Ueber Abstimmungskampagnen

Nachstehend einige Auszüge aus dem grossen Interview, das ich dem “Sonntag” von heute zum Thema Politkampagnen der Gegenwart gewährt habe.

1290291850

Herr Longchamp, wie ist Ihre persönliche Fieberkurve eine Woche vor den Abstimmungen, schon kribbelig?
Ich mache das jetzt seit 1992 fürs Schweizer Fernsehen. Seit 1998 mit Hochrechungen und Umfragen kombiniert. Das nimmt man eher wie ein Arzt, der jeden Patienten und jeden Fall ernst nimmt, aber keinen persönlich an sich ranlässt.

Sie haben das Bild des Arztes gebracht, der ja auch Prognosen stellt…
…das machen wir eben nicht! Wir machen Trenduntersuchungen. Diese sind 18 Tage vor der Abstimmung abgeschlossen. Für den Fall, dass in den letzten 18 Tagen nichts mehr passieren würde, müsste die damalige Bestandesaufnahme mit dem Ergebnis übereinstimmen. Aber das ist so falsch. Dann könnten Sie und ihre Konkurrenz in den letzten beiden Wochen nichts mehr schreiben.

Aber in diesen 18 Tagen kann noch so viel passieren.
18 Tage vorher ist über die Mobilisierung noch fast nichts entschieden. Also: Wie verhalten sich die Komitees? Was sind die Emotionen im letzten Moment? Wie ist die Polarisierung? Was ist das Hauptthema?

Wie viele Stimmbürger haben sich in diesem Moment schon eine Meinung gebildet?
18 Tage vorher haben 10 bis 20 Prozent schon brieflich gestimmt. 80 Prozent aber noch nicht. Doch es war klar, wer teilnahm und wer nicht. Jetzt gibt es aber in der Schlussphase ganz neue Mobilisierungsphänomene. Denken Sie nur zurück an das Video von Charles Clerc bei der Personenfreizügigkeitsabstimmung. Das wurde in den letzten zehn Tagen 500 000 Mal verschickt! Das war eine der bisher genialsten Mobilisierungskampagnen.

Gibt es weitere Beispiele?
Der 6. Oktober 2007: Die Schlägerei in Bern mit dem Schwarzen Block, die die SVP aufgehalten hat. Der höchste Grad an Emotionalisierung: 5000 SVPler gehen zurück nach Hause und sind hässig wie weiss nicht was und erzählen das jedem weiter. Das ist ein extremes Mobilisierungsmoment.

Hat es sich damit?
Dazu kommt in jeder Umfrage ein Anteil an Unentschlossenen. Da wissen wir nicht, was sie machen. Wir weisen sie auch aus – mit dem Risiko, dass es am Schluss Abweichungen gibt. Wir sind aber der Meinung, dass dies die sauberere und fairere Lösung ist, als sie wegzulassen.

Die SVP kann am besten mobilisieren.
Stimmt. Sie hat die Bürger-zu-Bürger-Kommunikation befördert, das wirkt. Alle anderen versuchen es mit medialer Polarisierung. Das führt aber meistens dazu, dass sie beide Extreme mobilisieren. Auch wenn man das Agenda-Setting – beispielsweise einer Zeitung am Sonntag – besetzen. Dann haben sie zwar ihr Thema in den Medien, aber auch das Risiko, den Gegner so aufregt zu machen, dass er genau so stark mobilisiert wird.

SP-Chef Christian Levrat moniert, seine Seite habe 40-mal weniger Geld als die Gegner. Entscheidet das Geld über Ja oder Nein an der Urne?
Darüber wissen wir leider viel zu wenig, weil niemand wirklich bereit ist, die Transparenz zu gewährleisten. Ich erinnere an den 7. März 2010 und die BVG-Revision: Die gleiche Konstellation wie jetzt: Eine riesige Kampagne über Monate hinweg. Der Kuchen mit den Kerzen, der immer kleiner wird bis am Schluss nur noch Brosamen da sind. Die Botschaft: Es bleibt nichts mehr übrig, wenn man Nein sagt. Was war das Ergebnis? 67 Prozent Nein.

Das heisst: Geld entscheidet doch nicht alles?
Der Politologe Wolf Linder hat gesagt: «Es ist nicht bewiesen, dass man mit Geld Abstimmungen kaufen kann. Aber das Gegenteil auch nicht.» Es gibt jedoch ein wenig diskutiertes Thema in der Schweiz: Es ist das Geld, das in Form von Inseraten in Medien fliesst, und die Positionierung des Medium beeinfluss kann.

Bei der SVP-Ausschaffungsinitiative sind praktisch alle Medien dagegen. Mit welchem Effekt?

Wir wissen spätestens seit dem EWR: Wenn in den Medien ein eindeutiger Meinungsdruck in eine Richtung entsteht, der nicht mit der Grundstimmung in der Bevölkerung übereinstimmt, hat er eine kontraproduktive Wirkung. Es ist auch nicht die Aufgabe der Medien, Position zu beziehen.

Sondern?
Den Diskurs zu befördern und Pro und Contra klar herauszuschaffen. Eigentlich müsste doch der Bürger, die Bürgerin befähigt werden, entscheiden zu können.

Sie schieben die Verantwortung auf die Medien ab, dabei ist der Ton in der politischen Auseinandersetzung rauer geworden. Oder bezweifeln Sie das?
Die EWR-Abstimmung war der Wendepunkt in der politischen Kommunikation in der Schweiz. Vorher gab es klar den Konkordanzstil. Seither haben wir aber eine klare Veränderung. Positiv ist: Wir haben eine Streitkultur bekommen. Die ist neu und hat sich bei den Abstimmungen auch durchgesetzt. Bei nationalen Wahlen auch, bei kantonalen kaum.: Es wird klar gesagt, warum man dafür und warum man dagegen ist. Wir haben auch eine steigende Stimm- und Wahlbeteiligung. Es interessieren sich also wieder mehr Leute für Politik.

