Kantonale Wahlergebnisse: Vorsicht aus verschiedenen Gründen angebracht

Wahlergebnisse in den Kantonen sind gar nicht so einfach zu erhalten. Denn die Resultateermittlung beschränkt sich weitgehend auf die Sitze, kaum auf die Prozentwerte. Hinzu kommen unterschiedliche Praxen und Rechnenfehler, was die Aufgabe zusätzlich erschwert.

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Beispielhafte Uebersicht über die jüngsten kantonalen Wahlergebnisse, wie sie das BfS veröffentlicht.

Exemplarische Probleme
Das Staunen im Aargau war letzte Woche grosse. “Die bisherigen Wahlergebnisse im sind Aargau falsch berechnet worden», diktierte Wahlanalytiker Stephan Müller der “Mittellandzeitung” ins Notizbuch. Berechnet hatte man die Stimmenstärke der Parteien, ausgewiesen wurden aber die WählerInnen-Stärken.

Da die Zahl der Stimmen, die man im Proprozwahlrecht mit Panaschiermöglichkeiten abgibt, von der Zahl der Sitze in einem Wahlkreis abhängen, haben Wählende in grossen Wahlkreise mehr Stimmen als Wählende in kleinen. Prozentuiert man auf der Basis der Stimmen, verzerrt dies das Ergebnis gunsten der Parteien der Wahlkreise mit vielen Sitzen.

Das Problem ist im Aargau erkannt und wir berichtigt. Wegen der Aenderung des Wahlrechts und der Verteilung nach dem “doppelten Pukelsheimer” sind die Prozentwert sowieso nur bedingt vergleichbar. Da die kleinen Parteien im neuen Schlüssel grössere Chancen haben, zu Sitzen zu kommen, kann auch angenommen werden, dass sie auch mehr WählerInnen-Stimmen erhalten. Denn die Chancen, dass eine Stimme für kleine Parteien zu gar keinem Sitz führen, war diesmal deutlich geringer als noch vor vier Jahren.

Die WählerInnen-Verschiebungen im Aargau
Ueberblickt man die Veränderungen in den aktuellen Parteistärken, haben SP (-3.9%), FDP (-2.6%) und CVP (-2.5%) am meisten verloren. Real sind auch die Verluste der EVP (-1.2%).
Der Sitzverlust der SVP geht dagegen auf den Wechsel im Wahlrecht zurück, denn die Partei, die ein Mandat weniger hat, gewann 1,6 Prozent der Wählenden hinzu.
Grosse Gewinnerin im Aargau ist die Grünliberale Partei (+3.5%), gefolgt von der BDP (3.1%). Beide bewarben sich erstmals für Sitze im Grossen Rat. Gewonnen haben aber auch die Grünen (+2.2%), die EDU (+1.1%), während die SD wählerInnen-mässig praktisch stabil blieb (+0.1%).

Unter dem Strich kann man das vorerst wie folgt interpretieren: Die Rechte (SVP, EDU) und die Linke (Grüne) legen zu, das rechte und linke Zentrum kennen neue Angebote (GLP, BDP), was die Situation der Regierungsparteien im Zentrum und links davon erschwert. Die Einflüsse aus der Wirtschaftlage sind gering, stärker noch gleicht die Entwicklung jener bei den letzten Nationalratswahlen.

Die raschen und zuverlässigen Informationsquellen

Die mehrfachen Schwierigkeiten mit Wahlergebnissen in Kantonen, die man gegenwärtig kennt, kann man letztlich nur dank Datenbanken ausgleichen, die aktuell sind und die Ergebnisse von Proporzwahlen nach vergleichbarem Muster berechnet werden. Dazu gehören die Uebersicht des BfS und das Parteienbarometer des Forschungsinstituts gfs.bern.

Claude Longchamp

Die postdemokratische Diagnose

Wir sind es uns gewohnt, Demokratie für die vollendeste Regierungsform zu halten. Entsprechend rechnen wir nicht damit, dass es ausser Perfektionierungen der Demokratie auch andere Formen ihrer Weiterentwicklung gibt. Obwohl das einer gründlichen, aber unvoreingenommen Diskussion wert ist.

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Die Wahl von Georges W. Bush im Jahre 2000 hat den Glauben Vieler in die Funktionsweise der Demokratie erschüttert. Letztlich blieb unklar, ob die BürgerInnen der USA den Ausschlag gaben, oder das oberste amerikanische Gericht die Wahl entschieden hatte.

