Im gegenwärtigen Abstimmungskampf legen die Gegner aller Vorlagen zu

Harte Zeiten für InitiantInnen und Behörden. Denn im laufenden Abstimmungskampf legen die Gegner aller drei Vorlage teils kräftig zu.

Bei Volksinitiativen überrascht der negative Trend nicht wirklich. Es ist eine bekannte Regel, dass sie gut starten und schlechter enden. Stets nimmt der Nein-Anteil in Umfragen zu und der Ja-Anteil meist insbesondere bei jenen ab, die eher dafür waren. Hauptgrund ist der Szenenwechsel: Am Anfang eines Meinungsbildungsprozesses beurteilt man vor allem das mit der Initiative angesprochene Problem, am Schluss die mit dem Begehren vorgeschlagene Lösung.
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Bei der 1:12 Initiative heisst das: Zuerst dominierte die Problematik der aufgegangenen Lohnschere, quantitativ, aber auch ethisch. Entsprechend führten die InitiantInnen einen Diskurs zur Lohngerechtigkeit. Je länger die Kampagne dauert, umso mehr spricht man über die Schwächen der Initiative: die Regelung der Löhne durch den Staat und die Folgen für Steuern und Sozialversicherung. Die Befragung zeigt, dass sich die Meinungsbildung genau in diesem Dreieck von ersterem zu letzteren verlagerte und so auch die Stimmabsichten von rechts bis über die Mitte hinaus veränderte.
Bei der Familieninitiative kann das allgemeine Gesetz wie folgt ausgedeutscht werden: Begünstigungen bestimmter Familienmodell durch den Staat sind den Stimmberechtigten ein Dorn im Auge. Mit genau diesem Anker ist die Initiative gestartet, und sie hatte breite Sympathien. Seither holt die Gegnerschaft auf: Mit den Steuerausfällen für Bund und Kantone, aber auch mit der Nebenwirkung der Initiative auf die gewollte Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das begründet den Meinungswandel namentlich bei (links)liberalen Wählerschichten vom anfänglichen Ja ins heutige Nein.
Bei der Autobahnvignette überraschen die Befragungsergebnisse jedoch. Denn der Normalfall bei einer Behördenvorlage besteht darin, dass sich die Unschlüssigen (in einem offenen Verhältnis) auf beide Seiten verteilen. Wäre das geschehen, hätte der Ja-Anteil mindestens leicht ansteigen müssen und die Vignetten-Vorlage wäre wohl angenommen worden. Angesichts der jetzigen Umfragewerte muss genau das offen bleiben. Denn auch hier nahm die Ablehnungsbereitschaft zu, und es verringerte sich die Zustimmungstendenz.
Erster Grund dafür sind Elite/Basis-Konflikte. Für die Zunahme der Opposition ist der Trend in der FDP relevant: Als Partei befürwortet sie die Vorlage; ihre Wählerschaft konnte sie aber mehrheitlich nicht überzeugen. Zweitens: Von der Nein-Botschaften mitgenommen werden auch die parteipolitsche Ungebundenen. Hier vergrösserte sich nicht nur der Nein-Anteil überdurchschnittlich, es nimmt auch die Teilnahmebereitschaft gerade dieser Bevölkerungsgruppe zu. Drittens, die Betroffenheit als AutofahrerInnen wirkt sich in der Meinungsbildung zugunsten der Opponenten aus. Je mehr Autos man hat, desto eher ist man dagegen.
Damit ist die SVP, welche das Referendum lancierte, nicht mehr allein; vielmehr tragen weite Teile der rechtsbürgerlich gesinnten StimmbürgerInnen und AutofahrerInnen die generelle Kritik an Gebühren und Abgaben. Etabliert hat sich so ein Diskurs, der von jenem im Parlament und der federführenden Bundesrätin abweicht. Die Behördenposition prägte somit auch den Medientenor und thematisierte primär die Sicherheit auf den Strassen. Dieser Diskurs rechtfertigte die einmalige Erhöhung des Vignettenpreises nach fast 20 Jahren Stillstand.
Claude Longchamp

Deutsche mit ihrer Demokratie unter-, Schweizer mit ihrer überfordert

Ein Ländervergleich zeigt: Direktdemokratie formt aktivere und anspruchsvollere BürgerInnen als die übliche Wahldemokratie.

Susanne Pickel ist eine ausgesprochene Spezialistin für Fragen der Politische Kultur. In einem Sammelband zu “Abstimmungskampagnen“, dieser Tage im Springer-Verlag erschienen, hat die Politologin der Universität Duisburg-Essen einen bemerkenswerten Vergleich der Politkulturen von Wahl- und Abstimmungsdemokratie vorgelegt, ausgearbeitet an den Unterschieden der generellen Einstellungen zu Staat und sich selber in Deutschland und der Schweiz.

Ihre Hauptergebnisse: Deutsche stehen ihren Regierenden “wesentlich skeptischer” gegenüber als SchweizerInnen. Letzter sind dafür “interessierter und aktiver” ins politische Geschehen integriert. Im Gesamtüberblick über Befragungsdaten erfüllen die SchweizerInnen die Erwartungen an “partizipierende Demokraten”, wie sie die Gründerväter der politischen Kulturforschung formuliert hatten, nahezu mustergültig, resümierte Pickel. Demgegenüber tendierten die Deutsche dazu, “kritische DemokratInnen” zu sein. Erstere zeichneten sich durch eine hohe Legitimation des Systems, grösser Zufriedenheit mit den Leistungen und vermehrtem Input als BürgerIn aus. Zweitere sind vorwiegend an den Systemleistungen interessiert, sehen Mitsprache als Teil der akzeptierten Demokratie, aber ohne die Möglichkeiten, sich einzubringen.

