Gekonnte Analyse aus der Distanz (Bundesratswahlen 2008/10)

Gestern hielt Adrian Vatter an der Uni Zürich seine Antrittsvorlesung als ordentlicher Professor für schweizerische Politik. Sie trug den Titel “Die schweizerische Konsensdemokratie im Umbruch – Auf dem Weg zur Mehrheitsdemokratie?” und nahm indirekt zum den anstehenden Bundesratswahlen Stellung.

Am 10. Dezember wählt die Bundesversammlung den Nachfolger von Samuel Schmid als Bundesrat. Ueli Maurer ist in der Pole-Position; und mit ihm würde die SVP nach kürzerer Zeit wieder in den Bundesrat eintreten. Die Episode der Opposition zum Bundesrat wäre damit vorbei.


Charakteristik der schweizerischen Demokratie nach Vatter: Machtteilung durch ausgebauten Föderalismus, entwickelte direkte Demokratie und Bi-Kameralismus lassen insgesamt eine Mehrparteienregierung als sinnvoll erscheinen.

Die neue Analyse der schweizerischen Demokratie
Würde die Schweiz damit zum Muster für Konsensdemokratie zurückkehren? “Nein”, sagt Adi Vatter, denn sie hat sich von diesem Demokratie-Typ schon länger wegentwickelt. Auch ohne das Jahr 2008 verweisen die Indikatoren zur Bestimmung von Einheits- und Mehrheitsdemokratien auf eine Normalisierung des früheren Spezialfalles hin.

Nach diesem Einspruch wurde gestern eine neue vergleichende und schweizspezifische Analyse, die darauf ausgrichtet ist, eine neues Verständnis von Demokratie-Typen zu finden. Arend Lijpharts Klassierung bildet dabei den Ausgangspunkt, ohne bei ihr stehen zu bleiben, denn nach Vatter gilt es diese weiterzuführen und zu erweitern. Es müssen heute drei Fragen gleichzeitig geklärt werden:

. Erstens, wie viel Konsens bestimmt die Entscheidfindung?
. Zweitens, wie stark ist der Regionalismus im politischen System verankert?
. Drittens, wie stark ist die direkte Demokratie im Gefüge der Institutionen berücksichtigt?

Vatters Antworten für die Schweiz lauten: Die Entscheidfindung wird zunehmend durch Parteienpolitik gekennzeichnet. Das spricht gegen Konsens. Das föderalistische und direktdemokratische Fundament der Schweiz legt indessen unverändert nahe, nach dem Konkordanz-Mustern zu kooperieren.

Die naheliegenden Folgerungen
Vatter sieht die Schweiz von heute als Verhandlungsdemokratie auf Konkordanzbasis. Bis zum Uebergang zur Mehrheitsdemokratie nach britischen Muster fehlt jedoch noch viel. Ohne Reduktion der kantonalen Mitsprache und der ausgebauten Volksrechte wird das auch kaum gehen. Mehrparteienregierungen erscheinen deshalb als treffende Antwort auf die heutigen Voraussetzungen zu sein. Das lässt sich nach der Antrittsvorlesung klar, wenn auch nicht genauer festhalten.

Mit Blick auf den übernächsten Mittwoch ergibt dies die nachstehende Empfehlung: Die grossen Parteien sollen im Bundesrat vertreten sein. Es ist jedoch nicht mehr mit Konsens-Politik zu rechnen, sondern mit ausgehandelten und wechselnden Mehrheiten zwischen den Parteiinteressen, die sich von Fall zu Fall ergeben.

Wer an diesem Abend dabei war, bekam eine gekonnte Analyse der schweizerischen Gegenwart geliefert, theoretisch innovativ, empirisch gut unterlegt und nicht ohne Folgerungen für die Praxis. Anregend war sie, weil sie mit kühler Distanz erfolgte. Doch auch wer gestern nicht dabei war, kann dieser Tage mitverfolgen, ob sich die Politik in ihrer gegenwärtigen Aufgeregtheit an Schlüsse eines führenden Politikwissenschafters an den Schweizer Universitäten hält. Bald wissen wir mehr!