Die Diskussion der Demokratiequalität, die seither zunimmt, hat die Symptomatik der möglichen Probleme ausgeweitet und sie unter den Titel “Post-Demokratie” gestellt. Generell gesprochen geht es um einen kulturellen Wandel, wie er in der politischen Kulturforschung seit längerem diskutiert wird:

Output-orientierte Demokratieverständnisse messen Demokratiequalität vor allem an den wirtschaftlichen Leistungen, die eine demokratisch legitimierte Herrschaft erbringt. Geringe Arbeitslosigkeit, tiefe Inflation, steigendes Durchschnittseinkommen zählen zu den wichtigsten ökonomischen Bestimmungsgrössen, die gelegentlich auch durch Fortschritte in der Freizeitgesellschaft ergänzt werden.

Input-orientierte Definitionen von Demokratie betonen dagegen die hohe Bedeutung des Prozesses der Willensbildung vor, während und nach der Entscheidung als Qualitätskriterien. Effektive BürgerInnen-Partizpation, die sich im ganzen Ablauf gegen bisherige Herrschaften durchsehen kann, gilt hier als zentrales Kriterium.

Die pointierteste Kritik an gegenwärtigen Zuständen demokratischer Regierungsweisen in fortgeschrittenen Demorkatien hat der britische Politikwissenschafter Colin Crouch 2004 verfasst. Zwischenzeitlich ist seine Streitschrift in mehrere Sprachen, so auch auf Deutsch, übersetzt worden. Dabei geht er von den Entwicklungen der Demokratie in Italien unter Silvio Berlusconis Regierungen aus, bleibt aber nicht dabei stehen. Alle Gemeinwesen, in denen nach wie vor Wahlen abgehalten werden, in denen konkurrierende Teams professioneller Experten die öffentliche Debatte so stark kontrollieren können, dass sie einerseits zum reinen Spektakel verkommen, anderseits nur über jene Problemen diskutiert wird, welche die Experten ausgewählt haben, nennt Courch Postdemokratien. Bürgerapathie in politischen Fragen, von gelenkten Parteien nur in symbolischen Fragen durchbrochen, korrespondiert dabei mit einem hohem politischem Einfluss von Interessengruppen in der effektiven Politikgestaltung.

Crouch behandelt in seiner Diagnose die Bedeutung globaler Unternehmen, die Veränderungen sozialer Klassen, die Lage der Parteien und die Kommerzialisierung öffentlicher Leistungen. Dabei trägt er eine anregende Fülle von Beobachtungen zusammen, die er jedoch vor einem nicht weit diskutierten Geschichtsbild interpretiert. Massgeblich ist die Vorstellung, dass politische Regimes generell, aber auch das der Demokratie, sich in Parabelform entwickeln. Entsprechend kann man eine erste, prädemokratische Phase unterscheiden, auf die die zweite Etappe mit dem Höhepunkt der Demokratie folgt, die während der dritten Phase, der postdemokratischen zwangsläufig in einen Abstieg mündet.

Diese Vorstellung der Phasenentwicklung von Demokratie ist so arbiträr fatalistisch, wie jene optimistische Vorstellung von Samuel Huntington, der von einer von einer stufenweisen Weiterentwicklung der Demokratie sprach, die sich dabei weltweit ausdehen und verbessern. Adäquater ist, gerade aus der Sicht der politischen Kulturforschung von Zyklen in demokratischen Regimes auszugehen, indenen in- und outputorientierte Vorstellungen mehr oder minder realisiert werden. Das reicht, um eine Leitlinie für Untersuchungen zu bekommen, sie sehr wohl helfen, die Gegenwart zu diagnostieren, ohne gewagte Spekulationen zur Zukunft der Demokratie zu machen.

Claude Longchamp

Crouch, Colin: Post-Democracy, Oxford 2004 (Postdemokratie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Mai, 2005)
Colin Crouch in der Berliner TAZ zur aktuellen Lage in Politik und Wirtschaft

Demokratiequalität wird problematischer

Zum dritten Mal in Folge fällt der Bericht von “Freedom House” zum weltweiten Stand der Demokratie kritisch aus. Zwar bleibt die Zahl der etablierten Demokratie praktisch konstant, doch verringert sich die Demokratiequalität, hält die neueste Ausgabe fest.