Immerhin, das sind nur die globalen Resultate des Ländervergleichs. Je eine Gruppe weicht in beiden Ländern interessanterweise ab: In Deutschland hätte knapp ein Drittel der BürgerInnen gerne mehr eigenen Teilhabe in politischen Fragen; sie befürworten direktdemokratische Mitsprachemöglichkeiten recht generell, analysiert die Politologin. In der Schweiz finden 43 Prozent, es wäre gut, würden die Regierenden mehr Verantwortung tragen. Die deutschen “AbweichlerInnen” sind über dem Mittel jung, gut gebildet und haben hohe Einkommen, kurz entsprechen dem Bild der PostmaterialistInnen. Die Gegengruppe in der Schweiz ist zwar auch jung, doch stammt sie eher aus den unteren Bildungs- und Einkommenschichten. Mit ihrem Rucksack aus der Schule mögen sie im anspruchsvollen Politsystem der Schweiz nicht mithalten; auch finden sie ihre materiellen Interessen zu wenig repräsentiert. Entsprechend haben sie überdurchschnittliches Vertrauen in Gruppen wie Gewerkschaften, die stellvertretend für sie ihre Interessen verteidigten. Sie neigen aber auch zu polisichen Parteien, die ihre Forderungen mit klaren und einfachen Botschaften unter die Leute brächten.

Oder einfach gesagt: Teile der Deutschen fühlen sich mit ihrer Demokratie unter-, Teile der SchweizerInnen überfordert. Demokratie als solche ist in beiden Ländern unbestritten. Die für die politische Kulturforschung aber massgebliche Uebereinstimmung von Institutionen und Denkweise der Massen ist in Deutschland wie auch in der Schweiz nicht umfassend gegeben. Beides spricht für einen Entwicklungsbedarf der Institutionen. In Deutschland ist mehr Partizipation angesagt, in der Schewiz effektivere Repräsentation im politischen Prozess.

Ganz neu sind die Einsichten von Susanne Pickel nicht. Vor wenigen Jahren habe ich an einem entsprechenden Ländervergleich, der auch Oesterreich miteinschloss, gearbeitet; die Partizipationsdefizite namentlich den jungen Altersgruppen war auch da ein grosses Thema. Die Studie von Pickel leitet die Befunde aber theoretisch stringent her, und sie sind empirisch gut abgestützt. Zudem zeigen sie, das die sehr unterschiedlich ausgestalteten demokratischen Institutionen von der politischen Kultur her durchaus Vergleichsaspekte haben, die zu Annäherungen auf der Systemebene führen könnten.

Claude Longchamp

Themenpuls: Was die Neuen Sozialen Medien bewegt

Das ist die News des Tages: Die 27 grössten Online-Newsplattformen der Schweiz werden laufend hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Neue Soziale Medien analysiert. Ein Test, was man zum laufenden Abstimmungskampf erfahren kann.

Den Ueberblick zu behalten, was auf Facebook, Twitter und Google Plus geht, ist schier unmöglich. Seit heute hilft einem die Plattform Themenpuls Likes, Shares, Twitterlinks und Leserkommentare fortwährend zu erfassen, die sich auf Artikel der 27 grössten Online-Newsplattformen beziehen.

“Die von Farner & Kuble gemeinsam entwickelte Online-Plattform zeigt auf einen Blick, welche Geschichten die Schweiz bewegen – allgemein, nach Ressorts, nach Themen und nach Sprachregionen”, schreibt die Werbewoche in ihrer heutigen Ausgabe. Und: “Redaktionen und Medienproduzenten können zum ersten Mal direkt vergleichen, was ihre Geschichten & Inhalte im Vergleich zu den Mitbewerbern auslösen. Unternehmen, Marken oder Organisationen können dank der Plattform verstehen lernen, wie man Inhalte erarbeitet, die von Lesern als so relevant erachtet werden, dass sie diese kommentieren oder verbreiten.”

Das ist ein grosses Wort, das ich mit einer Probe aufs Exempel überprüft habe. Den Top-Artikel der letzten Tage hat mich nicht besonders interessiert, denn es ist der Bericht von Blick-Online zur Absage Kollers als Nati-Trainer. Das typische also, was der Boulevard will und was der auch durchsetzt. Mehr als der Fussball beschäftigt hat mich die Politik.

Hierfür nützlich ist die Suchfunktion “detailliert filtern”. Denn die erlaubt es beispielsweise, alles zu den kommenden Volksabstimmung heraus zu destillieren. Gewählt habe ich aus Neugier die Vignetten-Erhöhung. Herausgekommen ist die Hitparade mit den 10 meist diskutierten Artikel. Beiträge aus 20min, Blick, LeMatin, der Berner- und der BaslerZeitung werden gelistet. Allen voran: “Vignette für Lastwagen? Nicht wirklich.” Behandelt wird darin, wie sich Bundesrätin Doris Leuthard in der “Arena” mit einer Aussage täuschte, wie der Blick dies auf der Online-Plattform aufmachte, und wie die Neuen Sozialen Medien dies geboostet haben. Ich hätte aber auch mit der 1:12 Initiative beginnen können. Dann wäre ich bei den umstrittenen Aussagen eines Wirtschaftsprofessors gelandet, der sich für die Initiative ausgesprochen und die Wegzugsdrohung von Firmen in den Wind geschlagen hatte, denn so gute Verhältnisse wie in der Schweiz finde man so schnell nirgends. Bei der Familieninitiative wäre ich schliesslich nicht bei der SVP, sondern der CVP gelandet. Denn ihre Initiative, die via Ehedefinition die Heirat von Schwulen und Lesben ausschliessen könnte, war der Renner.

