Nochmals: Ist arithmetische oder politische Konkordanz das Richtige?

Politologen unterscheiden gerne zwischen politischer und arithmetischer Konkordanz. Erstere setzt darauf, dass Regierungsentscheidungen im Prinzip im Konsensverfahren gesucht werden, was ohne Kompromissbildung nicht möglich ist. Letztere bevorzugt die Zusammensetzung der Regierung nach einem klar festgelegten Schlüssel. Es gibt jedoch keinen Konsens darüber, sich nur auf eines der beiden Kriterien zu stützen, wenn man gute Politik will. Eine nochmalige Auslegeordnung.

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Nach Phasen der Konstanz ist Bewegung in die Zusammensetzung des Bundesrates gekommen – Zeit, auch als Politikwissenschafter nach neuen Kriterien der Sitzverteilung Ausschau zu halten

Daniel Bochsler, bienenfleissiger Analytiker der Konkordanz auf Kantonsebene, kam in einem 2006 publizierten Aufsatz zum Schluss, dass sich die meisten Kantone an der arithmetischen Konkordanz ausrichten, ohne ganz streng danach zu handeln.

Das hat zunächst mit der Volkswahl der Regierungen zu tun, aber auch mit der Vielfalt der kantonalen Parteien und der geringen Zahl der Regierungssitze. Im Einzelfall kommen deshalb erhebliche Abweichungen vor, wie die Kantone Aargau, St. Gallen oder Luzern im Stichjahr 2004 zeigten. Rasch wachsende Oppositionsparteien, die in der Regierungsratswahl fallieren, aber auch Allianzbildung an einem politischen Pol zur Ausschliessung gewisser Parteien, die nicht auf konsensualer Basis politisieren wollen, sind die Ursachen dafür. Immerhin, die Beispiele sind nicht die Regel, eher die Ausnahme. Kantone wie Wallis, Waadt, Thurgau, Tessin, Neuenburg und Zug funktionieren recht klar nach dem Prinzip der numerisch bestimmten Regierungsbildung.

Aufgrund klassischer theoretischer Annahmen zur Konkordanz bevorzugt Bochsler die arithmetische Konkordanz. Die Repräsentation politischer Minderheiten in den Regierung verhindere, dass sie oppositionelle Politik betreiben würden, ist sein Argument. Das ist in der Schweiz nicht ohne, denn die Möglichkeiten, die das Referendum bieten, zwingen zu konsensförderndem Verhalten, um Referenden zu vermeiden, und damit die Chance von Blockierungen zu verringern.

Neue Analysen des Funktionierens von Regierungssysteme lassen aber auch gegenteilige Argumente zu. Demnach sind Blockierungen von Regierungen umso wahrscheinlicher, je mehr Vetogruppen in die Regierung eingebunden sind, denn sie erschweren die Konsensbildung, vielleicht sogar die Mehrheitsbeschaffung. Bei breiten Allianzen ist es so gar möglich, dass sich verschiedene Vetogruppen aus unterschiedlichsten Gründen zur Blockierungsmehrheit vereinigen. Das kann nicht das Ziel von Regierungen sein.

Das ist denn auch der zentrale Einwand gegen Allparteienregierungen, welche das Repräsentationsprinzip aus der Parlamentswahl auf die Regierungswahl direkt übertragen. Sie maximieren die Integration politischer Minderheiten jeder Grösse in der Exekutive ohne zu fragen, ob das Ganze ein effektive Regierung abgibt. Denn gleichzeitig minimieren sie das Erfordernis der Entscheidungsfähigkeit in einer Grosszahl von politischen Fragen.

In der Tat konnte Bochsler bisher nicht zeigen, dass es eine nachweisliche Kausalkette von der arithmetischen Konkordanz zur politischen gibt, und beides zusammen bessere Entscheidung bewirkt. Entsprechend haben die Politikwissenschafter die rein arithmetischen Regeln der Regierungsbestimmung eher kühl aufgenommen. Andreas Ladner neigt am klarsten dazu; Iwan Rickenbacher lässt sie indessen kaum gelten. Pascal Sciarini bevorzugt zwischenzeitlich die Modell der kleinen Konkordanz, die auch Mitte/Rechts- oder Mitte/Links-Allianzen zulässt. Und Michael Hermann hängt der Volkswahl des Bundesrates an. Ich selber kann da nur beifügen: Wählerstärken und Sitzverteilungen sind sicherlich ein wesentliches Kriterium der Bestimmung Regierungsfähigkeit von Parteien. Die einzige Vorgabe sind sie weder in Konkordanz- noch in Allianz-Regierungen.

Denn nichts ist bewiesen, dass der Rechenschieber alleine zu einer guten Politik führt.

Claude Longchamp

Die NetzwerkerInnen

Werden, wie bisher, zwei ZürcherInnen im Bundesrat sitzen? Werden es, neu, zwei BernerInnen sein? Oder werden, was Weltrekord wäre, gar fünf Frauen in der siebenköpfigen Bundesregierung das Sagen haben? – Das sind die Kriterien vieler Alltagsdiskussionen, wenn man die Chancen der vier FavortInnen unter den BundesratskandidatInnen auslotet. Doch, so frage ich, welche Rolle spielen Netzwerke bei einer PolitikerInnen-Wahl?

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Ich bin ein Befürworter vom Transparenz im Beziehungsgeflecht unserer PolitikerInnen. Nichts ist meiner Meinung nach anrüchig, wenn man in einem Verwaltungsrat sitzt, einer Interessengruppe angehört oder eine Stiftung präsidiert. Doch sind das alles Gruppen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, auf sie Einfluss nehmen, weil sie Gewinner oder Verliererinnen sein können. Deshalb gehört die Verbindung der PolitikerInnen in diese Akteure offen gelegt.

Der Beobachter hat sich in verdienstvoller Weise die Netzwerke der BundesratskandidatInnen von SP und FDP ausgelotet. Basis bildete das “Register über die Interessenbindungen” der Bundesversammlung. Kontrolliert wurde es durch das “Zentrale Firmenregister”, dem offiziellen Handelsregister.

