#Buchbesprechung: Die Schweizer Grünen – eine erfolgreiche Kraft der europäischen Parteifamilie mit Linkstendenz

Pünktlich zum 40. Geburtstag der Schweizer Grünen erscheint dieser Tage unter dem Titel «Die Grünen in der Schweiz. Entwicklung – Wirken – Perspektiven» ein aufschlussreiches Buch. Herausgegeben wurde die (parteinahe) Schrift von den Politikwissenschafter:innen Sarah Bütikofer (“DeFcato”) und Werner Seitz (vormals BfS).

Die Sicht von innen und von aussen
Wer die Forschungsliteratur zu den Schweizer Grünen regelmässig verfolgt, weiss um Vieles, das der Sammelband zeigt. Sein Verdienst ist es, die Datenlage handlich zwischen zwei Buchdeckel auf den neuesten Stand gebracht zu haben.
Eine löbliche Ausnahme bildet zudem der Artikel von Martin Dolezal. Der österreichische Politikwissenschafter vergleicht die Schweizer Grünen mit den Schwesterparteien in Deutschland, Oesterreich, den Niederlanden, Frankreich, Schweden und Finnland. Der Perspektivenwechsel hilft dabei, nationale Eigenheiten zu erkennen und Stärken und Schwäche der Schweizer Grünen zu benennen.

Die europäischen und die schweizerischen Grünen
Die europäischen Grünen bewertet Dolezal als «relevante politische Kraft in Europa». Der Klimawandel habe ihr genuines Thema, den Umweltschutz, erneut ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Unbestritten sei ihre inhaltliche Kompetenz in der aktuellen Herausforderung. Der Bedeutungsrückgang traditioneller Parteien öffne den Grünen vor allem links, aber auch rechts der Mitte Möglichkeiten für Regierungskoalitionen.
Die Schweizer Grünen bezeichnet der Autor als starkes Mitglied der grünen Parteifamilie. Gemessen an den Wahlergebnissen gehöre sie zu den erfolgreichsten in Europa. Die Schweizer Grünen sind europaweit am längsten in einem Parlament vertreten. Namentlich 2019 katapultierten sie sich mit ihren 13.4 Prozent Wählenden-anteil bei den Nationalratswahlen in die Spitzengruppe innerhalb der Parteifamilie. Allerdings sei es ihnen bisher nicht gelungen, auf der nationalen Ebene Teil der Regierung zu werden. Das habe weniger mit der Arbeit der Grünen zu tun, denn mit den Regierungssystem der Schweiz Denn die Hürde des Regierungseintritts sei in einer Konsensdemokratie viel höher als in einer der Konkurrenzdemokratien.

Linke Programmatik
Dolezal bilanziert sowohl für die Programmatik als auch für die Wählenden insgesamt grosse Aehnlichkeiten zwischen den Grünen in der Schweiz und seinen Vergleichsparteien. Das inhaltliche Profil der europäischen Grünen sei zwischenzeitlich weitgehend konsolidiert und sehr homogen. Die Schweizer Grünen seien allerdings ganz am linken Flügel der europäischen Grünen angesiedelt. Das sei weniger eine Folge der Positionen in kulturellen Streitfragen. Es werde klar durch die linke sozioökonomische Programmatik der Schweizer Grünen bestimmt. In der Schweiz ist das bisher kaum ein Thema geworden, da es durch die Einstellungen der grünen Wähler:innen in der Schweiz weitgehend gestützt werde. Nicht explizit angesprochen wird dabei die Abspaltung der GLP, die der Autor nicht als genuin grüne Partei ausklammert.

Wählerschaft mit typischen Akzenten bei Bildung und Frauen
Das sozio-strukturelles Profil der Schweizer Grünen etwa beim Bildungsniveau oder dem Geschlecht gleiche dem der übrigen grünen Parteien. Allerdings sei die Unterstützung in der Gruppe der jüngsten Wähler:innen in der Schweiz einiges weniger ausgeprägt. Tiefe Wahlbeteiligungen und Konkurrenz durch andere (Jung)Parteien dürften hier entscheidend sein.

Erneuter Rückgang bei den jüngsten Wähler:innen?
Immerhin ist es den Schweizer Grüne bei den Wahlen 2019 gelungen, genau diese Schwäche auszugleichen und eine Spitzenergebnis bei Parlamentswahlen zu erzielen.Neueste Umfragewerte stellen das aber wieder in Frage. Gemäss dem SRG-Wahlbarometer ist der Rückgang der Grünen in der Gunst der Wählenden nirgends so gross wie bei den U30jährigen. Das könnte ein wesentlicher Grund werden, dass sich der jüngste Wahlerfolg nicht wiederholt, die Regierungsbeteiligung erneut ausbliebt und der Spitzenplatz unter den europäischen Grünen Parteien relativiert werden könnte.

Claude Longchamp