Irgendwie ahnt man schnell, was die Schweiz gemäss neuen Neuen Sozialen Medien in der Politik bewegt: Personalisierte Politik, Aussagen jenseits der Erwartbaren, Normenverletzung, die für Internet-affine Zielgruppen von Belang sind resp. mit ihren Folgen für den Alltag skandalisierungsträchtig sind. Das Interessante dabei: Egal, ob ich mich auf Facebook oder Twitter oder google+ stütze, es kommt im Grund genommen immer das gleiche Ranking heraus. Nur die Zahlenniveaus variieren. Denn Kommentare auf dem Plattformen und auf Facebook machen das grosse Geschäft aus. Trends, die sich auf Twitter oder google+ ergeben, beeinflussen das Gesamtergebnis nicht. Sie sind aber für sich genommen eine Zusatzinformation.

“Es gibt viele wertvolle Bewertungsmöglichkeiten zu Relevanz und Qualität von Medieninhalten. Themenpuls.ch will diese ergänzen, der immer wichtiger werdenden Frage nachgehen, welche Inhalte und Produkte von den Lesern als so relevant erachtet werden, dass sie kommentiert und geteilt werden. Der Vergleich mit Ergebnissen aus der Meinungsforschung soll uns Rückschlüsse erlauben, inwieweit geteilte Meinung zur öffentlichen Meinung wird”, sagt Farner CEO Roman Geiser in der Werbewoche ganz pragmatisch.

Meine Einschätzung: Themenpuls hat das Potenzial, Uebersichten über die immer fragmentiertere Oeffentlichkeit zu schaffen. Denn die neuen sozialen Medien schaffen sich einen eigenen Raum, zwischen den Massenmedien und der face-to-face-Diskussion. Dort, wo die von Belang wird, eröffnet einem die neue Plattform die neue Welt: beispielsweise in der Medizin, wo man Meinungen unter PatientInnen tauscht, und diese längst wichtiger sind ist für die Meinungsbildung als die grossen Medien; aber auch für die Politik eröffnen sich neue Perspektiven, denn man weiss, dass immer dann, wenn Unübliches geschieht, die persönliche Kommentierung der medialen Informationen zur eigenen Versicherung von Belang ist. Situationen ausserhalb des courant normal lassen sich mit Themenpuls einfacher, rascher und zuverlässiger erschliessen.

Claude Longchamp

Dreimal Nein am 24. November 2013?

Immer häufiger werden Prognosen zu Wahlen gemacht. Die Neuerungen der Forschung werden vermehrt auch bei Schweizer Abstimmungen angewandt. Oliver Strijbis geht dabei am weitesten. Statistisch ist sein Vorgehen interessant, analytisch ist es zu einfach. Ungenauigkeiten sind vorprogrammiert.

Die Prognosen von 50plus1
In der Schweiz ist Oliver Strijbis nur in ausgewählten Fachkreisen bekannt. Hauptamtlich arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Vergleichende Politikwissenschaft der Universität Hamburg; nebenamtlich ist der Co-Geschäftsführer der Principe Consulting GmbH mit Sitz im zürcherischen Maur. Ueber diese Gesellschaft betreibt er die Website www.politikprognosen.ch und seit jüngstem auch den Blog “50plus1“. Kerngeschäft: Prognosen zur Schweizer Politik.

Regelmässig stützt ich der Hamburger Politologe auch auf die Umfragen unserer Instituts. Diese erstellen wir seit 1998 für die SRG Medien. Seit 2008 haben wir sie systematisch ausgewertet, und stellen dies im Anhang zu jeder Welle aufdatiert für alle Interessierten zur Verfügung. Genau darauf stützt sich der deutsche Forscher, wenn er Abstimmungen prognostiziert.

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Plots von Strijbis, die der Formel für die Prognose zugrunde liegen: Bei Initiativen sind die Punkte recht nahe bei der Regressionsgraden, bei Behördenvorlagen nicht. Das beeinflusst die Prognosemöglichkeiten.

Das verwendete Vorgehen ist einfach: Verglichen werden Umfragewerte aus der ersten Welle mit dem Endergebnis. Daraus abgeleitet wird die Formel, wie beide Grössen statistisch zusammenhängen; hat man die, und die Ergebnisse der ersten Erhebung zu einer neuen Volksabstimmung, kann man Vorhersagen machen. Im September 2013 kam er so auf 32 Prozent Zustimmung für die GSoA-Initiative, auf 53 Prozent Ja für das Epidemiengesetz und auf 47 Prozent Befürwortung für die Tankstellenvorlage.

Ganz falsch lag der Forscher damit nicht! Denn die Mehrheiten stimmten in zwei der drei Fälle. Genau war die Prognosen allerdings nicht! Die mittlere Abweichung lag bei 7 Prozentpunkten. Das ist im Bereich der intuitiven Schätzung, sprich: das kann man auch ohne Statistik. Interessant jedoch ist die Systematik der Abweichungen: Bei der Initiative war er zu hoch, bei den Behördenvorlagen zu tief. Bei den Tankstellenshops gab es nicht nur die falschen Mehrheit, sondern mit 9 Prozentpunkten auch die grösste Abweichung.

Nun hat Strijbis dieser Tage seine Prognose für die kommenden Volksabstimmungen veröffentlicht: Demnach gibt es am 24. November 2013 drei Nein. Die 1:12 Initiative käme auf 37 Prozent Zustimmung, die SVP-Initiative auf 49 Prozent, und bei der Vignette würde es eine 45:55 geben. Ist damit jetzt schon alles klar? – Ich zweifle … vor allem an den Prozentwerten.

Meine Verbesserungen
Ich kenne die eingesetzte Methode gut genug, um sie beurteilen zu können. Denn ich arbeite auch damit, um zu Vorstellungen zu gelangen, was bis zum Abstimmungstag zu erwarten ist. Allerdings mache ich das nicht öffentlich, denn es ist mir zu wenig ausgereift. Und diese wohl ich mit einem elaborierteren Modell arbeite, denn seit ich das Verfahren verwende habe ich Verschiedenes hinzu gelernt:

Erstens, Volksinitiativen und Behördenvorlagen unterscheiden sich hinsichtlich der Dynamik der Meinungsbildung. Die Faustregel ist, dass sich der Behördenstandpunkt mit dem Abstimmungskampf vermehrt durchsetzt; entsprechend geht die Zustimmung zu allen von Regierung und Parlament unterstützten Initiativen in den letzten Wochen zurück, während sie bei Behördenvorlagen steigt.

