10 Gründe, warum man in der Schweiz besser in der Regierung als in der Opposition ist (Bundesratswahlen 2008/3)

Unmittelbar nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat erklärte die SVP, in die Opposition zu gehen. Sie nahm den Bisherigen Samuel Schmid und die Neue Eveline Widmer-Schlumpf nicht (mehr) in die Bundeshausfraktion auf. Es folgte die Parteispaltung in die grosse Mehrheit der SVP und die kleine Minderheit der BDP. Jetzt will die SVP wieder zurück in die Regierung. Eigentlich nicht überraschend, denn es gibt in der Schweizer Politik 10 Gebote, warum man besser in der Regierung als in der Opposition ist.


Aller Kritik zum Trotz: Die 1959er Wahl in den Bundesrat, die Geburt der Zauberformel, ist bis heute stilbildend für das sinnvolle Verhalten der grösseren politischen Parteien in der Schweiz geblieben.

Erster Grund
Das politische System und seine Kultur sind auf Machtteilung und Integration der grösseren politischen Parteien ausgerichtet. Eine Oppositionsrolle für eine politische Partei existiert nicht. Selbst die Parteien, die nicht direkt im Bundesrat vertreten sind, verstehen sich in der Regel nicht als Oppositions-, sondern als Nicht-Regierungsparteien.

Zweiter Grund
Die Volksrechte sind ein Mittel der thematischen, nicht aber der systematischen Oppostion. Volksinitiativen sind geeignet, länger andauernde gesellschaftliche Probleme, die keiner politischen Lösung zugeführt werden, aufzugreifen und zu thematisieren. Ihre Behandlung erfolgt aber weder just in time, noch ist die Mehrheit wahrscheinlich.

Dritter Grund
Referenden sind zwar besser geeignet, schnell auf parlamentarische Entscheidungen reagieren zu können als Initiativen. Doch ist ihr taktischer Gebrauch für eine politische Partei nicht unproblematisch, weil sich der Konflikt nicht zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien focussieren lässt. Je nach Interessen verlaufen die Bruchlinien eher quer zu den Parteien und Fraktionen.

Vierter Grund
Oppositionsparteien finden zwar unverändert mediale Aufmerksamkeit. Sie können aber nicht mehr darauf zählen, in Themen, welche den Mediendiskurs bestimmen, automatisch als Trendsetter angesehen zu werden. Das verändert ihre Darstellung und Bewertung, die, ohne eigene Medien kritischer wird.

Fünfter Grund
Eigene Massenmedien als politische Partei zu haben, ist illusorisch geworden. Dazu ist keine Partei mehr in der Lage. Artikulationsmedien, die via schnell und kostengünstig via Internet funktionieren, sind zwar möglich, aber nicht besonders wirkungsvoll. Sie bestimmen den Mainstream in den Massenmedien nicht.

Sechster Grund
Die periodischen kantonalen und städtische Wahlen werden vor allem für Oppositionsparteien zu Herausforderungen. Denn es wird erwartet, dass sie diese lückenlos gewinnen. Gelingt ihnen das nicht, wendet sich die Erwartungshaltung schnell gegen sie, was die Partei und ihre Wählenden rasch verunsichert.

Siebster Grund
Da auch nationale Oppositionsparteien auf kantonaler und kommunaler Ebene in der Regierung sind und verbleiben, ist die Kommunikation einer klaren Alternative zum Regierungslager problematisch, denn faktisch gehört man auch als nationale Opposition in vielen, vor allem lokal und föderalistisch bestimmten Politiken zum Regierungslager.

Achter Grund
Die parlamentarischen Entscheidungen auf nationaler Ebene eröffnen zwar reichhaltige Möglichkeiten der thematischen Opposition. Diese ist jedoch ohne faktischen Fraktionszwang nicht ohne Weiteres durchsetzbar. Das Problem erhöht sich, je unvollständiger die Oppositionrolle definiert wird, etwa bei der Besetzung von Kommissionspräsidien.

Neunter Grund
Fraktionen, die keinen formellen und informellen Zugang zum Bundesrat haben, sind von relevanten Informationen der Willensbildung abgeschnitten. Die Chance, politische Entscheidungen relevant vorweg nehmen zu können, um sie im Sinne der Opposition zu beeinflussen sind bescheiden.

