Sicher, der Aufstieg der Piratenpartei in Berlin gehört zu den Besonderheiten der Wahl von gestern. Fast 9 Prozent aus dem Stand sind viel. Die entscheidende Frage dazu ist: Zeichnet sich ein neuer Trend über Berlin oder gar die deutschen Grenzen hinaus ab?
2006 gegründet, profitierte die deutsche Piratenpartei anfänglich von Debatten im Internet, welche den freien und sicheren Zugang zu e-Infomationen betrafen. 2008 beteiligte man sich an den Bundestagswahlen, blieb aber unter 2 Prozent Wählendenanteil stehen. Schon damals zeigte sich, was Kollege Gero Neugebauer aus Berlin heute mehrfach sagte: Die Piraten sind ein Grossstadtphänomen. Denn auch 2008 erreichten sind verschiedenen Berliner Stadtbezirken einen Anteil von rund 10 Prozent.
Ausgehend von den Berliner Piraten hat die Partei ihr ursprüngliches Profil verändert. Sie hat verschiedene gesellschaftspolitischen Forderungen in ihr Parteiprogramm übernommen. So das Grundeinkommen für alle, so auch die Gratisfahrten im öffentlichen Nahverkehr. Das hat sie bei linken WählerInnen empfohlen.
Die heute präsentierte Wählerwandungsanalyse bestätigt das. Zur Berliner Piratenpartei gibt es vier Zugänge: Man war bisherige(r) NichtwählerInnen, man stimmte das letzte Mal für die SPD, die Linke oder die Grünen. Andere Wanderungsgewinne sind in Berlin deutlich geringer.
Jörg Schönenborn, der Wahlkommentator von ARD, analysierte die gestrige Wahltagsbefragung auf seinem Blog so, dass die Wahl der Piratenpartei in erster Linie altersabhängig ist. Bei den unter 35jährigen machten sie jede 6. Stimme. Je älter die Wählenden sind, desto kleiner wurde der Anteil Piraten unter ihnen. Uebervertreten sind die Piraten auch bei selbständig Erwerbenden und bei Männern. Selbstredend ist eine hohe Internetaffinität die wichtigste Voraussetzung der Wahl.
Die eigentliche Kernwählerschaft der jungen Partei dürfte sehr klein sein. Denn noch im Juli war sie im Berliner Politbarometer kaum erkennbar, stieg dann aber von Woche zu Woche auf knapp 7 Prozent an, um schliesslich bei 8,9 Prozent zu enden.
Und in der Schweiz? Ja, es gibt sie auch, die Piratenpartei. Sie entstand 2009 in der Stadt Zürich. In Winterthur eroberte sie ihren ersten Sitz in einem Stadtparlament. In Bern, wo sie bei den letzten Grossratswahlen antrat, haperte es indessen. Die neue Partei blieb bei 0.7 Prozent der Stimmen stehen.
Programmatisch entspricht man in der Schweiz eher noch der Ursprungsidee der Piraten, die ihren Anfang in Schweden hatten: Unzensurierter Zugang zu Daten, Informationen und Wissen steht in der Schweiz im Zentrum der Forderungen. Förderung der Bürger- und Menschenrechte ergänzt das ganze zaghaft.
Zu den Problemen der Partei zählt, dass sie nur gering ausgeprägte Parteistrukturen hat. Das unterscheidet sie zwar nicht von neuen Parteien. Es erschwert jedoch eine verbindliche programmatische Diskussion und den gezielten Aufbau des politischen Personals.
In der Schweiz kommt hinzu, dass sich mit den Grünliberalen in den letzten 5 Jahren eine neue Partei in zahlreichen Kantonen am etablieren ist, die ebenfalls von der parteipolitisch wenig gebundenen urbanen Wählerschaft lebt. Für Neuwählende ist sie genau so interessant wie für enttäuschte WählerInnen von SP bis FDP. Das macht jeder weiteren Partei, die von vergleichbaren Potenzialen leben könnte, das Leben schwer.
So wäre es meines Erachtens eine Ueberraschung, wenn die Piraten auch im Bundeshaus entern würden, wie man heute auf dem neu eröffneten “Treffpunkt Bundesplatz” spekuliert hat.
Claude Longchamp
Dass das Protestpotential gegen schwarz-gelb-rot-rot-grün so hoch sein würde, hätte ich auch nicht gedacht. Und: Lieber die Piraten als irgendwelchen nationalistisch, braunen oder braun angehauchten Sumpf. Von daher hoffe ich, dass die Piraten ihre Energie in Realpolitik legen und nicht den Verlockungen der Macht und des Geldes erliegen.
Ein gut gemeinter Ratschlag eines Schweizer Piraten: Grosse Umlaute (ÜÖÄ) schreiben Sie, indem Sie die Caps Lock Taste drücken und dann ein üöä schreiben.
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Es wäre ja zu hoffen, dass das Bewusstsein um die Vorratsdatenspeicherung, das in Deutschland sehr ausgeprägt ist, zum Wahlresultat geführt hat. Die Piraten machen sich Gedanken um die Zukunft der informationellen Selbstbestimmung, was mit der flächendeckenden Aufzeichnung des Verhaltens der Bevölkerung nicht einher gehen kann. Wie aber berichtet wird, handelt es sich dann doch grossteils um Proteststimmen (http://www.freitag.de/politik/1137-nicht-nur-digital-ist-besser).
Dass die Grünliberalen in der Schweiz ebenso im Teich der jungen Urbanen fischen, den Punkt gebe ich. Aber inhaltlich unterscheiden sich die Parteien doch sehr. Vom Schiff aus würde ich verkürzt die Programmatik der GL wie folgt beschreiben: “Lassen wir den Markt entscheiden, aber berücksichtigen wir externen Kosten”. Die Piraten scheinen mir da ein paar Gedanken mehr über Freiheit, Wissen, Information und Bildung zu machen. Zwar fischen die beiden Parteien im selben Teich, aber sie ziehen sich verschiedene Wähler raus. Aber gut möglich, dass den Piraten der Erfolg vewehrt bleibt, was ich dann darauf zurückführen würde, dass ihr Programm zu wenig bekannt ist und weil vom Namen der Partei auf eine Juxpartei geschlossen wird. Ich bin gespannt auf das Abschneiden der Piraten bei den Herbstwahlen!
In der Schweiz haben die Piraten nur in den Kantonen Zürich und Bern einigermassen realistische Chancen auf einen Sitzgewinn.
In Zürich gehen sie eine Listenverbindung mit AL, PdA und Konfessionslosen ein. Für einen Sitz benötigen die 4 Listen zusammen rund 2,8%. Das ist erreichbar, allerdings würde es für die Piraten schwer innerhalb der Listenverbindung den Sitz zu holen, da AL und PdA eine Unterlistenverbindung eingegangen sind und die AL bei den kantonalen Wahlen mit 1,6% klar vor den Piraten 0,6% lag.
In Bern müssten die Listenverbindung aus Piraten, Les Rauraques und Jimy Hofer plus 3,5% erreichen. Das wird eher schwierig. Sollte es aber reichen, hätten die Piraten durchaus gute Chancen die stärkste Liste innerhalb der Verbindung zu sein.
Bereits in den nächstgrössten Kantonen würden die Piraten rund 5% (Waadt), resp. 6% (Aargau) erreichen, um einen Sitz zu holen. Das wird sehr schwer, zumal hier die Piraten jeweils ohne Listenverbindung antreten.