Wahlen im Kanton Bern 2014: Wenn der Jura-Sitz über die Mehrheitsverhältnisse entscheidet

Amtsinhaber-Bonus und Jura-Sitz-Garantie. Das sind die zwei zentralen Stichworte der Analyse bernischer Regierungsratswahlen. Wobei letzteres fast wichtiger ist, denn die Vertretung des Berner Juras entscheidet seit 1986 über die politische Mehrheit in der Berner Kantonsregierung.

Regierungsrat 2013
Ist die alte Regierung im Kanton Bern gleichzeitig auch die neue? Darüber entscheidet höchstwahrscheinlich der garantierte Sitz des Berner Juras.

Der Vorteil der Amtsinhaber
Amtsinhaber-Bonus heisst das erste Zauberwort einer jeden Analyse von Regierungsratswahlen in der Schweiz. Gemeint ist damit, dass wiederkandidierende Bisherige eine deutlich höhere Wahlchance haben als neue BewerberInnen. Die Wahrscheinlichkeit, als amtierender Regierungsrat oder amtierende Regierungsrätin bestätigt zu werden, beträgt 93 Prozent. Das haben die Politologen Thomas Milic und Adrian Vatter aufgrund aller Regierungsratswahlen seit 2000 unter Majorzbedingungen errechnet. Drei Gründe können hierfür vorgebracht haben: Einmal gewählt, nimmt die Bekanntheit stark zu, denn aus Gemeinde-, Stadt- oder RegionalpolitikerInnen werden durch die Wahl Kantonsvertreter. Zudem können sie sich mit ihrer Amtstätigkeit profilieren; selbst wenn sie gelegentlich kritisiert werden, ihre Akzeptanz steigt, vor allem bei der ersten, manchmal auch bei der zweiten Wiederwahl. Schliesslich haben Regierungsmitglieder in aller Regel gelernt, den guten Zeitpunkt für einen Rücktritt selber zu erkennen. Sesselkleben über 16 oder 20 Jahre hinweg sind im anspruchsvollen Job selten geworden.
Nun bewerben sich 2014 alle sieben bisherigen Regierungsmitglieder für eine weitere Amtsperiode. „Alles paletti?“, fragt man sich nicht ganz zu Unrecht.

ktberrtableau
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Die politische Bedeutung des Jura-SitzesJede Analyse von Regierungsratswahlen im Kanton Bern wäre allerdings unvollständig, würde sie eine Eigenheit der hiesigen Wahlen ausser Acht lassen. Das zweite Zauberwort heisst denn auch „Jura-Sitz“. Formell konzipiert, um dem französischsprachigen Berner Jura einen Sitz in der Berner Regierung zu garantieren, ist ihm ein den letzten sieben Wahlen eine weitere Bedeutung zugekommen. Denn seit 1986 drehen sich Berner Wahlen nicht nur um Personen und Parteien; vielmehr geht es auch um die Frage, wer die Mehrheit in der Regierung hat – und diese bestimmt jeweils der Jura-Vertreter. Bis 1986 war dies traditionsgemäss ein Freisinniger innerhalb der nach dem freiwilligen Proporz zusammengestellten Regierung mit rechter Mehrheit. 1986 wechselte der Jura-Sitz für vier Jahre in die Hände der Grünen Freien Liste, die zusammen mit der SP die erste rotgrüne Kantonsregierung bildete. Zwischen 1990 und 2006 wurde in der auf sieben Mitglieder reduzierten Regierung die alten Mehrheiten mit 4 SVP/FDP VertreterInnen hergestellt, dank dem Sitzgewinn der FDP im Berner Jura. Und auch 2006 gab der nördlichste Zählkreis den Ausschlag. Mit der Wahl des Sozialdemokraten Philippe Perrenoud als Jura-Vertreter in den Regierungsrat bekam dieser erneut eine linke Mehrheit.