Zehnter Grund
Die politischen Ambitionen der Schweizer PolitikerInnen ist nicht auf die Realisierung bestimmter Politiken ausgerichtet. Sie ist auch durch den Wunsch, politisch relevant an der Macht beteiligt zu sein, bestimmt. Das erschwert die innere Kohärenz von Fraktionen in Oppositionsparteien.

Zwar konnte man diese 10 Geründe gegen die Opposition von Parteien im politischen System der Schweiz in den letzten 10 Monaten ausgesprochen gut beobachten. Allerdings sind sie alles andere als neu.

Die unübersehbaren Spaltungen in der Konkordanzkultur der Schweiz von heute, dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Struktur der politischen Entscheidfindung in der Schweiz ausgesprochen auf Integration angelegt ist, die es nur um den Preis der politischen Mässigung gibt.

So bleibt eigentlich nur ein Fazit: Der einzige wirkliche “Erfolg” der Oppositionspolitik von Parteien ist der Sturz von Regierungsmitgliedern, die den eigenen Interessen, selber wieder in der Regierung vertreten zu sein, entgegenstehen.

Claude Longchamp

“Grosse” resp. “kleine” Konkordanz-Ideen (Bundesratswahlen 2008/2)

Mit dem Rücktritt von Bundesrat Schmid ist – von links her – die Idee der kleinen Konkordanz erneut aufgebracht worden. Was hat es damit auf sich, wie ist der Vorschlag zu beurteilen, und was sind die Konsequenzen für die Nachfolge Schmids.

Der Vorschlag
Entstanden ist die Vorschlag der kleinen Konkordanz in der letzten Legislatur. Richtig lanciert wurde er Ende August 2007 mit dem Buch “Fahrplanwechsel“, das im Wesentlichen rot-grüne Stimmen aus Politik, Publizistik und Wissenschaft vereinte.

Die Ueberlegung dahinter besticht auf den ersten Blick: Die Regierungszusammensetzung wird im politischen Spektrum auf jene Kräfte verringert, die sich grundsätzlich zur Zusammenarbeit verpflichten. Aktuell sind das wohl die CVP, die FDP, die BDP und die SP.

In Sachfragen besteht zwar keine regelmässige Einigkeit, in den wesentlichen Dossiers wie etwa der EU-Frage ist man sich aber sehr nahe, sodass die Homogenität eine solchen Regierung auf Personen- und Parteienebene erhöht werden könnte. Ihre Handlungsfähigkeit könnte damit gestärkt werden, was der Verteidigung zentraler Werte, Rechte und Institutionen gegen die Opposition dienlich wäre.

Seine Schwächen
Der Nachteil dieser Variante ist offensichtlich: Ohne die SVP würden zwischen 25 bis 30 Prozent der rechten, nationalkonservativen WählerInnen von der Regierung ausgeschlossen sein. Käme inskünftig eine Variante mit SVP, aber ohne SP zustanden, wären mit den Grünen eher mehr Wählende auf der linke, rotgrünen Seite ausgeschlossen.

Angesichts dieser Schwäche des Konzept, die auf den zweiten Blick nicht zu verkennen ist, kann man sich fragen, ob eine solche Regierung überhaupt noch konkordant wäre, oder ob es nicht besser wäre gleich zum einem Koalitionsmodell überzugehen.

Zu diesem scheint die Schweizer Politik aber nicht reif zu sein. Die republikanischen Mehrheit, von der die Fahrplanwechsler im Jahre 2007 träumten, hat sich nicht entwickelt. Ihr sichtbarstes Ergebnis ist die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat geblieben. Was als Negativ-Allianz in Personenfragen funktionierte, ist nicht zur Positiv-Allianz in Sachfragen geworden. Das hat viel damit zu tun, dass die SP einen bindenden Koaltionsvertrag scheut, und die Spielmöglichkeiten der FDP zur Mehrheitsbeschaffung unter generellem Ausschluss der SVP verringert werden.

Nachfolge Schmid: Vorentscheid über Zukunft der Konkordanz
Vor diesem Hintergrund gilt es auch die parteipolitische Herkunft des oder der NachfolgerIn von Samuel Schmid zu beurteilen: Die Wahl eines CVP-Vertreters wäre wohl das Ende der grossen Konkordanz und würde den Uebergang zu einem Regierungs- und Oppositionssystem mit Koalition nötig zu machen, um mittelfristig kohärent regieren zu können.

