Der mainsteam ist bei der GLP angekommen

Parolen werden von den Parteien einzeln in erster Linie gefällt, um die Organe und Mitglieder zu sammeln. Diese sollten wissen, wo die Partei steht, und sich entsprechend dieser Position anschliessen. Das System aller Parteiparolen kann jedoch auch dazu verwendet werden, um die Struktur der politischen Landschaft zu beschreiben. Das zeigt, wer wie das Parlament tickt und wer links und rechts davon wie stark abweicht.

Zwischenbilanz nach 7 Volksabstimmungen
2020 liegen nun zwei Abstimmungswochenende hinter uns; wir haben bereits über 7 Vorlagen entschieden. Zwei Initiativen, die beide scheiterten, und fünf Behördenvorlagen, von den drei angenommen und zwei abgelehnt wurden. Dass bereits zweimal ein Gesetzesreferendum gegen die Behördenposition erfolgreich war, stellt hierbei eher eine Ausnahme dar.
Es gibt zwei offensichtliche Hintergründe für diese Entwicklung: Die Corona-Krise hat den gewohnten Gang der direkten Demokratie ausser Tritt gebracht. Zudem entscheidet man zu Beginn einer Legislaturperiode oft über Vorlagen, die noch das alte Parlament erarbeitet hatte. Das ist umso erheblicher, als die Parlamentswahlen 2019 namentlich im Nationalrat eine grüne Welle von historischem Ausmass gebracht hatten.
Die erste Botschaft lautet: Die Grünliberalen sind der beste Prädiktor für das, was die Stimmenden mehrheitlich akzeptieren. In allen sieben Abstimmungen beschlossen sie die Parole, die mit den Mehrheiten vor dem Volk übereinstimmte. Allerdings, das nicht nur wegen ihnen, vielmehr wegen der Allianz, in die sie sich einfügen. An zweiter Stelle steht die EVP. Die Partei ist frischer geworden, gewinnt bei kantonalen Wahlen und fasst mutige Parolen. Häufiger als gewohnt befindet sich auch sie an Abstimmungssonntagen in der Mehrheit.
Beides ist neu, denn in der letzten Legislaturperiode lag die FDP in diesen Belangen vor der CVP und der BDP; die FDP erzielte dabei eine Übereinstimmung mit dem Volk von 94%. Neu ist auch, dass die SVP die geringste Überstimmung aufweist, gefolgt von der FDP. Die Positionen hatten bisher die Grünen und die SP inne.
Allerdings gibt es aus der aufdatierten Zusammenstellung auch eine zweite interessante Botschaft. Meines Wissens haben die SP, die Grünen und die Grünliberale bei den Kinderabzügen erstmals eine Mehrheit in einer Referendumsabstimmung gegen alle anderen Parteien erhalten. Vergleichbar ist das nur mit der Positionierung von SP, Grünen und EVP bei der Unternehmenssteuerreform 2017. Damals war die glp noch erfolglose dafür . Die EVP wiederum empfahl eben erfolglos ein Nein zu den Kinderabzügen.
Fasst man das zusammen, besteht Grund zur Annahme, dass die Stimmenden 2020 politisch nach links gerutscht sind. Der Mainstream ist heute nicht mehr bei der FDP, wo er zwischen den Wahlen 2015 und 2019 bei Volksabstimmungen zu finden war. Er wird neu durch die glp repräsentiert.

Grünliberal gewordene Schweiz
Man kann auch von einer grünliberal gewordenen Schweiz sprechen. Ganz überraschend ist das nicht, denn bei den Parlamentswahlen 2019 war die glp die zweite Siegerin. Mehr noch als die damals erstplatzierte Partei, die Grünen, ist sie bemüht, in polarisierten Situationen zwischen den Blöcken zu vermitteln. Das macht sie bei Volksabstimmungen zumindest bisher mit grossem Erfolg!
Das Ganze wäre aber nicht möglich, wenn sich nicht auch die Beteiligungsstruktur im Wahljahr 2019 und danach geändert hätte. Die SVP befindet sich unverändert in einer Depression. Die FDP ringt mit ihrem Kurs und beschäftigt sich vermehrt mit sich selber. Grün und Rot spüren namentlich im städtischen Umfeld Aufwind, sind in die Offensive gegangen und setzen auf ihre Mobilisierungskräfte.
Trendsetter ist gegenwärtig die glp. Sie ist die progressive Kraft, die versucht, die Schweiz aus ihrer Blockierung zu reissen. Sie ist gesellschaftspolitisch liberal und ökologisch sensibilisiert. Dabei will sie nicht polarisieren, sondern erneuern. Alleine schafft sie das nicht, dafür braucht die 8%-Partei wie eigentlich alle anderen Partner. Das macht sie rechts wie links attraktiv.
Für den 29. November 2020 haben sich die glp-NationalrätInnen mehrheitlich für die Konzernverantwortungsinitiative ausgesprochen, nehmen aber eindeutig gegen die Volksinitiative zur Verhinderung von Kriegsgeschäften Stellung. Damit schliesst sie sich einmal links an, ein anderes Mal rechts.

Man kann gespannt sein!

PS: Der Gedankengang, den ich hier vor 10 Tagen entwickelt habe, ist massenmedial mehrfach aufgenommen worden. Das freut mich! In einem Punkt bin ich aber anderer Meinung: Nie habe ich bei der Partei, welche die höchste Parolenkongruenz mit Volksentscheidungen aufweist, von der “Volkspartei” gesprochen. Das ist ein Helvetismus. Politikwissenschaftlich sind Volksparteien solche Parteien, die sich gesellschaftlich für Mitglieder in alle Richtungen öffnen, um Wahlen mit möglichst hohem Wähleranteil zu gewinnen. Das ist bei der GLP nicht der Fall.