Forschungsvorbilder aus der abendländischen Wissenschaftsgeschichte

(zoon politicon) Das neues GEO kompakt auf Deutsch verspricht viel, denn es porträtiert die 100 grössten Forscher aller Zeiten.

Das Wissenschaftsverständnis
Zwei Einschränkungen muss man gleich zu Beginn machen: Es sind die 100 grössten Natur-ForscherInnen, die hier vorgestellt werden. Und sie stammen alle aus der abendländischen Wissenschaftstradition.

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Titelbild der gegenwärtig GEO kompakt Ausgabe

Doch, und das ist das bleibende an der Uebersicht, es sind alles Vorbilder der Forschung. Es sind Philosophen, Universalgelehrte, Genies und Direktoren von Forschungslaboratorien. Sie haben …

… ein bestehendes Phänomen erstmals in den Begriffen und mit den Theorien der Wissenschaft beschreiben und erklären können oder
… ganz neue Phänomene entdeckt oder
… ein komplexes Phänomen aus einer ganz neuen Perspektive heraus gedeutet oder
… eine neue Fachdisziplin begründet.

Sie haben die Grundlagen gelegt für Wissenschaften, Forschung und Lehre oder die Denk-, Frage- und Forschungstraditionen seit dem 16. Jahrhundert, die in den 2000 Jahren davor entwickelt worden waren, revolutioniert und so die Basis für die moderne Wissenschaft gelegt.

Das färbt seit dem 18. Jahrhundert auch auf die Oekonomie, die Soziologie, die Psychologie und die Politologie ab, hat diese sozialwissenschaftlichen Disziplinen begründet oder befruchtet.

Die Vorbilder
Die Liste, die so für das Publikum von GEO kompakt entstand, kann hier nachgeschlagen werden. Da findet sich auch die online-Möglichkeit, eine persönliche Gewichtung vorzunehmen. Mehr als 5000 BesucherInnen haben bereits davon Gebrauch gemacht und die nachstehenden Top-Ten oder populärsten (Natur)Forscher bestimmt:

Albert Einstein *1879
Physiker: Entwickelt ein neues Verständnis von Raum und Zeit und verändert so wie kein anderer Wissenschaftler das Bild unseres Kosmos.

Galileo Galilei *1564
Astronom: Streitet für das copernicanische Weltbild und vertritt ein neues Prinzip der Erkenntnis – Beobachtung und Experiment.

Charles Darwin *1809
Evolutionsforscher: Erkennt, dass Tier- und Pflanzenarten nicht unveränderlich geschaffen sind, sondern sich durch “natürliche Zuchtwahl” entwickeln.

Isaac Newton *1643
“Physiker Gottes”: Überwindet die aristotelische Trennung von Himmels- und irdischer Physik, schafft so die Grundlagen der klassischen Mechanik.

Max Planck *1858
Begründer der Quantentheorie: Erkennt, dass es in der Welt der Atome zu absonderlichen Sprüngen kommt und legt damit das Fundament für eine gänzlich neue Physik.

Aristoteles *384 v. Chr.
Universaldenker: Entwickelt mit seinen Lehren über den Aufbau der Welt Voraussetzungen für die Entfaltung jeglicher Wissenschaften.

Pythagoras *um 570 v. Chr.
Wirkungsmächtiger Mathematiker: Ihm zufolge ist die Zahl eine die gesamte Natur konstituierende Kraft.

Marie Curie *1867
Physikerin: Erforscht die radioaktive Strahlung und kämpft sich als erste Frau an die Spitze ihrer Profession.

Archimedes *um 287 v. Chr.
Der erste Ingenieur: Entdeckt das Prinzip des Auftriebs, erfindet den Flaschenzug, konstruiert Waffen und löst komplexe mathematische Probleme.

Nicolaus Copernicus *1473
Revolutionär wider Willen: Will die Modelle alter Astronomen verbessern und erkennt, dass die Erde nicht still steht, sondern um die Sonne wandert.

Meine Freu(n)de

Natürlich freut es mich, dass Aristoteles, der griechische Universalwissenschafter, der den Begriff zoon politicon prägte, unverändert zu den SpitzenforscherInnen der abendländischen Wissenschaftsgeschichte gezählt wird. Und selbstverständlich bin ich als Berner stolz, dass Albert Einstein, der seine grundlegenden Arbeiten alle 1905 in Bern verfasste, ganz oben im Forscher-Ranking figuriert!