Zweitens, diese Regularität ist aber nur bei Volksinitiativen gut genug, um sie zu formalisieren. Bei Behördenvorlagen gilt sie zwar mehrheitlich, doch sind die abweichenden Fälle erheblich. Der Durchschnitt sagt eigentlich nichts.

Drittens, man kann bei Volksinitiativen aufgrund des Gesagten in den allermeisten Fällen auf Varianten der Meinungsbildung verzichten; bei Behördenvorlagen lohnt es sich aber, sie stets mitzudenken. Entscheidende Grösse ist, ob die Allianz aus der parlamentarischen Entscheidung hält oder, ob sie im Abstimmungskampf bröckelt.

Viertens, Konflikten in den Eliten einer Parteien zeigen sich anhand abweichender Mehrheiten zwischen Fraktion und Delegiertenversammlungen resp. an abweichenden Empfehlungen zwischen nationaler und kantonalen Parteiteilen. Entscheidend ist hier, wie stark resp. wie verbreitet solches vorkommt. Elite/Basis-Konflikte zeichnen sich dadurch aus, dass es, bei Differenzen zwischen den Position einer Partei und ihrer Wählerschaft, während des Abstimmungskampfes zu keiner Annäherung der Standpunkt im Sinne der Anpassung der Basis an die Elite kommt.

Strijbis berücksichtigt meinen ersten Punkt, die drei anderen negiert er. Entsprechend halte ich seine Prognosen aus der ersten Welle unserer Befragungsreihen für zu riskiert. Das weiss auch der Kollege aus Hamburg, und so fügt er, aufgrund der zweiten Welle eine weitere Prognose hinzu. Die war im September 2013 besser, denn es gab keinen Mehrheitenfehler mehr; doch blieb die mittlere Abweichung mit 5 Prozentpunkten höher als der normale Stichprobenfehler von Umfragen.

Kritik
Meine Position lautet: Bei Volksinitiativen kann man versuchen, so wie Strijbis Prognosen zu machen. Bei Behördenvorlagen rate ich dagegen eindeutig ab. Denn erst mit dem Abstimmungskampf kann man entscheiden, ob es zu Konflikten innerhalb einer oder mehrerer (Regierungs)Parteien kommt oder sich die verschiedenen Ausgangsstandpunkte annähern.

Ich stimmt mit den Vorhersagen überein, dass die Zustimmung zu Initiativen mit dem Abstimmungskampf sinkt. Bei 1:12 bedeutet das, die Ablehnung ist wahrscheinlich; bei der SVP-Initiativen würde ich es offen lassen. Bei der Vignetten-Vorlage halte ich die frühe Prognose von Strijbis für ein Artefakt, das eine zu skeptische Aussicht vermittelt.

Oder anders gesagt: Vor der punktgenauen Verwendung präzis anmutender Prognosen sei gewarnt.

Claude Longchamp

Medientenor und Meinungsbildung: Was man daraus für den 24. November 2013 ableiten kann

Wie berichten die Schweizer Massenmedien über die anstehenden Volksentscheidungen vom 24. November 2013? Der Abstimmungsmonitor der Forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft der Uni Zürich gibt Auskunft darüber.

Die Gewichtung der Vorlagen durch die Massenmedien ist gemäss Abstimmungsmonitor klar. Die 1:12 Initiative ist der klare Favorit. Die Resonanz zur Vignette resp. der Familieninitiative liegt bei rund einem Drittel. Mit anderen Worten: 58 Prozent der Beiträge zu den Abstimmungen widmen sich der JUSO Initiative, 23 Prozent der Gebühr für die Benutzung der Nationalstrassen und 19 Prozent der SVP-Initiative zur finanziellen Entlastung von Eltern, die ihre Kinder selber betreuen.

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Der Tenor ist einzig bei der Vignette mehrheitlich positiv. Der Index erreicht den Wert +26, was so viel heisst wie, es gibt 26 Prozent mehr positive als negative Artikel. Bei den beiden Volksinitiativen überwiegt der gegnersiche Standpunkt. Bei der 1:12 Initiative liegt der Indexwert bei -29, bei der Familieninitiative erreicht er einen solchen von -45.

Damit bestätigt sich, was man insgesamt gut kennt: In ihrer Berichterstattung zu Volksabstimmung zeigen Massenmedien eine Affinität zum Behördenstandpunkt. Das hat damit zu tun, dass diese Positionen einen parlamentarische Legitimation haben. Es kann aber auch sein, dass die Kampagnen, welche diese Standpunkte vertreten, intensiver und eingängiger geführt werden. Das muss im weiteren Vorfeld einer Abstimmung so nicht sei; denn gerade während der Zeit der Unterschriftensammlung haben die Akteure auf der Strasse in der Regel die bessere Presse.

Genaue Zusammenhänge zwischen Medientenor und Meinungsbildung kennt man nicht. In der Regel nimmt man aber an, dass sich eine ausgeprägte Richtung auf die Meinungsbildung namentlich Unentschiedener auswirkt, allenfalls auch jener, die latent eine gerichtete Meinung haben. Das würde dafür sprechen, dass sich die Unschlüssigen bei der Vignette mehr ins Ja als ins Nein entwickeln würde, was für die BefürworterInnen eine gute Botschaft wäre. Bei den beiden Volksinitiativen würde es dafür sprechen, dass die Opposition wächst.

