gripen-Kauf entschieden worden, wäre es wohl ein Nein gewesen. Dennoch erscheint der Ausgang noch offener, als man auf Anhieb denkt.

Zuerst die Fakten: Gemäss SRG-Umfrage sind 42 Prozent bestimmt oder eher für den Finanzierungsfonds zugunsten des Kampflugzeugs “Gripen”. 52 Prozent sind bestimt oder eher dagegen. Eine feste Stimmabsicht – dafür oder dagegen – haben 6 von 10 Teilnahmewilligen. 34 Prozent sind tendenziell entschieden, 6 Prozent, der heutigen Teilnehmenden, haben keine Stimmabsicht. Die Fehlerquote beträgt +/-3,6 Prozentpunkte. Jeder jetzige Wert kann um das höher oder tiefer sein.

Verstärkt für den Gripen-Kauf sind SVP-WählerInnen, Mitglieder von militärnahen Vereinen und Männer. Etwas mehr als der Schnitt befürwortenden sind Rentner, FDP- und CVP-WählerInnen. Ueber dem Mittel dagegen wollen WählerInnen der GPS und der SP stimmen, aber auch italienischsprachige SchweizerInnen, Romand(e)s, 18-39jährige, Frauen und TiefstlohnbezügerInnen.

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Nun zu den Erwägungen: Offensichtlich hat der Gripen viele GegnerInnen: Beim Typenentscheid war ein Teil der Armee enttäuscht, dann bemängelte die FDP die Eignung des Jets, und schliesslich spang die CVP als Leiterin der politischen Pro-Komitees ab. Um es klar zu sagen, das alles waren keine offenen Nein-Empfehlungen, aber es waren Kritiken, welche die Kaufabsicht unterminiert haben. Auf das Medienklima hat sich dies nicht vorteilhaft ausgewirkt. Befördert wurde das Misstrauen durch die Indiskretion in Schweden mit den Beurteilungen der Glaubwürdigkeiten unter den BefürworterInnen, – bis hin zum berühmten Plan B von Nationalrat Hurter, was bei einem Nein geschieht.

Ohne Zweifel, das erschwert die Mobilsierung im Ja-Lager, dennoch die Erwartungshaltung zum Abstimmungsausgang ist nicht einfach im Keller. Fifty-Fifty sei die Bevölkerungswahrnehmung, sagt die SRG-Umfrage.

Das hat auch mit den Inhalten der Debatte zu tun. Denn nicht nur Personen und Verpackung zählen, auch die Botschaften sind von Belang. 72 Prozent der Stimmabsichten sind gemäss unserer Erhebung argumentativ unterlegt – ein selten hoher Wert für eine Umfrage 7 Wochen vor der Abstimmung. Die inhaltiche Kontroverse polarisiert zwischen sicherheitspolitischen Erwägungen einerseits, dem Nutzen der Investition hierfür anderseits. Wirksam auf die Ja-Stimmabsicht wirkt, die Lufthoheit über der Schweiz zu verteidigen, insbesondere in unsicheren Zeiten wie jetzt. Demgegenüber kann die Nein-Seite die Vernünftigkeit der Investition von 3,1 Mio CHF bezweifeln und andere Ausgabenbereiche wie Bildung und soziale Sicherheit bevorzugen.

Und jetzt zu den Folgerungen:
Nun ist nicht vorauszusehen, wie sich das europäische Umfeld entwickelt. Bekannt ist beispielsweise aus der Volksabstimmung über die Waffen-Initiative, dass die Mobilisierung in solchen Themen via Armee-nahe Vereine erfolgt, die als grassrouts-Bewegung wirken und im bürgerlichen Umfeld ausstrahlen.

Deshalb sind letztlich weder Rentner noch Junge entscheidend, auch nicht Linke und Rechte, sondern Menschen im mittleren Alter und BürgerInnen, die sich der traditionelle Mitte zugehörig fühlen. Denn sie machen es aus, ob sich der Trend in der Hauptkampagne Richtung Ja oder Nein entwickelt.

Den Militärvereinen stehen diesmal die Grünliberalen entgegen, in dieser Legislatur ein häufiger Trendsetter für den mainstream. Und auch sie zielen auf bürgerliche WählerInnen, denen die Ausgaben für den Gripen ein Dorn im Auge sind.

Es kann sein, dass dabei Männer und Frauen genau gegenteilig denken, denn selten war die Diskrepanz in der Ausgangslage so hoch wie jetzt. Die Delegiertenversammlung der CVP dürfte der beste Gradmesser für jene BürgerInnen sein, die bei dieser Volksabstimmung den Ausschlag geben.

Claude Longchamp

Was aus den BDP-WählerInnen im Kanton Bern wurde

Die Berner BDP erlebt gestern ein Wechselbad der Gefühle. Zuerst der vorderste Platz von Beatrice Simon bei den Regierungsratswahlen, mit Freude bejubelt. Doch dann die 11 Sitzverluste bei den Grossratswahlen, mit Trauer zur Kenntnis genommen. Seither ist das Rätselraten gross, was Sache bei der Berner BDP. Hier mein kleiner Beitrag zur Klärung.

Die Positionierung
Am Anfang meiner Analyse steht die Positionierung der BDP. Parteigrössen und JournalistInnen ist nicht entgangen, dass die BDP in Kanton Bern eine bürgerliche Partei geworden ist, gemässigter rechts als die SVP und einigermassen vergleichbar mit der Position der FDP. Hauptgrund hierfür sind die Finanzpolitik der Partei und Regierungsrätin Beatrice Simon, mit denen man sich FDP und SVP annähert. Zudem ist man mit den Kandidaten eben dieser Parteien ist sie geschlossen für eine weitere Amtsperiode angetreten, was den Eindruck der bürgerlichen Blockbildung unter Einschluss der BDP verstärkt hat.