Wenn man umgekehrt eine SVP-Vetretung berücksichtigt, wäre das, ebenso mittelfristig ein erster Schritt zur konkordanten Zusammensetzung des Bundesrates, die sich mehr oder minder stark an der Stärke der Parteien unter Wählenden und im Parlament zu reichten hätte. Das könnte für die BDP und Eveline Widmer-Schlumpf eng werden, je nach Ausgang der nächsten Parlamentswahlen allenfalls auch für die FDP/LP.

Claude Longchamp

Rechne! (Bundesratswahlen 2008/1)

Samuel Schmid ist zurückgetreten. Am 10. Dezember 2008 finden damit Bundesratsersatzwahlen statt. Die Spekulation schiessen keine 24 Stunden nach dem Rücktritt ins Kraut. Dabei wäre es sinnvoll kühlen Kopf zu bewahren, und zurechnen. Denn nur das hilft, die kommenden Wahlen strategisch zu analysieren.

Wer hat wieviel Gewicht?
Um bei vollständiger Besetzung des Wahlgremiums, der Bundesversammlung, als neuer Bundesrat gewählt zu werden, braucht es 124 der 246 Stimmen. Ohne das geht nichts!

Keine der Fraktionen in der Bundesversammlung bringt es auch nur annähernd auf diese Zahl. Damit ist die Hoffnung, den Ausgang der Wahl parteiintern bestimmen zu können, für alle eine blanke Illusion.

Das trifft vor allem die SVP, die liebend gerne eine rein interne Nomination durchführen und die bevorzugte Kandidatur ohne wenn und aber durchs Wahlgremium durchdrücken würde.

Es gibt in der gegenwärtigen Bundesversammlung auch keine Allianz aus zwei Parteien, die mehrheitsfähig wäre. Konkret heisst das, weder ein Bündnis aus rot-grünen Parteien, noch aus SVP und FDP kann mit Sicherheit den Wahlausgang bestimmen.

Grüne, die gerne im Bundesrat wären, sind damit nicht nur auf alle Stimmen der Linken angewiesen. Sie brauchen auch jene der Zentrumsfraktion, und zwar fast vollständig geschlossen. Das gilt, in eingeschränkter Hinsicht auch für Wahlallianzen aus SVP und FDP. Auch ihre FavoritIn muss eine Minderheit der Stimmen aus dem CVP-Lager mobilisieren können.

Das ist die Logik der Mehrheitsfindung in einem Parlament, dass nicht mehr allein durch die Polbildung rechts und links bestimmt werden kann, sondern mit den Wahlen von 2007 eine neues Zentrum erhalten hat, das vor allem aus CVP besteht, und das durch EVP und Grünliberale verstärkt wird.

Mögliche Entwicklungen
Drei Szenarien sind denkbar:

Erstens, die Zentrumsfraktion löst sich als Block auf und verliert damit jedes Gewicht in der Wahl. Die Exponenten, vor allem am rechten Flügel sind dann die Königsmacheren.
Zweitens, sie erklärt die Bedingungen, unter denen eine Partei, die jetzt nicht im Bundesrat vertreten ist, wählbar ist. Wer die Gelegenheit nutzen will, muss sich danach richten.
Drittens, sie verweigert rechten wie linken Wahlvorschlägen ihre Unterstützung, nominiert dafür selber eine Kandidatur der Mitte.

Meine vorläufigen Bewertungen
Am wahrscheinlichsten ist gegenwärtig das mittlere Szenario: Die CVP/EVP/grünliberale-Fraktion bestimmt, wer mit wem im Bundesrat vertreten ist. Konflikte sind bei einer SVP-Kandidatur, die nicht CVP-like ist, zu erwarten. Möglich ist in dieser Variante Szenario 1. Was bei Sachfragen immer wieder vorkommt, könnte auch in der Wahlfrage spielen: eine bürgerliche ausgerichtete, rechte Mehrheit bestimmte demnach den Wahlausgang für sich.