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Das stimmt mit den Grundhypothesen überein, die wir im Dispositionsansatz für Volksinitiativen und Behördenvorlagen formuliert haben. Allerdings, lasse wir es nicht bei diesen einfachen Annahmen bestehen. Denn auch der Bestand parlamentarischer Allianzen im Abstimmungskampf ist eine Determinante der Meinungsbildung. Zerfällt diese bei einer Behördenvorlage, gibt es auch Beispiele die zeigen, dass selbst anfängliche BefürworterInnen ins Nein-Lager wechseln können. Bei der Vignette gibt es dafür nur wenig Hinweise. Bei den Initiativen wissen wir zudem, dass eine klare Ausrichtung des Abstimmungskampf in Medien und Propaganda ebenfalls zu einem Meinungsumschwung unter initialen Ja-SagerInnen führen kann. Der Effekt ist diesmal wahrscheinlich, denn der Medientenor wendet sich in beiden Fällen gegen die Volksbegehren. Bei der Familien-Initiative ist er noch ausgeprägter als bei der 1:12-Initiative, was grössere Effekte in der Meinungsbildung zum SVP-Begehren vermuten lässt.

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Mehr dazu mit der zweiten Welle zur SRG-Trendbefragung!

Claude Longchamp

Wenn Reichtum und Ansehen gesättigt sind, wird Idealismus und Individualismus wichtiger

Der Jugendbarometer 2013 macht deutlich, wie der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Lage der Jugendlichen, ihrem Problembewusstsein und den Zielvorstellungen ausgebildet ist. Die Schweiz erscheint dabei als Insel des Glücks, deren Situation sich von der aller Vergleichsländer abhebt.

Zahlreiche Ziele, die man als Jugendlicher im Leben verwirklichen möchte, sind nicht nur in der Schweiz, sondern im internationalen Vergleich untersucht worden. Hierzu sind Jugendliche auch in den USA, Brasilien und Singapur nach dem gleichen Muster befragt worden.

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Symptomatisch ist, dass idealistische Ziele in der Schweiz besonders hoch gewichtet werden: Zu den verbreitetsten Zielen gehört es, seine Träume verwirklichen zu wollen. 85 Prozent der 16-25jährigen nannten das als Herausforderung für das eigene Leben. Insbesondere in Singapur und in den USA liegen die Vergleichszahlen deutlich tiefer. Das gilt auch für individualistische Ziele: 56 Prozent der jungen Menschen in der Schweiz wollen nicht nach sturem Plan durchs Leben gehen müssen. Auch das kommt in den USA, aber auch in Singapur nur minderheitlich vor. Auffällig ist schliesslich, dass Jugendliche in der Schweiz, anders als in den USA, ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit finden wollen. Balance ist in der Schweiz viel wichtiger als irgendwo in der Welt.

Einiges davon kann man mit der wirtschaftlichen Lage der Jugendlichen in den vier Ländern erklären. Klar vorteilhaft ist diese im Vergleich in der Schweiz. So ist die Jugendarbeitslosigkeit in den drei Vergleichsländern deutlich höher. In den USA, aber auch in Singapur ist sie, auch im Bewusstsein der Jugendlichen, einiges präsenter. Brasilien ist hier insofern eine Ausnahme, als die Korruption das Problembild der Jugendlichen klar überlagert. Die reale und mentale Verbreitung von Jugendarbeitslosigkeit bestimmt denn auch die Zuversicht in die eigene Zukunft. Diese ist in der Schweiz und Brasilien hoch, in den USA und Singapur tiefer.

Das sich so ausbildende Wertemuster hat weitere Konsequenzen: Materialistisch ausgerichtete Ziele sind in der Schweiz vergleichsweise wenig ausgebildet. So wollen nur 27 Prozent der befragten Schweizer Jugendlichen mehr Wohlstand als ihre Eltern erreichen; in den drei Vergleichsländern sind es noch klare Mehrheiten. Der Befund gilt auch für Prestige: In den Kreis der VIPs aufzusteigen, ist in allen Ländern nur das Ziel einer Minderheit. Allerdings, diese ist in Brasilien, Singapur und den USA etwa vier Mal stärker als in der Schweiz. Karriere machen zu können, wird denn auch von den Schweizer Jugendlichen gemischt beurteilt; für 51 Prozent ist das ein Ziel, anders als in den Vergleichsstaaten, wo zwei Drittel bis drei Viertel das als Herausforderung des Lebens sehen.

Oder anders gesagt: Reichtum und Ansehen sind in der Schweiz keine vorrangigen Ziele der Jugendlichen; nicht weil sie ganz out wären, vielmehr weil sie in hohem Masse bereits gegeben sind. Das Leben hat deshalb nicht einfach keine Herausforderung mehr, denn diese werden im Idealismus und Individualismus gesucht. Darauf hat sich die Schweizer Gesellschaft mehr einzustellen als andere!

Claude Longchamp

Mehr zum Jugendbarometer 2013 findet sich hier.

Familieninitiative der SVP: Die Parteien haben sich festgelegt – was kann man daraus schliessen?

Ein Plus für die SVP-Initiative war der heutige Tag nicht; ein Minus aber auch nicht unbedingt. Meine Kurzanalyse der Parteipositionierungen zur Familieninitiative.

Heute war Parolentag. Die SVP, SP und CVP legten sich mit Blick auf die kommenden Volksabstimmungen fest. Besondere Aufmerksamkeit fanden die Empfehlungen zur Famiileninitiative – und da diejenige der CVP. Nach ausgiebigen Erwägungen entschied sich die Partei für eine Nein-Parole. Damit sind ausser SVP (und EVP) alle nahmhaften Parteien auf der gegnerischen Seite.
Was kann man daraus ableiten? Ich denke, es gibt ein qualitatives und ein quantitatives Argument.