“Um Schwung” oder “Bewährte Regierung?”
2010 scheiterte der Versuch der FDP, erneut via den Berner Jura die Machtverhältsnisse zu kippen. Kandidat Astier kam über einen Achtungserfolg nicht hinaus; er unterlag dem Bisherigen Perrenoud, sowohl im Berner Jura wie auch im Gesamtkanton deutlich.
Diesmal ist die Ausgangslage für einen Wechsel der Mehrheiten jedoch anders: günstiger und ungünstiger zugleich, denn mit Kandidat Manfred Bühler bewirbt sich erstmals ein SVP-Vertreter, um den Berner Jura zu vertreten. Er zählt darauf, Repräsentant der grössten Partei im Kanton zu sein, und er möchte das erreichen, was in letzter Zeit Oskar Freisinger im Wallis und Ivan Perrin in Neuenburg fertig gebracht haben: die SVP auch in der französischsprachigen Schweiz regierungsfähig zumachen. Doch tritt mit ihm ein kantonal wenig bekannter Politiker an, dessen wichtigster Leistungsausweis ist, seit vier Jahren einer von 160 Grossratsmitglieder zu sein. Zudem ist die SVP im Berner Jura nicht eindeutig die grösste Partei,zum die SP und der PSA bei dieser Wahl zusammenspannen.
Günstiger fallen seine Wahlchancen aus, weil sich die politischen Parteien rechts der Mitte zu einer Wahlallianz zusammen gefunden haben. „Um Schwung“ für den Kanton Bern bestrebt sind SVP, BDP und FDP, mindestens wenn man ihrem Wahlslogan Glauben schenken darf. Dem Vorbild in den Kantonen Basellandschaft und Freiburg folgend, wo eine gemeinsame bürgerliche Liste linke Mehrheiten verhinderte, suchen sie nämlich 2014 erstmals wieder den gemeinsamen Erfolg.
Würden alle ParteiwählerInnen stramm die KandidatInnen ihres Lagers wählen, wäre es klar: Bühler müsste gewählt werden, denn seine Hausmacht im Kanton beträgt zwischen 50 bis 55 Prozent; jene von Perrenoud liegt bei knapp einem Drittel. So ist das so einfach nicht, denn im Kanton Bern erlaubt das Wahlrecht überparteiliche Wahlbündnisse einzugeben, nicht aber vorgedruckte Wahlzettel in die Haushalte zu verschicken. So muss jeder Wähler, jede Wählerin, die Mitglieder, die er oder sie gerne in der Regierung hätte, eigenständig aufschreiben. Gewählt ist, wer das Mehr an Stimmen durch sieben erreicht. Ist kein Vertreter aus dem Berner Jura dabei, wird automatisch jener Vertreter dieses Zählkreise Berner Regierungsrat, der aus einem speziell ermittelten Mix aus Stimmen im Berner Jura und Restkanton an der Spitze liegt.

Mein vorläufiger Schluss
Was bedeutet dies alles? Der bisherige SP-Gesundheitsdirektor aus dem Berner Jura hat eine schwierige Amtsperiode hinter sich. Mehrfach folgte ihm der bürgerlich geprägt Grosse Rat nicht, und in den Massenmedien war er vor allem letztes Jahr Gegenstand von Angriffen gegen seine Person. Doch gilt auch hier, was die Kollegen Milic und Vatter festgehalten haben. Der Amtsinhaber kann auf einem beträchtlichen Bonus aufbauen. So wurden wurde schon zwei Mal auch ohne Jura-Sitz-Garantie gewählt; er verfügt über Regierungserfahrung, und er ist der klar bekanntere unter den Jura-KandidatInnen.
Bewährte Regierung also? Ich rechne damit, dass Perrenoud rund 40 Prozent der Stimmen machen wird und damit wohl über dem absoluten Mehr im gemässigten Majorzverfahren zu liegen kommt. Denn er kann auf eine weitgehende geschlossene Hausmacht und eine gewisse Ueberparteilichkeit zählen. Diese Vorgaben muss Manfred Bühler zuerst erreichen. Ausgeschlossen ist es mit einer gut funktionierenden bürgerlichen Allianz nicht, die Vorgabe ist aber hoch. Sie braucht viel “Um-Schwung”.

Claude Longchamp