Claude Longchamp

“Paradigma”, “turn” oder bloss Mode

Geht man an einen (sozial)wissenschaftlichen Kongress, wähnt man sich normalerweise nicht an einere Mode-Show. Weder die Kleidungen, noch die Frisuren und schon gar nicht die Haltungen der Akteure verleiten einen zu dieser Annahme. Schaut man sich indessen die Beiträge an, die an (sozial)wissenschaftlichen Kongressen präsentiert werden, wird man häufig den Verdacht nicht los, dass da vor allem Modisches vorgestellt wird. Nur versteckt es sich häufig hinter anderen, hochtrabenden Begriffen: turn ist heute besonders in, Paradigma war das mal!

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Immer mehr macht sich das Phänomen der rein modischen Weltdeutungen auch in den Sozialwissenschaften breit. Ich halte mal dagegen!

Paradigmen
Der Philosoph Thomas S. Kuhn hat mit alle dem 1970 angefangen und rasch Furore gemacht. Er untersuchte die Wissenschaftsgeschichte, und er unterstellt, dass sich das wissenschaftliche Wissen diskontinuierlich entwickle, – in Paradigmen eben. Zwar gelang es ihm nie, den Begriff selber verbindlich zu definieren, doch war das Paradigma nach Kuhns Vorstoss auf die philosophische Bühne weit herum bekannt und wurde es vielerorts begeistert aufgenommen.

Paradigma war eigentlich als Beispiel, als Vorbild oder als Muster gedacht. Es umschrieb das, was beobachtet und überprüft wird, die Art der Fragen, welche gestellt und geprüft resp. wie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung vorbildlich interpretiert werden sollten. In den Naturwissenschaften machte das noch einigermassen Sinn: die kopernikanische Wende, die Physik Newtons und Einsteins Denkrevolution markierten das, was Kuhn als Paradigmenwechsel vorgeschwebt hatte.

In den Sozialwissenschaften erwies sich der Begriff schlicht als Uebertreibung. Die Entstehung der Oekonomie, der Soziologie oder Psychologie sind allenfalls ein Paradigmenwechsel, – eine Abkehr von geistes- und sozial- und humanwissenschaftlichen Denk- und Forschungsweisen. Innerhalb dieser Wissensgebiete fand man jedoch kaum Paradigmenwechsel.

turns
Die aufstrebenden Revolutionswissenschaften der 70er Jahre reagierten entsprechend: In den Kulturwissenschaften entdeckte man als Erstes die Sprache als Gegenstand der Forschung, sprach im Gefolge von Richard Rorty vom linguistic turn und meinte damit die Entstehung von neuen Fachgebieten wie Linguistik und Semiotik. In den 90er Jahren wandte man sich dem voll von neuen Hoffnungen dem Bild zu, das im Begriff war, die elektronische Welt zu erobern, ohne dass sich schnell genug auch eine Bildwissenschaft etabliert hätte. Schliesslich kam es zum spatial turn, der Entdeckung des Raumes statt der Zeit als wichtigster kultureller Determinante überhaupt.

Für all das kann man noch einiges Verständnis aufbringen. Immerhin entwickelte sich (vor allem die deutschsprachige) Kulturwissenschaft in den letzten 40 Jahrenn sprunghaft, indem sie ihre Betrachtungsweise stufenweise veränderte, und, würde ich beifügen, sich damit auch erweiterte verbesserte.

Moden
Was sich indessen sonst noch alles auf Klippen, Wenden, Kehren und Sprünge in den(Sozial)Wissenschaften überall kapriziert, ist meist nicht mehr als eine Mode unter WissenschafterInnen. Anstatt neue Fakten zu präsentieren, übersehene Argumente zu liefern oder Kombiationen zu entwickeln, die zu wirklich neuen Theorie führen, erhält man nicht selten nur dünne Vermutungen vorgesetzt, bekommt man Botschaften durchgegeben und unbelegte Hypothesen aufgetischt. Damit man die Dürftigkeit der sog. Innovationen übersieht, überziehen die Vorreiter der neuen Moden ihre Produkte mit einem rhetorischen Zuckerguss, die der vermeintlichen Neuerung höhere Bedeutungen zumessen. Revolutionen mindestens im Denken, wohl auch im Wissen, vielleicht sogar im Können, und wenn’s ganz hoch kommt, selbst auch im Handeln begleiten die meist bloss begrifflichen Verschiebungen für einfache Beobachtungen, Aussagen, Zusammenhänge und Modelle, die längst bekannt sind, nun aber neu verpackt daher kommen.

Mode ist, so ihre eigentliche Definition, die Art Dinge zu tun, zu nutzen und zu schaffen, die für einen bestimmten, meist kurzen Zeitraum und für eine bestimmte, meist unwichtige Gruppe von Menschen typisch ist. Deren einzige Sicherheit darin besteht, durch die nächste Mode abgelöst zu werden.