Grafik 1: Positionierung der BDP (KandidatInnen 2014) gemäss Smartvote
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Mit ihrer Annäherung ans bürgerliche Lager hat die BDP eine ihrer Attraktivitäten aus der Gründungszeit verloren. Denn 2012 sammelte sie zahlreiche WählerInnen, die mit ihrer angestammten Partei unzufrieden waren. Bei der SVP, FDP, EVP und SP wurde die BDP fündig, wie Nachanalysen der damaligen Wahl zeigten. Zusammen ergab das den sensationellen Aufstieg von 0 auf 16 Prozent Wählendenanteil bei den Grossratswahlen 2010.

Die Identifikationsfaktoren einzeln
Wenn PolitologInnen die Wahl einer Partei analysieren, unterscheiden sie drei Faktoren der Identifikation von Wählenden mit einer Partei: die Partei als Ganzes, ihr Programm und ihr Personal.

Beginnen wir mit dem Personal. Bei der Parteigründung stammte es überwiegend aus der SVP, denn ein gewichtiger Teil ihrer Fraktion trennte sich von der SVP bildete die BDP. Davon hat die junge Partei profitiert, denn mit den gestandenen GrossrätInnen kam auch politischen know-how in die BDP. Ein schöner Teil der politisch Erfahrenen hat nicht mehr kandidiert oder ist gestern abgewählt worden. Auffällig war, dass die nicht bestätigten Fraktionsmitglieder der BDP allesamt Männer sind, derweil alle Frauen die Wiederwahl schafften. Man könnte es auch so sagen: Vor vier Jahren suchten sich die Abtrünnigen der SVP neue Wähler und WählerInnen, heute wählten sich die WählerInnen ihre bevorzugten PolitikerInnen. Frauen entwickeln dabei eigenen Präferenzen, um ihre Identität der neuen Partei besser ausdrücken zu können.

Klar fassbar wurde in diesen vier Jahren das finanzpolitische Programm der BDP. Weniger eindeutig ist die Position der BDP in der Energiepolitik. Zwar zählte man zu den Begründern der bernsichen Energiewende, doch versteht sie diese bisweilen in Opposition zur Politik des Bundes- und Regierungsrates. In weiteren Bereichen ist das Profil ausserhalb der Partei noch weniger eindeutig. Man ist gemäss Smartvote gemässigt bürgerlich, nicht konservativ, aber auch nicht liberal.

Bleibt also die Partei als Ganzes. Stabilisierend auf Schwankungen in der Beurteilung des Personals und des Programm wirkt sich in aller Regel die gefühlmässige Parteibindung aus. Nicht selten bildet sie sich in jüngeren Jahren aus, entwickelt eine gewisse Konstanz und ist sie emotional abgestützt. Genau das ist die Schwäche aller junger Parteien. Bei der BDP kommt hinzu, dass ihre Wählerschaft eher im mittleren und höheren Alter ist, sodass eher von Brüchen früherer Parteibindungen zu erwarten sind. Sie bilden nicht in jedem Fall jene Basis, dass sie neue Bindungen entwickeln können, wie das bei jüngeren Menschen gegenüber jüngeren Parteien geschehen kann.

Erste Hypothesen zur Erklärung der Niederlage
Eine erste Durchsicht der aktuellen BDP-Verluste legt zwei Hauptursachen und einigen Nebenursachen nahe. Klare Gründe für die Wahlniederlage orte ich im Wechselwählen hin zu GLP und SVP; weniger sicher bin ich, ob nicht auch Verluste an die FDP und EVP herangezogen werden müssen, und die Abwanderungen an die Nicht-(Mehr)-Wählenden. Müsste ich die 4,8 Prozentpunkte Rückgang im Wählenden-Anteil heute gewichten, würde ich je 2 Prozentpunkte mit Verlusten an GLP und SVP in Verbindung bringen, den Rest auf die drei anderen denkbaren Erklärungen verteilen.

Grafik 2: BDP-relevante Wählerströme bei den Grossratswahlen 2010/4
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Verluste an die SVP dürften vor allem im rechten Wählersegment von Belang gewesen sein. Plausibel ist, dass es sich dabei um ehemalige SVP-WählerInnen handelt, die zu ihrer angestammten Partei zurückgekehrt sind. Die BDP hat die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Wenn schon rechte Politik unterstützt werden soll, dann die des Originals. Aus genau umgekehrten Gründen dürfte die BDP Wählende an die GLP verloren haben. Hier handelt es sich um Wählende in der Mitte, für die die BDP zu stark nach rechts gedriftet ist. In ihrer verbreiteten Ungebundenheit wandern sie weiter, zum heutigen Hoffnungsträger, der GLP. Von ihr erwartet man, dass sie das Blockdenken überwinden hilft, und Lösungen in zentralen Dossiers wie beispielsweise der Bildungspolitik entwickeln wird.

Schliesslich ein Wort zur Mobilisierung. Der Streit zwischen SVP und BDP 2010 führte zu einer stark erhöhten Medienaufmerksamkeit für beide Parteien, die letztlich die Beteiligung an den damaligen Grossratswahlen ansteigen liess. Davon kann diesmal nicht die Rede sein. Die Teilnahmequote hat sich nach unten entwickelt, eine besondere Beachtung fand auf jeden Fall die BDP diesmal nicht. So würde es mich nicht erstaunen, wenn ein kleinerer Teil der Verluste auf Demobilisierung zurückgehen würde.

Den letzten Punkt muss die BDP hinnehmen, die beiden ersten kann sie duch bewusste Parteiarbeit beeinflussen.

