Was aus den BDP-WählerInnen im Kanton Bern wurde

Die Berner BDP erlebt gestern ein Wechselbad der Gefühle. Zuerst der vorderste Platz von Beatrice Simon bei den Regierungsratswahlen, mit Freude bejubelt. Doch dann die 11 Sitzverluste bei den Grossratswahlen, mit Trauer zur Kenntnis genommen. Seither ist das Rätselraten gross, was Sache bei der Berner BDP. Hier mein kleiner Beitrag zur Klärung.

Die Positionierung
Am Anfang meiner Analyse steht die Positionierung der BDP. Parteigrössen und JournalistInnen ist nicht entgangen, dass die BDP in Kanton Bern eine bürgerliche Partei geworden ist, gemässigter rechts als die SVP und einigermassen vergleichbar mit der Position der FDP. Hauptgrund hierfür sind die Finanzpolitik der Partei und Regierungsrätin Beatrice Simon, mit denen man sich FDP und SVP annähert. Zudem ist man mit den Kandidaten eben dieser Parteien ist sie geschlossen für eine weitere Amtsperiode angetreten, was den Eindruck der bürgerlichen Blockbildung unter Einschluss der BDP verstärkt hat.

Grafik 1: Positionierung der BDP (KandidatInnen 2014) gemäss Smartvote
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Mit ihrer Annäherung ans bürgerliche Lager hat die BDP eine ihrer Attraktivitäten aus der Gründungszeit verloren. Denn 2012 sammelte sie zahlreiche WählerInnen, die mit ihrer angestammten Partei unzufrieden waren. Bei der SVP, FDP, EVP und SP wurde die BDP fündig, wie Nachanalysen der damaligen Wahl zeigten. Zusammen ergab das den sensationellen Aufstieg von 0 auf 16 Prozent Wählendenanteil bei den Grossratswahlen 2010.

Die Identifikationsfaktoren einzeln
Wenn PolitologInnen die Wahl einer Partei analysieren, unterscheiden sie drei Faktoren der Identifikation von Wählenden mit einer Partei: die Partei als Ganzes, ihr Programm und ihr Personal.

Beginnen wir mit dem Personal. Bei der Parteigründung stammte es überwiegend aus der SVP, denn ein gewichtiger Teil ihrer Fraktion trennte sich von der SVP bildete die BDP. Davon hat die junge Partei profitiert, denn mit den gestandenen GrossrätInnen kam auch politischen know-how in die BDP. Ein schöner Teil der politisch Erfahrenen hat nicht mehr kandidiert oder ist gestern abgewählt worden. Auffällig war, dass die nicht bestätigten Fraktionsmitglieder der BDP allesamt Männer sind, derweil alle Frauen die Wiederwahl schafften. Man könnte es auch so sagen: Vor vier Jahren suchten sich die Abtrünnigen der SVP neue Wähler und WählerInnen, heute wählten sich die WählerInnen ihre bevorzugten PolitikerInnen. Frauen entwickeln dabei eigenen Präferenzen, um ihre Identität der neuen Partei besser ausdrücken zu können.

Klar fassbar wurde in diesen vier Jahren das finanzpolitische Programm der BDP. Weniger eindeutig ist die Position der BDP in der Energiepolitik. Zwar zählte man zu den Begründern der bernsichen Energiewende, doch versteht sie diese bisweilen in Opposition zur Politik des Bundes- und Regierungsrates. In weiteren Bereichen ist das Profil ausserhalb der Partei noch weniger eindeutig. Man ist gemäss Smartvote gemässigt bürgerlich, nicht konservativ, aber auch nicht liberal.

Bleibt also die Partei als Ganzes. Stabilisierend auf Schwankungen in der Beurteilung des Personals und des Programm wirkt sich in aller Regel die gefühlmässige Parteibindung aus. Nicht selten bildet sie sich in jüngeren Jahren aus, entwickelt eine gewisse Konstanz und ist sie emotional abgestützt. Genau das ist die Schwäche aller junger Parteien. Bei der BDP kommt hinzu, dass ihre Wählerschaft eher im mittleren und höheren Alter ist, sodass eher von Brüchen früherer Parteibindungen zu erwarten sind. Sie bilden nicht in jedem Fall jene Basis, dass sie neue Bindungen entwickeln können, wie das bei jüngeren Menschen gegenüber jüngeren Parteien geschehen kann.

