Politologische Intervention

Wenn Franz Walter ausholt, wird es gefährlich. Denn der Göttinger Parteienforscher beherrscht die politologische Intervention wie kaum ein anderer. Seine Aufsätze im “Spiegel” sind mit spitzer Feder geschrieben, – am liebsten in Sachen SPD, der er selber angehört.

M. Lengemann
Franz Walter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen, versteht die politologische Intervention als Beitrag zur Entwicklung der Politik und wird dafür von Fachkollegen gerne der Unwissenschaftlichkeit bezichtigt.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl schrieb Walter treffsicher: “Alle Welt wird über Namen raunen, wird über den künftigen starken Mann/die starke Frau orakeln. Wowereit oder Gabriel oder Nahles oder Scholz – das wird die Sozialdemokratologen beschäftigen. Doch dass dieses Spiel keinen politischen Ertrag abwirft, haben all die zahlreichen Vorsitzwechsel in der Partei während der letzten Jahre hinlänglich bewiesen.”

Walters Analyse ist anders: Der SPD schlägt er einen Fünf-Punkte-Plan für eine innerparteiliche demokratisch Kultur vor:

1. “Die Sozialdemokraten haben endlich anzuerkennen, dass sie weder die Mutter noch die alleinige politische Repräsentanz des Spektrums links von der Mitte sind.”
2. “Die Anführer der SPD haben grundsätzlich ihren fatalen, ja entwertenden Umgang mit den eigenen Mitgliedern, Multiplikatoren, Anhängern zu überdenken. Mit Ausnahme der letzten sechs Wahlkampfwochen sind diese Gruppen für die SPD-Spitze nämlich nicht mehr wichtig.”
3. “Die Kandidaten der Sozialdemokratie sollten künftig durch das Säurebad eines großen demokratischen Nominierungsprozesses gehen müssen.”
4. “Die Sozialdemokraten haben zu klären, was sie eigentlich wollen. Alle Organisationsreform, alle neuen Leute an der Spitze allein werden nicht das Geringste bewegen, wenn die Partei nicht weiß, wer sie ist, für wen sie Politik machen will, auf welchem Wege, zu welchem Ziel und mit welchen Weggenossen.”
5. “Die SPD wird diesen Klärungsprozess anders als in früheren Jahren nicht als Scharmützel von Cliquen und Clans führen dürfen, sondern als eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung gesellschaftsbezogener Strömungen.”

Während viele akademischen WahlforscherInnen seit Sonntag abend 18 Uhr schweigen, mischt sich Walter lustvoll ein, sagt, was er denkt, und schreibt es, dass man es versteht. Damit trägt er viel zu Verbreitung politikwissenschaftlicher Erkenntnisse bei.

Genau das ertragen nicht alle KollegInnen auf den Lehrstühlen. Der ausgewiesene Parteienforscher mit Standardwerken zur SPD und FDP muss sich regelmässig Kritik gefallen lassen, seine Popularisierungen gingen auf Kosten der Wissenschaftlichkeit. Anerkennt wird, dass er mit seiner Fachkenntnis die tektonischen Verschiebungen in der Gesellschaft genau verstehe, aber nicht aber theoretisch verorten könne.

Die Universität Göttingen versuchte gar, das Seminar für Politikwissenschaften zu streichen. Da wusste Walter in eigener Sache politisch zu intervenieren. Das Wissenschaftsministerium bezeichnete ihn 2007 als „Aushängeschild der niedersächsischen Hochschullandschaft“ und baute seinen Lehrstuhl aus.

Claude Longchamp