Die BDP in Gründungskantonen und anderswo
Die Analyse, die ich hier in der notwenigen Vereinfachung gemacht habe, soll auch nicht darüber hinweg täuschen, dass die BDP insgesamt eine Siegerpartei ist. Bei kantonalen Wahlen hat sie zwischen 1 und 1,5 Prozentpunkte zulegen können. Wachsend ist die junge Partei vor allem in Kantonen wie Thurgau, St. Gallen und Solothurn, aber auch Fribourg und Aargau zählen dazu. Schwieriger einzuschätzen ist die Lage in der anderen BDP, nämlich den Kantonen, aus denen sie in der Gründungszeit hervorgegangen ist. Graubünden und Glarus wählen noch in diesem Jahr ihre kantonalen Behörden, sodass man bald klarer sehen wird, ob es sich bei der gestrigen Niederlage um eine Phänomen der Berner Partei handelt, oder ob die BDP in ihren Gründungskantonen bereits am Plafond angelangt ist, und Konkurrenzparteien um verlorene WählerInnen aus den BDP-Reihe kämpfen.

Momentan bleibt, dass die Berner Wahlen das bisherige Highlight waren, im Guten und im Schlechten. Höchstwahrscheilich ist die jetzige Parteistärke realistischer als die vor 4 Jahren. Nur muss sie jetzt gehalten werden können. Denn auf die nationale Stärke wirkt sich das Ergebniss in Bern erheblich aus. Gewinne in neuen Kantonen werden so schnell zu nichte gemacht. Aendern wird sich vor allem die Medienaufmerksamkeit. Sie dürfte kritischer werden, der journalistisch gesprochen ist die BDP angezählt. Dem muss die Partei schnell etwas entgegenstellen, will sie 2015 eine Gewinner-Partei sein. Denn die Hoffnung auf Veränderungen ist gerade bei neuen Parteien ein wichtiger Treiber des Erfolgs!

Claude Longchamp

Vom (Un )Sinn des geometrischen Mittels an Stimmen bei der Vertretung von Minderheiten in Mehrheitswahlen

Ein wenig tricky ist die Sache schon, wie der Berner Jura zu seinem garantierten Sitz in der Berner Kantonsregierung Kanton. Wie fast alles hat auch das seine Geschichte.

Wäre die Initiative für die Volkswahl des Bundesrates 2013 angenommen worden, wäre der Kanton Bern Pate bei der Bestimmung der BundesrätInnen aus den Sprachminderheiten gestanden. Denn das Begehren der SVP hätten der französisch- und italienischsprachigen Minderheit zwei Sitze im Bundesrat garantiert – berechnet nach der Berner Formel. Nun kam es anders, mit der Volkswahl des Bundesrates, und so bleibt die Berner Formel ein Unikum bei Regierungs(rats)wahlen.

Erfunden wurde sie, damit Sprachminderheiten bei Majorzwahlen von der Mehrheit nicht einfach majorisiert werden können. Ganz unbestritten ist das Verfahren nicht, aber es verhindert, das die Mehrheit der Minderheit ihre Vertretung in einer Regierung aufzwingen kann.

So bestimmt die Berner Formel, dass der Berner Jura, die Sprachminderheit im Kanton Bern, einen Sitz im Regierungrat auf sicher hat. Er geht an den oder die KandidatIn, der oder die die höchste Zahl hat aus der Wurzel des Ergebnisses im Berner Jura, multipliziert mit dem Resultat im gesamten Kanton, hat. Angewendet wird dieses Verfahren auf alle Fälle, aber nur bei den Kandidierenden aus dem Berner Jura.

Eingeführt wurde die Formel 1990, als der bernische Regierungsrat von 9 auf 7 Sitzen verkleinert wurde: zuerst, um den bisherigen Sitzanspruch der Minderheit weiter zu garantieren, sodann um das Wahlresultat von 1986 möglichst verhindern. Denn damals wurde nicht die FDP-Nationalrätin Geneviève Aubry aus dem Berner Jura Regierungsrätin, sondern Benjamin Hofstetter der Grünen Freien Liste -dies, obwohl die BernjurassierInnen Frau Aubry mehr Stimmen gegeben hatten als Herrn Hofstetter.

Diese Wahl war nicht ohne Bedeutung, denn mit dem Grünen aus dem Berner Jura wechselte die Regierungsmehrheit erstmals von rechts nach links. Das ist bis heute so, denn das Lager, das den garantierten Sitz im Berner Jura macht, hatte bis anhin jedes Mal auch die Regierungsmehrheit für sich. 1990 konnte die FDP mit Mario Annoni Punkten, 2006 war jedoch die SP mit Philippe Perennoud an der Reihe. 2010 scheiterte die FDP beim Versuch, mit Sylvain Astier den Jura-Sitz zurück zu erobern. Diesmal ist Grossrat Manfred Bühler von der SVP der Herausforderer. Und jedes mal gilt, wer Bernjurassier ist und im Berner Jura mehr stimmen macht, ist dank der Wurzel aus dem geometrischen Mittel der Ergebnisse aus dem Berner Jura und dem Gesamtkanton Berner Regierungsrat.

Immerhin, sowohl Annoni wie auch Perrenoud wären auch ohne diese Formel jeweils Regierungsrat geworden, denn sie lagen stets über dem absoluten Mehr und rangierten im Gesamtkanton mindestens auf Platz 7.
Tricky wird das Ganze erst, wenn keiner der Jura-Kandidaten das absolute Mehr erreicht und bei der Wahl im Gesamtkanton nur Achter ist. Dann kann es sein, dass der schlechtest gewählte Regierungsrat bei der Wahl im gesamten zugunsten eines Bernjurassier ausscheidet – ein wenig kehrt sich dann der Sinn der Minderheitenvertretung in einen demokratischen Unsinn!