Bei Kleidung, Frisur und Auftritt finde ich das, selbst an wissenschaftlichen Kongressen, gelegentlich noch amüsant; in der Wissenschaft selber jedoch fehl am Platz!

Claude Longchamp

Die Evolution des Wissens durch Theoriebildung und Informationsgewinnung

(zoon politicon) Die Falsifikation oder Verifikation einer Hypothese ist das A und O der Theorie emprischer Wissenschaften nach Karl R. Popper. Denn so kann man Fehler in den theoretischen Annahmen entdecken und vermeiden, und sich so der Wahrheit annähern.

Der evolutionäre Prozess von Information-Theorie-Information
Aus verifizierten Hypthesen entsteht aber keine Theorie von selbst. Der Prozess der Entwicklung empirische gesättigter Theorien in der Wissenschaft ist komplexer. Der Soziologe Volker Dreier hat für die Evolution in der Theoriebildung und Informationsgewinnung in den Sozialwissenschaften ein sinnvolles, aber noch wenig gebräuchliches Schema vorgeschlagen.

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Die Operationen: Induktion, Konstruktion, Deduktion, Reduktion
Das Modell unterscheidet zunächst zwischen Theorie und Information, dann zwischen Hypothese und Prognose. Der klassisch deduktive Weg der Wissenschaften, die Deduktion oder Ableitung von Prognosen aus der Theorie setzt Beweistheorie vor aus. Es sind begrifflich, logisch und datenmässig geprüfte Aussagen zu einem Gegenstand. Der Weg hierzu setzt Hypothesen voraus, die sich bewährt haben und nicht mehr modifiziert werden müssen. Dreier nennt ihn Konstruktion. Die Herstellung von Theorien geschieht, indem Aussagen, die aus der Hypothese entstehen, miteinander verknüpft in eine grösseres Ganzes überführt werden, und das meist abstrakt, aber verbal beschrieben werden.

Der Kreislauf ist damit noch nicht geschlossen. Prognosen, die stimmen, führen zu neuen, relevante Informationen. Dreier nennt das die Reduktion. Geleistet wird das durch Bestätigungstheorien. Informationen wiederum stehen nicht nur am Ende des Kreislaufes, sondern am Anfang: Mittels Heuristik werden solche Informationen in Arbeitshypothesen umgewandelt, die anschliessen der oben beschriebenen Prüfung unterzogen werden.

Die theoretischen Schritte sind demnach

. die Heuristik in der Induktion,
. die Begründung in der Konstruktion
. der Beweis in der Deduktion und
. die Bestätigung in der Reduktion.

Dabei bleibt man stets im gleichen Wissenschaftsprogramm. Man entwickelt mit ihm Theorie, und man verwendet die Theorien für die Gewinnung relevanter Informationen, die ihrerseits zu verbesserten Theorie resp. präzisierten Informationen führen können.

Die Anwendung in meiner Vorlesung
Die Wahlforschung ist ein typisches Beispiel hierfür; sie gilt als eine der weitentwickeltsten Teilbereich der Sozialwissenschaften, weshalb man heute überwiegend deduktiv-reduktiv verfährt.
Die Abstimmungsforschung, die ungleich weniger entwickelt ist, verfährt noch überwiegend umgekehrt. Sie verfährt deshalb, wissenschaftstheoretisch gesprochen, induktiv-konstruktiv. Doch dazu nächste Woche mehr.

Geruhsames Wochenende!

Claude Longchamp

Die Weltuniversitäten für Sozialwissenschaften

Seit 2003 wird der Shanghai-Index publiziert, eine allgemeine Rangliste der Weltuniversitäten.

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Die soeben erschienen Version 2008 gibt nicht mehr nur hierzu eine Uebersicht, sondern untergliedert auch in 5 Fachrichtungen. Erstmals bekommt man so die besten Hochschulen der Welt zu sehen, die sich gegenwärtig in den Sozialwissenschaften ausgezeichnen. Für dieses Jahr sind das weltweit:

1. Harvard (1)
2. Chicago (9)
3. Columbia (7)
4. Stanford (2)
5. Berkeley (3)
6. MIT (5)
7. Princeton (8)
8. Pennsylvania (15)
9. Yale (11)
10. Ann Arbor (21)

Beschränkt man sich auf Europa, steht Cambridge an erster Stelle. Ueberhaupt, 7 der 10 Top-Plätze werden von britischen Universitäten eingenommen; die anderen drei sozialwissenschaftlich führenden Hochschulen kommen alles aus den Niederlanden. Hier die Liste für Europa:

1. Cambridge (world 18/4)
2. Oxford (world 23/10)
3. LSE (world 26/151)
4. Amsterdam (world 51/102)
5. London (world 51/25)
6. Manchester (world 51/48)
7. Warwick (world 51/203)
8. Erasmus (world 77/151)
9. Amsterdam (world 77/151)
10. London Business School (world 77/511)

Uebrigens: Keine Schweizer Universität wird in den Sozialwissenschaften als weltweit führend angesehen. Das ist notabene in allen 4 anderen Fachrichtungen, die im Shanghai-Index neuerdings unterschieden werden, anders!