Zunächst fällt auf, dass RegierungsrätInnen wie Karin Keller-Sutter keine direkten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbindungen (mehr) haben. Sie haben nur öffentliche Mandate, die mit den anderen Regierungsmitglieder abgesprochen sind. Bei der St. Galler Justizdirektorin sind das etwa der Regionalvorstand der SRG, aber auch die Stiftung für internationale Studien an der HSG.

Ganz anders ist das Profil der Interessenbindungen von eidgenössischen ParlamentarierInnen. Das markiert denn auch einen wesentlichen Unterschied der nominierten FDP-Frau zum FDP-Mann. Johannes Schneider-Ammann ist zu allerst Unternehmer an der Spitze der Ammann-Gruppe in Langenthal. Darüber hinaus sitzt er auch in wichtigen Verwaltungsräten, wie jenem der Swatch Group. Er ist in zahlreichen Wirtschaftsverbänden auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene Prädisent oder im Vorstand. Zudem wirkt er in einigen wirtschafts- oder gesellschaftsnahen Stiftungen mit, die Streikversicherungen unterhalten oder den Orientierungslauf fördern mit.

In der Struktur ähnlich, der Ausrichtung aber gegensätzlich sind, erwartungsgemäss, die Interessenbindungen der SP-KandidatInnen. Jacqueline Fehr präsidiert soziale Institutionen wie die AG für Suchtpolitik, die Stiftung Kinderschutz, und sie ist in führender Stellung bei der Pro Familia, der Pflegekinderaktion und der Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt. Das ist bei der Berner Ständerätin Simonetta Sommaruga ähnlich, wenn auch etwas offener in der Ausrichtung. Bekannt geworden ist sie als Konsumentenschützerin, deren wichtigste Stiftung sie heute noch präsidiert. Darüber hinaus ist sie im Stiftungsrat von Slow Food, Swissaid und dem Berner Bärenpark. Wirtschaftlicher ausgerichtet sind ihre Mitgliedschaften in der Energieallianz und im Verwaltungsrat einer AG.

Wer gewählt wird, wird aus diesen Aemtern ausscheiden, die persönlichen Verbindungen aber mitnehmen. Wer nun glaubt, dass die PolitikerInnen nur noch Hampelmänner- und frauen im Spinnennetz der Lobbies seien und diese die Macht bei Wahlen ausüben, dürfte Netzwerke überschätzen. Diese sind in Themenfragen zweifelsohne von Belang; doch unterliegen sie gerade auch da der medialen Kontrolle. Bei Wahlen sind sie ein Elemente, das meinungsbildend wirkt, wohl aber nicht letztentscheidend ist. Das zeigt sich unter anderem auch daran, dass Ruedi Noser schon bei der Nomination in der FDP-Fraktion scheiterte, obwohl er von allen im “Beobachter” Beobachteten das ausgebauteste Netzwerk hat und dieses auch am professionellsten unterhält.

Denn Politik ist und bleibt bestimmt durch Oeffentlichkeit und den Leistungen bei Entscheidungen, die man darin anerkannter Massen erbringt resp. erbracht hat. Netzwerke sind dabei nach meiner Erfahrung gelegentlich eine hilfreiche, manchmal auch hinderliche Grösse. Deshalb sollte man sie weder unter- noch überschätzen.

Claude Longchamp

Wer pointiert resp. gemässigt ist: die Bundes- ratsbewerbungen im Fadenkreuz der Politik

Simonetta Sommaruga und Jacquline Fehr bei der SP, Karin Keller-Sutter und Johannes Schneider-Ammann bei der FDP, Jean-François Rime bei der SVP und Brigit Wyss bei den Grünen sind die offiziellen BundesratskandidatInnen für die Nachfolge von Moritz Leuenberger und Hans-Rudolf Merz. Wer von ihnen ist am klarsten im politischen Fadenkreuz positioniert?

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Plötzlich ging alles schnell: Von den 5 Nominationen bei der FDP, den 4 Frauen bei der SP, den 3 Grünen und den ominiösen, nie genannten 5 SVPlern, die sich für das Amt des Bundesrates interessierten, sind heute abend noch 6 offiziell im Rennen. Die beiden Herausforderer-Parteien, die SVP und Grünen, kürten in ihren Fraktionen je einen resp. eine KandidatIn. Derweil die beiden Parteien, die einen Ersatz einer ihrer Vertretungen im Bundesrat anstreben, je zwei PolitikerInnen vorschlagen.

Auch Smartvote hat rasch gehandelt: Der online-Dienst, der für SF arbeitet, positionierte die Bewerbungen nicht nur nach den bekannten Themendimensionen; er verdichtete die Antworten zu einem Standort im links/rechts-Spekturum einerseits, auf der Polarität zwischen liberal und konservativ anderseits.

So kann gelten: Die SP-Frau Fehr ist unter den offiziell vorgeschlagenen die linkeste. Ihr nahe steht Wyss von den Grünen. Sommaruga ist schon einiges gemässigter, wenn auch immer noch klar links der Mitte.

Von rechts her fällt zu erst SVP-Kandidat Rime auf, wobei die Unterschiede zu Schneider-Ammann und Keller Sutter eher gering ist.

Auf der zweiten Achse wird ersichtlich, dass bis auf Rime, der beschränkt dem konservativen Pol zuneigt, alle eher liberal eingestellt sind – Sommaruga am meisten, gefolgt von Fehr, Keller-Sutter und Schneider-Ammann.

Dieser eher erstaunliche Befund hat mit der Definition der Pole zu tun, die sich nicht einzig auf wirtschaftliche Liberalität stützt, sondern auch auf gesellschaftliche und auch in Beziehung zum Ausland.

