Vom (Un )Sinn des geometrischen Mittels an Stimmen bei der Vertretung von Minderheiten in Mehrheitswahlen

Ein wenig tricky ist die Sache schon, wie der Berner Jura zu seinem garantierten Sitz in der Berner Kantonsregierung Kanton. Wie fast alles hat auch das seine Geschichte.

Wäre die Initiative für die Volkswahl des Bundesrates 2013 angenommen worden, wäre der Kanton Bern Pate bei der Bestimmung der BundesrätInnen aus den Sprachminderheiten gestanden. Denn das Begehren der SVP hätten der französisch- und italienischsprachigen Minderheit zwei Sitze im Bundesrat garantiert – berechnet nach der Berner Formel. Nun kam es anders, mit der Volkswahl des Bundesrates, und so bleibt die Berner Formel ein Unikum bei Regierungs(rats)wahlen.

Erfunden wurde sie, damit Sprachminderheiten bei Majorzwahlen von der Mehrheit nicht einfach majorisiert werden können. Ganz unbestritten ist das Verfahren nicht, aber es verhindert, das die Mehrheit der Minderheit ihre Vertretung in einer Regierung aufzwingen kann.

So bestimmt die Berner Formel, dass der Berner Jura, die Sprachminderheit im Kanton Bern, einen Sitz im Regierungrat auf sicher hat. Er geht an den oder die KandidatIn, der oder die die höchste Zahl hat aus der Wurzel des Ergebnisses im Berner Jura, multipliziert mit dem Resultat im gesamten Kanton, hat. Angewendet wird dieses Verfahren auf alle Fälle, aber nur bei den Kandidierenden aus dem Berner Jura.

Eingeführt wurde die Formel 1990, als der bernische Regierungsrat von 9 auf 7 Sitzen verkleinert wurde: zuerst, um den bisherigen Sitzanspruch der Minderheit weiter zu garantieren, sodann um das Wahlresultat von 1986 möglichst verhindern. Denn damals wurde nicht die FDP-Nationalrätin Geneviève Aubry aus dem Berner Jura Regierungsrätin, sondern Benjamin Hofstetter der Grünen Freien Liste -dies, obwohl die BernjurassierInnen Frau Aubry mehr Stimmen gegeben hatten als Herrn Hofstetter.

Diese Wahl war nicht ohne Bedeutung, denn mit dem Grünen aus dem Berner Jura wechselte die Regierungsmehrheit erstmals von rechts nach links. Das ist bis heute so, denn das Lager, das den garantierten Sitz im Berner Jura macht, hatte bis anhin jedes Mal auch die Regierungsmehrheit für sich. 1990 konnte die FDP mit Mario Annoni Punkten, 2006 war jedoch die SP mit Philippe Perennoud an der Reihe. 2010 scheiterte die FDP beim Versuch, mit Sylvain Astier den Jura-Sitz zurück zu erobern. Diesmal ist Grossrat Manfred Bühler von der SVP der Herausforderer. Und jedes mal gilt, wer Bernjurassier ist und im Berner Jura mehr stimmen macht, ist dank der Wurzel aus dem geometrischen Mittel der Ergebnisse aus dem Berner Jura und dem Gesamtkanton Berner Regierungsrat.

Immerhin, sowohl Annoni wie auch Perrenoud wären auch ohne diese Formel jeweils Regierungsrat geworden, denn sie lagen stets über dem absoluten Mehr und rangierten im Gesamtkanton mindestens auf Platz 7.
Tricky wird das Ganze erst, wenn keiner der Jura-Kandidaten das absolute Mehr erreicht und bei der Wahl im Gesamtkanton nur Achter ist. Dann kann es sein, dass der schlechtest gewählte Regierungsrat bei der Wahl im gesamten zugunsten eines Bernjurassier ausscheidet – ein wenig kehrt sich dann der Sinn der Minderheitenvertretung in einen demokratischen Unsinn!

Claude Longchamp