Für die wieder erstarkte CVP wäre das fatal; für die bei der Blocher-Nichtwiederwahl unterlegene Minderheit in der Partei wäre es indessen eine willkommene Imagekorrektur. Da die CVP ihren leichten Aufwind von 2007 kaum aufs Spiel setze will, ist zu erwarten, dass sie sich deshalb demonstrativ auf keine grüne Kandidatur einlässt, dafür aber auf eine eigene Kandidatur setzt, die von ihr, SP, Grünen, allenfalls auch BDP getragen wird, um die anstehenden Bundesratswahlen indirekt mitzubestimmen.

Spekulieren ist bei Bundesratswahlen Sache der Spassmacher. Wer sich ernsthaft damit beschäftigt, rechnet zuerst einmal.

Claude Longchamp

Realignment or not? – Die Debatte zur Analyse der US-Wahlen 2008 ist eröffnet.

Jay Cost, Autor des HorseRaceBlogs, nimmt sich kritisch der These an, die jüngste Präsidentschaftswahlen liessen sich als Realignent oder Neueinbindung ins amerikanische Parteiensystem interpretieren. Damit stellt er sich gegen die mediale Dramatisierung der Wahl, – mit Argumenten, die für einen Historiker der Wahlen gar nicht so schlecht sind.

In einem zeitbezogenen Ueberblick bestimmt er, was realignment für die USA heisse: “The parties had to manage issues of existential importance that could not be ignored. This is why we remember Lincoln’s “House Divided,” Bryan’s “Cross of Gold,” and Roosevelt’s “New Deal.” Each man took clear stands on issues whose resolution would determine the course of the nation. In these elections, little else mattered.”


Effekt des Realignment von 1932: breiter nationaler Konsens für eine Wechsel von den Republikanern zu den Demokraten.

Diese Problemstellung habe das normale Funktionieren der Parteien ausser Kraft gesetzt. Die Parteien hätten in der Bestimmung der Wahlkampfthemen und der Antworten darauf gar keine Wahl gehabt. Historisch gesehen ging es bei den Wahlen ohne Alternative um Sklaverei, Industrialisierung und Bewältigung der Depression. Und: Wer hierzu eine Partei gewählt habe, der sie auch bei ihr geblieben.

Dann setzt Cost zur entscheidenden Frage an: “Did the parties behave similarly this year as they did then? Were the issues similar?” Und gibt folgende Antwort: “I think the answers to both questions are negative, which cuts against the hypothesis that this election was a “realignment”.”

Im ersten Moment mag man staunen, denn die Subprime-Krise hat sich erheblich auf den Wahlkampf ausgewirkt. Doch Cost ist anderer Meinung: Beide Kandidaten hätten mit verschiedenen Themen zu punkten versucht. Das habe eine klaren Kontrast verhindert. In der entscheidenden Frage, dem Hilfsprogramm für die amerikanische Wirtschaft, hätten beide Senatoren gleich gestimmt. Deshalb habe es auch keine dauerhafte Richtungsentscheidung wie etwa 1932 beim New Deal gegeben.

Cost schliesst: “It might be that 2008 was a kind of realignment – perhaps a “partial” or “soft” or “semi” or “emerging” realignment.” Und das sei nicht viel mehr als schon bei den Wahlen von 1948, 1958, 1968, 1974, 1980, 1992, 1994, 2002 und 2006 geschehen sei.

Schluss: “I’m left wondering if the country has ever been aligned so that it can then realign!”

Claude Longchamp

Das (amerikanische) Fadenkreuz für die Analyse von Ideologien

Eine interessante Variante zum “Politischen Kompass” stellt der Radar “Moral Politics” dar. Vordergründig ist alles ganz anders, hintergründig ergeben sich vergleichbare, aber differenziertere Bewertungen politischer Ideologien.

Moral Politics baut nicht auf Stellungnahme in Streifragen, sondern auf moralischen Urteilen auf. Unterschieden werden auch hier zwei Dimensionen:

Erstens, die moralische Ordnung, zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit sowie
zweitens, die moralischen Regeln, unterteilt in Konformismus und Non-Konformismus.

Beide Dimensionen werden mit insgesamt 16 Einstellungen gemessen.

Wie beim politischen Kompass kann man das selber ausfüllen, und man findet sich dann im Fadenkreuz von “Moral Politics” wieder.