Die Darstellung zeigt schliesslich, dass sich die FDP für die beiden rechten Kandidatur entschied, die Mitte keine Chance hatte und auch der am klarsten liberal denkende Noser ausschied. Die SP zwar zwei Frauen gekürzt, letztlich aber ein gemischtes Doppel vorgeschlagen, mit einer linken und einer gemässigten Sozialdemokratin, die beide für den EU-Beitritt sind.

Gemäss Smartvote kann man die im Titel aufgeworfene Frage nun beantworten: Die Differenzen zwischen den Bewerbungen beschränken sich weitgehend auf die Links/Rechts-Achse. Fehr und Wyss sind da am klarsten positioniert, klarer jedenfalls als Rime es rechts ist.

Claude Longchamp

Nachdenken über strategische Entscheidungen bei den Bundesratswahlen

Es war ein interessanter Meinungsaustausch mit Christoph Darbelley, dem CVP-Präsidenten, gestern, kurz vor der Entscheidung über eine CVP-Kandidatur bei den anstehenden Bundesratswahlen. Und es hat mich zum Nachdenken über generelle Strategien angeregt.

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Den Entscheid von CVP-Partei- und Fraktionsspitze kennt man seit gestern Abend. Bei den kommenden Bundesratswahlen tritt man nicht mit einer eigenen Kandidatur an. Ständerat Frick hatte in dieser Sache Druck gemacht, Fraktionspräsident Schwaller und Parteipräsident Darbelley waren von Anfang an zurückhaltend. Drei Gründe schimmerten gestern für den Verzicht durch:

. Eine über die Parteigrenzen hinaus unbestrittene Bewerbung aus den CVP-Reihen gibt es gegenwärtig nicht. Der eine oder andere Name ist zwar im Gespräch, wohl aber erst für die Zeit nach den nächsten Parlamentswahlen.
. Seit der Nichtwahl von Urs Schwaller vor einem Jahr orientiert sich die CVP vermehrt an der politischen Mitte. Selbst wenn die Allianz der Mitte eher thematisch ausgerichtet ist, bleibt, dass man die wahrscheinlichsten Partner in zentralen personalpolitischen Entscheidungen nicht ohne Not brüskieren darf.
. Interessant fand ich vor allem das dritte Argument: Ohne Gewinne bei den nächsten Parlamentswahlen werden Ansprüche nicht durchsetzbar sein. 2 Prozente WählerInnen-Anteil mehr für die CVP sind nötig, bei gleichzeitigen Verlusten für die fusionierten FDP/Liberalen.

Letzteres deutet darauf hin, dass sich die CVP vermehrt damit auseinander setzt, die Sitzverteilung im Bundesrat nicht unabhängig ist von Entwicklungen in der Wählerschaft zu sehen. Das tönte bis vor Kurzem noch anders. Klarer als auch schon kam zum Ausdruck, dass man damit aber noch nicht beantwortet hat, wie die Bundesregierung ausgerichtet sein sollte.

Aus meiner Sicht können vier Varianten strategisch begründet werden, die man für die nahe Zukunft vor Augen haben kann.

1. Weiter wie bisher: Konkordanz wird partei- und personenpolitisch beurteilt. Das zwar nur als Uebergang so, aber ohne zeitliche Limitierung. Die jetzige Zusammensetzung fällt erst, wenn Eveline Widmer-Schlumpf zurücktritt, allenfalls wenn sie abgewählt wird. Von Strategie kann man hier am wenigsten sprechen.
2. Rückkehr zur Konkordanz der Grossen: Regierungstauglich ist strikte nur, wenn eine minimale elektorale und parlamentarische Stärke hat. Die Verteilung richtet sich aufgrund der Grössen. Konkret heisst das aus gegenwärtiger Sicht: 2 SVP, 2 SP, 2 FDP, 1 CVP. Faktisch wäre das die Rückkehr zur Zauberformel.
3. Mitte/Links-Allianz: Uebergang zu einem Regierungs- und einem Oppsitionslager, erhöhte Konkordanz nur im Regierungslager, arithmetische Verteilung, in diesem Fall : 2 SP, 2 FDP, 2 CVP, 1 Grüne. Strategisch wäre das eine Neuausrichtung, müsste deshalb auch mit der Regierungsreform verbunden werden.
4. Mitte/Rechts-Allianz: Ebene Unterscheidung zwischen Regierungs- und Oppositionslager, erhöhte Konkordanz ebenso nur im Regierungslager, arithmetische Verteilung, wobei ja nach Entwicklung zwei denkbar sind: 3 SVP, 2 FDP, 2 CVP oder je 2 SVP; FDP, CVP und 1 BDP. Strategisch wäre auch das eine Neuausrichtung. Auch dass wäre wohl ohne Regierungsreform nicht möglich.

Die erste Variante spricht dafür, die beiden freien Sitze mit den gleichen Parteien zu besetzen. Denn ihre Neubesetzung betrifft keine zentrale Frage. In der zweiten Variante macht es keinen Sinn, einen der beiden Sitze durch eine andere Partei zu besetzen. Der BDP-Sitz muss an die SVP zurück. Gemäss der dritten Variante bleiben die beiden freien Sitze auch bei den bisherigen Parteien. Die CVP bekommt jedoch den BDP-Sitz, und die Grünen beerben die SVP. Nur in der vierten Variante macht eine Parteiwechsel jetzt Sinn. Dabei würde der SP-Sitz an die SVP gehen. Der FDP-Sitz würde bleiben. Allenfalls, allenfalls auch der BDP-Sitz. Bei der nächsten Möglichkeit ginge der zweite SP-Sitz an die SVP.

Gar keine Begründung gibt es, jetzt die Grünen zu Lasten der FDP zu stärken. Das wäre nur unter einer Allparteienregierung ohne Ausrichtung sinnvoll. Und das wäre ein Parlament in der Regierung, vielleicht 2 SVP und je 1 Person der SP, FDP, CVP, der Grünen und der BDP. Das macht am wenigsten Sinn von allem.