Claude Longchamp

Wahlen im Kanton Bern: Hochrechnung und nützliche Links für den Wahlsonntag

Heute Sonntag wählt der Kanton Bern sein Parlament und seine Regierung neu. Hier das Angebot von gfs.bern via Internet und die nützlichsten Links dazu.

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Das Forschungsinstitut gfs.bern liefert ab 14 Uhr Ergebnisse zu den Regierungsratswahlen. Bis 15 Uhr werden nur Trends kommuniziert, die enizig Rückschlüsse auf die Reiehenfolge der Bewerbungen zulassen. Um 15 Uhr erfolgt die erste Hochrechnung zum gesamten Kanton und zum Jura Sitz.

Terminplan:
1400-1430 Trendrechnungen, nur Reihenfolge der Kandidaturen im gesamten Kanton
1500-1730 Hochrechnungen im Halbstundentakt: Angaben zu Gewählten und nicht gewählten im gesamten Kanton und für den Jura-Sitz

Die Resultate der Hochrechnung basieren auf den Endergebnissen von 220 Gemeinden. Im Berner Jura führen wir eine Vollerhebung durch, im Rest-Kanton machen wir das mit einer Auswahl repräsentativer Gemeinden für die Regionen.
Um 18 Uhr werde ich auf meinem Blog “Zoonpoliticon” eine Erstanalyse platzieren.
Wer den Wahlsonntag mit uns via Intenet verfolgen will, kann dies via nachstehende Linkliste tun.

Wahlsonntag
. Hochrechnung Gfs.bern
. TeleBärn
. Regionaljournal SRF Bern-Freiburg-Wallis
. Analysen Zoonpoliticon
. Twitter @kanton_bern @cantondeberne @gfsbern @claudelongchamp @TeleBaernTV @srfbern @Mark_Balsiger @bernerzeitung @derbund @peter_jost, @BernhardRentsch, beste hashtags #be14 #bevote14

Amtliche Angaben
. Aktuelle Wahl: Website des Kantons Bern
. Zurückliegende Wahlen: Website des BfS
Parteien
. SVP
. SP
. BDP
. FDP
. Grüne
. GLP
. EDU
. EVP
. CVP

KandidatInnen
4 gewinnt: Bewährte Regierung
UmSchwung
Marc Jost (EVP)
Barbara Mühlheim
Bruno Moser
Beat Zoss (nicht wählbar)

Smartvote
. Regierungsratswahlen
. Grossratswahlen

Massenmedien
. Berner Zeitung
. Der Bund
. Bieler Tagblatt
. Le Journal du Jura
. Regionaljournal SRF Bern-Freiburg-Wallis
. Schweizer Radio und Fernsehen
. Radio et Télévision Suisse romande
. TeleBärn
. Tele Bielingue
. Radio Bern1
. Radio Bern 95,6 FM
. Canal3

Blogs
. Wahlkampfblog
. Wahltag (Der Bund)

Erosion und Neueinbindung der WählerInnen im Kanton Bern

Das Parteiensystem des Kanton Bern ist in den letzten 40 Jahren zwei Mal erschüttert worden. Vom ersten Beben 1886 konnte die Linke profitieren. Das zweite war 2010 mit der Entstehung der BDP. Noch ist nicht klar, was daraus wird.

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“Dealignment” und “realignment” gehören zu den Hauptkonzepten der politikwissenschaftlichen Wahlanalyse. Dealignment meint Erosion von Parteibindungen; realignment bezeichnet Neueinbindungen. Hintergrund der Konzepte ist die Theorie der Konfliktlinien. Demnach sind (westliche) Gesellschaften entlang kultureller und sozialer Brüche gespalten. In der Vergangenheit entstanden, wirken solche Trennlinien nach, wenn sie von exemplarischer Natur sind und wenn sie von politischen Gruppierungen mehr als über den Moment hinaus organisiert werden.

Konfliktlinien im Kanton Bern

Die wichtigsten Konfliktlinien im Parteiensystem des Kantons Bern sind die Links/Rechts-Achse mit den Gegensatz zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft sowie der Widerspruch zwischen Konservatismus und Liberalismus. Erosion von Parteibindungen meint in diesem Zusammenhang, dass die Strahlkraft dieser zentralen Ideologien nachlässt. Neueinbindung meint das Gegenteil, denn in dieser Perspektive kommt zu neuen weltanschaulichen Allianzen zwischen neuen oder erneuerten Parteien einerseits, bestimmten Gesellschaftsgruppen anderseits.
Zweifelsohne war die Wahl von 1986 ein zentraler Einschnitt: Im Vorfeld dominierte die Auseinandersetzung zu den “schwarzen Kassen”, deren sich Kanton bei der Umsetzung der Trennung des Kantons Jura bedient hatte. Die Finanzrevision brachte dies ans Tageslicht und löste damit eine Welle der Empörung aus. Geschadet hat diese Wahl vor allem der SVP, bis dahin die unbestritten führende Kraft im Kanton Bern. Einerseits sank die Wahlbeteiligung um 7 Prozentpunkte ab. Anderseits wurden die drei damaligen Regierungsparteien geschwächt, am meisten die SVP, etwas weniger die FDP und SP.

