Wahlentscheidung unter Medieneinflüssen

Beeinflussen Massenmedien die Wahlentscheidungen? Dieser zentralen Frage der Wahlforschung geht der Mainzer Publizistikwissenschafter Stefan Dahlem in seiner Dissertation nach. Die Literaturübersicht integriert medien- und wählerInnen-orientierte Ansätze zu einem neuen interdisziplinären Vorgehen für die emprische Forschung, welche die aufgeworfene Frage theoretisch beantwortbar machen soll.

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Ueberischt über zentrale Argumentationsketten zum Medieneinfluss auf die Wahlentscheidung nach Stefan Dahlem

Für die Modellbildung konstitutiv ist die Unterscheidung innerer wie äusserer Faktoren der Wahlentscheidungen. Letztere entstehen aus dem sozialen Umfeld, der allgemeinen politischen Lage, den Massenmedien und der öfffentlichen Meinung. Dabei geht der Einfluss des sozialen Umfeld kontinuierlich zurück, und es nimmt die Bedeutung massenmedialer Darstellunger der politischen Lage zu. Dabei geht es weniger um eine direkte Einflussnahme, als um eine indirekte, indem die Medienberichterstattung die Vorstellungen der Wählenden über die Entscheidungsgegenstände bestimmt.

Diese Vorstellung sind die inneren Faktoren der Wahlentscheidung. Ideologien, Werte und Parteibindungen sind die langfristigen Prädispositionen der Wahl. Insbesondere die Rückläufigen Parteibindungen können als Folge der Negativberichterstattung über PolitikerInnen und Parteien in den Massenmedien gedeutet werden, was die Bedeutung kurzfristiger Informationen für den Wahlausgang erhöht, die ihrerseits in zunehmendem Masse auf massenmedialen Berichten basieren.

Drei Entscheidungsmechanismen erscheinen dabei als empirisch hinreichend geprüft, um verallgemeinert werden zu können:

. das Image von KandidatInnen,
. die vermutete Kompetenz der Parteien in den wichtigen Themen und
. das Meinungsklima, das sich aus dem Wahlkampf ergibt.

Namentlich bei WechselwählerInnen sind sie die massgeblichen Determinanten. Deren Bedeutung im Einzelnen lässt sich aber ohne das Studium des Wahlkampfes nicht vorhersagen.

Die gut lesbare und klar strukturierte Arbeit kommt trotz zahlreichen Ungereihmtheiten in der referierten Forschung zum Schluss, Einflüsse von Medieninhalten auf die Wahlentscheidung bestünden. Ihre Stärke hängt nach Dahlem zunächst von der Bedeutung von Netzwerken ab, in denen Wählende Informationen verarbeiten. Ohne sie, ist die Bedeutung massenmedialer Darstellung zentral, mit ihnen wird sie von den Netzwerken gebrochen. Sodann geht es auch um den Einfluss der Politik auf die journalistischen Darstellungen. Offensichtlich ist das Bemühen der Parteien und PolitikerInnen, die Medieninhalte zu bestimmen; diskret ist die Macht der Medien dort, wo sie mit ihren Selektionskritierien und Bewertungsmechanismus selber bestimmen, wer, wann und wie vor- oder nachteilhaft erscheint.

Modellmässig spricht nach Dahlem einiges dafür, dass die Enscheidungen der Wählen für Parteien und KandidatInnen heute vor allem durch Vorstellungen geprägt sind, die massenmedial vermittelt, von den Wählenden wahrgenommen und emotional verarbeitet werden. Diese Erkenntnis steht der rational-choice-Modellierung der Wahlentscheidung diametral gegenüber, die prinzipiell von informierten, vernunftgeleiteten Sachentscheidungen bei Wahlen ausgeht.

Meine Bilanz ist denn auch, dass das die spannendste These, welche die Dissertation von Stefan Dahlem nach fast 500 Seite Bericht für die empirische Forschung präsentiert.

Claude Longchamp

Stefan Dahlem: Wahlentscheidung in der Mediengesellschaft, München 2001