Claude Longchamp

PS:
Jedes dieser Rankings hat seine Eigenheit aufgrund der Parameterwahl. Im Einzelnen resultieren damit andere Klassierungen; der Gesamteindruck bleibt sich aber weitgehend gleich: Times Higher Education Awards (2007).

Eine stärkere Unterscheidung nach Forschung und Lehre, jedoch nicht nach Fachrichtungen sortiert, nimmt das spanische “Webometrics Ranking of World Universities 2008“.

Vom Sinn der Tatsachen in der Wissenschaft

(zoon politicon) In der gestrigen Vorlesung “Empirische Politikforschung in der Praxis” stiessen wir kurz auf den Aufklärer David Hume. Er hat den Empirismus als Gegenposition zum Rationalismus von René Desacartes begründet. Dieser liess sich vom Mensch als vernunftbegabtes Wesen leiten, jener vom Mensch, der dank seiner Sinne die Welt erfahren kann. Bis heute sind beide erkenntnistheoretische Positionen, wenn auch in kritisch verarbeiteter und kombinierter Form bestandteil der Philosophie der Wissenschaften.

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Nachdenken über Thomas Huxleys prägnante Aussagen zum Sinn der Tatsachen in der Wissenschaft empfohlen

Per Zufall bin ich heute auf den britischen Agnostiker Thomas Huxley (1825-1895) gestossen, der im 19. Jahrhundert lebte. Nicht weil er der Grossvater des bekannten Aldous Huxley (Schöne, neue Welt 1932) war, behielt ich ihn im Auge. Vielmehr viel mir auf, dass er mit wenige Worten das wissenschaftliche Denken, das Hume (“gegen die Macht der Gewohnheit”) entwickelt hatte, prägnant zusammenfasste; drei Kernsätze seies deshalb hier zum Nachdenken über den Empirismus in den Natur- und Sozialwissenschaften festgehalten:

„Die größte Sünde gegen den menschlichen Geist ist, Dinge ohne Beweis zu glauben.“

„Jede neue Wahrheit beginnt ihren Weg als Ketzerei und beendet ihn als Orthodoxie.“

„Die Tragödie der Wissenschaft – das Erschlagen einer schönen Hypothese durch eine häßliche Tatsache.“

Schönes Wochenende (trotzdem)

Claude Longchamp

Vorlesung vs. Vortragung

(zoon politicon) Die Vorlesung stammt aus der Zeit der wachsenden Hörerschaft an der Universität, die sich ein Buch nicht leisten konnte. Also liess man sich vorlesen. Der Vorlesende wiederum war sich so sicher, nicht gegen die Zensur zu verstossen. Denn vorgelesen wurde nur aus zugelassenen Bücher.

Das ist heute alles anders.

Aber es werden unverändert Vorlesungen gehalten. Der Dozent spricht, die Studenten hören zu, und schreiben mit, wie wenn sich nie etwas verändert hätte.

Im Idealfall gibt es heute ein vollständiges Skript. Das erleichtert die Nachbereitung der Veranstaltung und die Vorbereitung von Prüfungen. Ersteres ist unverändert löblich, letzteres ist dient meist nur dem Training des Kurzzeitgedächtnisses.

So sind die wenigen Neuerungen zu begrüssen, keine Texte mehr, sondern nur noch Gedankenstützen in Folienformen abzugeben. Sie zwingen zu erhöhter Aufmerksamkeit während den Veranstaltungen. Und so regen sie an, zwischen Nachvollzug bestehender Unterlagen und und Aufnahme des Gesagten zu unterscheiden, denn das muss in den Unterlagen mit eingene Worten und Gedanken ergänzt werden.

Das Beste ist aber immer noch die frei gehaltene Rede während einer Vortragung. Denn sie gelingt nur, wenn der Dozent den Stoff bis auf den Grund beherrscht und ihn mit Ueberzeugung vermitteln kann. Und das ist der Anfang der Bildung und ihrer Vermehrung!

