Ausschaffungs- und Masseneinwanderungs-Initiative als Wahlkampf-Vehikel

1. August: Die SVP nutzt die Aufmerksamkeit für den Bundesfeiertag, um ihren nationalen Wahlkampf für den Wahlherbst zu lancieren. Ein Thema wird gesetzt, das anderntags mit Initiativbögen im Briefkast aufgenommen wird. Die Plakatierung der ganzen Schweiz beginnt. 2007 genauso wie 2011. Eine Kurzanalyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

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Eines sei gleich vorneweg gesagt: Ich gehe davon aus, dass die neue Volksinitiative der SVP in Sachen Personenfreizügigkeit durchaus eine Grundstimmung der Jetzt-Zeit trifft. Es gibt eine vermehrte Kritik an der unkontrollierten Einwandeurng. Betroffen ist nicht nur der Arbeitsmarkt, auch der Wohnungsmarkt ist ein Thema, für Unter- und Mittelschichten. Allerdings, soweit ich sehe, reicht das nicht, um notfalls alle Errungenschften der Bilateralen mit der Kettensäge aufs Spiel zu setzen.

Sieben Unterschiede zwischen den Ausschaffungsinitiative 2007 und der Masseneinwanderungsinitiative 2011 sind augenfällig:

Erstens, das Thema:
2007 nahm die SVP ein Gesellschaftsthema in den Kampagnenfocus. 2011 geht es um eine Wirtschaftsfrage. Ersteres brachte ihr einen breiten Applaus, denn Initiative zur Ausländerkriminalität erlöste zahlreiche Akteure – gerade im bürgerichen Lager. Letzteres ist demgegenüber umstritten, denn es trifft vitale ökonomische Interessen.

Zweitens, die Signifikanz der Initiativen:

2007 funktionierte die Arumentation, es werde ein verdrängtes Thema aufgenommen. Das erinnerte an die Asylthematik, mit der die Partei und ihr Justizminister 2006 erfolgreich Mehrheiten hinter sich scharte. 2011 lag der Focus anders: mit der Neupositionierung der Personenfreizügigkeit nimmt die Partei eine Kündigung des Abkommens und damit der Bilateralen in Kauf. Das polarisiert – gerade auch unter EU-Gegnern.

Drittens, die Reaktionen der Wirtschaft:

2007 enthielten sich die Wirtschaftsverbände der Stimme, als es um die Ausschaffung ging. 2011 wandten sie sich sofort gegen die neue Initiative, economiesuisse als erste Organisation der Wirtschaft, der Gewerbverband als zweite. Im Gefolge distanzierten sich gewichtige Vertreter des SVP-Wirtschaftsflügels von der eigene4n Initiative – mindestens hinsichtlicher ihrer Ausformlierung und Präsentierung.

Viertens, die Positionierung der Parteien:

Spätestens seit den angenommenen Initiativen zum Minarettverbot und zur Ausschaffung haben FDP und CVP reagiert. Sie wissen um die Stimmen in ihrer Basis, die sachpolitisch der SVP nahestehen können. In der Wahlkampfvorbereitung 2011 haben sie deshalb die Swissness-Frage nicht mehr einfach der Konkurrenz überlassen. Vielmehr stehen sie ausdrücklich dazu, schweizerische Interessen zu verteidigen.

Fünftens, das Umfeld:

Ueberhaupt, das Umfeld 2007 und 2011 könnten anders nicht sein. Damals herrschte Optimismus vor. Finanzmarktkrise, Staatsbankrotte und Euro-Sanierungsprogramme kannte man nicht einmal dem Namen nach. Heute sind sie allgemeinwärtig, entsprechend ist dominiert vorsichtige Zuversicht, oder ist man gleich skeptisch. Da schaut man genauer hin, wer mit welchem Mittel welche Vorteile der Schweiz gegenüber dem Ausland verteidigt oder aufs Spiel setzt.

Sechstens, die Gradlinigkeit:
2007 hatte die SVP die Konsquenz auf ihrer Seite. Ihre Politik galt als unbeirrt, egal wie Bundesrat und Parlament denken. Gradlinigkeit ist der Partei gerade in der Personenfreizügigkeitsfrage indessen abhanden gekommen, denn sie spekuliert aut eine Position zwischen Wirtschaftspartei und Tea-Party-Orientierung. Das ging, wie der Kurswechsel in Sachen Nationalbank deutlich machte, diesmal schief. Da politisierte das bürgerliche Zentrum gradliniger.

Siebstens, das Ueberraschungsmoment:
2007 hatte die SVP im Wahlkampf das Ueberraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie setzte die Themen, mit denen sie zwischen sich und den anderen polarisieren konnte. Damit trieb sie auch die Medien an und dominierte sie die Bevölkerungsdiskussionen. Das ist 2011 so eindeutig nicht mehr der Fall. Das Strickmuster der SVP-Wahlkampagne ist zwischenzeitlich bekannt. Es ist immer noch cleveres Handwerk. Aber es fehlt die Surprise, die eine gute Kampagne zur Superkampagne macht.

Noch steht uns der heisse Wahlkampf bevor. Vor allem der der KandiatInnen. Das ist für die Mobilisierung der BürgerInnen vor der Wahl gerade auf dem Land uind in den kleinerer Kantonen von eminenter Bedeutung. Mit voreiligen Schlüssen aus dem Wahlkampfgeschehen auf das Resultat vom 23. Oktober 2007 halte man sich also zurück.

Sicher ist vorerst nur: Die Kampagne der SVP ist die intensivste und auffälligste. Doch zieht sie nicht mehr mit der gleichen magnetischen Wirkung die Kampagnenakteure in ihren Bann.

Es wird Zeit, dass auch ich mich mit den Wahlkampagnen der anderen Parteien (kritisch) beschäftige.

Claude Longchamp