Der Einschnitt von 1986

Schlagartig etablierten sich 1986 die Grünen, vor allem in Form der Grünen Freien Liste. Zwei Gründe waren massgeblich: Die personalpolitische Erneuerung, die Führung durch Leni Robert, der ersten Regierungsrätin im Kanton, und die Anlehnung an die Oekologisierung politischer Ideen, 1984 durch die Debatte über das Waldsterben populär geworden.
Rückblickend gesehen profitierte von der 1986er Wahl vor allem die SP. Ihr gelang es als einziger grosser Partei, sich von Wahl zu Wahl zu verstärken. Sie erneuerte sich, vor allem durch die Feminisierung der Politik, womit die Selbstentfaltung der Menschen jenseits kollektivistischer Ideen der Linke in Schwang kam.
Doch nicht nur die SP war Nutzniesserin dieses Einschnitts. 2002 ging die Erneuerung der SP über an die die Grünen, klarer links positioniert, aber in verschiedene Richtungen aufteilt. Nun waren sie es, die spektakulären Wahlerfolge feierten, teils zulasten der SP. Zusammen reichte es aber, um dass die personell erneuerte Linke 2006 die Regierungsmehrheit übernahm.

Der Einschnitt von 2010
2010 war der zweite Donnerschlag im Parteiensystem des Kantons. 16 Prozent Wählende auf Anhieb ist bernischer Rekord. Dafür zuständig war namentlich die BDP. 2008 als Abspaltung der SVP entstanden, die im Gefolge der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat auch im Kanton Bern eine Oppositionspolitik gegen die linke Regierungsmehrheit führte, bildet sich vor allem aus den regierungstreuen Kräften in der Fraktion eine neue Kraft, die bei ihrem ersten Auftritt nicht nur eine unerwartete Stärke erreichte, sondern unzufriedene WählerInnen im gemässigten Spektrum von rechts bis links an sich zog. Hinzu kam das erstmalige Auftreten der GLP, die namentlich im Mitte/Links-Spektrum für Neueinbindungen sorgte.

Weitere Neueinbindungen
Die Wahlen 2006 und 2010 waren zudem durch eine leicht steigende Wahlbeteiligung gekennzeichnet. Hatte diese seit Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts stets leicht nachgelassen, kam es nun durch neue Angebote in der Parteienlandschaft, aber auch durch neue Formen der Mobilisierung zu einer Trendwende in der Teilnahme an Wahlen.
Eine weitere, weniger spektakuläre Form der Neueinbindung findet sich seit den 80er Jahren im konservativen Spektrum. Denn mit der EVP und der EDU konnten sich zwei, religiös fundierte Parteien platzieren, eine eher rechtkonservativ, eine mehr in der konservativen Mitte politisierend. Gebremst wurde ihr fast kontinuierlicher Anstieg erst 2010, wohl wegen der Konkurrenz durch die BDP.

Bilanz
Die Bilanz: Das Parteiensystem im Kanton Bern hat sich in den letzten 40 Jahren zweimal gehäutet:
1986 und 2010. Die erste Häutung nütze der linken, die wählermässig gestärkt und personell erneuert bei Regierungsratswahlen mehrheitsfähig wurde. Eine neue Herausforderung für Rotgrün ergab sich 2010 mit der GLP.
Die zweite Häutung ist jüngeren Datums, denn sie wurde im Wesentlichen durch die Gründung der BDP eingeleitet. Aktuell stecken wir mitten drin. Elektoral gab es bei der letzten Grossratswahl eine kräftige Unterstützung für die neue Kraft. Personell blieb die Erneuerung aber zurück, und auch weltanschaulich ist die BDP keine Innovation, denn sie setzt eher den staatstreuen, bürgerlichen Kurs der früheren BGB fort.
Wie weit sich daraus auch eine Neueinbindung von WählerInnen ergeben hat, bleibt vorerst offen. Denkbar sind drei Szenarien: Dass sich eine dritte bürgerliche Kraft zwischen rechts und der Mitte etabliert; dass die BDP mittelfristig die FDP beerbt; nicht ausschliessen kann man, dass die BDP nur eine vorübergehende Erscheinung war, die bei ihrem ersten Auftritt gleich auch ihren Höhepunkt hatte.

Oder anders gesagt: Die Bindungen der WählerInnen an die politsichen Parteien werden in Zyklen erschüttert. Entsprechend hat sich das klassische Parteiensystem des Kantons Bern ausdifferenziert. Erfasst wurde davon zuerst die Linke, die durch weltanschauliche und personelle Erneuerung wenigstens bei Regierungratswahlen mehrheitsfähig wurde. Gegenwärtig ist die bürgerlichen Seite dabei, ihre Spaltung von 2008 zu verarbeiten, mit dem Wunsch, ihrerseits wieder im Regierungsrat mehrheitsfähig zu werden.

Claude Longchamp

Kantonale Wahlen in Bern: Ausblick auf die Grossratswahlen 2014

Lange stabil, geriet das Parteiensystem des Kantons Bern 2010 aus allen Fugen. 2014 dürfte das Pendel an Veränderungen wieder zurückgehen. Mit welchen erwartbaren GewinnerInnen und VerlierInnen, diskutiert dieser Beitrag.

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Bei den Berner Wahlen 2010 schlug der Volatilitätsindex Purzelbäume. Hauptgrund war, dass das gemässig polarisierte Parteiensystem des Kantons durch das erstmalige Auftreten von BDP und GLP richtiggehend durchgeschüttelt wurde. 16 Prozent Stimmenanteil gingen an die BDP, gut 4 an die GLP. Da die Wahlbeteiligung mit 32 Prozent nur minim stieg, lag es nahe, von erheblichen WechselwählerInnen-Bewegungen auszugehen. In der Tat zeigte eine entsprechende Analyse, dass die BDP von Wählenden der FDP, SVP, EVP und SP profitieren konnte. Die GLP ihrerseits machte Stimmen bei ehemaligen WählerInnen der Grünen, SP und FDP.