Und was gefällt Ihnen daran nicht?

Wir haben eine krude Vereinfachung von Allem. Manchmal ist es gut, schwarz-weiss zu reden. Aber es gibt viele Themen, die sind nicht einfach schwarz-weiss. Ein Beispiel: Seit dem Urnengang über das Krankenversicherungsgesetz am 4. Dezember 1994 gab es sechs Volksabstimmungen. Das KVG wird seit Jahren von den Medien gescholten. Aber in den sechs Abstimmungen gab es sechs Niederlagen. Sechs Niederlagen! Alle mit 70 oder mehr Prozent Ablehnung! Es gibt einfach Bereiche, bei denen das Schwarz-weiss-Denken nicht aufgeht. Das zweite Problem ist die extreme Personalisierung. Das hat ein unerhörtes Mass erreicht. Es führt auch zu einer Politikverdrossenheit, Zynismus und Abwehrreaktionen gegenüber der Politik.

Aber Sie sagen es selber: Mehr Menschen interessieren sich für Politik. Die Personalisierung ist der Preis dafür.

Es gibt aber auch das Gegenphänomen, dass immer weniger Menschen in ein Amt gewählt werden wollen, vor allem auf lokaler Ebene. Diese Leute sagen: Ich habe keine Zeit, bekomme nichts dafür und werde erst noch angepinkelt.

Was ist für Sie ein solch übler Vorfall?

Da muss man nicht weit zurückschauen. Wir hatten bis jetzt eine Faustregel, dass ein Bundesrat 100 Tage Zeit hat, um sich in sein Amt einzuarbeiten. Simonetta Sommaruga musste an ihrem fünften Arbeitstag in die «Arena» und wurde angegriffen … und das ist einfach unwürdig. Das ist nicht gut für die Politik.

Wie links und rechts den Ausgang der Ausschaffungsabstimmungen beeinflussen können.

Die Initiative hat die grösseren Chancen angenommen zu werden als der Gegenvorschlag. Das ist die Bilanz 18 Tage vor der Abstimmung. Was effektiv geschieht, hängt von weiteren Faktoren ab, die man heute noch nicht kennt.

grafik3

Zunächst, die Mobilisierung hat eben erst begonnen. Die Beteiligung ist bei Abstimmungen bei weitem kein sicherer Wert mehr. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Mobilisierung gerade bei der Ausschaffunginitiative nicht neutral ist. Jene, die sich eher, aber nicht sicher beteiligen wollen, sind klarer als die bestimmt Teilnahmewilligen für die Initiative und wider den Gegenvorschlag. Jede Beteiligung über 45 Prozent dürfte damit zu einer vermehrten Zustimmung zur Initiative und zu einer verstärkten Ablehnung des Gegenvorschlags führen.

grafik2

Sodann, der Gegenvorschlag schwächelt, weil er von rechts klar, immer mehr aber auch von links bekämpft wird. Eine Regierungsvorlage mit doppelter politischer Opposition hat es in der Regel schwer. Die Umfrage zeigt auch hier, dass rund die Hälfte der SP- resp. Grün-Wählenden von der offiziellen Parteiparole abweicht, und den Gegenvorschlag nicht erst bei der Stichfrage, sondern schon bei der Hauptfrage unterstützen will. Würde dieser Anteil klar ansteigen, könnte das ein Zeichen zur Sammlung für den Gegenentwurf sein, und im ganzen Befürworterlager für die nötigen Prozent sorgen, damit die Zustimmungsschwelle von 50 Prozent erreicht und die Stichfrage überhaupt erst zum Zug kommen würde.

Mobilisierung auf der rechten Seite, Taktik mitte/links kann die Ausgänge zu den beiden Volksabstimmungen über die Ausschaffung krimineller AusländerInnen noch massgeblich beeinflussen, – und zwar in die eine wie auch die andere Richtung.

Doch damit nicht genug: Selbst der demokratiepolitische worst case ist gegenwärtig nicht ganz auszuschliessen: Dass nämlich keine der Vorlagen, Volks- und Ständemehr schafft und beide ganz knapp schneitern. Dann hätte der Souverän entschieden, und niemand wüsste was!

Weil letztlich niemand die genaue Interaktion der finalen Meinungsbildung bei Volksabstimmung mit Initiative und Gegenvorschlag kennt, erschwert das jede Festlegung auf ein einziges Szenario zum Abstimmungsausgang.

Den ganzen Forschungsbericht nachschlagen.

Claude Longchamp

Die Aussichten der Allianz der Mitte nach den Wahlen 2011

Zu den neuen Phänomenen der schweizerischen Parteienlandschaft des Jahres 2010 gehört die “Allianz der Mitte”. Die Koordinierung des politischen Zentrums hat der thematischen Polarisierung einen dritten Machtblock gegenüber gestellt. Was könnte das für eine Neuausrichtung der Regierungszusammensetzung nach 2011 heissen? – Eine Auslegeordnung.

8c7cec36d428068b27ca06c0e84a2891

Im Bundesrat ist es recht einfach: Die Allianz der Mitte, bestehend aus der FDP.Die Liberalen, der CVP und der BDP, stellt gegenwärtig vier der sieben BundesrätInnen – die Mehrheit. Gleiches gilt für den Ständerat, wo man, gemeinsam stimmend, auf 28 der 46 Stimmen kommt. Im Nationalrat ist jedoch alles anders, denn die neue Allianz kommt hier auf 71 der 200 Sitze. Zusammen ergibt das 99 der 246 Stimmen in der Bundesversammlung – oder genau 25 zu wenig, um die Wahlen beispielsweise in den Bundesrat alleine bestimmen zu können.