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Freedom House erstellt jährlich den Bericht „Freedom in the World“, in dem der Grad an Demokratie und Freiheit in Nationen und bedeutenden umstrittenen Territorien auf der ganzen Welt bewertet wird. Beurteilt werden die Ausgestaltung der politischen Rechte und der bürgerlichen Freiheiten, weil sie in liberal ausgerichteten Demokratietheorien als entscheidend angesehen werden.

Die aktuelle World Map of Freedom hält Verschlechterungen der Demorkatiequalität in Senegal (von „frei“ zu „teilweise frei“), Afghanistan und Mauretanien (von „teilweise frei“ zu „unfrei“) fest, während Bhutan, Malediven und Pakistan neu etwas (von “unfrei” zu “teilweise frei”) eingestuft werden.

In Europa ergeben sich kaum Trends. Zu den Problemländern zählen vor allem die Türkei (“teilweise frei”), Italien, Griechenland und Monaco, die zwar frei angestuft werden, wegen eingeschränkten politischen Rechte (Monaco) resp. bürgerlichen Freiheiten (Italien und Griechenland) kritisiert werden.

Wichtiger noch als die Umgruppierungen erscheint den Berichterstattern, dass die Demorkatiequalität nicht mehr per se garantiert ist. Oder anders gesagt: “According to the survey’s findings, 2008 marked the third consecutive year in which global freedom suffered a decline.” Mit anderen Worten: Für die schleichende Erosion in der Ausgestaltung politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten in Demokratie braucht es ein entwickelteres Sensorium.

Uebrigens: Die Schweiz ranigert seit 1973, dem Zeitraum, für den solche Ratings vorliegen, immer in der obersten Kategorie mit der Idealbewertung 1.

Claude Longchamp

Die einheimische Arbeiterschaft schrumpft und verhält sich parteipolitisch mobil

Nun sind die Grünen dank der Auszählung der Briefwählenden in Kärnten doch noch über der 5-Prozent-Hürde. Das relativiert die gestrigen Eindrücke zum Rechtsrutsch etwas, stellt aber unverändert die gleiche Frage: Was geschieht parteipolitsch mit der österreichischen Arbeiterschaft?

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Der Einzug der Grünen mit zwei Mandaten in den Kärntner Landtag relativiert die Sitzverschiebungen etwas. Das BZOe verliert einen Sitz und hat damit keine Mehrheit mehr im Landesparlament. Ebenso reduzieren sichdie Gewinne der OeVP um ein Mandat, was den Rechtsrutsch nochmals etwas relativiert.

Theoretisch sind damit wieder verschiedene Allianzen denkbar. Am wahrscheinlichsten ist orange-schwarz, wobei das BZOe aufgrund ihrer Mehrheit in der Landesregierung den Ton angeben kann. Letzteres verhindert auch, dass es zu einer Kombination aus Rot-Schwarz-Grün kommen dürfte.

Fritz Plasser, Politikwissenschafter an der Universität Innsbruck stellt den Wechsel der Arbeiterschaft nach rechts nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Leistung, den die Partei in Wien bietet. Vielmehr sieht er darin eine Wiederholung dessen, was man in Oesterreich seit Ende der 90er Jahre kennt: Die Hälfte der Arbeiterschaft, angeführt von den jungen Männern, votiert in der Wirtschaftskrise für nationalistisch ausgerichtete Parteien. SORA-Leiter erkennt gar überhaupt keine Arbeitspartei mehr, denn die österreichische Arbeiterschaft schrumpfe, sei nicht mehr direkt umworben und verhalte sich parteipolitisch mobil.

Andreas Mölzer, EU-Parlamentarier der FPÖ, interpretiert die Erfolge seiner Partei in Salzburg resp. des BZOe in Kärtner als Formierung einer “Arbeiterpartei neuen Typs”. Man punkte seit Ende der 90er Jahre mit sozialpolitischen Aussagen.,denn in der Krise merke der “viel zitierte kleine Mann”, dass das politische Establishment versage. Es entstünde aber keine neue sozialistische Partei, sndern eine “Arbeiterpartei mit nationaler Solidarität.” Anders als die SPOe verstehe man sich nicht international, sondern national und sichere die eigenen Arbeitsplätze, indem man auf den Vorrang der Eimheimischen vor den Zuwanderern poche.