Claude Longchamp

In welcher Welt leben wir eigentlich?

(zoon politicon) Sicher, der Titel, den die BBC-Journalistin, Jessica Williams, ihrem Buch gegeben hat, ist aus doppeltem Grund reisserisch; er lautet: “50 Fakten, die die Welt verändern sollten”. Einmal gibt er vor, 50 (neue) Fakten zu präsentieren; sodann behauptet er, dass die Titel uns zu Aenderungen bewegen sollten.

Was die Welt verändern sollte, stellte die BBC-Journalistin Jessica Williams zusammen; seit 2004 wird der Beststeller der Wissenschaftsjournalistin diskutiert.

Als Wissenschaftler wird man zunächst antworten: eine fleissige, journalistische Arbeit. Und man wir auch festhalten, dass Anstösse gegeben werden. Gleichzeitig wird man bei so apodiktischen Aufhängern erst recht die wissenschaftliche Skepsis spielen lassen. Sind das Realitäten oder Konstruktionen? Sind es Faktoren oder Zuspitzungen?

Eine der unbestrittenen Aufgabe der Wissenschaft ist es , Richtiges von Falschem zu trennen, um Schlussfolgerungen nur auf gesicherten Wissen ziehen zu können. Die diesbezügliche kritische Diskussion des Buches, das 2007 auch auf deutsch erschienen ist, hat noch nicht stattgefunden. Also sollte sie geführt werden, – auch von WissenschafterInnen.

Nun ist die skeptische Prüfung von Wissen nur die eine Aufgabe des wissenschaftlichen Arbeitens. Zu ihren Qualifikationen, vor allem auch der Forschung gehört die Neugier, denn nur die spornt an, Bekanntes zu hinterfragen, Unbekanntes sichtbar zu und so Neues zu erkunden, oder eben: zu ent-decken.

Und das ist unbestrittene Stärke dieses Buches: Es präsentiert eine Unmenge von Hinweisen auf Sachen, die gegenwärtig geschehen, schief laufen, würde die autorin sagen. Es interessierte sie im wahrsten Sinne des Wortes die Welt, in der wir leben. Und das ist noch immer der beste Aufhänger für jegliches Nachdenken und auch wissenschaftliches Forschen.

Genau deshalb bringe ich hier die 50 Schlagzeilen des Buches, – unkommentiert. Nicht als bewiesen Fakten, aber als inspirierende Hinweise, die uns motivieren sollen, für das wissenschaftliche Arbeiten eigene Fragen zu stellen, Diagnosen zu entwickeln, Dokumentationen anzulegen, Belege zu prüfen und Folgerungen daraus zu ziehen!