2014 rechnet niemand mit solch drastischen Veränderungen. Die Wahlbeteiligung könnte sogar leicht sinken, orakeln veschiedene Partei- und MedienvertreterInnen. Bei den Grossratswahlen gebührt die grösste Aufmerksamkeit der BDP. Denn ihr trauen diverse Meinungsmacher nicht mehr zu, das Resultat von 2010 zu wiederholen. Dafür spricht, dass sie schon 2011 bei den Nationalratswahlen schwächer abschnitt. Und diesmal könnte ihr die Einordnung ins bürgerlicher Lager Stimmen in der Mitte und links davon kosten.

Die Börse “Wahlfieber“, das einzige Prognose-Instrument bei der diesjährigen Wahl im Kanton Bern, sieht die BDP neuerdings bei knapp 14 Prozent – womit die Partei die eigentliche WahlverliererInnen wäre. Verluste werden auch der FDP und den Grünen vorausgesagt. Demgegenüber rechnen die Börsianer mit Gewinnen für die GLP, allenfalls auch für die SP. Als stabil beurteilt werden SVP, EVP und EDU. Bliebe es dabei, wäre es für die GLP ein weiteres Durchstarten, für die SP und SVP eine Trendwende, derweil der Niedergang von FDP und Grünen im Kanton Bern anhalten würde.

Reiht man diese, nicht unplausible Erwartungen in die Trends der letzten kantonalen Wahlen ein, weicht effektiv nur die der BDP ab. Das hat gute Gründe: National war sie bei den letzten Wahlen eine 5 Prozent Partei, im Kanton Bern war sie 2010 drei Mal so stark. Damit dürften sie bereits an ein Limit gestossen sein. National braucht das nicht der Fall zu sein, denn sie kann sich in verschiedenen Ständen noch entwickeln.

Smartvote hat anhand der KandidatInnen eine interessante Uebersicht gemacht, wie die Parteien im Kanton Bern positioniert sind. Unterschieden wird dabei zwischen der Links/Rechts-Achse und einer Gegenüberstellung von konservativen und liberalen Präferenzen. Die SVP, kantonal die stärkste Partei, bildet dabei recht unangefochten den rechten Pol. Weniger rechts, aber konservativer positioniert sind die VertreterInnen der EDU. Zentrierter ist auch die FDP, zudem ist sie liberaler als die SVP. Nahe der Mitte sind BDP, CVP und auch GLP, wobei nur letztere eine liberale Ausrichtung kennt. Fragmentierter ist im Kanton Bern die Linke, wobei der PSA und die SP moderat links sind und mehr zum Zentrum neigen als alle grünen Gruppierungen. GFL, Grüne, die neue Alternative Liste siedeln links von ihnen. Das gilt insbesondere auch für die PdA und die Grüne Partei, mit der demokratischen Alternative fusioniert, die den eigentlichen Gegenpol zur SVP bilden.

Politologe Adrian Vatter klassiert das Parteiensystem im Kanton Bern als typisches Mehrparteiensystem mit hoher Fragmentiertung, aber ehrheblicher Mitte-Orientierung. Die Stabilität erschien ihm bei seiner letzten Einschätzung höher als eigentlich erwartbar. Das hatte damit zu tun, dass die klassischen Konfliktlinien, die das grundlegende Parteiensystem mit SP, FDP und SVP hervorgebracht hatten, lange klar ausgebildet und bei Wahlen nachhaltig wirksam waren. Das ist seit 2010 sicher nicht mehr so, auch wenn sich das Pendel der Veränderungsbereitschaft 2014 eher wieder zurückbewegen dürfte.

Mehr wissen wir am Sonntag, wohl spät in der Nacht.

Claude Longchamp

Demokratiemuster in westlichen Gesellschaften neu klassiert und visualisiert

Der Datenjournalismus inspirierte mich: Was nicht grafisch aufgearbeitet wird, hat weniger Wirkung, gehört seinem Credo. Also bin ich hingegangen, Demokratiemuster zu visualisieren.

Die klassische Einteilung der demokratischen politischen Ssysteme basiert auf der Gegenüberstellung von präsidialer und parlamentarischer Demokratie. Als Vorbilder dienten dabei das us-amerikanische und das britische System. Seit 20 Jahren arbeiten verschiedenen Politikwissenschafter jedoch an anderen Einteilungen. Denn die angelsächsischen Demokratie-Typen basieren alle auf der Idee des Wettbewerbs – mit klar getrennter Regierung und Opposition.

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Die Demokratie-Realität selbst in den etablierten westlichen Demokratie ist komplexer. Am klarsten aufgezeigt hat dies der niederländisch amerikanische Politikwissenschafter Arend Lijphard. 1999 publizierte er die bahnbrechende Arbeit zu Muster der Demokratien. Dabei unterschied er zwischen generell zwischen Demokratien, die auf Mehrheits- resp. auf Konsensbildung einerseits ausgerichtet sind, anderseits sich hinsichtlich des Zentralisierung resp. Föderalisierung unterscheiden.

Grossbritannien ist demnach eine majoritär-unitarische Demokratie, die USA eine majoritär-föderale. Schweden kann als gutes Beispiel für ein konsensual-unitarisches System dienen, und die Schweiz steht für das konsensual-föderale Muster einer Demokratie.

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Lange dominierte seine Lijphart’sche Landkarte der Demokratiemuster die Typisierung von Demokratien. Bis Adrian Vatter, Schweizer Politikwissenschafter, ausgehend von seiner Replikation mit neuen Daten Bedenken anmeldet, vor allem weil die Formen der direkten Demokratie fehlten. Namentlich mit der Zunahme von Volksentscheidungen ausserhalb der Schweiz konnte man das nicht mehr als Sonderfall abtun. Mit seinem neuen Buch über das politische System der Schweiz hat Vatter Ende 2013 eine weitere Typisierung vorgelegt, welche die beiden Dimensionen von Lijphart berücksichtigt, sie aber durch den Grad an direkter Demokratie ergänzt. Diese neue Einleilung hat den Vorteil, die Ausbildung direktdemokratischer Elemente in politischen Systeme besser lokalisieren zu können.