Claude Longchamp

Vom Spekulieren vor Wahlen (Bundesratswahlen 2008/9)

Hochrechnungen im Abstimmungsstudio wie die gestrige finden mitten in einem politischen Biotop statt. Das lässt auch atmosphärische Rückschlüsse zum Stand der politischen Debatten zu. Anders als in den Medien, die sich auf das Sensationelle und damit auch auf das Unwesentliche stürzen, eröffnet dieser Zugang zur Politik eine Sichtweise auf die Taktiken der politischen Parteien, die sich in einem System rational verhalten müssen.

Die Spekulationen vom Sonntag bestimmen die Debatten seit Montag; hier das Cover der aktuellen Weltwoche
Die Spekulationen vom Sonntag bestimmen die Debatten seit Montag; hier das Cover der aktuellen Weltwoche

Beobachtungen 1
Die Sonntagspresse hatte die Idee der bisher unbekannten “Gruppe 13” lanciert, die den republikanischen Geist, der die Abwahl Christophs Blocher aus dem Bundesrat erlaubt hatte, aufrecht erhalten will. PolitikerInnen aus dem rot-grünen, aber auch bürgerlichen Lager, die gegen eine vom Blocher&Co. dominierte SVP im Bundesrat sind, versuchen, die Regeln der Konkordanz resp. der Beteiligung von Parteien an der Bundesregierung neu zu formulieren. Die rein arithmetische Zulassung soll durch eine inhaltlich erweitert werden. Faktisch läuft das in der gegenwärtigen Leseweise auf die kleine Konkordanz-Regierung mit SP, FDP, CVP und Grünen hinaus.

Beobachtungen 2

Unter den anwesenden FDP-PolitikerInnen im Abstimmungsstudio fand dieser Vorschlag kaum Gefallen. Die Interessenlage der Partei spricht dagegen. Bei einer Rückkehr der SVP in die Regierung kann sie ihre Vormachtstellung auf der rechten Seite behalten. Unter Vermittlung von rechten Projekten zwischen SVP und BDP bleibt die FDP nicht auf die CVP und SP angewiesen, will sie politsiche Vorgaben machen. Ein zweiter CVP Bundesrat würde das Machtzentrum in der Landesregierung verlagern, mit finanz-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen konsequenzen. Konkret begründet wird dies etwas weniger eindeutig: Man traue dem Parlament nicht zu, dass es angesichts der zahlreichen persönlichen, regionalen und politischen Interessen einen Richtungsentscheid zugunsten von Mitte-Links wolle. Deshalb werde Maurer gewählt werden.

Beobachtungen 3

Die CVP wiederum verfolgt das Ziel, den Regeln der Konkordanz unter Einschluss der SVP Nachachtung zu verschaffen. Thematische Zusagen der SVP braucht es dafür nicht mehr, wie das anfänglich gefordert wurde. Verlangt wird aber ein klares Bekenntnis zum Konkordanzverhalten. Halbe Beteiligung und halbe Opposition stösst auf Ablehnung. Druck ausgeübt werden soll bei den Hearings vor allem auf den Kandidaten Maurer, denn Blocher stehe ausserhalb der Diskussion. Wenn dieser sich klar von der Oppositionspolitik aus Prinzip distanziert, hat er die Unterstützung der CVP, wenn nicht, riskiert er, dass der Fächer der wählbaren Kandidaten im letzten Moment geöffnet wird, auch ausserhalb der SVP. Die CVP weiss darum, dass sich Maurer und Widmer-Schlumpf nicht vertragen werden. Das ist ihre Chancen, das Machtzentrum in der Regierung zu bilden.

Verarbeitungen

Klar ist, dass das alles nur Eindrücke sind. Sicher ist aber, dass sie von repräsentativen Vertretern der Parteien stammen. Anders als Medienverlautbarungen, die stets auch geschliffen sind, haben sie indessen den Charakter des authentischen. Politikwissenschaftlich sind sie nicht von hoher Bedeutung. Für die Strategieanalyse des kollektiven Verhaltens vor entscheidenden Wahlen sind sie aber instruktiv. Sie zeigen vor allem, dass Medien auf news, denen leicht geheimnishaft anmuten, aufspringen, PolitikerInnen darauf jedoch reserviert reagieren. Diese versuchen, den Preis, den Konkurrenten oder Partner bei Wahlen zahlen müssen, so hoch zu treiben, dass für einem ein Optimum abfällt.

