Mutmassungen zur SP mit ihrem neuem Parteiprogramm

Langfristig hat sich die SP entschieden, den Führungsanspruch zu haben, wo es um Grundwerte der Links-Wählenden geht. Kurzfristig hat sie vergessen, ein Teil der pragmatischen Regierungspolitik zu sein.

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Quelle: Silvan Wegmann

Parteiprogramme sind nicht für morgen gemacht, sondern für übermorgen. Das jetzige hielt 28 Jahre – eine ganze PolitikerInnen-Generation lang. Extrapoliert heisst das, die SP machte sich gestern Gedanken über die Schweiz bis ins Jahre 2038, wenn die heute 20jährigen die politische Gangart bestimmen werden.

Ob die SP mit ihrer Analyse recht hat oder nicht, weiss letztlich niemand. Wird die Schweiz schon längst Mitglied der EU sein, oder wird es die EU gar nicht mehr geben? Wird sich die Schweiz eine eigene Armee nicht mehr leisten können, oder wird sie zur Igelstellung wie im Zweiten Weltkrieg genötig sein? Das waren ganz sicher die umstrittensten Fragestellungen, auf die die SP ihre eigene Antwort gegeben hat.

Ohne Zweifel, die SP hat gestern an ihrem Parteitag Flagge gezeigt. Sie hat Weichen gestellt. Sie hat sich unmissverständlich klar links positioniert. Sie hat damit allen eine Antwort gegeben, die nach der Wahlniederlage 2007 den veralteten Auftritt kritisiert, das von Grünen nicht mehr unterscheidbare Programm bemängelt und die Hoffnungslosigkeit des linken Pragmatismus angesichts der globalen Wirtschaftskrise als Ursache für den Niedergang gesehen haben.

Klar ist: Die SP hat gestern entschieden, programmatisch nicht in die Mitte zu gehen. Das ist riskant. Den Verlusten an WählerInnen an die GLP will sie nichts gegenüberstellen, nicht zuletzt weil sie nicht an die Rückkehr dieser WählerInnen glaubt. Klar ist auch, dass die SP im rotgrünen Lager wieder unbestrittener Leader sein will – um die Abwanderung von Stimmen an die GPS zu stoppen, was die Ursache vieler Wahlniederlagen war. Die Rechnung der SP lautet: Mehr im linken Lager zulegen als an dessen Rand zur Mitte verlieren!

Unklar ist allerdings, ob die SP auch gewillt ist, nebst dem Hoch auf den demokratischen Sozialismus auch ihr WählerInnen-Potenzial besser auszuschöpfen. Denn dafür braucht es nicht eine langfristige Ausrichtung mit Programmen, sondern auch eine kurzfristige Politik mit Aktionen. Sie muss darauf ausgerichtet sein, Erfolg im Hier&Jetzt zu haben, nicht erst im sozialdemokratischen Paradies.

Da wäre zu wünschen, dass die SP sensibler wird, wie sie mit sich selber, mit ihren VertreterInnen und mit ihrer denkbaren Wählerschaft umgeht. Denn den Siegen bei der BVG-Abstimmung und bei den Bundesratswahlen stehen Niederlagen bei der AVIG-Revision und der Departementsverteilung im Bundesrat gegenüber. Ueberheblichkeit, die auch auf dem Parteitag durchschimmerte, wird in der Schweiz meist mit dem Fall bei Wahlen bestraft.

Gerade mit ihrer Parole zum Gegenvorschlag hat sich die SP keinen Dienst erwiesen. Abgrenzung gegenüber der Politik der rechten Opposition ist bei einer linken Partei nachvollziehbar. Parlamentarische Kompromissvorlagen, an denen man selber mitgearbeitet hat, fallen zu lassen, gehört nicht zu Zuverlässigkeit in der Politik. Die Integrationspolitik gehört genauso zu den linken Forderungen wie die Ueberwindung des Kapitalismus. Mehr noch: Sie zählt zu den Schwerpunkten der Arbeit von Simonetta Sommaruga im EJPD. Es wäre ihr und der SP gegönnt gewesen, sie wäre dafür vom Parteitag mit einer Ja-Parole zum Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative voll unterstützt worden. So bleibt der Zwist in Erinnerung, zur Freude der Medien, die damit nicht über die Steuerinitiative berichten mussten.

Was das alles für die Wahlen heisst, bleibt vorerst offen: Sicher, die Mitte ist parteipolitisch zunehmend umkämpft und besetzt; die Kampfansage an die Adresse der Grünen ist erfolgt, doch die zentrale Herausforderung 2011 heisst auch für die SP: mobilisieren, mobilisieren, mobilisieren! Von Vorteil für die Linkspartei wäre, sie würde das mit der gleichen Verve beherzigen wie die Revision des eigenen Parteiprogramms – noch vor den nächsten Parlamentswahlen.

Claude Longchamp