Mehrheit für CO2-Gesetz, aber ein Veto-Player im Raum

Kurfassung und Video von Nau.ch hier

Am 13. Juni 2021 stimmt die Schweiz über das neue CO2-Gesetz ab. Es ist die Umsetzung des Pariser Abkommens zum Klimawandel von 2017. Das Parlament einigte sich auf eine liberal ausgestaltete Umsetzung. Trotzdem ist das Referendum von rechts mit Hilfe der SVP ergriffen worden, sodass es zur Volksentscheidung kommt.

Der Anlass
Hintergrund des CO2-Gesetzes ist der Klimawandel und das Pariser Ankommen von 2017, das zu seiner weltweiten Bekämpfung lanciert wurde. Demnach ist der Ausstoss von Treibhausgasen – insbesondere von CO2 – die Hauptursache für den Klimawandel, der Menschen und Umwelt schadet. Hitzetage, Trockenheit, Überschwemmungen und Erdrutsche sind nur einige der negativen Auswirkungen, von denen die Schweiz besonders stark betroffen ist.

Das Parlament
Bundesrat und Parlament haben eine nationale Strategie entwickelt, um die CO2-Emissionen zu senken und diese im CO2-Gesetz verankert. Es passierte beide Parlamentskammern, wenn auch erst im zweiten Anlauf. Im ersten blockierten SVP und FDP den Gesetzesentwurf des Bundesrats. Im zweiten votierte die FDP dafür, nachdem namentlich bürgerlichen Bedenken mehr Rechnung getragen wurde.
Die Mehrheit des Parlaments ist überzeugt, der Klimawandel und seine negativen Auswirkungen können mit dem Gesetz begrenzt werden können. Dafür sieht sie finanzielle Anreize und Rückvergütungen für diejenigen Privatpersonen und Unternehmen vor, die weniger CO2 verursachen ein. Zudem soll die Abgabe dazu verwendet werden, Investitionen in den Klimaschutz und in die technische Entwicklung zu tätigen. Der Bund will damit neue Arbeitsplätze und zusätzliche Aufträge für KMUs schaffen. Diese soll die Abhängigkeit von den ausländischen Erdölkonzernen.
Das alles spricht für eine grosse Einigkeit auf der Mehrheitsseite.
Eine parlamentarische Minderheit von rechts kündigte ihr Veto an. Sie lehnt die vorgeschlagenen Massnahmen als teuer und nutzlos ab; zudem hätten sie negative finanzielle Auswirkungen für den Mittelstand und die KMU. Schliesslich würden staatliche Vorgaben die Innovationskaft des Marktes hemmen.
Die zweite, ausserparlamentarische Opposition aus Kreisen der Klimastreikbewegung in der Westschweiz kritisierte, das Gesetz reiche nicht, um rechtzeitige eine Wende schaffen zu können. Es brauche einen Systemwandel. Unterstützung fand diese Position bei der linken “Solidarité”, nicht aber bei den Grünen.

Das Referendum
Beide Oppositionsgruppen haben Unterschriften gesammelt und gut 72’000 Signaturen beigebracht. Rund 90% kommen vom rechten Referendum.
Der Parolen-Spiegel sieht alle Parteien ausser der SVP auf der Ja-Seite. Im rechten Nein-Komitee sind nebst der SVP Verbände der Erdölindustrie, des Automobilgewerbes und des Strassenbaus. Zudem gibt es ein kleines liberaler Nein-Komitee, das von den Jungfreisinnigen und einigen libertären Oekonomen getragen wird.
Der Schweizerische Gewerbeverband hat nach anfänglicher Sympathie für die Unterschriftensammlung angesichts divergierender Interessen im Innern Stimmfreigabe beschlossen.