Claude Longchamp

“Die Roten verlieren gegen einen Toten”

Die Ueberraschung war faustdick: Das BZOe, die Partei des verstorbenen Landeshauptmannes Jörg Haider, gewinnt die Wahlen in Kärtnen. In der Landesregierung verfügt sie neu über 4 der 7 Sitze, und im Landtag stellt sie mit 18 der 36 Mandate genau die Hälfte.

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Wiedergewählter Landeshauptmann von Kärtnen, Gerhard Dörfler, neben Claudia Haider, der Witwe des verstorbenen Rechtspolitikers Jörg Haider

Das BZOe von Landeshauptmann Gerhard Dörfler erreichte bei einer Wahlbeteiligung von 77 Prozent 45,5 Prozent der Stimmen. Die Vorgängerpartei FPOe kam vor vier Jahren auf 42,2 Prozzent. Die SPOe folgt neu mit 28,6 -9,6%) Prozent, die OeVP mit 16,5 (+4.9%) Prozent. Die anderen Parteien scheiterten an der 5 Prozent-Hürde: die Grünen um Haaresbreite, die FPOe klar, während die KPOe kaum Stimmen machte.

Wählerwanderung: Umgruppierung, Wechselwählen und Neuwählende
Die Wählerstromanalyse des SORA-Instituts zeigt, dass das BZOe 117’000 den Hauptharst der Stimmen bei der Vorgängerpartei FPOe abholte. Aber auch 22’000 Stimmen kamen von ehemaligen SPOe-WählerInnen, jedoch nur 3’000 von der OeVP. Immerhin 17’000 Wählende des BZOe bleiben vor vier Jahren den Wahlen fern. Umgruppierung im rechten Lager, Wechselwählende aus den Reihen der Koalition in Wien und Neumobilisierung sind damit die Stichworte, die den grossen Wahlsieg begründen.

Am meisten Wählende verloren hat die SPOe. Nebst den erwähnten Stimmen an das BZOe, wanderten auch 2000 an die OeVP, während genau doppelt so viele zu den Nicht-Wählenden gingen. Marginal sind die Gewinn von der FPOe (2000) und von den Grünen (1000). Demobilisierung und Verluste nach rechts sind hier die Schlagworte.

Die dritte Partei in Regierung und Parlament, die OeVP, legt zu, weil sie 9000 Neuwählende ansprach, und ebenso viele Menschen für sich gewinnen konnte, die vormals FPOe gewählt hatten. Beschränkte Gewinne gab es auch seitens der Grünen (4000) und der SPOe (2000). Nur an das siegreiche BZOe verlor die OeVP etwas (3000). Damit sammelte die OeVP ein wenig aus allen Lagern.

Selbstbewusstsein Haiders gerade auch in der Krise weiter tragen
Das zentrale Motiv aus der Wahltagsbefragung war, wie andern Orts auch, die Arbeitsplatzsicherung. Die global Wirtschaftskrise bestimmte damit auch den Wahlausgang in Kärtnen in wesentlichen Teilen. Gewonnen hat aber auch jene Partei, die sich im Land bewusst von allem anderen abgrenzte, um “Seinen Weg weitergehen” zu können. Angespielt wird damit, dass es Gerhard Dörfler gelang, an den zum Mythos gewordenen Jörg Haider und sein Engagement für ein eigenständig ausgerichtetes Kärnten anzuknüpfen.

Michael Völker kommentiert im Standard: “Das Verständnis für einen Landeshauptmann Dörfler muss man sich erst erarbeiten.” Kärtnen sei und bleibe ein Sonderfall unter den österreichischen Bundesländern: Es ist das einzige Bundesland, in dem das BZÖ eine nennenswerte Kraft darstellt und sogar den Landeshauptmann stellt.” Gewählt wurde zwar in der Gegenwart, gemeint war aber die Vergangenheit. Es ging schliesslich weniger um die populäre Witzfigur Dörfler, des Fasnachtstreiben ausserhalb des Landes für Kopfschütteln sorgte. Vielmehr wählte man in Erinnerung an Jörg Haider, der das Kärntner Selbstbewusstsein wie kein anderer vor ihm verkörpert hatte. Das ist bis auf den heutigen Tag unverändert geblieben.

Die SPOe, die hoffte, das BZOe zu überholen, sieht sich nach dem Rechtsrutsch in Kärtnen mit sich selber konfrontiert, denn sie muss sich als zuverlässige Stütze der Arbeitschaft in Kärtnen und anderswo erst wieder aufrappeln und profilieren. Sonst bleibt an ihr haften, was man heute vielerorts lesen konnte: “Die Roten verlieren gegen einen Toten.”