. Dafür: SVP, EVP
. Dagegen: SP, FDP, CVP, GPS, GLP, BDP

Das qualitative zuerst: Mit 114:87 entschied sich die Delegiertenversammlung recht knapp für ein Nein. Sie stellte sich aber gegen die ebenso knappe Mehrheit der CVP-VolksvertreterInnen in der Schlussabstimmung im Nationalrat. Für die CVP ist das gut so, auch wenn sie die Parteispitze desavouierte. Denn als Partei verfolgt sie so weiter den Weg, den sie selber mit zwei eigenen Initiativen eingeschlagen hat und der bis zur Volksabstimmung über den Familienartikel im Sommer 2013 auch weitgehend unbestritten war: Familien sollen finanziell entlastet, Familien- und Berufsleben erleichtert werden. Hätte die Delegiertenversammlung heute ein Ja beschlossen, wäre das ein Schritt zum konservativen Familienbild gewesen und wohl auch kommentiert worden. Mit Sicherheit hätte das der SVP-Initiative nochmals mediale Aufmerksamkeit gegeben. Dieser Zusatzeffekt dürfte nun ausbleiben. Ein Plus hat die SVP-Initiative damit heute nicht erhalten.

Uebersicht über die Entwicklung der Stimmabsichten bei rechten Initiativen, die nur von der SVP unterstützt werden (seit 2008)
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Tabelle anclicken, um sie zu vergrössern (Quelle: gfs.bern)

Die quantitative Ueberlegung danach: Beschränkt man sich auf die Initiativen, die alleine von der SVP (und kleinen Rechtsparteien) unterstützt werden, gilt: Der Rückgang in der Zustimmung ist variabel, selbst wenn die Parolen immer die gleichen sind.
Die Erfahrung lehrt uns dabei, dass die SVP an sich weniger Erfolg hat, wenn sie sich auf institutionelle Themen festlegt: Maximal in der Ausgangslage kann sie sich auf gewisse Anfangssympathien stützten, die im Abstimmungskampf aber rasch verschwinden. Anders verhält es sich bei gewissen Themen zur AusländerInnen-Frage, namentlich dann, wenn sie keine negativen Implikationen auf die Wirtschaft haben. Denn dann ist das Sympathiepotenzial in der Bevölkerung mehrheitlich, und es lässt sich auch nur schwer verringern.

Was nun gilt bei der Familien-Initiative? Sie ist eine potenziell mehrheitsfähige Initiative. In der Ausgangslage ist das Begehren mit 64 Prozent, die bestimmt oder eher zustimmen wollen, mindestens so populär wir Ausländer-Initiativen ohne einschneidende ökonomische Folgen. Doch hat die Annahme des Begehrens gibt es finanzielle Auswirkungen. Das hat die Oeffentlichkeit jenseits von Debatten über Familienbilder zwischenzeitlich gemerkt – und da liegt die Schwäche der Initiative. Deshalb bekommt sie die Qualifizierung “potenziell” mehrheitsfähig.
Die Positionierungen der politischen Parteien stufe ich dabei als wenig entscheidend ein, denn die Effekte der Parolen sind nicht mechanisch. Vielmehr ergeben sie sich nach Themen aus Kommunikationswirkungen, die ihrerseits auf Prädispostionen und Informationen basieren. Das gilt auch diesmal: Massgeblich ist, was die Parteien mit ihren Kampagnen aus ihren Parolen machen. Ein Nein allein nützt nicht viel; Aktivitäten hierzu sind wirksamer.

Oder anders gesagt: Ein Minus für die SVP-Initiative ist der heutige Tage nicht; aber es kann eines daraus werden!

Claude Longchamp

Als sei das Rennen zur Familieninitiative schon gelaufen …

Schafft die Gegnerschaft die Wende bei der Familieninitiative? – Diese Frage wurde mir nach der Publikation der ersten SRG-Trendbefragung am vergangenen Freitag regelmässig gestellt. BefürworterInnen neigen zu Zuspruch; GegnerInnen zu Widerspruch. Hier meine Antwort, aufgrund meiner Erfahrung mit Initiativen.

Da mache sich niemand etwas vor: Die Familien-Initiative der SVP startet exemplarisch gut: 64 Prozent sind bestimmt oder eher dafür, 25 Prozent bestimmt oder eher dagegen. So die erste SRG-Trenbefragung.
Das soll man jedoch nicht mit dem Endergebnis verwechseln; denn die Erfahrung lehrt, dass der Nein-Anteil mit dem Abstimmungskampf immer steigt, und selbst der Ja-Prozentsatz meist sinkt. Hauptgrund: Die Debatte verlagert sich von der Behandlung des Problems Richtung Schwäche des Lösungsvorschlags. Dabei kann man sehr wohl der Meinung sein, das Problem bestehe, so wie die Initiative es beseitigen wolle, funktioniere das nicht. So kann man als anfängliche(r) BefürworterIn eine Initiativen am Ende durchaus auch ablehnen.

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Quelle: gfs.bern/SRG Trendbefragungen, Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Nun sind 64 Prozent im Startwert bei der Familieninitiative viel. Das spricht dafür, dass es sich bei Steuererleichterung für Familien um ein von der Politik vernachlässigtes Problem handelt. Unabhängig vom Inhalt geniessen Vorlagen einen klarer Startvorteil, allein aus der Tatsache, dass sie die Schwierigkeiten aufgreifen.
Zum Vergleich: Die Minder-Initiative hatte beispielsweise eine anfängliche Zustimmungsbereitschaft von 65 Prozent. Die Zweitwohnungsinitiative begann bei 62 Prozent, während die erste Umfrage zur Ausschaffungsinitiative bei 58 Prozent begann. Sie alle starten gut, weil sie sich mit einem Missstand beschäftigten.