Vorläufiger Schluss

Denn erfahrene Parteivertreter wissen eines: Bei der nächsten Ersatzwahl, die einen Bundesrat auf ihren Reihen betrifft, läuft das Ganze mit umgekehrten Vorzeichen vergleichbar ab. Deshalb gilt es, heute den Preis zu lösen, den man morgen selber bezahlen will.

Claude Longchamp

Der Preis für den Spagat (Bundesratswahlen 2008/8)

Je deutlicher die SVP-Fraktion die Rückkehr in die schweizerische Regierung betreibt, desto klarer bewegt sich der Zentralvorstand der SVP-Partei in Richtung Themen-Opposition. Der Spagat ist typisch für das Verhalten einer Partei an einen Pol des politischen Spektrums. Er verhindert ihre nachhaltige Integration in die Regierungsarbeit, womit eine Polpartei auch die Möglichkeit vergibt, eine effektive Führungsrolle in der Landesregierung zu übernehmen.


Ein Spagat hilft zwar, ein Gleichgewicht zwischen verschiedensten Anforderungen zu finden, schränkt aber die Handlungsmöglichkeiten ein. Auch in der Politik, behaupte ich hier.

Der Wille in die Regierung zurückzukehren
Zuerst hat die Fraktion der SVP beschlossen, wieder in den Bundesrat zurück kehren zu wollen. Zwar hätte man am liebsten den abgewählten Bundesrat Christoph Blocher wieder in der Landesregierung gehabt. Doch haben die Volks- und Ständevertreter der SVP begriffen, man mit dieser Forderung auch das Risiko einer zementierten Oppositionsrolle einzugehen. Dehalb wurde, wie von CVP-Fraktionspräsident Urs Schwaller vorgeschlagen, der ehemaligen Parteipräsident Maurer auf einem Zweierticket mitnominiert, selbst wenn die SVP damit rechnen muss, dass Maurer in der entscheidende Wahl am 10. Dezember in der Bundesversammlung das Rennen machtwird.

Das Festhalten an der Opposition
Heute hat die Delegiertenversammlung beschlossen, die Personenfreizügigkeit mit der EU definitiv abzulehnen. Die Parolenfassung für den 8. Februar 2009 fiel nach einigem Hin und Her und brüskierte den regierungswilligen Wirtschaftsflügel der Partei, der bereits im Voraus seine Unterstützung der “Bilateralen” bekundet hatte. Ueberlegungen zur Positionierung der Partei im nationalkonservativen WählerInnen-Segment drften ausschlaggebend gewesen sein: Man will auf jeden Fall verhindern, dass Schweizer Demokraten oder Lega dei Ticinesi auf nationaler Ebene ein rechtes Wählerpotenzial an sich und damit gegen die SVP binden können. Denn das könnte nach der Abspaltung des gemässigten Flügels in Form der BDP die mögliche Parteistärke der SVP ein zweiten Mal negativ beeinflussen.

Die gemässigte Reaktion der Bundesratsparteien

Zwischenzeitlich scheinen CVP und FDP begriffen zu haben, dass die SVP bei einer Rückkehr in den Bundesrat ihr Programm nicht ändern wird. Die SP hat diese Forderung auf Rücksicht auf ihr eigenes Verhalten nie unterstützt. Hat man sich im Zentrum in der Blocher-Frage durchgesetzt, scheint man in der Euorpa-Frage unverändert nachgiebig.

Entsprechend pragmatisch fallen die Reaktionen auf die SVP-Positionierung aus. Die ursprüngliche Forderung der Zentrumspartei, nur SVP-Vertreter im Bundesrat zu akzeptieren, welche den Bilateralen Weg integral befürworten, wird nicht mehr gestellt. Man beschränkt sich unter bürgerlichen PolitikerInnen einzig darauf, Loyalität von SVP-Bundesräten gegenüber Mehrheitsbeschlüssen zu fordern. Von Christoph Blocher weiss man, dass er das während seiner Amtszeit nicht konsequent eingehalten hat. Ueli Maurer musste den Tatbeweis bisher nicht erbringen, nimmt sich aber schon jetzt das Recht heraus, in dieser Frage als Bundesrat schweigen zu dürfen.