Notabene auch eine Herausforderung für die Wahlforschung, dieses Novum zu erklären!

Claude Longchamp

Genese einer neuen Politik gegenüber dem Bankgeheimnis

Die Diskussion zum Bankgeheimnis ist in der Schweiz in Gang gekommen. Erfolg haben wird in Verhandlungen nur, was innenpolitisch mehrheitsfähig ist, und aussenpolitischen auf Interesse stösst. Die Dreiteilung der Positionen in der Schweiz, die ersichtlich wird, dürfte da noch nicht zum Ziel führen.

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Bild: Tages-Anzeiger

Die Anfänge einer neuen Politik
Vor zwei Wochen schien noch alles klar: “Das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar!”, repetierten Bundesrat und Parlamentsmehrheit. Mit dieser Position wussten die wichtigsten Interessen des Finanzplatzes Schweiz hinter sich.

Seit die UBS, Finanzmarktaufsicht und der Bundesrat die Herausgabe von UBS-Kundendaten aus Steuerbetrugsfällen gebilligt und vollzogen haben, ist Bewegung in diese klare Frontstellung gekommen. Die EU fordert Vergleichbares wie man den USA gewährt habe.

Unmittelbarer Handlungsdruck geht vom G20-Gipfel aus, der am 2. April in London stattfindet, und am 19./20. März vorbereitet wird. Mit Blick auf die Entscheidungen, die dannzumal von Steueroasen zu erwarten sind, hat Bundespräsident Hans-Rudolf Merz gestern angekündigt, man sei in gewissen Fragen verhandlungsbereit; Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ihrerseits doppelte in der heutigen Sonntagspresse nach. Die Schweiz solle sich so verhalten, dass sie auf keine Schwarze Liste mit Sanktionen komme.

Die vorläufigen Positionen

Vereinfacht gesprochen gibt es in der Schweiz in diesen Fragen gegenwärtig drei Positionen: jene der SVP, jene von Bundesrat und Mehrheit von FDP und CVP und die der SP.

Status Quo verteidigen: Die SVP ist beim Bankgeheimnis für eine harte Linie. Sie lehnt Erpressungsversuche des Auslandes kategorisch ab. Der Status Quo soll so schnell wie möglich bestätigt werden; die Lega will hierfür gar eine Volksinitiative lancieren, die das Bankgeheimnis in der Bundesverfassung festschreiben soll. Im Ausland findet sich hierfür kein Widerhall, was der rechtskonservativen Rechten egal ist. Mit Imageschäden kann man hier leben.

Zinsbesteuerung erweitern: Der Bundesrat steht unter dem Druck, in Verhandlungen etwas anbieten zu müssen. Er setzt auf eine Erweitertung des Zinsbesteuerungsabkommens, das man mit der EU abgeschlossen hat. Es soll auch anderen Staaten wie den USA angeboten werden. Diese Politik tangiert das Bankgeheimnis nicht, und sie rüttelt auch nicht an der Privatsphäre der Bankkunden. Denkbar sind dabei Ausweitungen der Quellensteuer. FDP und CVP stützen in ihrer Mehrheit diese Position, womit sie innenpolitisch recht breit abgestützt ist. Aussenpolitisch ist sie aber wenig realistisch, denn sie keine der zentralen Forderungen, mit denen sich die Schweiz konfrontiert sieht, auf. In der EU gilt dieses Vorgehen als zeitlich begrenzt realisierbar, wahrscheinlich bis 2013.

Amtshilfe bei Steuerhinterziehung: Von diesen geht explizit nur die SP-Position aus. Sie will das Bankgeheimnis für Schweizer Kunden belassen, die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung indessen aufheben. Bei Verdacht auf Steuerflucht in die Schweiz, soll gegenüber dem Ausland Amtshilfe gewährt werden. Damit rückt man auf der linken Seite nahe an die Positionen der OECD, der EU und der USA. Innenpolitisch wird die SP aber nur von den Grünen unterstützt. Immerhin, diese Woche sind einige gewichtige Stimmen wie jene der Bankiervereinigung, des neues CEOs der UBS und vereinzelter Parlamentarier aus den bürgerlichen Parteien, die für einen Meinungswandel sprechen.