Vatters Schluss: In Mehrheitsdemokratien bleibt die Ausbildung direktdemokratischer Elemente auf nationalstaatlicher Ebene zurück. Mehr davon findet sich dagegen in konsensual ausgerichteten Demokratien. Es gibt sie sowohl in unitarisch wie auch föderal strukturierten Systemen. Dänemark steht für den ersten Fall, Italien für den zweiten. Selbstredend gehört auch die Schweiz zu diesem.

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Ich habe versucht, die etwas abstrakten Landkarten von Lijphart und Vatter mal für Europa nachzuzeichnen – und zwar so, wie wir Landkarten herkommelicherweise kennen. So kommt visuell zum Ausdruck, welche Demokratiemuster heute wo vorkommt. Was dabei herausgekommen ist, zeigen die drei konkreten Landkarten.

Claude Longchamp

Politikwissenschafter Thomas Milic verstärkt das Forschungsinstitut gfs.bern

Dr. Thomas Milic, langjähriger Oberassistent für Politikwissenschaft an den Universitäten Zürich und Bern, wechselt auf den 1. Juli 2014 an das Forschungsinstitut gfs.bern.

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Der Verwaltungsrat von gfs.bern hat nach seiner heutigen Sitzung eine prominente Verstärkung des Forschungsteams bekannt gegeben. Mit Thomas Milic konnte einer der profiliertesten Abstimmungsspezialisten in der Schweiz verpflichtet werden.
Das Forschungsteam am gfs.bern kennt den 42jährigen Politikwissenschafter seit vielen Jahren als zuverlässigen Autor zahlreicher VOX-Analysen eidgenössischer Volksabstimmungen. Begonnen hat die weitere Zusammenarbeit mit der Dissertation von Thomas Milic zu „Ideologie und Stimmverhalten“. Denn der Autor führte in der Folge die damals verwendeten Methoden und Konzepte via Weiterbildungen erfolgreich in die interne Weiterbildung des Forschungsteams ein.
Thomas Milic wird ab Mitte Jahr ganz als Projektleiter im gfs.bern arbeiten. Er wird das Forschungsteam von Lukas Golder und Martina Imfeld verstärken. Gleichzeitig wird er mit Claude Longchamp die neue „Stiftung Datenarchiv“ aufbauen, welche die gfs-internen Datensätze von allgemeinem Interesse für die wissenschaftliche Forschung erschliessen soll. Ferner wird Thomas Milic mit dem Institutsleiter an der Weiterentwicklung der Wahl- und Abstimmungsforschung von gfs.bern arbeiten.
Der Politikwissenschfter Milic wird seinen Lehrauftrag an der Universität Zürich behalten, aber keine Forschungsprojekte mehr betreuen. Die VOX-Analysen an der Uni Zürich wird Flavia Fassati verfassen, jene an der Uni Bern Anja Heidelberger.
Ich heisse Thomas Milic herzlich willkommen und wünsche im gutes Gelingen an seinem neuen Wirkungsort.

Claude Longchamp

Wahlen im Kanton Bern 2014: Wenn der Jura-Sitz über die Mehrheitsverhältnisse entscheidet

Amtsinhaber-Bonus und Jura-Sitz-Garantie. Das sind die zwei zentralen Stichworte der Analyse bernischer Regierungsratswahlen. Wobei letzteres fast wichtiger ist, denn die Vertretung des Berner Juras entscheidet seit 1986 über die politische Mehrheit in der Berner Kantonsregierung.

Regierungsrat 2013
Ist die alte Regierung im Kanton Bern gleichzeitig auch die neue? Darüber entscheidet höchstwahrscheinlich der garantierte Sitz des Berner Juras.

Der Vorteil der Amtsinhaber
Amtsinhaber-Bonus heisst das erste Zauberwort einer jeden Analyse von Regierungsratswahlen in der Schweiz. Gemeint ist damit, dass wiederkandidierende Bisherige eine deutlich höhere Wahlchance haben als neue BewerberInnen. Die Wahrscheinlichkeit, als amtierender Regierungsrat oder amtierende Regierungsrätin bestätigt zu werden, beträgt 93 Prozent. Das haben die Politologen Thomas Milic und Adrian Vatter aufgrund aller Regierungsratswahlen seit 2000 unter Majorzbedingungen errechnet. Drei Gründe können hierfür vorgebracht haben: Einmal gewählt, nimmt die Bekanntheit stark zu, denn aus Gemeinde-, Stadt- oder RegionalpolitikerInnen werden durch die Wahl Kantonsvertreter. Zudem können sie sich mit ihrer Amtstätigkeit profilieren; selbst wenn sie gelegentlich kritisiert werden, ihre Akzeptanz steigt, vor allem bei der ersten, manchmal auch bei der zweiten Wiederwahl. Schliesslich haben Regierungsmitglieder in aller Regel gelernt, den guten Zeitpunkt für einen Rücktritt selber zu erkennen. Sesselkleben über 16 oder 20 Jahre hinweg sind im anspruchsvollen Job selten geworden.
Nun bewerben sich 2014 alle sieben bisherigen Regierungsmitglieder für eine weitere Amtsperiode. „Alles paletti?“, fragt man sich nicht ganz zu Unrecht.