Was müsste geschehen, damit das neue Zentrum nach 2011 den Bundesrat nach eigenem Gusto bilden könnte? Nötig wären mehr als 45 Prozent der Stimmen oder gut 90 Sitze. Im Ständerat wären rund 30 denkbar. Mit anderen Worten: FDP, CVP, BDP, GLP und EVP müssten um rund 10 Prozentpunkte zulegen.

Gewinne bei der GLP und BDP sind durchaus denkbar – nicht aber in der genannten Grössenordnungen. Oder anders gesagt: Auch FDP und CVP müssten je 3 Prozent stärker werden, und das nicht zu lasten der anderen Zentrumsparteien, damit die neue Allianz im nächsten Parlament, insbesondere in der Bundesversammlung, eine Mehrheit hätte.

Das ist, unter den gegenwärtigen Bedigungen nicht wahrscheinlich. Das heisst auch, dass die Allianz der Mitte die Bundesratswahlen nicht alleine bestimmen kann. So wird sie wohl auch nach 2011 zu machtpolitischen Zugeständnissen an die S-Parteien, wie SVP und SP genannt werden, gezwungen sein. Generell gibt es 3 Stossrichtungen:

1. Eine Koalition mit der SVP oder der SP. Rechnerisch würde das die Mehrheit im Parlament ergeben. Im ersten Fall besteht die Gefahr, dass relevante Bestandteile der Romandie wegkippen, und ihre Interessen in Europa- oder Sozialpolitik von der rotgrünen Opposition mobilisiert werden können. Im zweiten Fall wäre die SVP in der Opposition, und sie könnte namentlich in der deutschsprachigen Schweiz zur wirksamen Opposition werden, die mit dem Referendum zahlreiche Projekte blockieren können. Für beides ist das politischen System der Schweiz, sind aber auch wichtige Bestandteile der politischen Kultur unseres Landes nicht geschaffen.

2. Eine Allianz mit beiden S-Parteien, jedoch unter Wahrung der Vorherrschaft der Mitte. Das könnte beispielsweise so aussehen, dass FDP und CVP je zwei Bundesratssitze hätten, die BDP ihren behalten könnte, und die Rechte wie die Linke mit je einem Sitz beginnen – mit der Aussicht, die Nachfolge von Eveline Widmer-Schlumpf antreten zu können, wenn sie sich konform verhalten. Politisch würde das die SP kaum mitmachen, was zu einer Rotation der linken Vertretung hin zu den Grünen führen könnte. Stimmenmässig könnte das nach 2011 die nötigen 10 Prozent bringen, die einer Mitte-Allianz fehlen, um den Takt bei Bundesratswahlen vorgeben zu können. Die SVP kann sich davon nichts versprechen, was sie nicht schon hat; sie dürfte deshalb ein eigenes Projekt verfolgen.

3. Die Allianz der Mitte könnte wie bisher 4 Sitze beanspruchen, und die parteipolitische Verteilung belassen. Jene S-Partei, die sich im Wahlkampf zentrierter gibt, und die gewillt ist, mehr programmatischen Gemeinsamkeiten mit der Mitte zu tragen, könnte einen zweiten Sitz bekommen. Wäre das die SVP, würde sich die Mehrheitsfrage im Parlament nicht stellen, und auch wenn die SP bei ihrer jetzten Vertretung bleiben könnte, wären Mehrheiten denkbar. Der Preis wäre, dass die SP die BDP wieder mittragen müsste, und die SVP wohl auf Dauer in der Junior-Rolle bliebe.

Jede andere Ueberlegung führt weg von einer denkbaren Mehrheit der Mitte im Bundesrat, womit sich auch die Frage der Mehrheitsverhältnisse in den beiden Parlamentskammer nicht mehr gleich stellen würde. Mit numerischer Arithmetik lässt sich eine dauerhafte Stärkung der Mitte im Bundesrat nicht mehr begründen.

So oder so: Eine Mehrheitspolitik der Mitte via Regierung bedingt entweder, dass das Zentrum numerisch klar gestärkt wird, oder weitere Partner links oder rechts an Bord geholt werden muss.

Claude Longchamp

Zukunft der Biodiversität: Vorschläge für das Handeln in der Schweiz

Nach der Weltkonferenz in Nagoja, die sich der Biodiversität angenommen und zu einem Durchbruch unter den Vertragsstaaten für mehr Handeln geführt hat, versammelten sich heute die Interessierten aus der Schweiz im freiburgischen Villars-sur-Glane, um über die “Zukunft der Biodiversität” nachzudenken und weitere Ideen zu diskutieren.

9783258075693_p1
«Entstanden ist ein gut lesbares Buch, das einen umfassenden Überblick bietet, wie sich die Schweizer Biodiversität sei 1900 entwickelt hat und wie die Prognosen für die Zukunft aussehen.» (Quelle: Ornis)

Im Workshop zum Thema “Handeln für die Biodiversität” trug ich meine Thesen zum Bereich Oeffentlichkeit vor. Die zentralen Aussagen waren:

1. Biodiversität ist in den letzten 5 Jahren zum öffentlichen Thema geworden. Die Natur- und Umweltorganisationen sind als Basisbewegung aktiv geworden. Sie haben in ihrem Umfeld mobilisiert, und so zur Problematisierung der Bewusstseins analog zu den Trend, welche Wissenschaften zur Biodiversität aufgedeckt haben, beigetragen. Der Begriff hat sich medial-politisch eingebürgert. Er sollte nicht mehr geändert werden.

