Parteien ein Jahr vor der Wahl: heute FDP – die zielstrebige Regierungspartei

Gemäss den beiden jüngsten nationalen Umfragen zu den Parteistärken in der Schweiz kann die FDP leicht zulegen. Sie kommt auf 16 Prozent oder 1 Prozent mehr als bei den Nationalratswahlen 2019. Damit ist sie auf Bundesebene die einzige Regierungspartei, die sich umfragebezogen von der jüngsten Wahlniederlage erholt hat. Eine breite Auslegeordnung sieht Plus und Minus.

Kurzfassung mit Video auf Nau:

Zweiter Platz beim Stimmenanteil als Ziel
Die FDP ist ambitioniert und steckt sich selber hohe Ziele. Sie will beim Stimmenanteil die SP überholen und die zweitstärkste nationale Partei werden.
Die Entwicklung der Partei hängt seit längerem von den Trends in zwei beweglichen Segmenten der Wählenden ab: zuerst von jenen, für die auch die Wahl der SVP in Frage kommt, dann von diese, sich auch GLP wählen könnten. Beide volatile Märkte gleichzeitig zu bedienen misslingt in aller Regel, denn sie ist eine Zerreissprobe.

Das Verhältnis zur SVP
Das Präsidium unter Thierry Burkhart setzt die Priorität anders als unter Petra Gössi. Es hat die Energieversorgung technologieneutral ausgerichtet, sprich, auch langfristig mit Strom aus Kernkraftwerken. Das war ein Signal an schwankende Wählende, die man nicht der SVP überlassen will.
Strategisch mit der SVP zu gehen, bedeutet ganz generell rechtsbürgerliche Prioritäten zu setzen. Das ist namentlich in der Finanz- und Steuerpolitik möglich. Gemeinsamkeiten gibt es potenziell auch in der Medienpolitik. Divergenzen zeigen sich aber in der Europa- und Gesellschaftspolitik, wo die FDP gemässigter politisiert.
Präsident Burkhart setzt zudem auf eigene Themen bei der Liberalisierung und Digitalisierung und will die gestartete Rentenreform bei AHV und BVG vorantreiben.

Fortschritte bei Jungen, kaum aber bei Frauen
Teil dieser Erneuerung ist es, die nächste Generation einzusetzen. Gemäss Wahlbarometer hat hält man bei den U30 ein Anteil von 16 Prozent – weniger als die SVP, aber gleich viel wie SP oder Grüne. 2019 war die FDP da nur an fünfte Stelle, selbst hinter der GLP.
Weniger vorteilhaft schneidet die FDP bei Frauen ab, wo sie auf 14 Prozent kommt. Das ist zwar gleich viel wie bei den Grünen, aber deutlich weniger als bei SVP und SP – und wohl das grösste Hindernis auf dem Weg zum zweiten Platz.

Optimismus teils berechtigt …
Optimistisch blickt die FDP auf die nationalen Wahlen, weil sie ihre negativ kantonale Bilanz jüngst aufbessern konnte. Von einer liberalen Welle, wie oft berichtet, zeugt das noch nicht.
Nationale Ausstrahlung geht in erster Linie von Bundesrätin Karin Keller-Sutter aus. Und bei den Ständeratswahlen startet die Partei mit neuen Kräften in Kantonen wie St. Gallen, Solothurn und Schwyz und Waadt in die Offensive.
Schub verliehen haben auch die Renteninitiative und die zur Individualbesteuerung, die weitgehend aus den eigenen Reihen zustande kamen.

… Pessimismus teils auch
Es gibt auch Gegenteiliges: Bei den Volksabstimmungen hat die FDP die Spitzenposition während der letzten Legislaturperiode an Mitte und GLP abtreten. Rund um sie herum zeichnet sich ein politisches Zentrum ohne die FDP ab. Beim Filmgesetz befand sie sich anders als Mitte und GLP mit ihrem Nein in der Minderheit, bei der Pflege- und der Tabakinitiative war namentlich die GLP in der Mehrheit.
Der neue mainstream könnte mehr im Zentrum sein als in der rechtsliberalen Erneuerung.

Entschärfte Bundesratswahl 2023
Selbst mit einem passablen Ergebnis dürfte die FDP ihre beiden Sitze im Bundesrat halten können. Denn ohne Rücktritte wird es auch bei der Gesamterneuerungswahl 2023 schwierig bleiben, bisherige Regierungsmitglieder zu verdrängen. Und das hat Ignazio Cassis selber in der Hand.
Egal ob die FDP 2. Partei wird, oder 3. bleibt!

Claude Longchamp