Man kann den Radar aber verwenden, um selber etwas über Ideologien sowie über ländertypische Verteilungen zu lernen. Das Raster der Ideologien ist in der obigen Grafik abgebildet. Es ist baut bei den Regeln auf der amerikanischen Unterscheidung zwischen Republikanismus und Demokratismus auf, während bei der Ordnung die gängigen Adjektiv “social” resp. “capital” verwendet werden. Der Vorteil dieser Klassierung ist, dass extremere Formen dieser vier Grundvarianten explizit in das Schema eingearbeitet worden sind.

Die Positionierung der amerikanischen Präsidenten aus der jüngsten Zeit macht klar, dass sich die republikanischen und demokratischen Vertreter erwartungsgemäss unterscheiden. Ronald Reagan und Georges W. Bush erscheinen demnach als die typischsten Vertreter des konservativen Neo-Liberalismus, während Georges H. Bush, Richard Nixon und insbesondere Gerald Ford gemässiger erscheinen und für den kapitalistischen Republikanismus stehen.
Das Gegenstück ist Jimmy Carter, der als Vertreter des sozialen Demokratismus erscheint, während insbesondere Bill Clinton deutlich kapitalistischer positioniert wird. Dazwischen befinden sich John F. Kennedy und sein Nachfolger Lyndon B. Johnson.
Da es sich hier um retrosepktive Beurteilungen der Politiken amerikanischer Präsidenten handelt, fehlt Barack Obama zurecht.
Eines ist klar: Das Fadenkreuz zur Analyse von Ideologien liefert für den amerikanischen Kontext sinnvolle Ergebnisse. Die Uebertragung in andere politische Kulturen fällt aber nicht so einfach, denn die Begrifflichkeiten, die Problemstellungen und ihre Bewertungen sind nicht zwingend gleich konotiert.

Vorsicht ist angebracht, wenn man die prozentualen Verteilungen in den Quadranten nach Länder anschaut. Das das Mitmachen ungeregelt ist, handelt es sich, trotz teilweise beeindruckender Zahlen, um nicht-repräsentative Werte.

Claude Longchamp

Der grosse politische Kompass

Wo stehe ich politisch? – Die Antworten auf diese Frage sind meist durch nationale Selbstverständnisse verzerrt. Denn was in den USA normal ist, braucht es in Europa nicht zu sein, und was für Südostasien gilt, lässt sich nicht unbedingt auf Afrika übertragen.
Der political compass auf dem www lädt ein, sich global zu positionieren. Dazu wurde ein Fragebogen mit 62 Fragen zu Themen entwickelt, die weltweit diskutiert werden. Wer ihn ausfüllt, bekommt seine Antwort auf dem politischen Kompass.

Dieser ist nicht nur auf die links/rechts-Achse angelegt, die seit der französischen Revolution gebräuchlich ist, um das generelle Verhältnis von Markt und Staat zu bestimmen. Er enthält auch die Achse, die zwischen autoritäten und libertären Vorstellung einer Gesellschaft aufgespannt wird.
Das ergibt ein Fadenkreuz politischer Positionen, aber auch politischer Kulturen.
Sozialwissenschaftlich von Belang ist, dass auch einige typische Intellektuelle eingeordent werden. So steht Noam Chomsky (“Rogue Stuates”) für die linkslibertäre Position, Samir Amin (“The Liberal Virus”) wird als linksautoritär eingestuft, rechtsautoritär ist Irving Kristol (“Neo-Conservatism”) und Milton Friedman (“Capitalism and Freedom”) steht für rechtslibertäres Denken.

So fällt auf, dass die angelsächsischen PolitikerInnen im rechten, autoritären Quadranten erscheinen. Bei John McCain war das evident, während das bei Barack Obama in deutlich gemässigterem Masse der Fall ist.


Auch zwischen den EU-Staaten gibt es einige Unterschiede. Die neuen Migliedstaaten aus dem Osten neigen durchwegs zu autoritäreren Positionen, als dies vor allem in den nordischen Ländern der Fall ist. Ihnen allen entgegen stehen Freiheitskämpfer wie Nelson Mandela oder der Dalai Lama, die deutlich linker, aber auch libertärer positioniert sind.
Und wenn Sie jetzt wissen wollen, wo Sie stehen, dann versuchen Sie es hier selber. In 10 Minuten wissen Sie mehr Vergleichbares darüber!