2. Biodiversität wird heute bevölkerungsseitig als Folge von Landschafts-, Wasser- und Luftverschmutzung gesehen. Biodiversität leidet wegen dem Landschaftsverbrauch. Sie verringert sich wegen dem Klimawandel, und wegen der Uebernutzung der Natur. Ein Zusammenhang zwischen Biodiversität und Wirtschaft wird kaum gesehen; vielmehr sieht man es als moralischen Pflicht des Menschen an, zu den schädlichen Eingriffen in die Natur Gegensteuer zu geben. In der Schweiz kommt hinzu, dass man an die künftigen Generationen denken solle, insbesondere was die Weitergabe der Schönheiten der Natur betrifft. Das ist gleichzeitig Problem und Chance zu gleich: Problem, weil der Zustand der Natur insgesamt positiv beurteilt wird, Chancen, weil man das gerne erhalten möchte.

3. Die zukunftige Themenarbeit sollte effektiver geführt werden, vor allem gegenüber der Politik. Da bleiben meines Erachtens die grössten Defizite. Campaigning ist hier der richtige Ansatz: Die NGOs brauchen, aufbauend auf den Verpflichtungen aus Nagoja, eine klare Vision der Biodiversitätspolitik, die Ziele vorgibt, welche innert 10 Jahren erfüllt werden können. Campaigning bedeutet, Steuerung der Prozesse durch Kommunikation, wobei die Ziele eindeutig sein müssen, auch wenn die Arenen der Handlung immer wieder ändern werden. Campaigning beinhaltet zunächst Lobbyarbeit auf allen Ebene. Es umfasst Oeffentlichkeitsarbeit, die auf die Medienbedürfnisse abgestimmt sind. Und dazu gehört die Fortsetzung der Basisaktivitäten, welche das UNO-Jahr der Biodiversität erfolgreich werden liessen.

Ich habe heute vorgeschlagen eine “Plattform Biodiversität” einzurichten. Dies sollte Wissenschaft, NGOs, Politik und Medien dauerhaft vernetzen, um einen raschen Informationsfluss zwischen allen Beteiligten zu gewährleisten. In so seine Plattform integriert gehört ein wissenschaftlich betriebenes Observatorium für Biodiversität, aber auch eine Agentur, welche das Thema in der Mediengesellschaft angemessen zu kommunizieren weiss.

Zum Vorteil aller, welche die Lebensgrundlagen auf für die Zukunft erhalten möchten.

Claude Longchamp

Wohin sich politische Blogs in der Schweiz entwickeln könnten

Die Bloggerszene der Schweiz ist nicht gross. Die politische ist noch kleiner. Dabei dominiert der Typ des kommunikativen Lokalpolitikers, der attackiert, kommentiert oder kontempliert (wie diesen). Darüber hinaus gibt es einige politische Fachblogs (wie diesen). Bisher selten sind aber spezialisierte Reports, die gezielt die politische Berichterstattung bedienen, um auf sie Einfluss zu nehmen (wie ansatzweise diesen).

tagcloud_boell
Differenzierung hin zu spezifischen Dienstleistungen statt Sammelsurrium zu allem und jedem ist der Trend in den US-amerikanischen Politblogs

Die US-amerikanischen Wahlen 2010 machten es deutlich. Hochspezialisierte politische Reports, die wöchentlich oder täglich aktualisiert werden, sind – nebst Parteien, KandidatInnen und Medien – zu eigenständigen Treibern der Wahlberichterstattung geworden.

Betrieben werden sie von politischen Analysten, die nicht warten, bis Medien sie anfragen, sondern ihre eigene Agenda verfolgen. Sie verarbeiten meist eigene und fremde Datenquellen, beschreiben Zustände, analysieren Trends, und sie erstellen Prognosen, was man alles als Newsletter auch abonnieren kann. Parteien stellen auf sie ab, aber auch Massenmedien konsultieren sie, und in der politischen Blogosphäre sind sie eigentliche Gurus.

Charles E. Cook gehört zu ihnen. Er gehört seit 12 Jahren zum Netzwerk “National Journal Group”, berät NBC News, hat verschiedene Kolumnen und ist Zuträger zu Think Tanks. Die New York Times kennzeichnet seine Dienste als “…a newsletter that both parties regard as authoritative”, während die Washington Post Cook “perhaps the best non-partisan tracker of Congressional races”.

Weitere Grössen im Geschäft sind beispielsweise die Politikwissenschafter Larry J. Sabato, Stuart Rothenberg. Dazu zählen auch der Demoskopie-Kenner Nate Silver, der für die New York Times analysiert, und der anonyme Votemaster, der die Seite electoral vote betreibt, die sich darauf spezialisiert hat, alle Umfragen in den einzelnen Bundesstaaten der USA zu dokumentieren und zu bewerten. Seine Dienste werden während amerikanischen Wahlkämpfen bis zu einer Million mal täglich abgerufen. Sie dienten beispielsweise auch der Schweizer Presse als wichtigste Referenz bei der Präsidentschaftswahl 2008.

Sie alle zeichnet aus, dass sie nicht in erster Linie nach dem Motto bloggen, “ich bin ein politisch denkender Menschen, und so bringe ich mich hier ein”. Sie sind professionelle Dienstleistungen von absoluten Spezialisten, die das Medium Blog verwenden, um aktuell, rasch und einflussreich politisch Interessierte zu bedienen.