Der bisherige Abstimmungskampf
Das Umfeld der Abstimmung hat sich seit der Beschlussfassung geändert. Die Klima-Krise ist in der Öffentlichkeit von der Corona-Krise abgelöst worden. Das beeinflusst die Dringlichkeit von Massnahmen, nicht aber die Wichtigkeit. Alle Wahlergebnisse in Kantonen und Städten sprechen von einem Anhalten der grünen Welle seit 2019.
Verändert hat sich aber das Grundvertrauen in die Behörden. Namentlich die Corona-Politik der Regierung hat hier zu Brüchen geführt. Das erschwert die Kommunikation.
Im Abstimmungskampf geniesst die Vorlage die höchste Aufmerksamkeit sowohl medial als auch werberisch.
Angeführt wird die Ja-Kampagne von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Sichtbar unterstützt wird sie von zahlreichen Wissenschaftler*innen, allen voran ETH-Professor Reto Knutti, die direkt zu einem Ja aufrufen.
Die Argumente im Abstimmungskampf gleichen, etwas zugespitzt, der Kontroverse im Parlament. Befürworter*innen betonen die Notwendigkeit des Handelns und den liberalen Charakter des Gesetzes. Die Jungen Grünliberalen haben einen Rechner entwickelt, der allen Bürger*innen aufzeigt, wie hoch die finanziellen Belastungen sind.
Die Gegnerschaft setzt ganz auf ein Nein wegen den neuen Abgabe. Sie beziffert die finanziellen Folgen vieler höher als die Ja-Seite. Wechselseitig wird einander vorgeworfen, nur aus Eigennutz dafür oder dagegen zu sein, orchestriert von Lobbygruppen, die durch den Status Quo oder den Status Quo ante profitieren würden.
Bisher kann man von einer gut erkennbaren, rechtskonservativen Opposition sprechen. Davon grenzen sich die rechtsliberalen mit einer pragmatisch ökologischen Ausrichtung ab. Die Abstimmung kann als Testlauf für die Ausrichtung der FDP gesehen werden. Anfänglich war sie gegen das CO2-Gesetz, kannte sich dann aber zum Klimaschutz. Die Jungfreisinnigen haben Stimmfreigabe beschlossen, sind aber personell in einem liberalen Komitee vertreten.
Die linksgrüne Opposition ist bisher weitgehend still. Sie hat aber mit der Besetzung eines Fabrikgeländes in La Sarraz auf sich aufmerksam gemacht. Folgen für den Abstimmungskampf zeigte das aber kaum.


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Erste Prognosen
Als Vergleichsabstimmung zur CO2-Vorlage drängt sich die Entscheidung zur Energiewende 2017 auf. Die damalige Opposition war ähnlich aufgestellt. Nach einem aufwendigen Abstimmungskampf setzt sich das Ja durch, obwohl die Gegnerschaft etwas aufholen konnte. Der finale Ja-Anteil betrug 58 Prozent. Häufig war von einem entscheidenden Leuthard-Effekt auf die Zustimmung die Rede.
Seither ist die Abstimmungsbilanz durchzogener. Denn mehrere Kantone haben die Umsetzungsgesetzgebung abgelehnt, in der Regel wegen höheren Belastungen für die Haushalte. Das zeigt, dass Grundsatzentscheidungen und Umsetzungsvorlagen nicht identisch bewertet werden müssen.
Die Volksabstimmung über die Autobahnvignette lehrt zudem, dass das auch auf nationaler Ebene nicht ausgeschlossen werden kann. Bundesrätin Leuthard beging hier einen fatalen Kommunikationsfehler zu den Folgen für die Schwerverkehr, den die Nein-Seite erfolgreich ausnützte, um die Glaubwürdigkeit des Pro-Lagers in Zweifel zu ziehen.
Das kann man auch so umschreiben: Der soliden parlamentarischen Mehrheit steht ein Veto-Player gegenüber, der sich als Minderheit des Referendums zu bedienen weiss.
Vor kurzem ist die erste Abstimmungsumfrage erschienen. Sie sieht die Zustimmungsbereitschaft führend, aber nur bei 54 Prozent. Namentlich bei der FDP besteht in der Ausgangslage eine Nein-Tendenz.
Verteilen sich die Unentschiedenen auf beide Seiten (Hauptszenario), wird das CO2 Gesetz angenommen. Kommt es dagegen zum Zerfall des parlamentarischen Ja-Lagers, ist auch ein Nein möglich (Nebenszenario). Das ist angesichts der gegenwärtig regierungskritischen Stimmung nicht ganz auszuschliessen, aber nicht der Normalfall bei einer Referendumsabstimmung.
Alle anderen Indikatoren, die sich als Prognosemittel eigenen, sprechen für ein Ja.