Die Konsequenz der Ambivalenz

Man kann darauf nur einen Schluss ziehen: Egal ob die Partei ausserhalb oder innerhalb des Bundesrates politisiert, wird sie selbst in zentralen Frage der Legislatur ihre eigene Position einnehmen und von ihren RepräsentantInnen erwarten, dass sie loyaler zu den Parteiinteressen verhalten als zu den Mehrheitsbeschlüssen.

So verständlich der Spagat aus der inneren Logik der Partei sein mag, so hinderlich ist es für sie auch mit Blick auf einen nachhaltige Integration ins Regierungsgeschehen. Damit vergibt sich eine Pol-Partei auch die Möglichkeit, eine effektive Führungsrolle im Bundesrat übernehmen zu können.

Claude Longchamp

Die Schweiz als Referenz

Es gibt nicht viele Eigenheiten des politischen Systems der Schweiz, die weltweit als Referenz dienen können. Zweifelsohne ist das aber bei der direkten Demokratie so. Jetzt ist das “Handbuch zur direkten Demokratie in der Schweiz und weltweit” von iri europe auf Deutsch erschienen, das es bereits in verschiedenen Weltsprachen gibt. Es dürfte zur Referenz in Sachen Volksabstimmungen auch in der Schweiz werden.


Sie wagen einen Blick auf die Volksrechte weltweit: iri Präsident Bruno Kaufmann (links) und iri Stiftungsrat Adrian Schmid (rechts).

Die Politikwissenschafter Bruno Kaufmann und Rolf Büchi, in Schweden und Finnland lebend, und die Juristin Nadja Braun aus der Schweiz haben vor drei Jahren einen kleinen Bestseller zur politischen Praxis in der Schweiz geschrieben, der schon mehrere Neuauflagen erlebt hat. Sie haben dokumentiert, wie Volksabstimmungen in der Schweiz funktionieren. Typische Entscheidungen, Akteure und Wirkungen wurden hierzu portraitiert. Das Weschselspiel mit dem Föderalismus, der Wirtschaft und den Medien wurde dargestellt. Und geschichtliche Leistungen wurden genauso diskutiert wieder der Reformbedarf für die Zukunft.

Der Ueberblick hat im Ausland eingeschlagen, obwohl oder gerade weil das Herzstück des Buches auf die Schweiz gerichtet ist. Denn hierzulande gibt es weltweit die reichhaltigsten Erfahrungen mit Initiativen und Referenden. Diese Focusierung ist allerdings kein Grund, sich auf die Schweiz alleine zu konzentrieren. Die AutorInnen wissen nänlich aus eigenem Erleben, dass die Entwicklungen in anderen Ländern rasant verlaufen.

Dabei müssen auch die SchweizerInnen hinzu lernen. Direkte Demokratie entsteht weltweit weniger als genuines politisches System, sondern als Erweiterung der repräsentativen Demokratie. Die Schweiz wird dabei nicht als Vorbild gesehen, wie sie das selber gerne tut, sondern als Referenz, die mit ihrem Wissen etwas zur Demorkatisierung von Demokratie in der Welt beitragen kann. Entsprechend runden zahlreiche Merkblätter, ein Glossar zur direkten Demokratie und eine Selbstdarstellung von iri europe als europäisch-globaler Think Tank zur direkten Demokratie das vorzüglich gestaltete und editierte Handbuch ab.

Als Zeichen der Wertschätzung für das Engagement, welches iri europe seit Jahren in der (Weiter)Entwicklung von Volksabstimmungen leistet, hat Bundeskanzlerin Corina Casanova ein Vorwort geschrieben. Sie sei erstaunt gewesen, als man sie anfragte, ein solches zu verfassen. Denn das Buch lag, als sie sich entschied, das zu machen, einzig auf Englisch, Spanisch, Chinesisch und anderen Weltsprachen vor. Die Bundeskanzlerin zeigte sich an der gestrigen Buchvernissage deshalb besonders erfreut, dass jetzt auch Ausgaben in schweizerischen Landessprachen folgen.

Casanovas Wunsch, das neue Standardwerk zur Direkten Demokratie in der Schweiz und der Welt möge eine neugierige und interessierte Leserschaft in der ganzen Welt finden, ist nichts beizufügen.

