SP-Wahlanalyse: Lücken Mitte/Links aufarbeiten und selber füllen.

Am Samstag war bei der SP des Kantons Bern Wahlanalyse angesagt. Auf die Wahlen 2010 schaute man mit einem lachenden und weindenden Auge zurück. Die rotgrüne Mehrheit in der Regierung konnte gehalten werden; bei den Parlamentswahlen verloren SP und Grüne gemeinsam.

Irène Marti Anliker, die scheidende Präsidentin der SP im Kanton Bern, trug die Ergebnisse der internen Wahlanalyse vor. Ich übernahm den Part einer Einschätzung von aussen. In einigen Befunden und Interpretationen waren wir uns einig. Die SP hat ihren Wahlkampfauftritt nach 2007 verbessert. Er hat mehr Linie, ist visuell frischer, visiert Zielgruppen an, und macht ihnen ausgewählte programmatische Angebote. Die SP politisiert zudem aktiver auf einigen ihrer Kernthemen.

Darüber hinaus gingen die Einschätzung jedoch auseinander. Die ProtagnistInnen der Partei halten die bisherigen Positionen hoch und setzen internen Resigantionserscheinungen Durchhalteparolen entgegen. Denn angesichts der Krise neoliberaler Rezepte ist es für sie klar: Die Wähler und Wählerinnen werden früher oder später nach links schwenken, und die SP muss sich als führende Avantgarde für den erwartete Linksrutsch anbieten.

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Nicht nach links, sondern nach rechts polarisiert sich das politische Spektrum in den Unter- und Mittelschichten angesichts der Globalisierung, prognostizierte Herbert Kitschelt die politsiche Entwicklung in Europa schon vor langem; jetzt habe ich versucht, das der SP des Kantons Bern klar zu machen und daraus Folgerungen für die Parteientwicklung zu ziehen.

Meine Analyse unterscheidet sich genau in diesem Punkt. Im Gefolge der Untersuchungen des deutsch-amerikanischen Politikwissenschafters Herbert Kitschelt zu den Auswirkungen der Globalisierung auf die europäischen Parteien erwarte ich keine Links-, sondern eine Rechts-Entwicklung, wenn die Sicherheitsbedürftnisse der Unter- und Mittelschichten durch die nationalstaatliche Politik vernachlässt werden und die international ausgerichteten Obersichichten die Klimaerwärmung zuoberst auf ihre Politikagenda setzen. Polarisierungen zwischen linksliberalen und rechtsautoritären Ideologien sind zu erwarten, mit den Konsequenzen, wie wir sie 2007 schon erlebt haben: Es gewinnt die nationalkonservative SVP brschränkt auch die klar ökologisch ausgerichteten Parteien. Der SP gelingt es, anders noch als 2003, nicht mehr, im Wahlkampf eine tragende Rolle zu spielen und mit sozialen Fragen die reformorientierten Interessen gebündelt zum Wahlsieg zu führen.

Bei den Berner Wahlen haben sich die Probleme noch akzentuiert. SP und Grüne wurden durch Demobilisierungen geschwächt und verloren bisherige WählerInnen an die Grünliberalen. Die SP musste zudem herbe Verluste an die neue BDP hinnehmen. Das ist neu. Daraus abgeleitet habe ich versucht, die Grundstimmungen links der Mitte zu identifizieren. Vereinfacht ausgedrückt bin ich auf drei gekommen:

. auf den rotgrünen Mainstream,
. eine sozialliberale Strömung und
. eine sozialkonservative Strömung.

Die Politik der SP, so meine Sichtweise von aussen, konzentriert sich zu stark auf den linken Mainstream, der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Umweltpolitik aus einem Guss und mit Mitteln der staatlichen Interventionen angehen will. Zu wenig reflektiert wird in den linken Vorständen, dass man dabei in eine Finanzierungsfalle geraten ist, aus der man sich mit sozialverträglichen Budgetreduktionen retten will, ohne aber so die eigenen Reformprojekte verfolgen zu können. Die sozialliberale Strömung hat hier zwei Lehren daraus gezogen: das Oeko-Projekt ist gegenwärtig wichtiger als das soziale, und es soll nicht nur in und mit dem Staat, sondern vermehrt auch in und mit der Privatwirtschaft realisiert werden. Damit will man den Problemen der leeren Staatskassen ausweichen. Die sozialkonservative Strömung wiederum kritisiert die rosarote Sonnenbrille, mit der Modernisierungen beurteilt werden. Sie erwartet grössere Anstrengungen nicht nur bei wirtschaftlich flankierende Massnahmen zum Oeffnungsprozess, sondern auch beim gesellschaftlichen. Vermehrte Integrationspolitik in einer offenen Gesellschaft wird hier von linker Seite gefordert.

Eingebunden in Mehrparteienregierungen ist die SP heute noch in der Lage, ihre Positionen zu formulieren und Bündnisse aus sozialer Sicht mit liberalen oder konservativen Kräften einzugehen. Wenn es aber um Parlamentsarbeit geht, verharrt die Partei in einer akzentuierten Links-Position, ohne zu sehen, dass sie sich damit gesellschaftlich wie auch politisch immer mehr isoliert. Ihre Bindungsfähigkeit zu WählerInnen links der Mitte, die liberaler oder konservativen als der Mainstream sind, zu erhöhen, sehe ich als wichtigste Herausforderung der künftigen Basisarbeit. In der politischen Arbeit muss die SP zudem ihre Fähigkeit, thematische Allianz mit anderen Parteien bilden zu können verstärken.

Das bedeutet nicht, dass ich die SP inskünftig in der Mitte sehe, aber dass sie die Lücken füllt, die sich zwischen Links und der Mitte auftun. Eine offensive Position der SP hiesse, gar keinen Raum zu bieten, dass solches entstehen kann.

PS: Meine Rede ist am Montag abend hier abrufbar.