Politik der Verringerung von Interessengegensätzen
Letztlich wird die kardinale Forderung, die etwas Gordon Brown zur Austrockung der Steueroasen aufgestellt hat, in der Schweiz nirgends vertreten. Denn sie geht von einem automatischen Informationsaustausch über Kundenkonten zu Ausländern in einem Drittstaat aus. Daraus kann man schliessen, dass der Druck auf Steueroasen generell und damit auch auf die Schweiz hoch bleiben wird, selbst wenn die Akzente, die Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und Silvio Berlusconi im Moment setzen, etwas unterschiedlich tönen.

Die Diskussionen in den nächsten Tagen wird zeigen, ob hierzulande eine konkrete Bewegung aufkommt, die den Druck auf die Schweiz, dem sie in den nächsten Wochen ausgesetzt sein wird, vermindern kann. Nötig hierfür ist eine Annäherung an die Position, die Amtshilfe nicht nur bei Steuerbetrug, sondern auch bei Steuerhinterziehung zulässt. Denn solange individuelle Steuerhinterziehung durch das Bankgeheimnis gedeckt wird, dürfte Letzteres Gegenstand von konfliktreichen Verhandlungen bleiben.

Claude Longchamp

Grosse Börsenchrashs im Vergleich

Das Blog “dshort.com” erstellt regelmässig Uebersichten über die Entwicklung der Aktienmärkte während Wirtschaftskrisen. Das gibt zwar noch keine Prognosen, wie sich die jetzige entwickeln wird, doch kann man ihren bisherigen Verlauf in die zyklischen Einbrüche der jüngeren Börsengeschichte einordnen.

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Unverändert war der Börsencrash von 1929 mit der nachfolgenden Grossen Depression als der einschneidendste Moment in der Wirtschaftsgeschichte. Die Krise dauerte mit 34 Monaten bis zum Umschwung fast drei Jahre, und der Dow Jones Index verringerte sich in dieser Zeit um fast 89 Prozent. Der zweitgrösste Einbruch war im Jahre 2000, als die Dotcom-Blase platzte. Es braucht 30 Monate bis sich die Aktienwerte, welche um 49 Prozent gesunken waren, wieder zu erholen begannen. Die Erdölkrise 1973 wirkte sich fast so stark aus (48 % Rückgang), kannte aber mit 21 Monaten bis zur Wende eine vergleichsweise kurze Zeit des Rückgangs.

Die jetzige Krise auf den amerikanische Aktienmärkten, sichtbar seit September 2008, geht genau genommen schon in den 17. Monat des Abschwungs an der Börse. Das Ausmass der Verluste übertrifft gemäss “dshort” mit 53 Prozent jetzt schon jenes der Erdöl- oder Dotcom-Krise bis zu deren Wende.

Wie nachhaltig der gegenwärtige Einbruch ist, könne noch nicht beurteilt werden, meint Doug Short, der Autor des Blogs, in den 80er Jahren Porfessor für Computerwissenschaft an der University of North Carolina war danach Berater von IBM wirkte. Immrhin zählt er ihn zu den vier grossen der Wirtschaftsgeschichte der letzten 140 Jahre, die er mit seinem Blog statistisch analysiert und grafisch präsentiert.

Claude Longchamp

G-20: die Koordination der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer findet ohne die Schweiz statt

Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) besteht aus 19 Staaten und der Europäischen Union. Sie ist ein informeller Zusammenschluss, um sich in Fragen des internationalen Finanzsystem zu konsultieren und zu koordinieren. Seit neuesten dienen diese Zusammenkünft als Weltfinanzgipfel, um gegen die aktuelle Finanzkrise vorzugehen.

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An den Treffen der G-20 nehmen die Finanzminister und Zentralbankchefs der G7 und zwölf weiterer Staaten, die EU-Präsidentschaft, der Präsident der Europäischen Zentralbank, sowie die Spitzen der internationalen Währungs- und Finanzorganisationen teil.

Die gegenwärtigen Mitgliedstaaten sind Argentinien, Australien, Brasilien, die Volksrepublik China, Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei, das Vereinigte Königreich und die USA sowie die Europäische Union.

In der Gruppe der Zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer leben rund 62 Prozent der Weltbevölkerung, die rund 77 Prozent des Welt-Bruttonationaleinkommens vereinigen.

