Frühe Umfragen zu Volksinitiativen sind keine Prognosen, helfen aber, zu solchen zu gelangen.

57 Prozent Zustimmungsbereitschaft zur Konzernverantwortungs-Initiative, 52 Prozent zur Kriegsgeschäfte-Initiative. Das sind die Hauptbotschaften der heute veröffentlichten ersten von drei Tamedia-Umfragen.

Wichtige Kennzahlen
Was heissen die ersten Umfragewerte für den Abstimmungsausgang?
Ich schlage vor, nur auf vier Zahlen zu achten: Die eben zitierten Zustimmungsbereitschaften insgesamt, die bestimmten Absichten, Ja zu sagen sowie die parteipolitischen Konflikte – und da die Zustimmungsbereitschaften der Mitte-Parteien, sprich von CVP resp. GLP. Die nachstehende Tabelle gibt die nötige Uebersicht.

Tabelle 1: Wichtige Kennzahlen aus der aktuellen Tamedia-Umfrage

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Beide Vorlagen starten mit einer positiven Zustimmungsmehrheit, aber die festen Absichten, Ja zustimmen, sind nur minderheitlich. Das ist der erste wichtige Sachverhalt, der heute kommuniziert wurde. Bei beiden Vorlagen will die GLP-Wählerschaft momentan zustimmen, die der CVP indessen nicht. Bei der Kriegsgeschäftevorlage ist sie mehrheitlich im Nein, bei der Konzernverantwortung genau halb-halb gespalten. Das ist der zweiten entscheidende Sachverhalt von heute.

Momentaufnahmen und Prognosen
Nun sind das bekanntlich nicht die Endergebnisse. Es sind die Verhältnisse zu einem frühen Zeitpunkt der Meinungsbildung. Frühe Umfragen zu Volksinitiativen sind keine Prognosen, aber sie helfen, zu solchen zu gelangen.
Ganz genau weiss niemand, wie es weiter geht. Denn das hängt von den Kampagnen und unerwarteten Ereignissen ab. Allerdings gibt es Erfahrungsregeln: Bei linken Volksinitiativen geht man in Umfragereihen am besten von einer Zunahme der Ablehnung aus resp. Abnahme der Zustimmung aus. Unbekannt ist nur das Ausmass dieser Veränderungen.
Das spricht bei der Kriegsmaterial-Vorlage für eine finale Ablehnung, während bei der Konzernverantwortungsvorlage ein knapper Ausgang beidseits der 50 Prozent-Grenze möglich erscheint.

Tabelle 2: Schlussabstimmungen, Prognosetools und Umfragewerte

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Geeigneter als solche Schätzungen sind eigentliche Prognosetools, wie sie im obenstehenden Cockpit zusammengefasst wurden. Sie interessieren sich nicht für Momentaufnahmen, sondern nur für das mögliche Abstimmungsresultat.
Relevante Vorhersagen lassen sich einmal aus Schlussabstimmungen in beiden Räten, sodann aus dem Inhalt der Vorlage resp. des Bundesbüchleins entwickeln. Diese liegen vor, bevor es die ersten veröffentlichten Umfragen gibt. Die Extrapolation aus den Schlussabstimmungen habe ich selber gemacht, die Inhaltsanalyse basiert auf künstlicher Intelligenz, entwickelt von www.stellus1.ch. Stellus1 macht reine Prognosen mit Wahrscheinlichkeiten. Die Extrapolationen setzen Normalkampagnen voraus, weder besonders schwache noch besonders starke.
Nun legen die verfügbaren Prognoseinstrumente ein Nein zu beiden Vorlagen nahe! Bei der Kriegsgeschäfte-Initiative ist diese Vorhersage sehr wahrscheinlich, bei der Konzernverantwortungs-Initiative jedoch wiederum nicht gesichert. Die Wahrscheinlichkeit der Ablehnung aufgrund des Gesamttextes im Bundesbüchlein liegt hier nur knapp über 50 Prozent. Die Werte aufgrund der Schlussabstimmungen ihrerseits sprechen für ein Abstimmungsresultat von bis 48 Prozent Ja. Sie sind also noch recht nahe bei der 50 Prozent-Marke für das Volksmehr.
Mit anderen Worten: Die Thematik und die politische Konstellation verweisen bei der Kriegsgeschäfte-Initiative auf ein Nein. Die Umfrage liegt ganz knapp im Ja, aber mit einem erwarteten Rückgang der Zustimmung während des Abstimmungskampfes. Offen ist dagegen der Ausgang der Konzernverantwortungs-Initiative.

Was bei Links-/rechts-Polarisierung entscheidet
Bei Vorlagen, die im Links/Rechts-Spektrum polarisieren, gibt die Position der Mitte-Wählerschaft weitere Hinweise zur Meinungsbildung der kommenden Wochen abzuschätzen. Da sind die Werte für die CVP resp. GLP relevant. (Die EVP und BDP sind zu klein, um sie in Umfragen separat auszuweisen). Denn sie lassen erahnen, wo die Grenzen der Ja- resp. Nein-Mehrheiten durchgehen. Demnach ist mit einem Ja der GLP-Basis vor allem zur KVI zu rechnen, während das Nein bei der CVP wahrscheinlicher ist. Sicher ist es letzteres aber nicht, denn bei der CVP ist die Lage an der Spitze noch nicht ganz geklärt. Die Mutterpartei ist hier dagegen, doch die Jungpartei hat aber die Ja-Parole beschlossen. Bei der Mutterpartei gibt es zudem abweichende Kantonalparteien wie die in Genf oder Bern.
Zwei Entwicklungen sind hier denkbar: Die wahrscheinlichere besteht darin, dass sich die Mutterpartei mit ihrer Position durchsetzt und es einen Meinungstrend zum Nein gibt. Das hätte Folgen für Zustimmung insgesamt. Möglich ist aber auch, dass es beim Patt oder annährend bei einer solchen Konstellation bleibt. Letztlich entscheidet das die Kommunikation an der Basis der Partei.

Fazit
Beide Volksinitiativen, über die am 29. November 2020 entschieden wird, polarisieren im Links/rechts-Spektrum.
Bei der Kriegsgeschäfte-Vorlagen kann man von einem Nein bei einer Mehrheit der politischen Mitte ausgehen. Das spricht auch für eine Ablehnung insgesamt in der Volksabstimmung.
Bei der Konzernverantwortungs-Initiative ist die Lage offener. Für ein Ja spricht der satte Sockel an bestimmten Zustimmungsabsichten, aber auch die klare Positionierung der GLP-Wählerschaft auf der befürwortenden Seite.
Ob das bis am Schluss bei der Konzernverantwortungsinitiative für eine Ja-Mehrheit reicht, kann man in Frage stellen. Die SP/GPS/GLP-Allianz ist heute zwar referendumsfähig im Sinne, dass sie Referendumsabstimmungen gewinnen kann, aber nicht zwingend initiativfähig. Diese Hürde ist höher. Allerdings ist die Unsicherheit diesmal grösser, weil die BDP, EVP und EDU auf der Ja-Seite mitziehen, und man ein ungewöhnlich starkes zivilgesellschaftliches Engagement beobachten kann. Genaueres wird man wissen, wenn die ersten Trends vorliegen.