Claude Longchamp

Der Brunner-Effekt und seine Zukunft

Der Frauenanteil in politischen Aemtern stagniert neuerdings auf der untersten Staatsebene. Auf der obersten könnten sich die Verhältnisse bald ändern, denn im Bundesrat steht erstmals eine Frauenmehrheit in Aussicht: Warum kam es dazu, und wie nachhaltig ist das?

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Begegnungstag der Frauen 2010: Bringen die drei Eidgenosseninnen oder die absehbare Frauenmehrheit im Bundesrat einen neuen Schub aktiver PolitikerInnen?

Man erinnert sich: In den ersten Frühlingstagen des Jahres 1993 wurde statt der Favoritin Christiane Brunner Fancis Matthey in den Bundesrat gewählt. Nach Bedenkzeit lehnte er die Wahl ab, und das Parlament hievte Ruth Dreifuss in die Bundesregierung. Seither spricht man von einem Brunner-Effekt: Er lancierte die SP neu, und er liess den Frauenanteil in den Parlamenten von Bund bis zu Gemeinden ansteigen. Die Schweiz, lange das Mauerblümchen bei der Zulassung von Frauen in politischen Aemter, avancierten zur frauenpolitischen Sonnenblume.

2010 stehen erstmals drei Frauen an der Spitze des helvetischen Protokolls: Doris Leuthard ist Bundespräsidentin, Pascale Bruderer amtet als Nationalratspräsidentin, und Erika Forster steht der kleinen Kammer als Ständeratspräsidentin vor. Wenn nicht alles täuscht, wird der Bundesrat nach dem 22. September dieses Jahres eine gewählte Frauenmehrheit haben, allenfalls sogar den Weltrekord für Frauenvertretung in Exekutiven auf höchster Ebene brechen.

Was hier Sache ist, erörtert die heutige Sonntagszeitung mit Daten und Ueberlegungen. Demnach gab es in den 90er Jahren einen veritablen Brunner-Effekt, strömten doch zahlreiche Frauen in die Politik. Ihr Anteil in den kommunalen Exekutiven stieg von 7 Prozent im Jahre 1988 innert 10 Jahren auf 19 Prozent (+1,2 Prozentpunkte je Jahr) rasant an. Seither stagniert die Entwicklung jedoch, die jüngste Erhebung des Lausanner IDHEAP-Instituts weist einen Frauenanteil von 23 Prozent (+0,4 Prozentpunkte je Jahr) aus.

Thanh-Huyen Ballmer-Cao, Professorin für politische Partizipation an der Universität Genf, bietet vier Erklärungsmöglichkeiten an:

. In einigen ländlichen Regionen bewegt sich in der Gleichstellungsfrage gar nichts.
. Das Majorz-System stabilisiert einmal etablierte Mehrheiten, was den Frauen das Aufholen erschwert.
. Sobald eine weibliche Person im Gemeinderat sitzt, geht die Mobilisierung von Frauen durch Parteien zurück.
. Die Mediatisierung der Politik schreckt Frauen ab, politische Aemter zu übernehmen, denn ihre Kinder stehen damit unter erhöhtem Druck.

Intuitiv überzeugt mich die dritte Hypothese am meisten, die erste am wenigsten. Richtig ist, dass die Entwicklung der Frauenvertretung je nach Kanton unterschiedlich ausfällt: In Nidwalden, Neuenburg, Baselstadt und Solothurn sind Frauen unter dem schweizerischen Mittel in den kommunalen Exekutiven vertreten – und ihr Anteil nimmt sogar wieder ab. Ungebrochen zunehmend ist die Frauenvertretung dagegen in allen anderen Kantonen. An der Spitze sind Baselland und Appenzell Ausserrhoden. Von einem Stadt/Land-Unterschied kann kaum die Rede sein. Den absoluten Höchstwert erreicht übrigens zwischenzeitlich der Kanton Luzern, der die Gemeinderatarbeit als Teilzeitjob entlöhnt. Hier machen die Frauen einen rasch waschsenden Drittel aller Gemeinderatsmitglieder aus.

Ich deute das so: Erstens, die Entwicklung, die sich auf nationaler Ebene mit der Frauenvertretung abzeichnet, findet auf den unteren Ebenen nur ein beschränkte Entsprechung. Ganz überraschend ist das nicht, denn das ist und bleibt der beschwerlichste Gang für Veränderungen in die Politik. Und so bleibt die Schweizer Politik bis auf Weiteres weit davon entfernt, mehrheitlich in Frauenhand zu sein.
Zweitens, Wahlen wirken sich hemmend auf Veränderungen aus; bei Abstimmungen sind die Hürden weniger einschränkend. Frauen stimmen etwa gleich häufig wie Männer ab, sie sind auch gleich zahlreich in der Mehrheit. Bei Wahlen bleibt ihre Beteiligung als WählerInnen, KandidatInnen und Gewählte hinter der der Männer zurück.
Drittens, die Nicht-Wahl von Christiane Brunner in den Bundesrat löste tatsächlich einen Effekt aus, der Spitzenfrauen in Spitzenpositionen brachte. Damit das zur nachhaltigen Veränderung der Geschlechterzusammensetzung in den Schweizer Politgremien führt, muss die Breitenwirkung der Frauenförderung in der Politik immer noch intensiviert werden. Davon ist gegenwärtig nicht viel zu merken. Vom Gegenteil aber auch nicht.

So bleibt: Was die Frauenmehrheit im Bundesrat für die politische Frauenvertretung bedeutet, hängt wohl nicht zuletzt von den Leistungen der (neuen) BundesrätInnen ab.

Claude Longchamp

Die Momentaufnahme zum Stand der Meinungsbildung bei den Bundesratswahlen

Bernhard Kislig von der BernerZeitung bewertet die Chancen der BundesratskandidatInnen. Er sieht mit Simonetta Sommaruga, SP, und Johann Schneider-Ammann, FDP, zwei BernerInnen vorne.