Claude Longchamp

25 Jahre Wahlforscher

Die Universität Zürich hat den Lehrauftrag der Lehrstuhls für Schweizer Politik zur Wahlforschung neu vergeben. Ab 2009 werde ich dieses Fach in Zürich unterrichten. Im besten Moment, denn ich bin werde dieses Wochenende 25 Jahre Wahl- und Abstimmungsforscher sein.

Zu einem besseren Zeitpunkt hätte die Entscheidung nicht angekündigt werden können. Am Montag bis ich genau 25 Jahre Wahlforscher. Ich bin am 1. Dezember 1983 mitunter hierfür von Professor Erich Gruner an der Universität Bern angestellt worden. Die nationalen Wahlen von 1983 waren meine ersten, die ich als Politikwissenschafter untersucht habe. Zwischenzeitlich habe ich sechs weitere nationale Parlamentswahlen beobachtet, begleitet und in verschiedenster Hinsicht berechnet. Zahlreiche kantonale und städtische Entscheidungen zur Regierungs- und Parlamentszusammensetzung sind seit 1986 hinzu gekommen.

Für die SRG SSR Idee suisse habe ich seit 1987 alle Schweizer Wahlen mitkommentiert. 1999, 2003 und 2007 habe mit dem Forschungsinstitut gfs.bern auch dreimal das Wahlbarometer mit Vor- und Nachwahlbefragung realisiert. In diversen Partei- und Kampagnenstudien sind die Ergebnisse vertieft worden. Sie haben zu zahrleichen Publikationen und Kursen für Parteien, Medienschaffende und Hochschulen geführt.

Und nun dies: Adrian Vatter, einst mein Hilfsassistent in Bern, heute Professor für Schweizersche Politik in Zürich, hat mich mit der Durchführung der Lehre zur Wahlforschung an der Universität Zürich betraut. Herzlichen Dank, sag’ ich da! Ich nehme die Herausforderung gerne an, und werde mein Bestes geben, um die StudentInnen in Theorie, Empirie und Praxis der Wahlforschung in der Schweiz auszubilden!

Claude Longchamp

FROM LOCAL TO TRANSNATIONAL

Kampagnen verändern sich überall: Obama setzte die Massstäbe in Wahlkämpfen. Irland stimmt regelmässig über die EU-Mitgliedschaft ab. Und weltweit lauft eine öffentliche Kontroverse über den Klimawandel. Was die vielen lokalen Erfahrungen mit politischen Kampagnen für die transnationale Politik bedeutet, soll an einer hochkarätig bestückten Tagung in Zürich diskutiert werden.

Die Europäische Vereingung politischer Berater (EAPC) nimmt sich den Veränderungen in Partei-, Personen-, Sach- und Themenkampagnen an ihrer nächstjährigen Zusammenkunft in Zürich an. Vom 7. bis 9. Mai 2009 diskutieren WissenschafterInnen, ForscherInnen und PraktikerInnen über die Phänomene des Wandels, über die Folge für die Kommunikation und über die Chancen und Risiken für die Demokratie. “From local to transnational” ist die Devise der Tagung, die unter dem Titel “The Challenge of Campaigning in tomorrow’s Europe”. Das Motto nehmen die Organisatoren wörtlich, denn es soll mitunter von den Erfahrungen in der Schweiz mit der weltweit ausgebautesten direkten Demokratie ausgegangen werden, um zu fragen, was das für die grenzdurchschreitenden Politik bedeuten kann.

Ich werde die Session “Demokratie im Praxistest” gemeinsam mit Rudolf Ramsauer, Direktor CC Nestlé, und Hanspeter Kriesi, Professor für vergleichende Politikwissenschaft, an der Universität Zürich, bestreiten. Mein Referat wird zum Thema “Neue Aspekte in Schweizer Wahl- und Abstimmungskämpfen” sein, wobei ich auf die zentralen Veränderungen in kampagnenbezogenen politischen Kommunikation von 1992 bis 2007 eingehen und anhand der learnings einen Ausblick für politische Entscheidungen in Europa machen werde.

Interessenten finden hier mehr Informationen. Das Programm wird in den kommenden Tagen aufgeschaltet werden.