1. Eine japanische Frau kann damit rechnen, 84 Jahre alt zu werden, eine Botswanerin wird im Mittel nur 39.
2. Ein Drittel aller übergewichtigen Menschen lebt in Entwicklungsländern.
3. Die Vereinigten Staaten und Grossbritannien haben von allen Industrienationen die meisten Teenagerschwangerschaften zu verzeichnen.
4. China fehlen 44 Millionen Frauen.
5. In Brasilien gibt es mehr Avon-Beraterinnen als Armeeangehörige.
6. Im Jahre 2002 fanden 81 Prozent aller Hinrichtungen weltwelt in nur drei Ländern statt: in China, im Iran und in den Vereinigten Staaten.
7. Britische Supermärkte wissen mehr über ihre Kunden als die britische Regierung.
8. Jede Kuh in der EU wird mit zwei 2,5 Dollar pro Tag subventioniert. Das ist mehr, als 75 Prozent aller Afrikaner zum Leben haben.
9. In über 70 Ländern verstossen gleichgeschlechtliche Beziehungen gegen das Gesetz. In neun Ländern werden sie mit dem Tod bestraft.
10. Einer von fünf menschen auf der Erde lebt von weniger als einem Dollar pro Tag.
11. In Russland sterben jährlich über 12’000 Frauen als Opfer von häuslicher Gewalt.
12. Im Jahre 2003 unterzogen sich 145 Millionen Amerikaner der einen oder anderen Form von plastischer Chirurgie.
13. In jeder Stunde wird mindestens ein Mensch von Landminen getötet oder verstümmelt.
14. In Indien gibt es 44 Millionen Kinderarbeiter.
15. Ein Bewohner der Industrienationen verzehrt jährlich zwischen sechs und sieben Kilogramm an Nahrungsmittelzusatzstoffen.
16. Der Golfspieler Tiger Woods ist der höchstbezahlte Sportler der Welt. Er verdient 78 Millionen Dollar pro Jahr – oder 148 Dollar pro Sekunde.
17. 7 Millionen Amerikanierinnen und eine Million Amerikaner leiden unter einer Essstörung.
18. Fast die Hälfte aller britischen Fünfzehnjährigen hat schon einmal illegale Drogen ausprobiert, und fast ein Viertel gehört zu den Gewohnheitsrauchern.
19. Die Industrielobby beschäftigt in Washington 67’000 Personen – das macht 125 Lobbyisten auf jeden gewählten Kongressabgeordneten.
20. In jeder Minute sterben zwei Menschen durch Autounfälle.
21. Seit 1977 hat es an nordamerikanischen Abtreibungskliniken über 90’000 Fälle von Gewalttaten und Vandalismus gegeben.
22. Mehr Menschen kennen die goldenen Bögen des McDonald’s-Emblems als das Kreuz der Christenheit.
23. In Kenia machen Bestechungsgelder in einem normalen Durchschnittshaushalt einen Drittel der Ausgaben aus.
24. Weltweit werden durch den Handel mit illegalen Drogen etwas 400 Milliarden Dollar umgesetzt – ungefähr genauso viel wie in der gesamten legalen Pharmaindustrie der Welt.
25. Ueber ein Drittel aller Amerikaner glaubt, dass schon einmal Ausserirdische auf der Welt gelandet seien.
26. In über 150 Ländern wird gefoltert.
27. Jeder fünfte Mensch auf der Erde leidet Tag für Tag Hunger – das sind insgesamt mehr als eine Milliarde Menschen.
28. Ein in den Vereinigten Staaten geborener Schwarzer männlichen Geschlechts wird mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu drei mindestens einmal im Leben im Gefängnis landen.
29. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist gegenwärtig in einen Krieg verwickelt.
30. Die Oelreserven der Welt könnten im Jahre 2040 erschöpft sein.
31. 82 Prozent aller Raucher leben in Entwicklungsländern.
32. Ueber 70 Prozent der Erdbevölkerung haben noch nie ein Freizeichen gehört.
33. Bei einem Viertel aller bewaffneten Konflikte der Welt in den letzten Jahren hat der Kampf um natürliche Ressourcen eine ursächliche Rolle gespielt.
34. In Afrika sind 30 Millionen Menschen HIV-positiv.
35. Jedes Jahr sterben 10 Sprachen aus.
36. Jahr für Jahr kommen mehr Menschen durch Selbstmord ums Leben als in sämlichten bewaffneten Konflikten der Welt.
37. Jede Woche werden in Amerika im Durchschnitt 88 Kinder der Schule verweisen, weil sie eine Schusswaffe mit in den Unterricht gebracht haben.
38. Es gibt auf der Welt mindestens 300’000 Gesinnungsgefangene.
39. In einem Jahre werden 2 Millionen Mädchen und Frauen Opfer von Genitalverstümmelungen.
40. In den bewaffneten Konflikten der Welt kämpfen gegenwärtig 300’000 Kindersoldaten.
41. An den allgemeinen Wahlen des Jahres 2001 beteiligten sich in de Grossbritannien knapp 26 Millionen Wähler. Bei einer Staffel der Reality-TV-Show Pop Idol wurden über 32 Millionen Stimmen abgegeben.
42. Amerika gibt jährlich 10 Milliarden Dollar für Pornographie aus – denselben Betrag, den es auch in die Auslandhilfe steckt.
43. Im Jahre 2003 gaben die Vereinigten Staaten 396 Milliarden Dollar für die Rüstung aus. Das entspricht dem Dreiunddreissigfachen dessen, was alle sieben “Schurkenstaaaten” zusammen investieren.
44. Gegenwärtig gibt es auf der Welt 27 Millionen Sklaven.
45. In Amerika werden Stunde 2,5 Millionen Plastikflaschen weggeworfen. Das würde ausreichen, um alle drei Monate den Weg zum Mond damit zu pflastern.
46. Ein durchschnittlicher britischer Stadtbewohner wird bis zu dreihundert Mal am Tag von einer Kamera erfasst.
47. Jedes Jahr werden etwa 120’000 Frauen und Mädchen nach Westeuropa verkauft.
48. Eine aus Neuseeland nach Grossbritannien eingeflogene Kiwi produziert das Fünffache ihres Gewichtes an Treibhausgasen.
49. Die Vereinigten Staaten schulden den Vereinten Nationen über eine Milliarde Dollar an Beiträgen.
50. Kinder, die in Armut aufgewachsen sind, erkranken mit einer dreimal so hohen Wahrscheinlichkeit an psychischen Leiden wie Kinder aus wohlhabenden Familien.