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Man ist auch in Redaktionsstuben vorsichtiger geworden, alles prognostizieren zu wollen. “Gemäss einer Momentaufnahme der im Bundeshaus kursierenden Spekulationen liegen die beiden Berner Kandidaten aber vorne”, hält die heutige Berner Zeitung ein Woche vor den Vorentscheidungen fest.

SVP und Grünen werden kaum Chancen eingeräumt, diesmal einen Sitz im Bundesrat (zusätzlich) zu erobern. Denn es fehlt ihnen an interessierten Partnern. SP und FDP werden sich gegenseitig unterstützen, und die CVP wird ohne eigene Kandidatur die offiziellen Bewerbungen favorisieren.

Bei der SP räumt Bernhard Kislig Simonetta Sommaruga die besten Chancen, Nachfolgerin von Moritz Leuenberger zu werden. Ihre breite Akzeptanz ist ihr Trumpf. Auf dem Zweier-Ticket der SP sieht eher Jacqueline Fehr als Hildegard Fässler, während er Eva Herzog nur AussenseiterInnen-Chancen einräumt.

Die Rangierung bei der FDP sieht den gut vernetzten Unternehmer Johann Schneider-Ammann an der Spitze, gefolgt von Karin Keller Sutter. Ruedi Noser, Peter Malama und Ignazio Cassis räumt die Berner Zeitung in absteigender Reihenfolge berschränkte Chancen ein, überhaupt nominiert zu werden.

Wer es schafft, hängt bei einer solchen Konstellation nicht nur von der Teamfähigkeit im Bundesrat ab, sondern auch von regionalpolitische Ueberlegungen ab.

Die BZ ortet im bürgerlichen Lager ein Kippen der Stimmung von Keller-Sutter hin zu Schneider-Ammann. Das könnte beide Wahlen beeinflussen. Denn der vakante SP-Sitz wird zuerst besetzt. Das könnte zur Belastung für Sommaruga werden – und zur Chance von Fässler ob sie offizielle Kandidatin ist oder nicht. Denn mit ihrer Wahl könnte der Ostschweizer Anspruch frühzeitig eingelöst werden. Die vormalige Fraktionschefin der SP ist aber nicht allen genehm. Sie gilt in der rechten Parlamentshälfte genauso wie Fehr zwar als umgänglich, aber klarer links profiliert als die Bernerin. Das wiederum ist für Sommaruga höchstens bei der fraktionsinternen Nomination ein Nachteil, in der Bundesversammlung ein Vorteil.

So erscheint es gut möglich, dass das Denken in Kantonsklauseln bei diesen Wahlen ganz gekippt wird und mit Sommaruga und Schneider-Ammann zwei BernerInnen Politschwergewichte mit unterschiedlicher Ausrichtung in den Bundesrat einziehen. Seinen grossen Kommentar zu den Berner Bundesräten, die jüngst allesamt aus der SVP stammten, übertitelt BZ-Redaktor Stephan von Bergen in der gleichen (Print)Ausgabe mit “Das Ende der Behäbigkeit”.

Doch wie gesagt: Das alles ist nur eine Momentaufnahme der Aussichten, und das ist auch richtig so!

Claude Longchamp

Nützt Konkordanz einfach der SP, und schadet sie der SVP an sich?

In der aktuellen Weltwoche analysiert der emeritierte Fribourger Oekonom Henner Kleinewefers den Zerfall der Konkordanz und stellt hierzu eine gewagte Ursachenbehauptung in den Raum: Konkordanz sei politisch nicht neutral, sie benachteilige die Rechte, sprich die SVP, an sich. (M)ein Einspruch.

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Konkordanz ist kein “Parlament in der Regierung”, sondern ein Wille, gemeinsam politische Verantwortung zu tragen


Henner Kleinerwefers ökonomische Systemanalyse

Kleinewefers beginnt mit einer treffenden Begriffskritik: Regierungen, die nach rein numerischen Kriterien zusammengesetzt werden, tendieren zu Allparteienregierungen. Von solchen können man keine effiziente Politik erwarten. “Bravo!”, sag ich da.

Verbesserungen erwartet der Oekonom durch eine Verringerung von Spannungen, wenn Zahl und Ausrichtung der Parteien reduziert werden. Machbar seien entweder Mitte/Rechts-Regierungen mit SVP, FDP und CVP oder Mitte/Links-Regierungen mit SP, Grünen, CVP und FDP. Zu erwarten seien zwar Wählerabwanderungen zur jeweiligen Opposition, und mit Splitterparteien im eigenen Lager müsse man ebenfalls rechnen. Doch seien die Koalitionen heute stark genug, um das Experiment über Jahre hinweg zu überstehen. “Korrekt” ist da mein Kommentar.

Doch dann werden die Ableitungen aus der Politökonomie tendenziös. Warum nur, fragt sich Kleinewefers, hielten mit den Mitte-Parteien gerade jene an der Konkordanz fest, welche die eigentlichen Verliererinnen seien? Erklären könne man sich das nur mit der Angst, in einer Koalition noch mehr zu verlieren und unerheblich zu werden. Deshalb seien FDP und CVP konfliktscheu, was der SP nütze. Bald werde die Linke drei der sieben Sitze im Bundesrat beanspruchen, um ihren Einfluss zu mehren, ohne die Verantwortung übernehmen zu müssen.

Und jetzt kommt’s: Eine vergleichbare Positionierung sei der SVP an sich nicht möglich, weshalb sie sich zurecht als Verliererin der Konkordanz sehe und nur warten können, bis die unheilige “Allianz der Profiteure” an ihrer eigenen Schwäche untergehe.

Christian Bolligers Analyse des Parteienverhaltens

Der Berner Politikwissenschafter Christian Bolliger hat mit seiner Konkordanzanalyse eine klar andere Perspektive entwickelt und eine sinnvolle Unterscheidung vorgeschlagen: In Konkordanzregierungen bemisst sich der Erfolg von Parteien sowohl am Verhalten gegenüber der Wählerschaft wie auch dem gegenüber der anderen Parteien. Denn beides ist nicht gesichert, muss aber gleichzeitig in eine Balance gebracht werden.