Claude Longchamp

New Realignment und die Demokratische Partei unter Obama

Harald Meyerson, Washington Post, macht sich als erster Editorialist daran, den Wahlsieg Obama Demokraten im Ueberblick zu analysieren. Er spricht von einem eigentlichen Realignment, einer Neueinbindung von WählerInnen, bei der Demokratischen Partei, die ihresgleichen seit 1932 nicht mehr gesehen hat. Drei Gründe arbeitet er heraus, die ich hier gerne zur Diskussion wiedergebe.


Quelle: New York Times mit zahlreichen weitere Trendkarten

Vordergründig spricht der gestiegene Wähleranteil der Demokraten nicht nur bei den Präsidentschaftswahlen, sondern auch bei den Kongresswahlen für diese Einschätzung. Hintergründig erkennt Meyerson zwei typische Veränderungen im Wahlverhalten:

. Die Hispanics haben wieder zu zwei Dritteln für die Demokraten votiert. Das sind 10 Prozent mehr als noch vor vier Jahren; es sind auch wieder soviel zu den besten Clinton-Zeiten.
. Insbesondere die gut ausgebildeten Frauen, die im urbanen Umfeld leben, neigten 2008 klarer als früher zu den Demokraten, und sie werden auch immer zahlreicher.

Vor allem die Veränderung bei den Hispanics sieht Meyerson als entscheidend an, sei es hier doch beispielsweise Colorado, Nevada, New Mexico, aber auch Florida gelungen, eine verunsicherte Bevölkerungsgruppe für sich zu gewinnen. Den sukzessiven Wechsel der Frauen zu den Demokraten deutet er als Folge der verbesserten Ausbildung in den oberen sozialen Schichten. Obama gewann den auch in den 19 Statten mit dem höchsten Bildungsniveau ausnahmslos. Typisch hierfür seien die anhaltenden Wählergewinne in Virgina und North Carolina.

Die dritte Komponente der Neduordnung des amerikanischen Parteiensystems ist nicht soziologischer Natur. Sie hat mit einem Paradigmenwechsel in der Politik zu tun. Als Ronald Reagan “Konservative Revolution” in den 80er Jahren des 20. Jahrhundert begann, stützte sie sich auf das Gefühl, der Staat müsse weniger tun. Das ist angesichts der Rezession verschwunden. Erstmals sei wieder eine Mehrheit der AmerikanerInnen, insbesondere der jungen BürgerInnen, der Auffassung, dass man die staatlichen Aktivitäten wieder ausbauen solle. Das hat schliesslich fast flächendeckend das amerikanische Elektorat in Bewegung versetzt.

Sein Schluss: “The future in American politics belongs to the party that can win a more racially diverse, better educated, more metropolitan electorate. It belongs to Barack Obama’s Democrats.”

In der Tat fühlt man sich 2008 an historische Momente in der Wahlgeschichte erinnert, etwa an 1980 mit Ronald Reagan, an 1932 Franklin D. Rooseveld oder an 1860 mit Abraham Lincoln. Vertiefte Analysen des, was in diesen Tagen umgebrochen ist, sind angezeigt.
Claude Longchamp

Mehr interaktive Grafiken zum Wahlve.rhalten findet man hier

Volksabstimmungen am election day: die Ergebnis- und Analyseübersicht

Am Wahltag stimmten die Amerikaner in zahlreichen Gliedstaat über insgesamt 152 Sachvorlagen ab. Dank den Exit Polls zu den Wahlen verfügt man auch über eine Vielzahl von Abstimmungsanalysen.

Die geraffte Uebersicht über die Ergebnisse
In Arizona, Florida und Kalifornien entschied sich das Volk für Verfassungszusätze, die gleichgeschlechtliche Ehen verbieten.

Die Abtreibungsgegner konnten weniger Zustimmung für ihre Ziele verbuchen: In Colorado wurde eine Vorlage abgelehnt, die den Moment der Befruchtung einer Eizelle zum rechtlich gültigen Entstehungszeitpunkt einer natürlichen Person erklären wollte. Süddakota lehnte einen Entwurf ab, nach dem Abtreibungen nur mehr in vier Ausnahmefällen zulässig sein sollten: Wenn sie das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährden, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder wenn ihr ein Inzest zugrunde liegt.