2008 fand auf Initiative des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und des englischen Premierministers Gordon Brown erstmals ein Weltfinanzgipfel statt, an dem ausser den G-20-Mitgliedern auch Spanien und die Niederlande teilnahmen. Er soll am 2. April 2009 in London fortgesetzt werden.

Die zentralen Themen werden die neue, von Gordon Brown vorgeschlagene Finanzarchitektur und die aktuellen Krisenbewältigung sen. Ziel ist es Protektionismus und Wettbewerbsverzerrungen zu ermeiden. Gordon Brown kündigte jüngst an, das Vorgehen gegen Steueroase mit hoher Priorität zu behandeln. Zur Vorbereitung dieses Gipfel am 2. April 2009 in London treffen sich die G-20 Mitglieder an diesem Wochenende in Berlin.

Die Schweiz hat sich letztmals am WEF in Davos bemüht, unter die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer aufgenommen zu werden. Grossbritannien lehnt einen analogen Status wie ihn Spanien und die Niederlande kennen ab. Die Schweiz, und mit ihr die Finanzplätze Zürich und Genf, bleiben von den Verhandlungen ausgeschlossen.

Claude Longchamp

Buchbesprechung: Die Schweiz – ein Schurkenstaat?

Das Buch kommt zum richtigen Moment und aus berufenem Munde: Viktor Parma und Werner Vontobel, zwei führende Wirtschaftsjournalisten der Schweiz, haben vor wenigen Tagen ihren Report “Schweiz als Schurkenstaat?” im deutschen Bertelsmann-Verlag veröffentlicht.

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Das Buch zur aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte weltweit und in der Schweiz

Im Nachwort beschreiben die Autoren, wie es ist, von der Geschichte eingeholt zu werden. Als man das Buch 2008 in Angriff nahm, wollte man über die Steueroase Schweiz und ihre Folgen für das Ausland schreiben. Doch dann kam alles schnell anders: “Die realen Ungleichgewichte, denen wir nachgingen, lösten, während über sie schrieben, den Kollaps des globalen Finanzssystems aus.” Die Schreibarbeit sei deshlab zum Work in Progress, zur Analyse der Systemkrise, die sich zum Weltendrama entwickelte, geworden.

Darin schwingt viel Dramatisches mit, wie sie Journalisten gerne haben. Doch entspricht es auch der sich überschlagenden Realitäten, die sich in Dutzenden von Bankenpleiten ausdrückt, die grössten Wirtschaftsmächte erbeben lässt, Staaten in ihrem Fundament erschüttert, – und auch die Schweiz nicht verschont. “Die UBS bat den Staat um Hilfe. Die Eidgenossen, mit ihren Geldhäusern zur Schicksalsgemeinschaft verbunden, hatten keine Wahl. Das Parlament musste der teuren Rekapitalisierung der UBS im Dezember 2008 zähneknirschend zustimmen.”

Die vielerorts eingeschlagen Politik besteht auf nationaler Ebene in Garantien, in Investitionen und Steuererleichterung resp. in eigentlichen Ausgaben. Doch bleibt sie nach Auffassung der Autoren sinnvollerweise nicht bei den Feuerwehrübungen. Vielmehr reden sie ähnlich wie Gordon Brown einem institutionellen Rahmen das Wort, der künftige Krisen vorbeugen soll.

Die beiden Wirtschaftspublizisten rechnen damit, dass das zwischenstaatliche Zusammenwirken den Steuerwettbewerb um die grossen Vermögen und Einkommen reduzieren und die reichen Oberschichten zur Mitfinanzierung der Rettungsaktionen einbezogen werden. Sie fordern nach dem Vorbild beim Handel, der Umwelt, der Gesundheit, der Telekommunikation oder der Arbeit eine Weltorganisation für die Geldbranche, deren Aufgabe es sein muss, verbindliche Standards für Löhne, Steuern und ihre nationale Ausgestaltung (durch)zusetzen.

Die Schweiz wird, sind Parma und Vontobel überzeugt, davon betroffen sein, denn sie “mutet ihren Partnern keine kranken Rinder oder gefährlichen Fahrzeuge zu. Sie lässt ihre Finanzinstitute und Kantone aber grenzüberschreitend mit Sondertarifen für ausländische Briefkastenformen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Pauschalsteuern für reiche Ausländer agieren.” Das international und national zu ändern, sei die Aufgabe der heutigen Politik.