Claude Longchamp

Die Machtfrage in der SVP (Bundesratswahlen 2008/7)

Mit dem Fraktionsentscheid vom Donnerstag über die Kandidatur für die Nachfolge von Samuel Schmid als Bundesrat wird die Machtfrage in der SVP gestellt. Ein eigentlicher Richtungsentscheid bahnt sich via Personen- und Verfahrensfragen an.

christoph blocher und sein publikum, die basis des svp erfolges
christoph blocher und sein publikum, die basis des svp erfolges

Sozialwissenschaftliche Machtdefinitionen
Max Weber, der grosse deutsche Soziologe zu Beginn des 20. Jahrhunderts, definierte Macht als “jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“ Damit gab er der Durchsetzungsmacht eine gültige Umschreibung, ohne sich um die Frage zu kümmern, worauf diese Macht basiert. Das haben Sozialpyschologen besser auf den Punkt gebracht. Macht entsteht durch Position, Identifikation oder Wissen und sie bedient sich der Belohnung oder des Zwangs als Mittel.

Christoph Blochers Macht wird in Frage gestellt
Christoph Blocher verfügte lange über verschiedene dieser Machtressourcen; seine stärkste war jedoch sein Charisma. Seine Anhängerschaft ist fasziniert von ihm, fühlt sich mit ihm verbunden, ja identifiziert sich mit ihm in hohem Masse. Das verdrängt Meinungsverschiedenheiten, verringert Diskussionen und führt dazu, das gelegentliche Differenzen meist schnell aufgegeben werden.

Christoph Blochers Charima wirkt in der aktuellen Situation nicht mehr wie früher. Die Machtfrage in der Partei wird offen gestellt. Die Idenfitikation mit dem Uebervater der Partei ist macherorts zum Ritual verkommen, das zwar demonstrativ beschworen, hinter den Kulissen aber unterlaufen wird. 10 Kandidaten aus den eigenen Reihen treten gegen Christoph Blocher an, und man weiss nicht, ob es nichtnoch weitere gibt, die losgelöst vom parteiinternen Verfahren auf einen geeigneten Moment warten, um sich doch noch ins Spiel zu bringen.

Die Entscheidung des Machtkampfes
Die nächsten zwei Tage werden zeigen, wer in der SVP das Sagen hat, das heisst nach Weber seinen Willen auch gegen Widerstände durchsetzen kann. Man wird genau beobachten können, wer in der grössten Partei die Macht inne hat: der Parteipräsident, wie es sich gehört, dier Uebervater, wie man es erwartet, die Seilschaften des Nachwuchses und der Frauen, die ihre Chance wittern, die ideologischen Grundsatzpolitiker, welche die Vorherrschaft über die Partei zu verteidigen suchen oder die pragmatischen Interessenvertreter die ihre politischen Anliegen mit dem Staat realisieren müssen.

Der Vorentscheid fällt schon bei der Zahl der Nominierungen: Eine Einerkandidatur Blocher verhindert mit aller Wahrscheinlichkeit die Rückkehr in den Bundesrat, mit ungewissen Konsequenzen. Eine Einerkandidatur ohne Blocher beendet seine Karriere, auf Geheiss der eigenen Fraktion. Und eine Zweikandidatur mit Blocher und einer weiteren Person ist eine offene Einladung an die Bundesversammlung, die SVP in den Bundesrat aufzunehmen und dabei Blocher nochmals abzulehnen. Damit sind die Aussichten der SVP, mit Blocher im Bundesrat vertreten zu sein, sehr gering. Das Maximum, was der gealterte Machtapparat um ihn herausholen kann, ist dass ein Getreuer als Zweiter nominiert und gewählt wird.

Man erinnere sich nur ein Jahr zurück, um zu begreifen, was sich alles verändert hat. “SVP wählen – Blocher stärken”, war das damalige Motto. Heute ist nicht einmal mehr sicher, ob Blocher wählen auch SVP stärken bedeutet.

Claude Longchamp

“Rita Fuhrer gewinnt Volkswahl”, sagt eine kuriose Online-Umfrage (Bundesratswahlen 2008/6)

So steht es heute in vielen Medien, ohne den Platz, den die Aussage beansprucht, Wert zu sein.

Die Fragen nach der Regierungsbeteiligung der SVP und der geeigneten Vertretung im Bundesrat sind wichtig. Deshalb interessieren Ergebnisse, die helfen, Antworten zu geben.