Diese Analyse der Mitte deckt sich in ihrem Aussagen mit denen von Kleinewefers. Die Zentrumsposition hat Vorteile in Verhandlungen mit links und rechts, aber Nachteile in der Erneurung der Wählerschaft. Anders fällt das Urteil bei der “Linken” aus, denn sie zerfällt in zwei ungleiche Parteien: die SP als dauerhaft Regierungsbeteiligte teilt das Schicksal der Zentrumsparteien, hat aber komplementäre Probleme wie die Grünen, denn diese Wachen in der Opposition, ringen aber um ihre Regierungsbeteiligung.

Seit den Wahlerfolgen der SVP ist die Ausgangslage rechts anders. Wenn sie diese nur mit Distanz zu den Regierungspartnern hochhalten kann, erschwert sie ihre eigene Integration. Sollte sich die BDP etablieren, könnte das die Herausforderung der SVP erschweren.

Mein Schluss
Anders als bei Kleinewefers ist die Konkordanz bei Bolliger parteipolitisch neutral, wenigstens was die Polparteien einerseits, die Zentrumsparteien anderseits betrifft. Differenzen in ihrem Erfolg ergeben sich nicht aus der Position, sondern aus dem eigenen Verhalten, das Identitätsbildung mit der Wählerschaft und Kooperation mit den Regierungsparteien erfordert.

Anders als es Kleinewefers unterstellt, ist Konkordanz keine Allianz der Profiteure, die sich zwangsläufig gegen die SVP wendet. Vielmehr ist sie eine genuine Regierungsweise, die in plurikulturellen Gesellschaften mit ausgeprägtem Föderalismus und ausgebauten Volksrechten Sinn macht. Gewählt werden jene KandidatInnen und Parteien, die Unterstützung von mindestens zwei anderen grösseren Parteien haben.

Gleich wie Kleinewefers empfinde ich einige der jetzigen Diskussionen auch als Abweichungen von der Konkordanz – hüben wie drüben. Denn Konkordanz wird nicht durch ein Parlament in der Regierung gelebt, sondern entsteht aus dem Willen, gemeinsam Verantwortung tragen zu wollen. Das erträgt Abweichung von Fall zu Fall, aber keine Polarisierungen gegen Institutionen und Regierungsmehrheiten.

Ein geeignetes Regierungssystem und ein entsprechendes Parteienverhalten sind Voraussetzungen dafür.

Wo die BundesratkandidatInnen politisch stehen

In der Medienwelt gelten die beiden aus Bern, Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann, als Favoriten für die anstehenden Bundesratswahlen, die erst noch gut harmonieren würden. Das mag aufgrund ihrer Auftritts so erscheinen, politisch vertreten sie aber klar gegensätzliche Positionen.

Schritt für Schritt klärt sich das Feld der KandidatInnen für die anstehenden Bundesratswahlen. Drei offizielle Bewerbernnen gibt es bei der SP: Sommaruga aus dem Kanton Bern, Fässler aus St. Gallen, Herzog aus Baselstadt und Fehr aus Zürich. Bei der FDP sind es bei Meldeschluss fünf: Keller-Sutter aus St. Gallen, Schneider-Ammann aus Bern, Noser aus Zürich, Cassis aus dem Tessin und Malama aus Basel. Für die SVP geht der Nationalrat Rime ins Rennen, während die Grünen Brigit Wyss vorschicken.

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Der Smartspider mit den Positionen der KandidatInnen hilft, sie jenseits sehr schematischer Etiekttierungen einzuordnen: Indikatoren sind die Haltungen zu vermehrtem Umweltschutz, ausgebautem Sozialstaat, gesellschaftlicher Liberalisierung, aussenpolitischer Oeffnung, wirtschaftlicher Liberalisierung, restriktiver Finanzpolitik, Ruhe und Ordnung und restriktiver Migrationspolitik. Angesprochen werden damit die Links/Rechts-Dimension einerseits, die Polarität zwischen Offnung und Abschliessung anderseits.

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Hilde Fässler und Jacqueline Fehr sind wohl die am klarsten links positionierte Kandidatin bei der SP, gefolgt von Simonetta Sommaruga und Eva Herzog. Bei den FDP-KandidatInnen ist Schneider-Ammann solid rechts, gefolgt von Keller-Sutter, Noser, Malama und Cassis.

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Die linken Frauen sind alle klar für eine aussenpolitische Oeffnung der Schweiz, mehr oder minder deutlich auch für mehr Oekologie. Hilde Fässler und Jacqueline Fehr sind am eindeutigsten für mehr Sozialstaat, während sich die beiden anderen gemässigter einstufen. Gesellschaftliche Liberalisierung halten die St. Gallerin, Zürcherin und die Bernerin hoch, derweil die Baslerin auch hier zurückhaltender ist. Sommaruga ist bei der wirtschaftlichen Liberalisierung am ehesten dafür, Herzog und Fehr bei einer restriktiven Finanzpolitik. Die Abweichungen sind indessen eher gering.

Die Profile der FDP-KandidatInnen sind weniger einheitlich. Cassis ist kennt ist für eine offene Gesellschaft, Umwelt und aussenpolitsiche Offnung, wo er einem Linken gleicht, ohne es zu sein. Den sozialpolitisch steht er klar rechts. Malama hat eine ähnliche Position. Es ist für Liberalisierungen im gesellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Bereich. Noser wiederum hat am klarsten ein wirtschaftsliberale Profil, ist nach aussen offen und steht für knappe öffentliche Finanzen. Keller-Sutter ist dem nicht unverwandt. Sie ist klarer eine Law&Order Politikerin, und in aussenpolitischen Fragen zurückhaltender. Schneider-Ammann neigt am ehesten zu eine rechtskonservativen Profil: Am klarsten greifbar sind seine Ansichten in Wirtschaftsfragen, aber auch wenn es um Migrationsthemen geht, und um Ruhe&Ordnung.