Man kann gespannt sein, ob die Schweizer Wahlen in einem Jahr einen solchen Typ von Blog und Bloggern auch bei uns hervorbringen wird.

Claude Longchamp

Mutmassungen zur SP mit ihrem neuem Parteiprogramm

Langfristig hat sich die SP entschieden, den Führungsanspruch zu haben, wo es um Grundwerte der Links-Wählenden geht. Kurzfristig hat sie vergessen, ein Teil der pragmatischen Regierungspolitik zu sein.

Genossenschaft
Quelle: Silvan Wegmann

Parteiprogramme sind nicht für morgen gemacht, sondern für übermorgen. Das jetzige hielt 28 Jahre – eine ganze PolitikerInnen-Generation lang. Extrapoliert heisst das, die SP machte sich gestern Gedanken über die Schweiz bis ins Jahre 2038, wenn die heute 20jährigen die politische Gangart bestimmen werden.

Ob die SP mit ihrer Analyse recht hat oder nicht, weiss letztlich niemand. Wird die Schweiz schon längst Mitglied der EU sein, oder wird es die EU gar nicht mehr geben? Wird sich die Schweiz eine eigene Armee nicht mehr leisten können, oder wird sie zur Igelstellung wie im Zweiten Weltkrieg genötig sein? Das waren ganz sicher die umstrittensten Fragestellungen, auf die die SP ihre eigene Antwort gegeben hat.

Ohne Zweifel, die SP hat gestern an ihrem Parteitag Flagge gezeigt. Sie hat Weichen gestellt. Sie hat sich unmissverständlich klar links positioniert. Sie hat damit allen eine Antwort gegeben, die nach der Wahlniederlage 2007 den veralteten Auftritt kritisiert, das von Grünen nicht mehr unterscheidbare Programm bemängelt und die Hoffnungslosigkeit des linken Pragmatismus angesichts der globalen Wirtschaftskrise als Ursache für den Niedergang gesehen haben.

Klar ist: Die SP hat gestern entschieden, programmatisch nicht in die Mitte zu gehen. Das ist riskant. Den Verlusten an WählerInnen an die GLP will sie nichts gegenüberstellen, nicht zuletzt weil sie nicht an die Rückkehr dieser WählerInnen glaubt. Klar ist auch, dass die SP im rotgrünen Lager wieder unbestrittener Leader sein will – um die Abwanderung von Stimmen an die GPS zu stoppen, was die Ursache vieler Wahlniederlagen war. Die Rechnung der SP lautet: Mehr im linken Lager zulegen als an dessen Rand zur Mitte verlieren!

Unklar ist allerdings, ob die SP auch gewillt ist, nebst dem Hoch auf den demokratischen Sozialismus auch ihr WählerInnen-Potenzial besser auszuschöpfen. Denn dafür braucht es nicht eine langfristige Ausrichtung mit Programmen, sondern auch eine kurzfristige Politik mit Aktionen. Sie muss darauf ausgerichtet sein, Erfolg im Hier&Jetzt zu haben, nicht erst im sozialdemokratischen Paradies.

Da wäre zu wünschen, dass die SP sensibler wird, wie sie mit sich selber, mit ihren VertreterInnen und mit ihrer denkbaren Wählerschaft umgeht. Denn den Siegen bei der BVG-Abstimmung und bei den Bundesratswahlen stehen Niederlagen bei der AVIG-Revision und der Departementsverteilung im Bundesrat gegenüber. Ueberheblichkeit, die auch auf dem Parteitag durchschimmerte, wird in der Schweiz meist mit dem Fall bei Wahlen bestraft.

Gerade mit ihrer Parole zum Gegenvorschlag hat sich die SP keinen Dienst erwiesen. Abgrenzung gegenüber der Politik der rechten Opposition ist bei einer linken Partei nachvollziehbar. Parlamentarische Kompromissvorlagen, an denen man selber mitgearbeitet hat, fallen zu lassen, gehört nicht zu Zuverlässigkeit in der Politik. Die Integrationspolitik gehört genauso zu den linken Forderungen wie die Ueberwindung des Kapitalismus. Mehr noch: Sie zählt zu den Schwerpunkten der Arbeit von Simonetta Sommaruga im EJPD. Es wäre ihr und der SP gegönnt gewesen, sie wäre dafür vom Parteitag mit einer Ja-Parole zum Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative voll unterstützt worden. So bleibt der Zwist in Erinnerung, zur Freude der Medien, die damit nicht über die Steuerinitiative berichten mussten.

Was das alles für die Wahlen heisst, bleibt vorerst offen: Sicher, die Mitte ist parteipolitisch zunehmend umkämpft und besetzt; die Kampfansage an die Adresse der Grünen ist erfolgt, doch die zentrale Herausforderung 2011 heisst auch für die SP: mobilisieren, mobilisieren, mobilisieren! Von Vorteil für die Linkspartei wäre, sie würde das mit der gleichen Verve beherzigen wie die Revision des eigenen Parteiprogramms – noch vor den nächsten Parlamentswahlen.

Claude Longchamp

Was nur heisst strategisches Wählen?

Zwei zentrale Aussagen kommunizierte FORS, das Schweizer Kompetenzzentrum für Sozialwissenschaften, gestern mit der Vertiefungsstudie zur Analyse der Nationalratswahlen 2007 im Rahmen einer Sondernummer der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft: Erstens, der Kulturkampf überlagert den Klassenkampf; zweitens, die WählerInnen würden strategisch für ideologische Parteien stimmen, die extremer seien als sie, damit sich überhaupt etwas bewege. Ersterem kann man wohl vorbehaltslos zustimmen. Zweiteres ist jedoch diskussionsbedürftig.

