Buchbesprechung: Die Schweiz – ein Schurkenstaat?

Das Buch kommt zum richtigen Moment und aus berufenem Munde: Viktor Parma und Werner Vontobel, zwei führende Wirtschaftsjournalisten der Schweiz, haben vor wenigen Tagen ihren Report “Schweiz als Schurkenstaat?” im deutschen Bertelsmann-Verlag veröffentlicht.

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Das Buch zur aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte weltweit und in der Schweiz

Im Nachwort beschreiben die Autoren, wie es ist, von der Geschichte eingeholt zu werden. Als man das Buch 2008 in Angriff nahm, wollte man über die Steueroase Schweiz und ihre Folgen für das Ausland schreiben. Doch dann kam alles schnell anders: “Die realen Ungleichgewichte, denen wir nachgingen, lösten, während über sie schrieben, den Kollaps des globalen Finanzssystems aus.” Die Schreibarbeit sei deshlab zum Work in Progress, zur Analyse der Systemkrise, die sich zum Weltendrama entwickelte, geworden.

Darin schwingt viel Dramatisches mit, wie sie Journalisten gerne haben. Doch entspricht es auch der sich überschlagenden Realitäten, die sich in Dutzenden von Bankenpleiten ausdrückt, die grössten Wirtschaftsmächte erbeben lässt, Staaten in ihrem Fundament erschüttert, – und auch die Schweiz nicht verschont. “Die UBS bat den Staat um Hilfe. Die Eidgenossen, mit ihren Geldhäusern zur Schicksalsgemeinschaft verbunden, hatten keine Wahl. Das Parlament musste der teuren Rekapitalisierung der UBS im Dezember 2008 zähneknirschend zustimmen.”

Die vielerorts eingeschlagen Politik besteht auf nationaler Ebene in Garantien, in Investitionen und Steuererleichterung resp. in eigentlichen Ausgaben. Doch bleibt sie nach Auffassung der Autoren sinnvollerweise nicht bei den Feuerwehrübungen. Vielmehr reden sie ähnlich wie Gordon Brown einem institutionellen Rahmen das Wort, der künftige Krisen vorbeugen soll.

Die beiden Wirtschaftspublizisten rechnen damit, dass das zwischenstaatliche Zusammenwirken den Steuerwettbewerb um die grossen Vermögen und Einkommen reduzieren und die reichen Oberschichten zur Mitfinanzierung der Rettungsaktionen einbezogen werden. Sie fordern nach dem Vorbild beim Handel, der Umwelt, der Gesundheit, der Telekommunikation oder der Arbeit eine Weltorganisation für die Geldbranche, deren Aufgabe es sein muss, verbindliche Standards für Löhne, Steuern und ihre nationale Ausgestaltung (durch)zusetzen.

Die Schweiz wird, sind Parma und Vontobel überzeugt, davon betroffen sein, denn sie “mutet ihren Partnern keine kranken Rinder oder gefährlichen Fahrzeuge zu. Sie lässt ihre Finanzinstitute und Kantone aber grenzüberschreitend mit Sondertarifen für ausländische Briefkastenformen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Pauschalsteuern für reiche Ausländer agieren.” Das international und national zu ändern, sei die Aufgabe der heutigen Politik.

Am Ende des Buches schreiben sie: Nationalstaatliche Hoheitsrechte, seit dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden von 1648 die Grundlage der politischen Ordnung, sind durch die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft überholt worden. Es sei an der Staatengemeinschaft eine Rahmenordnung für die Finanzmärkte zu schaffen. Diese werde die Schurken treffen, in der Schweiz, aber auch andernorts auf dem Globus.

Für die Schweiz sei das nicht nur von Nachteil, schliessen sie ihren Appell. Denn es eröffne dem Land auch die Chance, die unwürdige Doppelrolle der Politik zu beenden und ihre Position auf der Weltbühne neu zu bestimmen. “Ein jeder wird besteuert nach Vermögen”, zitieren die Buchmacher auf der letzten Seite Friedrich Schillers Wilhelm Tell”, – und raten der Schweiz, den Gedanken nie zu vergessen.

Claude Longchamp

Viktor Parma, Werner Vontobel: Schurkenstaat Schweiz? Steuerflucht: Wie sich der grösste Bankenstaat der Welt korrumpiert und andere Länder destabilisiert, München 2009