Wichtiger ist aber die Frage, wie stabil das alles ist. Der mittlere Werte des Rückgangs im Ja-Anteil beträgt, aufgrund der SRG-Umfragen, 10 Prozent; allerdings ist das kein Naturgesetz, sondern, wie fast alles in der Massenkommunikation, von Rahmenbedingungen abhängig: zum Beispiel dem effektiven Problemdruck und der Eignung der Nein-Kampagne.
Die wirkungsvollsten Nein-Kampagnen bauen auf der Schwachstellen-Kommunikation auf. Sie greifen nicht die Initiative als solche an, konzentrieren sich aber auf die schwächste Stelle im Angebot. Das zeigt in der Regeln den gewünschten Effekt. Er bleibt aus, wenn der Aufbau der Nein-Kommunikation misslingt resp. der Problemdruck zu hoch ist.
Der Rückgang kann auch mehr als die besagten 10 Prozent betragen, wenn die Startzahl mehr als Sympathiekundgebung denn als Resultat eine Abwägens von Pro und Kontra aufgefasst werden kann.
Die Volksinitiative für den Schutz vor Passivrauchen illustriert die Aussage: Die grosse Mehrheit der SchweizerInnen raucht nicht, stand der Forderung demnach aus Eigeninteresse mit Wohlwollen gegenüber. Der Initiative konnte man aber leicht Schwierigkeiten bei der Umsetzung vorwerfen (“Selbständig Erwerbende dürften in ihrem Büro nicht rauchen”). Hinzu kam, dass die meisten Kantone Massnahmen getroffen hatten, sodass das initiale Problem entschärft worden war.
Ergebnis: Aus den 59 Prozent im Startwert resultierte in der Volksabstimmung 2012 ein Ja-Anteil von 32 Prozent. Vergleichbares ergab sich bei der Goldinitiative 2006, als sich die anfängliche Zustimmungsbereitschaft von 62 Prozent auf 42 im Ergebnis zurückentwickelte.
Um es klar zu sagen, das sind nicht die Regel-, sondern die Extremfälle, die belegen, was bei Volksinitiativen jenseits der 10 Prozent alles möglich ist. Der Anhang im SRG-Bericht (Kapitel 5.1.2) macht die ganze Auslegeordnung.

Und bei der Familieninitiative? 64 minus 10 reicht nicht, um die Mehrheit zu kippen. Es braucht also mehr als den durchschnittlichen Meinungswandel. Silja Häusermann, Politologie-Professprin an der Uni Zürich, sagt im heutigen Tages-Anzeiger, was gute Schwachstellenkommunikation ist: “Die Gegner werden sich in ihrer Argumentation auf die Kostenfrage konzentrieren, immer wieder betonen, dass die Steuerausfälle bei anderen wichtigen Staatsaufgaben kompensiert werden müssen». Und, das eine Familienmodell gegen das andere auszuspielen, sei politisch nicht besonders erfolgversprechend, weil es in der Schweiz in vielen Kantonen durchaus eine breite Unterstützung für ein konservatives Familienmodell gäbe.
Die erste SRG-Umfrage zeigt denn auch, dass das Kostenargument viel mehr wirkt als alles andere, was man gegen die Initiative hören kann. Ob es reicht, hängt, wie dargelegt, von der noch folgenden Nein-Kampagne ab. Denn das Problem der finanziellen Anspannungen in Familien besteht, und es kommt umso häufiger vor, als die Haushalte über unterdurchschnittliche Einkommen verfügen.

Claude Longchamp

1:12-Initiative ist keine zweite Minder-Initiative

Die Analyse am Tag der Minder-Abstimmung war bisweilen rasch gemacht: Wirtschaftspolitische Initiativen seien nun mehrheitsfähig; die Lohnthematik habe den Umschwung gebracht. Flugs wurde die 1:12-Initiative zur zweiten Abzocker – Initiative emporstilisiert. Sprich: Auch sie würde in der Volksabstimmung angenommen werden.
Die erste SRG-Umfrage zu den Volksabstimmungen vom 24. November 2013 zeigt nun, dass man, wie so oft, differenzieren muss. Denn die 1:12-Initiative startet mit 44 Prozent Zustimmungsbereitschaft und 44 Prozent Ablehnungspotenzial. 12 Prozent der Teilnahmewilligen wissen nicht, wie sie stimmen wollen. Bei der Minder-Initiative lautete der Startwert 65 zu 25; 10 Prozent waren damit unschlüssig.
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Wie kann man sich den Unterschied zwischen beiden Initiativen erklären?
Zuerst durch den Inhalt: Die Minder-Initiative verlangte mehr Aktionärsdemokratie. Das war letztlich eine liberale Forderung, wenn auch mit einer Kritik an Auswüchsen des liberalen Systems verbunden. Die 1:12-Initiative setzt ganz anders an: Sie will staatliche Regelungen des Lohnsystems in den Unternehmungen.
Dann durch den Absender: Thomas Minder war und ist Gewerbetreibender. Er geht als Patron eines mittelständischen Betriebes durch, der wegen seinen Forderungen Applaus von Rechts-Konservativen und Linken bekam. Getragen wird die 1:12-Initiative von der JUSO. Unterstützung gibt es bei den Gewerkschaften und von den linken Parteien. Der Support aus dem konservativen Lager ist gering; auch das Gewerbe lässt sich kaum dafür mobilisieren.
Man tut gut daran, nebst den Gemeinsamkeiten der Initiativen auch die Unterschiede zu analysieren. Auch mit Blick auf die Mindestlohn – Initiative, getragen von den Gewerkschaften, fokussiert auf die tiefsten, nicht die höchsten Löhne.