Die news
Suggeriert wird mit der Meldung, dass durch die Erhebung von Marketagent.com sogar präziseste Resultate vorliegen: “15,9 Prozent der Befragten würden ihre Stimme der Zürcher Regierungsrätin geben. Weniger als das, genau 14,5 Prozent der Befragten, würden sich für Blocher entscheiden.” Und: “Die Mehrheit von 51,6 Prozent der Befragten möchte, dass die SVP wieder in den Bundesrat zurückkehrt.”



Die Tücken des Schneeball-Prinzips

Damit man zu solchen Schlüssen kommen kann, braucht man entweder eine Vollerhebung bei allen SchweizerInnen, wie die Titel im Sobli- und anderen Medien fälschlicherweise suggerieren. Oder man macht eine systematische Stichprobenziehung unter den Entscheidungsberechtigten. Doch auch das ist bei Online-Umfragen nach dem Schneeball-Prinzip (“Mach doch auch mit …”) nicht der Fall.

Denn das Ganze funktioniert so: Ich registriere mich bei Marketagent. Meine Angaben werden kontrolliert. Da bin ich in der Community aufgenommen. Wenn ich die Fragebögen ausfülle, kann ich Preise gewinnen und bekomme ich Bonuspunkte. Die kann ich gegen Geld eintauschen oder in Partnerfirmen von Marektagenten damit einkaufen gehen. Um was es dabei geht, legt die Werbeseite der Agentur offen. “express yourself”! Mach mit. ist das Motto, denn Du kannst Trends bestimmen. Die Agentur spricht denn auch ganz bewusst nicht von “Befragten”, sondern ganz offen von “Meinungsbildnern” …

Repräsentativ-Befragung funktionieren ganz anders. Sie brauchen eine systematische Auswahl aus einer bekannten Grundgesamtheit, die durch niemanden beeinflusst werden kann. Beim genannten Beispiel handelt es sich um ein Schneeball-Prinzip, bei dem weder das mitmachende Individuum effektiv kontrolliert werden kann, noch seine Bedeutung für die Grundgesamtheit geklärt ist. Verallgemeinerung von Messergebnissen müssen daher zwingend ausbleiben.

Lernprozesse in Massenmedien nötig
Massenmedien stürzen sich auf solche Erhebungen, weil sie günstig sind, BürgerInnen-Nähe vorgeben, und Ergebnisse liefern, die man gut kommunizieren kann. Solange sie Informationen liefern, die sachdienlich sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn sie aber etwas vorgeben, was nicht ist, handelt es sich um Täuschungen, die letztlich keiner Erwähnung wert sind.

Eine kleine Recherche zeigt, was ich damit meine: In der parallel dazu realisierten Online-Umfrage des “Schweizer Bauer” hat Andreas Aebi, SVP-Nationalrat aus dem Bauernstand, 23,4 Prozent der Stimmen erhalten. Er lag damit vor Ueli Maurer (16,2%) und Hansjörg Walther (9,0%). Doch auch das sagt nichts aus, ausser dass die mitmachenden Bauern wohl am liebsten Aebi hätten.

Einige beispielhafte Patzer in dieser Sache kann man hier studieren. Ein Lernprozess, wie man mit solchen Marketingangeboten auf Internet umgeht, ist dringend zu wünschen.

Claude Longchamp

Die Bundespräsident verdient Unterstützung (Bundesratswahlen 2008/5)

Vielleicht ist Pascal Couchepin nicht die richtige Person, um der SVP den Tarif zu erklären. Denn er fordert von ihr aufzuzeigen, wie sie in der Schweiz wieder mitregieren will. Die Reaktion der SVP ist verständlich, trägt aber nichts zur Klärung der Sache bei.


Das renovierte Bundeshaus auf der Suche nach neuem Ausdruck (Foto: cal)

Das Regieren in der Konkordanz ist nicht ohne. Es ist kein Entscheid von Fall zu Fall, sondern auf Dauer angelegt. Deshalb basiert es auf Engagement für die Sache und Mässigung im Verhalten. Es soll garantieren, dass VertreterInnen von Parteien mit unterschiedlichen Position gemeinsam nach Lösungen suchen.