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Die politische Bedeutung des Jura-SitzesJede Analyse von Regierungsratswahlen im Kanton Bern wäre allerdings unvollständig, würde sie eine Eigenheit der hiesigen Wahlen ausser Acht lassen. Das zweite Zauberwort heisst denn auch „Jura-Sitz“. Formell konzipiert, um dem französischsprachigen Berner Jura einen Sitz in der Berner Regierung zu garantieren, ist ihm ein den letzten sieben Wahlen eine weitere Bedeutung zugekommen. Denn seit 1986 drehen sich Berner Wahlen nicht nur um Personen und Parteien; vielmehr geht es auch um die Frage, wer die Mehrheit in der Regierung hat – und diese bestimmt jeweils der Jura-Vertreter. Bis 1986 war dies traditionsgemäss ein Freisinniger innerhalb der nach dem freiwilligen Proporz zusammengestellten Regierung mit rechter Mehrheit. 1986 wechselte der Jura-Sitz für vier Jahre in die Hände der Grünen Freien Liste, die zusammen mit der SP die erste rotgrüne Kantonsregierung bildete. Zwischen 1990 und 2006 wurde in der auf sieben Mitglieder reduzierten Regierung die alten Mehrheiten mit 4 SVP/FDP VertreterInnen hergestellt, dank dem Sitzgewinn der FDP im Berner Jura. Und auch 2006 gab der nördlichste Zählkreis den Ausschlag. Mit der Wahl des Sozialdemokraten Philippe Perrenoud als Jura-Vertreter in den Regierungsrat bekam dieser erneut eine linke Mehrheit.

“Um Schwung” oder “Bewährte Regierung?”
2010 scheiterte der Versuch der FDP, erneut via den Berner Jura die Machtverhältsnisse zu kippen. Kandidat Astier kam über einen Achtungserfolg nicht hinaus; er unterlag dem Bisherigen Perrenoud, sowohl im Berner Jura wie auch im Gesamtkanton deutlich.
Diesmal ist die Ausgangslage für einen Wechsel der Mehrheiten jedoch anders: günstiger und ungünstiger zugleich, denn mit Kandidat Manfred Bühler bewirbt sich erstmals ein SVP-Vertreter, um den Berner Jura zu vertreten. Er zählt darauf, Repräsentant der grössten Partei im Kanton zu sein, und er möchte das erreichen, was in letzter Zeit Oskar Freisinger im Wallis und Ivan Perrin in Neuenburg fertig gebracht haben: die SVP auch in der französischsprachigen Schweiz regierungsfähig zumachen. Doch tritt mit ihm ein kantonal wenig bekannter Politiker an, dessen wichtigster Leistungsausweis ist, seit vier Jahren einer von 160 Grossratsmitglieder zu sein. Zudem ist die SVP im Berner Jura nicht eindeutig die grösste Partei,zum die SP und der PSA bei dieser Wahl zusammenspannen.
Günstiger fallen seine Wahlchancen aus, weil sich die politischen Parteien rechts der Mitte zu einer Wahlallianz zusammen gefunden haben. „Um Schwung“ für den Kanton Bern bestrebt sind SVP, BDP und FDP, mindestens wenn man ihrem Wahlslogan Glauben schenken darf. Dem Vorbild in den Kantonen Basellandschaft und Freiburg folgend, wo eine gemeinsame bürgerliche Liste linke Mehrheiten verhinderte, suchen sie nämlich 2014 erstmals wieder den gemeinsamen Erfolg.
Würden alle ParteiwählerInnen stramm die KandidatInnen ihres Lagers wählen, wäre es klar: Bühler müsste gewählt werden, denn seine Hausmacht im Kanton beträgt zwischen 50 bis 55 Prozent; jene von Perrenoud liegt bei knapp einem Drittel. So ist das so einfach nicht, denn im Kanton Bern erlaubt das Wahlrecht überparteiliche Wahlbündnisse einzugeben, nicht aber vorgedruckte Wahlzettel in die Haushalte zu verschicken. So muss jeder Wähler, jede Wählerin, die Mitglieder, die er oder sie gerne in der Regierung hätte, eigenständig aufschreiben. Gewählt ist, wer das Mehr an Stimmen durch sieben erreicht. Ist kein Vertreter aus dem Berner Jura dabei, wird automatisch jener Vertreter dieses Zählkreise Berner Regierungsrat, der aus einem speziell ermittelten Mix aus Stimmen im Berner Jura und Restkanton an der Spitze liegt.

Mein vorläufiger Schluss
Was bedeutet dies alles? Der bisherige SP-Gesundheitsdirektor aus dem Berner Jura hat eine schwierige Amtsperiode hinter sich. Mehrfach folgte ihm der bürgerlich geprägt Grosse Rat nicht, und in den Massenmedien war er vor allem letztes Jahr Gegenstand von Angriffen gegen seine Person. Doch gilt auch hier, was die Kollegen Milic und Vatter festgehalten haben. Der Amtsinhaber kann auf einem beträchtlichen Bonus aufbauen. So wurden wurde schon zwei Mal auch ohne Jura-Sitz-Garantie gewählt; er verfügt über Regierungserfahrung, und er ist der klar bekanntere unter den Jura-KandidatInnen.
Bewährte Regierung also? Ich rechne damit, dass Perrenoud rund 40 Prozent der Stimmen machen wird und damit wohl über dem absoluten Mehr im gemässigten Majorzverfahren zu liegen kommt. Denn er kann auf eine weitgehende geschlossene Hausmacht und eine gewisse Ueberparteilichkeit zählen. Diese Vorgaben muss Manfred Bühler zuerst erreichen. Ausgeschlossen ist es mit einer gut funktionierenden bürgerlichen Allianz nicht, die Vorgabe ist aber hoch. Sie braucht viel “Um-Schwung”.

Claude Longchamp