Clip2
Positionen der KandidatInnen und der WählerInnen bei den Nationalratswahlen 2007. Die Polarisierung der KandidatInnen ist vor allem auf der Links/Rechts-Achse grösser als auch der 2. Dimension, welche die Wählenden mehr teilte.

Die Befunde sind recht offensichtlich: Die Wählerschaften der Parteien sind auf der neuen Konfliktdimension stärker polarisiert als auf der alten. Die Kandidierenden indessen trennt die alte Dimension mehr als die Neue. Das führt zu Inkohärenzen zwischen Parteieliten und Parteiwählerschaften. SP, aber auch Grüne sind oben und unten etwa gleich stark für gesellschaftlichen Offenheit, nicht aber wenn es um mehr oder weniger Staat geht. Da denken die Parteiwählerschaften viel pragamtischer als die BewerberInnen für politische Aemter. Aehliches findet sich bei SVP, tendenziell auch bei FDP in umgekehrter Richtung. Die Marktorientierung der Politiker ist akzentuierter als die der WählerInnen.

Die Autoren der Zweitanalyse der Selects-Daten zu den letzten Nationalratswahlen 2007 interpretieren die PolitikwissenschafterInnen (zusammengefasst) so: Gewählt werden nicht die Personen, mit denen man die grösste Uebereinstimmung hat, sondern jene Parteien, von denen man am ehesten erwartet, dass sie die Politik in die gewünschte Richtung verändern.

Das ist zunächst interessant: Denn es deutet darauf hin, dass Themen wie die Migrationsfrage 2007 polarisierten und die Wahlentscheidungen beförderten, das dabei aber PolitikerInnen gewählt wurden, deren primäre Gesetzlichkeiten gar nicht in dieser Frage liegen.

Ob man das alles positiv als strategische Wahl charakterisieren soll, kann man aber bezweifeln. Vielmehr müsste eine kampagnenkritische Untersuchung zeigen, wie es kam, dass eine Thematik zur vorherrschenden und wahlentscheidenden wurde, ob wohl diese gar nicht den Selektionskriterien der Parteien auf Ebene der KandidatInnen entspricht. Gefragt werden müsste auch, ob die Hoffnung, dass Wahlen ein Parlament bestimmen, das in entscheidenden Fragen der Wählerschaft repräsentativ zusammengesetzt ist, in der Mediendemokratie obsolet geworden ist, weil sich zwischen politischer Realität und wahlkämpferischer Medialität eine immer grössere Schere öffnet.

Man kann aber auch noch weiter gehen, nicht nur den Begriff, sondern auch die Interpretation in Frage stellen. Denn die Bi-Polarisierung der Parteienlandschaft, wie sie 1995-2003 die Wahlen in den Schweizer Nationalrat bestimmten, fand 2007 eine mindestens erhebliche Relativierung. Polartig formierte sich nur noch der nationalkonservative Teil der Parteienlandschaft in Form der SVP weiter. Links wuchs nicht mehr, kannte einzig noch eine Verlagerung der Schwergewichte von der SP zur GPS. Neu entstand 2007 die GLP, und mit der BDP, die sich 2008 als Abspaltung von der SVP formierte, setzte sich der Prozess der Neuformierung des politischen Zentrums gleich nochmals fort.

Die Frage ist deshalb berechtigt, ob die Parteien generell, mindestens einige wesentliche davon, die Zeichen der Zeit richtig erkannt hatten oder haben. Denn eine andere als von den Selects-Autoren favorisierte Interpretation des Datenmaterials wäre, dass ein Teil der WählerInnen von der harschen, eindimensionalen Polarisierungen des politischen Diskurses in den Medien und unter den Parteispitzen genug hat, und sich zwischenzeitlich wieder gemässigteren Positionen annähert. Das würde es dann auch heissen, dass strategisches Wählen nicht die Unterstützung von Parteien und KandidatInnen wären, die einem nicht wirklich entsprechen, sondern von Personen und Gruppierungen, die so sind, wie man das gerne hätte, nämlich moderater.

Der Erfolg beispielsweise von smartvote, dem Empfehlungen für KandidatInnen und Parteien aufgrund thematischer Uebereinstimmungen, spricht eher für diese Interpretation. Denn die Analyse von Selects würde dafür sprechen, dass man smartvote zwar verwendet, dann aber ganz anders entscheidet. Das mag ich schlicht nicht glauben, denn wer smartvote einsetzt, macht es, jene Personen und Parteien zu wählen, die ihnen effektiv nahestehen.

Claude Longchamp

Prominenz und Politik

Seit Ronald Reagan es schaffte, US-Präsident zu werden, gibt es einen Mythos mehr in der Politik: Prominenz reiche, um gewählt zu werden. Mitnichten, entgegne ich, und füge bei, gottlob!

corinne_schmidhauser_1_3153744_1257942827
Corinne Schmidhauser, frühere (Riesen)Slalomfahrerin, will als Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga in den Ständerat

Schauspieler, Sportlerinnen und JournalistInnen stehen sichtbar in der Oeffentlichkeit, haben hohe Medienpräsenzen und sind weitherum bekannt. Und Bekanntheit ist eine der zentralen Voraussetzungen, um gewählt zu werden. So reizt es Leute wie Alfred Rasser, den Kabarettisten, wie Adolf Ogi, den Sportsfunktionär, und Filippo Leutenegger, in die Politik einzusteigen. Sie alle hatten beruflichen Erfolg, wurden Nationalrat, in einem Fall reichte es gar bis in den Bundesrat.