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Der Freiburger SVP-Kandidat Jean-François Rime hätte durchaus in der rechten FDP Platz. Sein klarestes Profil hat bei Fragen von Ruhe und Ordnung; zudem ist recht klar für mehr wirtschaftlichen Liberalisierungen, beschränkt auch für mehr Härte in Migrationsfragen und mehr Zurückhaltung bei den öffentlichen Finanzen. Nichts am Hut hat er mit der aussenpolitischen Oeffnung und der gesellschaftlichen Liberalisierung. Da unterscheidet er sich am klarsten von den anderen bürgerlichen KandidatInnen.

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Brigit Wyss schliesslich ist eine ausgesprochene Befürworterin ökologischer Foderungen. Sie ist klar für mehr Sozialstaat, für gesellschaftliche Liberalisierung und beschränkt auch für Oeffnung. Restritktive Migrationspolitiken lehnt sie klar ab.

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Mit dem Smartspider nicht erfasst werden die Stilfragen, namentlich die Teamfähigkeit der PolitikerInnen, ihre Kommunikationskompetenzen und die Glaubwürdigkeit aufgrund ihrers bisherigen Auftritts in Regierungen, Parlamenten und Oeffentlichkeit, was in der Medienwelt häufig mehr gilt als die Inhalte und deshalb nicht selten das Image prägt. Rückschlüsse auf die politischen Präferenzen der Bewerbungen lassen sich daraus nur sehr beschränkt ableiten.

Konkordanzen verschiedenster Art

Konkordanz ist in aller Parteien Mund, alleine jede versteht etwas anderes darunter. Ein Ordnungsversuch.

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Nach den letzten Bundesratswahlen war man sich einig: Ein Sieg der Konkordanz, sei das gewesen. Jetzt diskutiert man wieder darüber, wenn auch in alle Richtungen!


Eine Frage der Zahlen …

Die arithmetische Konkordanz für die Bestimmung der Bundesratszusammensetzung ist am klarsten definiert. Sie stellt auf Parteistärken ab. Mehr oder weniger unbeeinflusst kann diese, nach jeder Wahl, anhand der Parteistärken im Nationalrat oder der Sitzzahlen in beiden Parlamentskammern bestimmt werden. Im Einzelfall ergeben sich daraus unterschiedliche Schlüsse, was der Sache etwas von ihrer Präzision nimmt. Aktuell berufen sich fast alle Parteien darauf, am klarsten die SP. FDP und CVP betrachten das Kriterium ebenfalls als Referenz, greifen aber aus Eigennutz auf verschiedene Indikatoren zurück: die FDP stellt strikte auf die Wählerstärken ab, die CVP auf die Fraktionsmitglieder. Die SVP wiederum, welche die rein arithmetische Bestimmung der Bundesratsformel aus ebenso nachvollziehbaren Gründen favorisierte, bezieht sich darauf, wenn sie ihren Anspruch auf zwei Sitze legtimieren will, nicht aber, wenn sie dafür die Ansprüche anderer Parteien in Frage stellt. Selbstredend ist schliesslich auch, dass die Grüne mit dieser Definition liebäugeln, während die BDP davon nichts wissen will.

… der Uebereinstimmung …

Das Gegenstück ist die inhaltliche Konkordanz. Dabei geht es um sachpolitische Uebereinstimmungen. Die Allianz der Mitte, die sich diesen Sommer zu bilden begann, stützt sich auf diesen Gedanken. Die Zusammenarbeit in der Regierung soll sich auf Uebereinstimmungen in wesentlichen Dossiers stützen. Wer das vermehren will, ist regierungsfähig, wer dem indessen wiederspricht, erfüllt das Kriterium nur beschränkt. Die Schwäche dieser Definition ist, nur bedingt operabel zu sein. Denn was wesentlich ist, umschreiben die verschiedenen Protagonisten meist unterschiedlich. Es ist auch eine Definition, die dem Zentrum eher nützt, den Polen eher schadet. Zudem lehnt sie sich stark an parlamentarische System an, die auf Koalitionsbildung ausgerichtet sind. Der Funktionsweise direkter Demokratien ist sie nur bedingt angemessen. Und der föderalistischen Struktur der Schweizer Parteien trägt sie ebenfalls kaum Rechnung. Deshalb ist und bleibt sie wohl die Aussenseiterin unter den Konkordanzdefinitionen, und hat sie operativ auch kaum Konsequenzen für die eine oder andere Partei.

… des Willens …
Beliebter ist es in der Schweiz, statt auf thematische Uebereinstimmung auf den Willen zur Kooperation anzustellen. Eine der Gründungsmythen des Landes kommt damit ins Spiel: eidgenössisch kann man kaum abstrakt definieren, aber konkret als der Wille jener Orte, dann Kantone und schliesslich Parteien, die es auf Dauer miteinander versuchen wollen. Respekt vor dem Institutionen, grundlegenden Werten der Schweiz und dem politischen Gegner, nicht Uebereinstimmung mit ihm wurde dabei zum zentralen Stichwort. Die historischen Feinde FDP und CVP müssen sich untereinander vertragen; für SVP und FDP, die gemeinsame Wurzeln haben, wirtschaftspolitisch aber verschiedene Wegen gingen, gilt das Gleiche, und die Bürgerlichen und Linken, zwischen denen es seit der Russischen Revolution tiefe Gräben gibt, müssen mit ihrem Verhalten beweisen, dass sie gemeinsam regierungswürdig sind. Vor allem in den Kantonen ist das eine unverändert beliebte Formel: Die Parteien, die regieren wollen, stellen ihrer Bewerbungen, das Volk als unabhängiger Akteur wählt aus, und danach hat man, egal in welcher Kombination zu kooperieren. Dem ganzen förderlich ist das Majorzwahlrecht, das daraus auch seine wichtigste Legitimation gerade auch für Regierungswahlen in der Schweiz bezieht. Eveline Widmer-Schlumpf und die BDP insistieren gerne auf diese Definition. Damit finden sie, ausser bei der SVP, bei allen anderen Partnern mehr oder minder Unterstützung.