In Michigan entschieden sich die Wähler dafür, durch einen Verfassungszusatz, die Forschung an aus menschlichen Embryonen gewonnenen Stammzellen mit Einschränkungen zu erlauben. Ueberraschend war die Verschärfung des Sexualstrafrechts in Südcarolina: Dort wird das Alter der Zustimmungsfähigkeit zu sexuellen Handlungen von 14 auf 16 Jahre heraufgesetzt, darunter gilt auch der einvernehmliche Geschlechtsverkehr juristisch als Vergewaltigung.

Im Bundesstaat Washington entschieden die Mehrheit, dass es volljährigen Schwerkranken, die noch höchstens sechs Monate Lebenserwartung haben, erlaubt ist, sich von Ärzten Medikamente verschreiben zu lassen, deren Einnahme zum vorzeitigen Tod führt.

Erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen könnte ein Tierschutzpassus haben, der nach einem Volksentscheid in die kalifornische Verfassung Eingang gefunden hat: Er setzt der Massentierhaltung für Muttersauen, Kälber und Legehennen enge Grenzen. Deren Käfige müssen nun so groß sein, dass die Tiere sich umdrehen können.

Gute Nachrichten gab es für die Haushaltspolitiker in Massachusetts: Dort lehnten die Wählenden eine Vorlage ab, welche die Einkommensteuer des Bundesstaates für natürliche Personen 2009 halbiert und ab 2010 ganz abgeschafft hätte. Ein ähnliches Vorhaben in Norddakota scheiterte ebenfalls.

Der in Missouri zur Wahl gestellte moderate Plan, bis zum Jahr 2021 fünfzehn Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen, wurde angenommen, das weitaus radikalere kalifornische Vorhaben, das eine Quote von 50 Prozent bis zum Jahr 2025 vorsah, dagegen abgelehnt.

In Nebraska stimmten die Wähler für ein Gesetz, dass es der Regierung des US-Bundesstaates verbietet, Menschen nach den Kriterien Rassen, Hautfarbe, ethnische Identität, Herkunft oder Geschlecht besonders zu fördern. Von den Affirmative-Action-Quotenregelungen hatten vor allem die wirtschaftlichen und sozialen Eliten innerhalb von Minderheitengruppen profitiert. Nach dem Volksentscheid hat der Bundesstaat nun die Möglichkeit, Förderung nach Kriterien wie der Bildungsferne der Eltern oder deren Einkommen zu betreiben.

Die ersten Analysen
Dank den exit polls, die am election day zu allen Wahlen durchgeführt worden sind, verfügt man auch zu vielen (nicht allen) Volksabstimmungen erste Analysen, wer was angenommen und was abgelehnt hat.

Die Uebersicht hierzu findet sich im election center 2008 von cnn. Man kann nach Gliedstaaten und Thema suchen und die jeweiligen exit poll Ergebnisse anclicken.

Die ausführliche Beschreibung der Vorlagen findet sich auf www.ballotpedia.org.

Claude Longchamp

“damping factor” für die Umfragen zu den US-Präsidentschaftswahlen

Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen kann der Prognosewert von Umfragen in zwei Schritten verbessert werden: durch das Mitteln der verfügbaren Umfragewerte und durch “damping”.

Der SuperTracker zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist hier bereits vorgestellt worden. Einfach gesagt geht es dabei um das Mitteln von Umfrageergebnisse verschiedener Institute zur gleichen Sache. Das verhindert Ueberinterüretationen von Trends aufgrund singulärer Befragungsergebnissen.

Will man darüber hinaus auch den Prognosewert von Umfragen erhöhen, braucht es noch eine zweite Verfeinerung veröffentlichter Umfragewerte, damping factor (“Dämpfer-Faktor”) genannt.