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Die aktuelle Erhebung legt Unterschiede in den Zustimmungswerten zu Kampagnenbeginn offen. Wer damals gegen die Minder-Initiative war, ist es in sehr hohem Masse auch jetzt. Anders sieht es bei den damaligen BefürworterInnen aus: 4 von 10 der damaligen Ja-SagerInnen wollen gegen die 1:12-Initiative stimmen oder sind unschlüssig.
Hauptgrund: Die Zustimmungswerte zu 1:12 sind im bürgerlichen Lager durchwegs geringer, was die Kennzeichnung des aktuellen Konfliktmusters durch die Links-/Rechts-Achse zulässt. Ihre Position geändert haben die RentnerInnen; bei Minder auf der Ja-Seite; bei 1:12 kaum. Geblieben ist die Zustimmung aus der Unterschicht. Sowohl bei der Minder-Initiative wie auch bei der 1:12-Vorlage will, in der Ausgangslage, eine Mehrheit zustimmen.
Das alles hat auch mit einer veränderten Kampagnensituation zu tun: Die Nein-Kampagne zur Minder-Initiative startete mit viel Kritik, wegen der Überheblichkeit der Akteure und der Unprofessionalität der Militanten. Auch das hat sich geändert. Im Vordergrund steht diesmal kaum die Metadiskussion über die Kampagne. Vielmehr sind zwei Botschaften platziert worden: die Ordnungsfrage einerseits, die Folgen für die Finanzen des Staates und der Sozialwerke anderseits. Beides zeigt Wirkung, mehr als die Nein-Kampagnen gegen das Minder-Vorhaben.
Entschieden ist die Sache dennoch nicht schon jetzt: Die 1:12-Initiative hat gegenwärtig gleich viele BürgerInnen hinter wie gegen sich. Die aufgeworfene Frage nach der Gerechtigkeit im Lohnsystem ist das zentrale Element. Auseinanderdriftende Pole oben und unten sind der zentrale Ansatzpunkt der Ja-Kampagne.
Doch liess sich die Gegnerschaft, wenigstens bis jetzt, nicht in der Ecke der Stellvertretenden des Grosskapitals festnageln. Deshalb haben wir heute keine mehrheitlich ausgerichtete Situation gegen die Abzocker, sondern eine Kontroverse über das Lohnsystem vor allem in den internationalen Organisationen bei denen das Pro und das Kontra abgewogen werden.
Claude Longchamp

Das Denken des Landes hat sich in Freiburg gegen jenes der Hauptstadt durchgesetzt

Freiburg hat gewählt: Der Staatsrat bleibt mehrheitlich bürgerlich; Nachfolger von Isabelle Chassot ist Jean-Pierre Siggen.

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Der Gewählte Jean-Pierre Siggen und sein nicht so geschlossener parteipolitischer Hintergrund (Quelle: La Liberté)

Knapper hätte das Resultat nicht ausfallen können: Der Kandidat der Bürgerlichen, Jean-Pierre Siggen, machte 31‘914 Stimmen; sein Herausforderer der Linken kam auf 31‘352. In Prozenten: der CVP-Bewerber kam auf 50,4 Anteile, der SP-Mann auf 49,6.

Nach Zählkreisen schien heute lange alles klar: Siggen gewann ausser dem Saane-Bezirk alle für sich. Am deutlichsten neigte der Glâne-Bezirk zu ihm (57.8%), gefolgt von Gruyère (55.8%), Sense (53.0%), Broye (53.7%) und See (53%). Auch die FreiburgerInnen im Ausland votierten zu 53,3 Prozent für den CVP-Mann. Anders entwickelten sich die Zahlen im Zählkreis Saane, der schliesslich mit 56,7 Prozent an Steiert ging. Ausschlaggebend war hier die Stadt Freiburg, welche zu 63,2 Prozent zum linken Bewerber hielt.

Einzig Bulle wählte von den Städten knapp mehrheitlich für Siggen (50.7%). Sonst tendierten sie resp. die grösseren Orte alle zu Steiert (Villars 56,8%; Marly 53,6%; Düdingen 52,8; Murten 50,6%). Das Gegenteil ergab sich auf dem Land; in Autafond im Saane-Bezirk wählten 31 den Bürgerlichen; 2 den Linken, der damit gerade auf 6,1 Prozent der Stimmen kam.

Erklären kann man Ergebnisse bei Majorzwahlen stets mit zwei vorrangigen Kräften: den Blöcken, den Personen. Die Blöcke hätten klar für Siggen gesprochen; das Ergebnis verweist auf einen erheblichen Personeneffekt zugunsten von Steiert. Denn gemessen an der Stimmkraft der bürgerlichen Parteien, die 71 der 110 Grossratssitze oder 65 Prozent der VolksvertreterInnen auf sich vereinen, ist fiel das Resultat der Ersatzwahl in den Staatsrat äusserst knapp aus.

Hauptgrund dürfte sein, dass die grosse bürgerliche Allianz, die im Kanton Freiburg traditioneller Weise die nur CVP und FDP umfasst, nur zögerlich zusammenfand. Erst die Aussicht, dass der Kanton mit dieser Ersatzwahl eine linke Mehrheit im Staatsrat bekommen könnte, führte die CVP, FDP und SVP kurzfristig und auf kantonale Wahlen beschränkt zusammen. Wie das Ergebnis zeigt, dürften die Stimmabgabe nicht lückenlos gewesen sein. Vertiefte Analysen nach Hochburgen werden zeigen, wie geschlossen die SVP, aber auch die FDP und CVP für den bisherigen Direktor des Arbeitgeberverbandes waren. Denn, so kann man jetzt schon vermuten, jeder 5. Freiburger, der/die bürgerlich wählen, stimmten heute für den linken Bewerber.

Immerhin, nach den Erfolgen bei den Ständeratswahlen gerade auch im Kanton Freiburg ist der linke Aufstieg ins Stocken geraten. Mit der heutigen Entscheidung bleibt die Freiburger Kantonsregierung mehrheitlich bürgerlich; die CVP behält ihre 3 Sitze, die SP 2, die FDP und die Grünen je ein Mandat. Pluralismus mit rechtem Schwerpunkt bleibt angesagt; für das Experiment der Co-Habitation, die auch anderen Kantone kennen, ist Freiburg nicht reif.

Stadt und Land ticken im Kanton Freiburg politisch ziemlich diametral anders. Diesmal hat sich das Denken des Landes durchgesetzt – wenn auch knapp!

Claude Longchamp