#Frischgebloggt: Ja-Ja-Ja? zu den eidg. Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023

Heute veröffentliche die Tamedia-Gruppe ihre erste von drei Umfragen zu den eidg. Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023. Demnach wären alle drei Vorlagen angenommen worden. Warum das? Und wie sicher sind die aktuellen Umfragewerte?


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Zur neuen OECD-Mindeststeuer hätten 77 Prozent Ja oder eher Ja gesagt. 18 Prozent wären gleich stark dagegen gewesen. Beim Klimaschutzgesetz hätten die Werte 58 zu 38 gelautet. Beim Covid-19-Gesetz wären sie auf 52 zu 42 gekommen.
Genau genommen wäre die Entscheidung zur Bewältigung der Pandemie offen gewesen. Denn nur 42 Prozent waren sicher im Ja, und 34 Prozent sicher im Nein.

Argumente
Die Auswertungen des durchführenden Instituts LeeWas lassen erkennen, welche Kampagnen-Sichtweisen bisher zogen:
. Beim Covid-19- Gesetz geht es in erster Linie um die Zukunftsfrage. Für Ja-Stimmende ist die Zustimmung eine Sicherheit, bei einer weiteren Pandemie-Welle vorbereitet zu sein. Aus Sicht der Nein-Stimmenden ist das gar nicht nötig, denn die Pandemie sei vorbei.
. Beim Klimagesetz gibt es zwei Kontroversen. Ja-Stimmende wollen einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten. Nein-Stimmende zweifeln, ob die Schweiz das alleine überhaupt bewerkstelligen könne. Sie haben auch Angst vor Versorgungslücken, namentlich beim Strom. Die Ja-Stimmenden sind da zuversichtlicher. Sie sehen die Sicherheit der Energieversorgung sogar steigen, wenn wir dank einheimischem Strom weniger abhängig vom Ausland werden.
. Personen mit einer Ja-Stimmabsicht bei der Mindeststeuer befürworten, dass internationale tätige Konzerne mehr Steuern bezahlen müssen. Ihre Widersacher befürchten, dass genau das zu einer Abwanderung von Unternehmen führen werde.

Die Konfliktlinien
Bei der Mindeststeuer sind heute alle Parteiwählerschaften mehrheitlich dafür. Auch die Wählenden der Grünen und der SP sind klar dafür, obwohl ihre Parteien Stimmfreigabe resp. eine Nein-Parole beschlossen haben.
Anders verlaufen die Konfliktlinien beim Klimaschutz resp. bei Covid-19-Gesetz. In beiden Fällen wird es von der SVP abgelehnt. Beim Klimaschutz ist bei der FDP ein Ja vorgespurt, aber noch nicht beschlossen. Zum Covid-19-Gesetz hat die FDP bereits ja gesagt.
Klar ablehnende Mehrheiten gibt es in beiden Fällen in der SVP-Wählerschaft. An der FDP-Basis sind die Mehrheiten etwas unsicher. Das macht deutlich, dass die Skepsis gegenüber den beiden Vorlagen nicht nur national-konservativ begründet ist, sondern auch liberal-konservativ oder rechtslibertär. Alle anderen Parteiwählerschaften befürworten beide Vorlagen.
Die gesellschaftlichen Konfliktlinien sind weniger ausgeprägt als die politischen. Beim Covid-19-Gesetz spielen Schulbildung und Alter eine Rolle. Mehr Zustimmung gibt es bei älteren Personen und bei oberen Bildungsabschlüssen. Beim Klimaschutz findet sich gleiches entlang der Schulbildung, nicht aber des Alters.

Vergleich mit Referenzabstimmungen
Die Entscheidungen zum Covid-19- aber auch zum Klimaschutzgesetz haben eine Vorgeschichte. Ueber Aenderungen am Covid-19-Gesetz haben wir 2021 schon zweimal abgestimmt. Beide Mal wurde die Revisionen mit 60+ Prozent angenommen.

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Die Leewas-Umfragen begannen in beiden Serien mit 66 resp. 63 Prozent Ja höher als jetzt, und sie zeigten eine (leicht) steigende Zustimmung über die Zeit. In beiden Fällen wies die letzte Befragung aber deutlich zu viele Ja-Stimmen aus, und zwar im Bereich von 7-8 Prozentpunkte beim Ja-Anteil. Auch das lässt den Ausgang der aktuellen Entscheidung als unsicher erscheinen.
Anders sind die Verhältnisse beim Klimaschutzgesetz. Der Startwert liegt aktuell im Ja 4 Prozentpunkte höher als der zum CO2-Gesetz. Der Endstand in den Umfragen war aber wiederum zu hoch. Er betrug beim Ja-Anteil +5 Prozentpunkte.

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Die Nachanalyse ergab damals, dass die Vorlagenkombination und die damit verbundene äussere Mobilisierung massgeblich für den finalen Absturz des CO2Gesetzes war. Das dürfte diesmal nicht der Fall sein, da die Klimaschutzvorlage die Beteiligung wohl am stärksten beeinflussen dürfte.
Die Aussichten des Klimaschutzgesetzes in der Volksabstimmung abgenommen zu werden, sind jedenfalls gegeben.

Zwischenbilanz
Die Ergebnisse der ersten Tamedia-Umfrage bestätigen einiges, was ich hier schon mit anderen Tools analysiert und festgehalten habe. Die grösste Differenz besteht beim Covid-19-Gesetz, das bisher als gesichert im Ja erschien. Das Verschwinden der Pandemie aus den Alltagsproblemen der BürgerInnen dürfte der Hauptgrund für die Neubewertung sein. Graduell ist der Unterschied beim Klimaschutzgesetz. Die meisten Tools sehen da ein Ja voraus, nur die Inhaltsanalyse des Bundesbüchleins spricht für einen sehr knappen Ausgang.

Claude Longchamp