… der Macht …

Gegenwärtig haben wir es höchstwahrscheinlich mit einem vierten Verständnis von Konkordanz zu tun, das am wenigstens einheitlich definitiert ist. Das hat mit der Sache selber zu tun: Zur neuen politischen Kultur gehört es, das Ich im Wir in den Vordergrund zu rücken. Zuerst zählen die Eigeninteressen der Parteien, die rücksichtslos definitiert werden. Dann sucht man Allianzen von Fall zu Fall – und scheint ebenso vor nichts zurück. Im Einzelfall ist das möglich, als Ganzes wenig stabil. Denn die damit verbundene Machttaktik, die sich über Einbezug und Ausgrenzung definiert, kann in einer bestimmten Sachfrage zu dieser Folgerung, in Personenfragen schnell auch zu anderen Schlüssen führen. So pokert jeder überall ein wenig, für sich und gegen die andern – bis ins Herz der Regierung hinein. Entsprechend ist daran Kritik laut geworden. Das “Wir” muss gegenüber dem “Ich” wieder gestärkt werden, um den hohen Ansprüchen der Konkordanz zu genügen – im Bundesrat und unter den Parteien, die da vertreten sein wollen. Und: Das Momentane muss gegenüber den Anhaltenden zurückgestuft werden. Da das alles im Fluss ist, ist bisher nicht verbindlich ableitbar geworden, wie eine neuen Regierung auf Bundesebene parteipolitisch zusammengesetzt werden sollte.

Die eigentliche Frage ist nur, was wirklich Gültigkeit beanspruchen kann? – Konkretisierung habe ich in diesem Interview mit Samuel Reber vom newsnetz gesucht. Weitere Antworten sind durchaus erwünscht …

Claude Longchamp

«Non più di otto anni in Consiglio federale»

Nachstehend das aktuelle Interview mit der Cooperazione, der italienischsprachige Ausgabe der COOP-Zeitung. Für einmal ist Alles auf Italienisch!

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Il noto politologo e sondaggista ci parla delle prossime elezioni al Consiglio federale, del ruolo dei media, di possibili riforme.

Cooperazione: Si è temuto che il parlamento dovesse affrontare due elezioni al Consiglio federale in due sessioni successive. Ora tutto è chiarito, i due ministri saranno eletti in settembre. Se l’aspettava?
Claude Longchamp:?No, fino all’ultimo momento non ci credevano neppure i due diretti interessati, i consiglieri federali Leuenberger e Merz. Per fortuna ora il processo è stato riportato su binari normali. Queste elezioni potrebbero marcare una cesura, un nuovo inizio per il governo. Sarebbe un segno di svolta importante rispetto alla difficile situazione vissuta durante le discussioni sul segreto bancario, quando sembrava che il governo si stesse spaccando.

Cosa ha indotto secondo lei Moritz Leuenberger ad anticipare le sue dimissioni?

C’è stata una forte reazione dell’opinione pubblica, trasversale a tutti i partiti. Credo che questa sia stata la causa principale. È anche questo indice di una presa di coscienza: i politici non sono individui che possono decidere da soli, operano sempre sotto lo sguardo dell’opinione pubblica. Moritz Leuenberger ha capito di potersene andare da uomo di Stato, facendo nello stesso tempo un favore al suo partito.

Sembra ci siano le premesse per un’elezione ordinata, senza troppi colpi di scena. Pensa che i partiti e i media sapranno cogliere l’occasione?
Oggi le elezioni al Consiglio federale sono al centro dell’attenzione mediatica. È una tendenza generale, nella nostra società; deriva in fondo da un bisogno di maggior trasparenza. In questo senso, non è in sé un fenomeno negativo. Ma può avere aspetti negativi, come si è già visto in passato. Il primo si manifesta in attacchi personali; tutti ricordano la campagna contro la socialista Christiane Brunner. L’altro è il tentativo dei media di dettare il nome dei candidati. È accaduto per esempio nel 1999, dopo le dimissioni dei due consiglieri federali Flavio Cotti e Arnold Koller. Al momento non vedo però segnali in questo senso.

Non si aspetta sorprese?

Dipende da cosa s’intende per sorpresa. Di fatto, ci sono due candidate favorite: Simonetta Sommaruga per il partito socialista e Karin Keller-Sutter per i liberali-radicali. La prima è molto popolare, la seconda è favorita soprattutto per motivi di politica regionale. Probabilmente ci sarà una discussione sulla presenza di cinque donne in governo. Nessun governo al mondo ha una quota femminile del 73%. A soli quarant’anni dalla concessione del voto alle donne, la Svizzera diventerebbe campione della presenza femminile in governo. Un fenomeno fantastico, anche dal punto di vista dell’immagine.

Si discute anche della rappresentanza della Svizzera italiana in governo…
Se guardiamo alla storia della Confederazione, non si può dire che la Svizzera italiana sia stata sottorappresentata. Prima e durante la guerra, per motivi di politica linguistica, la Svizzera italiana aveva un posto assicurato in governo. La situazione è cambiata con la formula magica. La Svizzera italiana deve comunque accettare di essere una minoranza. E imparare che per avere successo, una candidatura deve essere sostenuta da un partito forte e preparata per tempo.

Che ne pensa dell’idea di fare eleggere il Consiglio federale dal popolo?

Sono un avversario dichiarato di quest’idea. Non farebbe che aumentare la mediatizzazione della politica e le tendenze individualiste all’interno del governo. Io avrei un’alternativa: limitare a otto anni il mandato dei consiglieri federali, riducendo anche le possibilità di dimissioni prima della scadenza del mandato.