Irrig wäre jedoch die Annahme, für jeden Promi sei der Weg in die Politik ein Kinderspiel: Toni Schaller, genauso wie Leutenegger mal Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, fasste nie wirklich Fuss in den Parlamenten, für die er sich bewarb. Genauso erging es Ernst Schläpfer, Schwingerkönig, und Adolf Muschg, dem Schriftsteller, oder Schang Hutter, dem Plastiker.

Die Wahlforschung verweist mit schöner Regelmässigkeit auf die hohe Bedeutung der Bekanntheit , insbesondere bei Majorzwahlen. Doch das alleine reicht nicht, sagen letztlich fast alle Studien. Denn die Bekanntheit muss sich mit einem glaubwürdigen Bild eine Politikers, einer Politikerin paaren, welche in Parteien Rückhalt halt, welche politisch kompetent ist, und welche gelernt hat, sich auch auf dem politischen Parkett durchzusetzen. Den Promis fehlt es häufig schlicht an politischer Sozialisation – auf Partei- und Aemterebene.

Im Kanton Bern kann man zur Zeit ein solches Experiment beobachten. Corinne Schmidhauser, weiland eine unserer besten Skirennfahrerinnen, war in den Bergen schnell, wenn es von oben nach unten ging. Jetzt will sie genauso rasch von der FDP-Gemeinderätin in Bremgarten zur Ständerätin Berns werden. Dabei scheut sie nicht, etablierte Kräfte wie Nationalrätin Christa Markwalder herauszufordern. Toll! Aber auch sinnvoll?

Ich will gar nicht in die Falle trampen, bei alten Images von Frau Schmidhauser stehen zu bleiben. Doch bewirbt sie sich für eines der höchsten Aemter, die im Kanton Bern via Wahlen vergeben werden. Da stellen sich andere Fragen als an eine Lokalpolitikerin oder einen Lokalpolitiker. Vor allem auch, wenn die Anmeldefrist für Kandidaturen schon abgelaufen ist. Man kann deshalb der FDP nur raten, solche Experimente nicht zu weit zu treiben. Es mag sein, dass die EU-BeitrittsbefürworterIn Markwalder nach dem ersten Wahlgang auch bei mehr Stimmen als SVP-Kandidat Adrian Amstutz nicht zur bürgerlichen Einheitskandidatin wird. Die Chance aber, dass Schmidhauser dann vor Amstutz liegt, ist noch geringer.

Claude Longchamp

Oppositionsmodus der SVP

Der Parlamentsmonitor “Politools” vermittelt uns einen Ueberblick über die fortschreitende Polarisierung im Nationalrat. In der laufenden Legislatur isoliert sich die SVP immer mehr, ist der Hauptbefund.

3723896klein

Man erinnert sich: Ende 2007 wird Christoph Blocher als Bundesrat abgewählt. Eveline Widmer-Schlumpf wird seine Nachfolgerin, gemeinsam mit Samuel Schmid, wir sie aber nicht mehr in die SVP-Fraktion aufgenommen. Diese verabschiedet sich unter Führung der Parteispitze in die Opposition, während die ehemaligen SVP-Mitglieder im Bundesrat zur neu gegründeten BDP wechseln. Erst 2009 kommt es zu einer Korrektur: Ueli Maurer wird neuer SVP-Bundesrat, während die Bundesversammlung Jean-François Rime den Einzug in die Bundesregierung 2010 verwehrt.

Wie sich das alles auf das Verhalten der SVP-ParlamentarierInnen ausgewirkt, hat ein Forschungsteam um den Berner Politikwissenschafter Daniel Schwarz untersucht. Die Zusammenfassung in der heutigen NZZamSonntag fasst der Sutdienleiter wie folgt zusammen: Die SVP hat aus ihrem Oppositionsmodus nicht mehr herausgefunden. Sie lässt sich selbst mit einer Vertretung im Bundesrat immer weniger einbinden.

Basis für diese Aussagen sind rund 2500 Namensabstimmungen im Nationalrat, die seit 1996 elektronisch dokumentiert vorliegen. Der Befund: Seit dem Parlamentsjahr 2008/2009 steigt die Frontbildung zwischen SP, FDP, CVP und Grünen gegen die SVP rasant an. Im laufenden Parlamentsjahr endete fast jede zweite Abstimmung mit dieser Konstellation. Das ist erstmals mehr als Parlamentsverhandlungen mit einer Uebereinstimmung unter allen grossen und grösseren Parteien. Und: Es ist klar häufiger als die Polarisierung der bürgerlichen Lagers gegen SP und Grüne.

Damit führt die Konsenssuche, mindestens in der Grossen Kammer immer seltener zu einer Einigung. Polarisierung prägen das Bild im Nationalrat. Die Mitte ist (und bliebt wohl auch) minderheitlich, sodass sie auf Unterstützung durch einen Pol angewiesen ist. Dies ist in dieser Legislatur immer weniger bei der SVP zu finden, immer häufiger auf der linken Seite.

Blockierungen der Mitte durch eine unheilige Allianz der Polparteien links und rechts bleiben numerisch unbedeutend, wenn sie auch Aufsehen erregen wie jüngst bei der 11. AHV-Revision. Genauso wie die Polarisierung zwischen FDP und SVP gegen Mitte/Links selten geblieben sind.

Für Daniel Schwarz heisst dies: “Die SVP ist vom bürgerlichen Lager weggedriftet. Sie ist selbst für die FDP kein Partner mehr”. Das hat zwei unterschiedliche Auswirkungen. Die Geschlossenheit der SVP-Fraktion im Nationalrat ist im gleichen Zeitraum leicht rückläufig, denn ein Teil ihrer Mitglieder spürt die Isolierung. Die Partei selber verweist auf die Wahlerfolge, die sich mit ihrer konsequent eigenen Linie in den kantonalen Wahlen einfahren konnte.