Erste Hypothesen zur Erklärung der Niederlage
Eine erste Durchsicht der aktuellen BDP-Verluste legt zwei Hauptursachen und einigen Nebenursachen nahe. Klare Gründe für die Wahlniederlage orte ich im Wechselwählen hin zu GLP und SVP; weniger sicher bin ich, ob nicht auch Verluste an die FDP und EVP herangezogen werden müssen, und die Abwanderungen an die Nicht-(Mehr)-Wählenden. Müsste ich die 4,8 Prozentpunkte Rückgang im Wählenden-Anteil heute gewichten, würde ich je 2 Prozentpunkte mit Verlusten an GLP und SVP in Verbindung bringen, den Rest auf die drei anderen denkbaren Erklärungen verteilen.

Grafik 2: BDP-relevante Wählerströme bei den Grossratswahlen 2010/4
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Verluste an die SVP dürften vor allem im rechten Wählersegment von Belang gewesen sein. Plausibel ist, dass es sich dabei um ehemalige SVP-WählerInnen handelt, die zu ihrer angestammten Partei zurückgekehrt sind. Die BDP hat die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Wenn schon rechte Politik unterstützt werden soll, dann die des Originals. Aus genau umgekehrten Gründen dürfte die BDP Wählende an die GLP verloren haben. Hier handelt es sich um Wählende in der Mitte, für die die BDP zu stark nach rechts gedriftet ist. In ihrer verbreiteten Ungebundenheit wandern sie weiter, zum heutigen Hoffnungsträger, der GLP. Von ihr erwartet man, dass sie das Blockdenken überwinden hilft, und Lösungen in zentralen Dossiers wie beispielsweise der Bildungspolitik entwickeln wird.

Schliesslich ein Wort zur Mobilisierung. Der Streit zwischen SVP und BDP 2010 führte zu einer stark erhöhten Medienaufmerksamkeit für beide Parteien, die letztlich die Beteiligung an den damaligen Grossratswahlen ansteigen liess. Davon kann diesmal nicht die Rede sein. Die Teilnahmequote hat sich nach unten entwickelt, eine besondere Beachtung fand auf jeden Fall die BDP diesmal nicht. So würde es mich nicht erstaunen, wenn ein kleinerer Teil der Verluste auf Demobilisierung zurückgehen würde.

Den letzten Punkt muss die BDP hinnehmen, die beiden ersten kann sie duch bewusste Parteiarbeit beeinflussen.

Die BDP in Gründungskantonen und anderswo
Die Analyse, die ich hier in der notwenigen Vereinfachung gemacht habe, soll auch nicht darüber hinweg täuschen, dass die BDP insgesamt eine Siegerpartei ist. Bei kantonalen Wahlen hat sie zwischen 1 und 1,5 Prozentpunkte zulegen können. Wachsend ist die junge Partei vor allem in Kantonen wie Thurgau, St. Gallen und Solothurn, aber auch Fribourg und Aargau zählen dazu. Schwieriger einzuschätzen ist die Lage in der anderen BDP, nämlich den Kantonen, aus denen sie in der Gründungszeit hervorgegangen ist. Graubünden und Glarus wählen noch in diesem Jahr ihre kantonalen Behörden, sodass man bald klarer sehen wird, ob es sich bei der gestrigen Niederlage um eine Phänomen der Berner Partei handelt, oder ob die BDP in ihren Gründungskantonen bereits am Plafond angelangt ist, und Konkurrenzparteien um verlorene WählerInnen aus den BDP-Reihe kämpfen.

Momentan bleibt, dass die Berner Wahlen das bisherige Highlight waren, im Guten und im Schlechten. Höchstwahrscheilich ist die jetzige Parteistärke realistischer als die vor 4 Jahren. Nur muss sie jetzt gehalten werden können. Denn auf die nationale Stärke wirkt sich das Ergebniss in Bern erheblich aus. Gewinne in neuen Kantonen werden so schnell zu nichte gemacht. Aendern wird sich vor allem die Medienaufmerksamkeit. Sie dürfte kritischer werden, der journalistisch gesprochen ist die BDP angezählt. Dem muss die Partei schnell etwas entgegenstellen, will sie 2015 eine Gewinner-Partei sein. Denn die Hoffnung auf Veränderungen ist gerade bei neuen Parteien ein wichtiger Treiber des Erfolgs!

Claude Longchamp