1996 konnte Campbell aufgrund einer Re-Analyse früherer Wahlprognosen zeigen, dass der führende Bewerber zutreffender bewertet wird als der zurückliegende. Dieser wird regelmässig leicht unterschätzt, wobei die Differenz mit sich näherndem Wahltag abnimmt. Zu diesem Zweck hat Campbell vorgeschlagen, bei Umfragen eine Korrektur für den Zweitplatziert vorzunehmen, um präzisierte Prognosen machen zu können. Das wird in der Regel bei den publizierten Erhebungen nicht gemacht, in wissenschaftlichen Vorhersagen indessen schon.

Zurecht, denn die vor 12 Jahren vorgestellten Befunde und Korrekturen haben sich auch 2008 gezeigt und bewährt. John McCain wurd in den Umfragen vor der Wahl leicht unterschätzt. Das war zwar nicht entscheidend für die Frage, wer gewinnt oder verliert. Für die Prognose war das aber von Belang.

Ohne die Korrektur von Campbell kam McCain gemäss RealClearPolitics im Mittel der Umfragen auf 46,1 Prozent der Stimmen. Mit der Korrektur (damping factor von 0.17 dazu) lag er bei 46.8 Prozent. Nach dem vorliegenden, vorläufigen Endeergebnisse waren es effektiv 47.0 Prozent.

Die Korrektur ist nicht unwichtig: Ohne sie wären die aktuellen Umfragen wie früher auch etwas weniger treffsicherr gewesen als die elektronischen Wahlbörsen; mit der Korrektur erwiesen sich die Umfragen um einen Hauch präziser.

Claude Longchamp

Campbell J. E. (1996), “Polls and Votes: The Trial-Heat Presidential Election Forecasting Model, Certainty, and Political Campaigns,” American Politics Quarterly, 24 (4), pp.408-433.

PollyVote traf bei den Präsidentschaftswahlen genau ins Schwarze

Das beste Prognosesystem bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen war das wohl unbekannteste. Zuunrecht, kann man wenigstens im Nachhinein sagen.

Unter Prognostikern gibt es eine einfache Regel: Verwende wenn immer möglich mehrere qualifizierte Prognoseverfahren gleichzeitig; denn jedes noch so perfektionierte Vorgehen hat seine Schwächen.

Genau das macht sich PollyVote zu eigen, das bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen zum dritten Mal eingesetzt wurde und eine kaum zu übertreffende Präzision aufweist, wurde das Endergebnis doch auf das Prozent genau vorausgesagt.

PollyVote basiert vier verschiedenen Instrumenten, die zu je einem Viertel in die Gesamtprognose einfliessen; aus methodischen Gründe vereinfacht PollyVote alle Verfahren auf eine reine Zwei-Parteien-Wahl und wird dabei nur der Anteil für die GOP (Republikaner) geschätzt. Berücksichtigt werden

. gemittelte Umfrageergebnisse (nach RealClearPolitics); 46,8 %
. elektronischer Markt (Iowa Electronic Market): 46,7 %
. eine Expertenbefragung: 47,5 %
. quantitative Prognosen: 47,0 %

Bei der Expertenbefragung handelte es sich um ein Panel von amerikanischen Wahlexperten, das speziell für diesen Zweck gebildet wurde und sieben Mal, aber nicht nach der Delphi-Methode befragt wurde. Berücksichtigt wurde für die Prognose jedoch nur die letzte Expertenbefragung (die am tiefsten von allen lag). Die quantitativen Prognosen stützen sich auf die Modellierungen des Wahlausgangs, wie sie in jüngster Zeit aus politökonomische Sicht entwickelt worden sind. 16 Varianten sind dabei berücksichtigt worden, die im Einzelfall sehr unterschiedliche Ergebnisse lieferten, aber nur als Ganzes in die PollyVote Prognose einflossen.

Das Verfahren wurde insgesamt 14 Monate lang betrieben. Dabei gab es Schwankungen, wobei der Range von 46,8 bis 49,2 Prozent reichte. Mit anderen Worten: Die Superexperten rechneten zu jedem Zeitpunkt mit einem Sieg der Demokraten.

Wenn der Ansatz überzeugt, bleibt doch ein grössere Problem bestehen. Das Verfahren ist aufwendig und nicht viel schneller als das langsamste Instrument. Entsprechend war das öffentliche Echo trotz des Leistungsausweise auch diesmal gering. Als Hintergrund zur Evaluierung populärer Prognosen dürfte sich PollyVote inskünftig aber Durchsetzen.

Claude Longchamp