Und jetzt?

Jessica Williams würde sagen: Handeln Sie sofort!
Ich schiebe nach: Prüfen Sie zuerst!

Jessica Williams: 50 Fakten, die die Welt verändern sollten, München 2007 (engl. Orginalausgabe: 50 Facts that Should Change the World, Cambridge 2004)

Mont Pélerin Society

(zoon politicon) Think Tanks und parteiliche Stiftungen sind nicht die einzige Form der modernen Wissensproduktion für die Praxis. Auch Gesellschaften sind für die internationalen Koordination der Wissensdiffusion von Belang, die als Netzwerke Einfluss auf Wissenschaft, Politik und Massenmedien nehmen. Anders als Denkfabriken haben Zusammenschlüsse dieser Art jedoch keine festen Angestellten, und sie legen auch nicht institutionelle gebundene Publikationen vor. Vielmehr treten sie als gesellschaftlich organisierte Personenverbindungen auf.

Aussicht auf den Genfer See vom Mont Pélerin oberhalb von Monteux (Schweiz)

Die Mont Pèlerin Society ist Netzwerk dieses Typs. Gemäss Sunday Times ist die Mont Pèlerin Society „the most influential, but little-known think tank of the second half of the 20th century”.

Entstanden ist die Gesellschaft 1947 auf Initiative des liberalen österreichischen Oekonomen Friedrich August von Hayek. Er regte nach dem Zweiten Weltkrieg an, Ideen der “Walter Lippmann Gesellschaft” aus der Zwischenkriegszeit wiederaufzunehmen. Hierzu lud er 36 Intellektuellen, vor allem Wirtschaftswissenschafter, aber auch Philosophen, Soziologen und Historiker, auf dem Mont Pélerin bei Vevey (Schweiz) ein. William Rappart, Schweizer Diplomat und Wirtschaftshistoriker an der Genfer Universität leitete Vermittlerdienste. Ursprünglich sollte die Vereinigung Acton-Tocqueville Society heissen, doch erhoben sich unter den Mitgliedern Bedenken gegen römisch-katholische Herkunft der beiden Aristokraten.

Zu den Zielen zählen seither die Verteidigung von Freiheit und Rechtsstaat sowie der Förderung von Privateigentum und Wettbewerb. Marktwirtschaft und offene Gesellschaft sieht sie als die besten Prinzipien gegen marxistische und keynesianistische Tendenzen in Politik und Wirtschaft. Vielmehr will die Gesellschaft eine intellektuelle und kulturelle Revolution fördern “… between like-minded scholars in the hope of strengthening the principles and practice of a free society and to study the workings, virtues, and defects of market-oriented economic systems.”

Bis heute wurden 8 dieser Mitglieder der Gesellschaft (Friedrich August Hayek, Milton Friedman, George Stigler, Maurice Allais, Gary Becker, James M. Buchanan, Ronald Coase und Vernon L. Smith) mit einem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichent. Bekannte Politiker unter den Mitgliedern waren resp. sind Ludwig Erhard, Otto von Habsburg und Vaclav Klaus. Zudem zählt die Gesellschaft auch Wirtschaftsführer zu ihren Mitgliedern.

Heute zählt die Gesellschaft mehr als 500 Mitglieder, die nicht mehr nur aus Europa und Nordamerika kommen, sondern sich auf die ganze westllich beeinflusste Welt verteilen. In der Schweiz bestehen Beziehungen zum Liberalen Institut Schweiz in Zürich.

Netzwerk der Mont Pélerin Society und der Atles Economic Research Foundation im deutschsprachigen Raum
Quelle: edemokratie.ch

Seit 1949 trifft sich die Gesellschaft einmal jährlich an einem anderen Ort; 2008 verhandelt die Gesellschaft in Tokio den Zusammenhang von Technologien und Freiheit. Derzeitiger Präsident ist der australische Mathematiker Greg Lindsay. Wichtigster Sponor ist die Atlas Economic Research Foundation.

Claude Longchamp

Literatur:
(affirmativ) Ronald M. Hartwell: A History of the Mont Pelerin Society. Liberty Fund Inc, 1995
(kritisch) Bernhard Walpen: Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft. Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pèlerin Society. VSA-Verlag, Hamburg 2004

Denkfabriken in Europa, Deutschland und der Schweiz

(zoon politicon) Denkfabriken sind eine typische Weiterentwicklung der Wissensproduktion, die im 20. Jahrhundert, ausgehend von den USA, entstanden sind. Die Brookings Institution, nach dem 1. Weltkrieg gegründet, ist das eigentliche Vorbild. Nach dem 2. Weltkrieg kam vor allem die Rand Corporation hinzu.