Fast wäre man geneigt, eine Schritt weiter zu gehen, wil sich die Kluft zwischen SVP und bürgerlicher Mitte erhöht, während die Spaltung zwischen Zentrum und den Linken seltener wird. Doch täuscht diese Eindruck auch: Denn die Analyse bezieht sich auf die Namensabstimmung im Nationalrat, der viel polarisierter ist als der Ständerat.

Claude Longchamp

Einbinden oder ausgrenzen?

Francesco Benini, Redaktor der NZZ am Sonntag, publiziert heute ein Interview mit Wolfgang Schüssel, von 2000 bis 2007 Bundeskanzler der Republik Oesterreich. Thema des Gesprächs ist der Umgang mit dem Rechtspopulismus, der in zahlreichen europäischen Ländern Westeuropas anwächst. Der Ratschlag des Altkanzlers lautet: Die Populisten durch Einbindung entzaubern. Das sehen in Europa nicht alle gleich.

europakarte

Man erinnert sich: Wolfgang Schüssel, designierter Bundeskanzler der OeVP, brach nach den Nationalratswahlen 1999 mit dem üblichen Rot-Schwarz in Oesterreich. Vielmehr ging er 2000 eine Koalition der FPOe ein. Die Legitimierung der Partei Jörg Haiders trug Oesterreich vorerst viel Kritik von der EU ein; die verhängten Sanktionen wurden nach einem halben Jahr jedoch aufgeboben.

In der Folge entwickelte Schüssel seine Umarmungsstrategie gegenüber der FPOe vollumfänglich. Im Rückblick fasst er das wie folgt zusammen: Volksparteien, die mit rechtspopulistischen Parteien koalieren, sollten sich hüten, sich auf das meist einzige Thema ihrer Partner reduzieren zu lassen. Sie sollten ihren eigenen Gesamtentwurf für die Gesellschaft unverändert weiter verfolgen. MinisterInnen rechtspopulistischer Parteien soll man nicht verteufeln, vielmehr ist in einer Regierung Kooperation zum Vorteil des Landes angezeigt. Denn parlamentarische Demokratien sollten sich hüten, von BürgerInnen abgehoben zu funktionieren, weil sie auf die Sensibilitäten von Bürgerbewegungen angewiesen sind. Die Einbindung von Teilen der Rechtspopulisten schwächt, ist sich Schüssel sicher, ihre Attraktivität für Protestwähler. Deshalb können man davon ausgehen, dass rechtspopulistische Parteien in der Regierungsverantwortung Abnützungserscheinungen zeigen – und sich, um Wählerverluste aufzufangen bald schon spalten würden.

Generell müsse man in europäischen Demokratien mit Protestpotenzialen von einem Viertel der WählerInnen rechnen, doziert der Altkanzler in der NZZaSo. Protestpotenziale würden deshalb überall und wiederkehrend auftauchen. Am Anfang solche Zyklen stünden politisierende Ereignisse wie die Ermordnung Pim Fortuyns in den Niederlanden, die brennenden Vorstädte in Frankreich oder die Thesen von Thilo Sarrazin in Deutschland. Das mobilisiere eine Kraft, die einen neuen Diskurs in die etablierte Politik trage. Dem müsse man sich stellen, wenn man Regierungsverantwortung inne habe. Dafür müsse man gelegentlich auch das Unerwartete tun, so der OeVP-Politiker.

Das Erwartbare zeichnet sich für Schüssel in Wien ab. Er rechnet mit einer rot-schwarzen Koalition. Politische und wirtschaftliche Macht vereinige sich so und werde zusammen auch regieren können. Doch bleibe das Unbehagen, etwa mit der Asylpolitik. Denn der Wahlsieger, die FPOe, werde wieder ausgegrenzt. Das würde zwar den Exponenten der Opposition eine Plattform entziehen, sie aber auch nicht fordern. Vor allem aber nehme man so einen wesentlichen Teil der Bevölkerung aus und mit ihm auch das Unbehaben, das zum Wahlentscheid für Rechtspopulisten geführt habe, nicht ernst.

Ohne Zweifel, da argumentiert einer, der als “Drachentöter” in die österreichische Politikgeschichte eingangen ist, in sich kohärent. Für ihn spricht, dass er Jörg Haiser entzaubert hat. Doch stellt sich die Frage, ob das Beispiel Oesterreich wiederholbar, ja verallgemeinerbar ist? Aehnliches wie mit Schüssels Regierung von damals geschieht gegenwärtig in Italien, ohne dass klar ist, wer hier welchen Part spielt und wer von wem entzaubert wird. Das war ja auch in der Schweiz nicht eindeutig, als Christoph Blocher im Bundesrat war.

Ein kleiner Ueberblick über die weitere Länder mit starken rechtspopulistischen Parteien zeigt, dass es auch andere Vorgehensweisen gibt. Beispielsweise nahm Nicolas Sarkozys UMP die Anliegen des aufstrebenden Front National auf, um ihn bei den nächten Wahlen erfolgreich zurückzubinden. Beispielsweise grenzen sich die schwedischen, dänischen und niederländischen Bürgerlichen ab, sind aber bereit, Konzessionen zu machen, damit ihre Minderheitsregierungen von den Rechtspopulisten geduldet werden. Anders verfahren linke Regierungen, wie jene Norwegens, welche die Fortschrittspartei ganz ausgrenzt, auch wenn sie 23 Prozent der WählerInnen-Stimmen hinter sich weiss.

Einschätzungen zum Dilemma im Umgang mit Rechtspopulisten sind erwünscht!

Claude Longchamp