Drei Szenarien bis zur Bundesratswahl vom 16. September 2009

Die Nachwahl für den zurückgetretenen Bundesrat Pascal Couchepin geht diese Woche in die entscheidende Runde. Es gibt drei generelle Szenarien, für das was kommt: je eines mit einem Wahlsieg von FDP resp. CVP und eines, bei dem es zu Grundsatzdebatten über eine Regierungsreform kommt.

anychart

Die Ausgangslage
Am Montag läuft bei der FDP die Anmeldefrist für weitere Kandidaturen aus; am Dienstag erwartet man die Entscheidung des Favoriten bei der CVP. Demnach zeichnet sich ab, dass bei der FDP Didier Burkhalter, Pascal Broulis und Christian Lüscher kandidieren wollen, und Martine Brunschwig-Graf, die ehemalige liberale Genfer Staatsrätin, ebenfalls nominiert werden möchte. Bei der CVP erwartet man allgemein eine Kandidatur von Urs Schwaller, die zwischenzeitlich von Dominique de Bumann herausgefordert wird.

Nicht auszuschliessen ist, dass auch die Parteipräsidenten Fulvio Pelli und Christoph Darbelley auf den Schild ihrer Parteien gehoben werden, selbst wenn beide nicht direkt dafür werben. Insbesondere bei Pelli weiss man, das er nicht Ja, aber auch nicht Nein gesagt hat.

Offen ist, ob weitere Parteien Nominationen vornehmen. In Frage kommen die Grünen und die SVP, ohne dass es hier eigentliche Favoriten auf der Personenebene gibt.

Die bisherigen Trends

Die Aussichten der FDP, den zweiten Bundesratssitz halten zu können, standen unmittelbar nach dem Rücktritt von Couchepin schlecht. RotGrün und das Zentrum verfügen in der gegenwärtigen Bundesversammlung über eine numerische Mehrheit; zusammen können sie bestimmen, wie der Bundesrat zusammengesetzt sein soll.

Eine einheitliche Strategie zeichnet sich aber nicht ab: Die Grünen favorisieren einen eigenen Sitz spätestens nach einem Wahlsieg 2011. Die SP wiederum denkt schon an die nächste Bundesratswahl, bei der sie selber gefordert sein wird, wenn sie rechts zu stark provoziert. Und schliesslich gibt es selbst bei der CVP Stimmen, die sich kritisch zum Zeitpunkt des Griffs nach dem zweiten Bundesratssitz äusseren.

Der Eindruck einer gelähmten FDP entstand vor allem, weil sich der vielfach als Favorit gehandelte Neuenburger Ständerat Burkhalter genauso wie seine Heerausforderer anfänglich zurückhielten. Diese Taktik verhinderte jedoch einen direkten Angriff auf ihre Person während des medialen Sommerlochs. Vielmehr wurde Urs Schwaller von einem solchen getroffen, weil dem Deutschfreiburger die Legitimation abgesprochen wurde, einen welschen Bundesratssitz zu beanspruchen.

Mit der Nomination von KandidatInnen aus den FDP-Reihen änderte sich das passive Verhalten der Partei; ja, man bekam den Eindruck, FDP-Präsident Fulvio Pelli finde in der nationalen Politik eine medale Rolle, die er schon lange gesucht habe.

Geklärtes und Ungeklärtes
Die FDP insistiert seit Beginn der Nachfolge-Debatte auf zwei Argumenten, die für einen freisinnig-liberalen Ersatz von Pascal Couchepin sprechen: Die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates solle nicht ohne vorgängige Parlamentswahl erfolgen, und massgeblich für die Verteilung von Sitzen im Bundesrat sei der eigenen WählerInnen-Anteil bei den Nationalratswahlen.

Die CVP, welche so den Ständerat ausgeschaltet sieht, versucht die Fraktionsstärke zum entscheidenden Kriterium zu erheben, weil nur diese die politische Stärke unter der ganzen Bundeskuppel repräsentiere. Diese sei nach verschiedenen Aenderungen in den Fraktionsstärken nicht mehr wie 2007.

Vor der heissen Phase halten sich SVP und Grüne bedeckt. Klar ist eigentlich nur, dass beide Parteien auf einen Wahlsieg 2011 setzen, um sich dann (verstärkt) in den Bundesrat einzubringen. Unklar ist dabei, ob Partei- oder Fraktionsstärke massgeblich sein soll. Schliesslich bleibt offen, ob Schwaller als Deutschprachiger bei dieser Wahl ausscheiden muss, oder als Vertreter eines mehrheitlich französischsprachigen Kantons im Bundeshaus durchgeht.

3 Szenarien
In einem ersten Szenario setzt sich am Wahltag die FDP durch. Es gelingt ihr, einen Kandidaten mit gemischter Unterstützung zu nomieren. Die Sprachenfrage wird eindeutig zugunsten der Minderheiten entschieden, und die Parteienstärke als Argument für die Bundesratsbesetzung dient den linken Parteien, ihre Ansprüche warm zu halten. Der SVP ist das egal, denn sie setzt darauf, nach den nächsten Parlamentswahlen die BDP aus dem Bundesrat zu drängen und als stärkste Partei zu allererst zwei Sitze in des Bundesregierung beanspruchen zu können. Die CVP wiederum macht auf Schadensbegrenzung und bietet Evelyne Widmer-Schlumpf an, die zweite Bundesrätin einer erweiterten Zentrumsfraktion zu werden.

In einem zweiten Szenario kommt es am 16. September zur Wahl eines CVP-Bewerbers. Die mitte-links Allianz spielt im entscheidenden Moment, nämlich im letzten Wahlgang. Die Zusammensetzung des Parlaments als Wahlbehörde wird zur allgemeinen Richtschnur erhoben, wie inskünftig Bundesräte bestimmt werden. FDP und SVP sehen sich als die Verliererinnen und akzeptieren das nicht. Die SVP verlangt die Volkwahl des Bundesrates per Volksinitiative und setzt auf die kommenden Parlamentswahlen in Kanton und Bund als Richtungsentscheide. Sie will ihre Macht soweit mehren, dass sie die neue Regierungszusammensetzung nach ihren Vorstellungen gestalten kann. Die FDP stürzt auf dem Tiefststand ihre Regierungsvertretung in eine lähmende Richtungsdebatte, und in der Romandie beklagt man die Dominanz der deutschschweizerischen Mehrheit.

Das dritte Szenario geht davon aus, dass die ursprünglichen Favoriten von FDP und CVP nicht unbeschadet durch Ankündigung und Nomination gehen und der Streit um die Zusammensetzung des Bundesrates eskaliert. Grüne und SVP wittern die Gunst der Stunde und treten mit eigenen Kandidaturen an. Die Präsidenten von FDP und CVP greifen persönlich ins Wahlgeschehen ein und schliessen eigene Kandidaturen nicht aus.

Wer gewählt wird, ist in diesem Fall gar nicht so entscheidend. Denn es ist eine Wahl auf Zeit. Die Beschleunigung der Ereignisse macht klar, dass es mindestens 10 parteipolitisch motivierte Ansprüche auf einen der 7 Bundesratssitze gibt und dass keine verbindlichen Verteilkriterien für die Bestellung des Bundesrates mehr existieren. Das Ganze ist wird zur Lotterie. Entsprechend setzen Grundsatzdebatten zur Regierungsreform ein, die zwischen Ausrichtung an der Volkswahl resp. an der parlamentarischen Koalitionsbildung schwanken.

Claude Longchamp