Wie in der Wissensgesellschaft generell, wir das Wissen mit Denkfabriken zum Entscheidungsfaktor in der PolitikWie in der Wissensgesellschaft generell, wir das Wissen mit Denkfabriken zum Entscheidungsfaktor in der PolitikWie in der Wissensgesellschaft generell, wir das Wissen mit Denkfabriken zum Entscheidungsfaktor in der Politik

Wer sich einen Ueberlick raschen verschaffen will, wie sich dieser Trend in Europa entwickelt hat, welche Institutionen entstanden sind, und was diese Organisationen über das Internet verbreiten, kann die vorteilhaft über den Think Tank Alert Blog tun. Hier wird regelmässig über aktuelle Nachrichten aus der Think Tank Szene berichtet. Es gibt Personalia, Innovationen und Debatten. Das Schwergewicht liegt auf den Denkfabriken in Deutschland, doch konzentriert sich der Blog nicht alleine darauf.

Hier findet sich eine systematische Auflistung der Denkfabriken in Europa, die auf dem Netz sind.

Hier sind die deutschen Denkfabriken, sortiert nach Themengebieten und Ausrichtungen, aufgelistet.

Ein direkt vergleichbares Register zur Schweiz gibt es leider nicht; immerhin werden die liberal ausgerichteten Denkfrabriken der Schweiz hier zusammengefasst:

All diesen Institutionen gemeinsam ist, dass sie politische und wirtschaftliche Konzepte oder Strategien entwickeln und entsprechende öffentliche Debatten fördern, wie das in der wissenschaftlichen Politikberatung üblich ist. Je nach Ausrichtung verstehen sich die Denkfabriken darüber hinaus als eigentliche Advoaken ihres Wissens, die gezielt daran arbeiten,

Claude Longchamp

A Global and European Ranking of the Political Science Departments

(zoon politicon) 2004 erschien von Simon Hix das erste umfassende Ranking der 200 erfolgreichsten Departemente für Politikwissenschaften auf der ganzen Welt. Gemessen wurde das anhand von Publikationen in 63 führenden Zeitschriften des Faches. Berücksichtigt wurden die fünf Jahrgänge 1998-2002.
Die Auswahl Zeitschriften – amerika-orientiert – beeinflusst ohne Zweifel das Ergebnis; und es kann kritisiert werden. Doch ist die ganze Politikwissenschaft der Nachkriegszeit US-ausgerichtet, sodass man in der Auswahl letztlich auch ein Abbild der Realität sehen kann.

Eine der verbreiteten, weltweit führenden politikwissenschaftlichen Zeitschriften, bei welche eine Publikation zur Reputation von Autor und Departement beiträgt

Führende Departement sind demnach weltweit an den folgenden Universitäten und Hochschulen zu finden:

1. Columbia (USA)
2. Harvard (USA)
3. Stanford (USA)
4. Ohio State (USA)
5. European University Institute Florenz (Italy)
6. San Diego (USA)
7. Irvine (USA)
8. Indiana (USA)
9. Princeton (USA)
10. Yale (USA)

Die Zeitschriften, die am meisten in die Bewertung einflossen, sind:

. American Political Science Review
. American Journal of Political Science
. International Organization
. Foreign Affairs
. Journal of Politics

Berücksichtigt man nur die besten politikwissenschaftlichen Institute nach europäischen Ländern, entsteht folgende Reihenfolge:

1. European University Institute Florenz (Italy, weltweit Nr. 5)
2. London School of Economics and Politics (GB, 15)
3. Trinity College Dublin (Ireland, 40)
4. Geneva (Switzerland, 43)
5. Oslo (Norway, 52)
6. Leiden (The Netherlands, 55)
7. Mannheim (Germany, 74)
8. Aarhus (Denmark, 78)
9. Helsinki (Finland, 123)
10. Uppsala (Sweden, 148)

Die höchst rangierten Zeitschriften in Europa sind:

. Journal of European Public Policy
. British Journal of Political Science
. Europe-Asia Studies
. European Union Politics
. West European Politics

Die erste deutschsprachige Zeitschrift ist die deutsche “Politische Vierteljahresschrift”

Die “Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft” wurde gar nicht berücksichtigt. Bern, mein Wohnort, liegt unter den Departmenten an 157. Stelle! Wenn die meist kleinen schweizerischen Institute insgesamt gut ranigiert, hat das einen Grund: Der Index, der hier besprochen wurde, vergleicht die Publikationsintensität mit der Grösse der Departemente.

Claude Longchamp