Am Ende des Buches schreiben sie: Nationalstaatliche Hoheitsrechte, seit dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden von 1648 die Grundlage der politischen Ordnung, sind durch die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft überholt worden. Es sei an der Staatengemeinschaft eine Rahmenordnung für die Finanzmärkte zu schaffen. Diese werde die Schurken treffen, in der Schweiz, aber auch andernorts auf dem Globus.

Für die Schweiz sei das nicht nur von Nachteil, schliessen sie ihren Appell. Denn es eröffne dem Land auch die Chance, die unwürdige Doppelrolle der Politik zu beenden und ihre Position auf der Weltbühne neu zu bestimmen. “Ein jeder wird besteuert nach Vermögen”, zitieren die Buchmacher auf der letzten Seite Friedrich Schillers Wilhelm Tell”, – und raten der Schweiz, den Gedanken nie zu vergessen.

Claude Longchamp

Viktor Parma, Werner Vontobel: Schurkenstaat Schweiz? Steuerflucht: Wie sich der grösste Bankenstaat der Welt korrumpiert und andere Länder destabilisiert, München 2009

Zum Stand der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Integration der Schweiz in die EU

Die (auch auf diesem Blog) neu lancierte Diskussion über das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union geht weiter. Die “Berner Zeitung” von heute stellt fest: Noch ist die Schweiz nicht in der EU. Aber die EU ist schon in der Schweiz. Wie soll das weiter gehen?

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Thomas Cottier: “Die Schweiz ist zum zugewandten Ort der EU geworden.”

Für Thomas Cottier, Rechtsprofessor an der Universität Bern, ist das EU-Recht nicht allumfassend wie die Gesetzgebung eines Staates. Vielmehr regelt es ausgewählte Themen, überlässt aber anderes der nationalen oder regionalen Entscheidung.

Europäisch geregelt sind in der Schweiz die Marktöffnung, der freie Personenverkehr oder der Land- und Luftverkehr (Bilaterale I). Hinzu kommen Sicherheits- und Asylfragen (Bilaterale II). Autonom ausgerichtet sind dagegen zahlreiche kantonale und kommunale Gesetze.

Die Einführung europäischer Gesetze begann allerdings schon vor den Bilateralen. Sie setzte 1995 mit dem neuen Kartellrecht, dem neuen Binnenmarktgesetz und der Beseitigen von Handelshemmnissen ein. Seither führe der autonomen Nachvollzug durch die Schweiz oft zum selben Ergebnis wie die Uebernahme von EU-Recht durch Mitglieder, erklärt Cottier: “EU-Recht ist für die Schweiz unumgänglich, wenn sie in Europa wettbewerbsfähig bleiben will.”

Der Nachteil der Schweiz sei bei der Mitbestimmung, denn die Anpassungen nationaler Eigenheiten an europäische Erfordernisse geschehe in der EU. Die Schweiz könne dann nur noch deren Kompromissfindung übernehmen.

Insgesamt bleibe das Niveau der bilateralen Integration aber unter dem eines Mitgliedes, insbesondere in der Finanz- und Steuerpolitik. Erhöht werden müsste bei einem Beitritt die Mehrwertsteuer, wahrscheinlich verbunden mit einer Senkung der kantonalen Steuern. Hinzu kämen jährliche Beiträge in der Höhe von 3 bis 4 Millarden.

Bei einem Beitritt würde sich nach Ansicht des Berner Europarechtlers vor allem das politische System verändert. Nebst der Reduktion des Föderalismus, würde auch das Referendum an Bedeutung verlieren. Denn eine abgelehnte nationale Gesetzgebung, die auf EU-Recht basierte, müsste nochmals zur Entscheidung vorgelegt werden. Würde der Entscheid erneut negativ ausfallen, müsste die Schweiz der EU ein Bussgeld bezahlen. Für Cottier würde damit der Konkordanzzwang, der vom Referendum ausgehe, bei der Bildung der Regierung gelockert. Mehrheitsregierung würden wahrscheinlicher.

Ganz unabhängig davon, warnt der Jurist, sich der Illusionen eines Alleingangs hinzugeben. Die Schweiz sei mit ihrem wichtigsten Handelspartner eng verbunden, das Verhältnis untereinander sei mit sektoriellen bilateralen Verträge geregelt. Diese vor dem Hintergrund einer klaren Vorstellung über den Platz der Schweiz in Europa zu institutionalisieren, sei Aufgabe des Landes, ob es Mitglied werde oder nicht.

Claude Longchamp