Die alten Eintrittsregeln
Lange war klar, was die Voraussetzungen hierfür waren. Die FDP als Staatsgründerin und ehemalige Mehrheitspartei legte fest, wie sie lauteten. Häufig mussten Oppositionsparteien als Erstes das Problem einer gemeinsamen Lösung zufügen, mit sie stark wurden. Aus der Minderheitsposition heraus konnte sie das auch erheblich kompromitieren. Das galt dann als Zähmung.

Die De- resp. Reregulierung
Von dieser Regulierung sind wir heute weit entfernt. Denn sie wurde in den letzten 20 Jahren vollständig verändert. Unter dem Ansturm der SVP wurden die Eintrittsbedingungen in den Bundesrat weitgehend dereguliert. Artithmetische Konkordanz nennt man das heute: Der WählerInnen-Anteil, allenfalls die Repräsentation in beiden Kammern und in den verschiedenen Landesteilen, berechtigt einzig, Besitzansprüche anzumelden.

Seit einiger Zeit beobachtet man eine Tendenz zur Reregulierung der Schwelle, um im Bundesrat vertreten zu sein. Die arthmetische Regel bleibt, doch wird sie immer mehr durch ethische Anforderungen ergänzt. Denn konkordantes Regieren setzt die Anerkennung grundlegender Prinzipien des politischen Systems, seineer Funktionsweisen und der sie bestimmenden politischen Kultur voraus. Respekt vor den Partnern, Akzeptierung der eigenen Minderheitsposition und Loyalität gegenüber gemeinsamen Entscheidungen werden von Mitgliedern einer Exekutive erwartet. Achtung der Institutionen, der Verfassung und internationalen Verpflichtungen durch die Regierungsparteien gehören heute ebenfalls dazu.

Den Tatbeweis einfordern
Diesen Tatbeweis erwartet man heute zurecht, wenn eine Partei aus der Opposition in die Regierung will. Es geht nicht mehr darum, in einer Sachfrage eine totale Kehrwende machen zu müssen. Doch es geht darum, vom politischen Akteur, der sich seiner Stärkung wegen frei definiert, was und wie er etwas tut, zum verantwortungsbewussten Träger eines Staates zu werden, denn man gemeinsam regiert.

Das einzufordern, ist dann die Aufgabe des Bundespräsidenten, wenn alle anderen, denen die öffentliche Sache nicht einfach egal ist, es nicht tun.

Claude Longchamp

“They never come back” (Bundesratswahlen 2008/4)

Boxer sind hart im Nehmen und hart im Geben, sonst geht gar nichts! Doch gibt es für sie ein ehernes Gesetz: Einmal weg vom Fenster, gibt es kein zurück mehr, lautet wenigstens die populäre Redewendung. Auf die Politik übertragen schient das nicht zu gelten. Zwar teilt man gerne aus, und kassiert man dafür auch Schläge, doch bei der SVP macht sich ein stures Festhalten an einer Einerkandidatur von alt-Bundesrat Christoph Blocher bemerkbar. Mit hohen Risiken!


Die Abwahl von Christoph Blocher als SVP-Bundesrat, die bei ihm und seiner Partei unverarbeitet ist

Es erstaunt, mit welcher Hartnäckigkeit die SVP die Rückkehr von Christoph Blocher in den Bundesrat fordert. Und es überrascht, mit welcher Zielstrebigkeit Christoph Blocher selber sein Comeback anstrebt.

Die richtige Person zum richtigen Moment
2003 waren Christoph Blocher und seine SVP im richtigen Moment am richtigen Ort. Was vorher nicht gelang, glückte nach dem grosen Wahlsieg der SVP bei den Parlamentswahlen von 2003. Die grösste politische Partei der Schweiz, die mit nur einem von sieben Bundesräten in der Landesregierung unterdotiert vertreten war, konnte nach den Regeln der arithmetischen Konkordanz Anspruch auf einen weiteren Sitz in der Exekutive pochen. Sie konnte diesen mit Hilfe der interessierten FDP und weniger CVP-Vertretern auch mit einer alternativlos präsentierten Kandidatur durchsetzen. Das Ueberraschungsmoment am Wahlabend selber war für den späteren Erfolg mitentscheidend.

Die Ursachen der Veränderung
Doch vier Jahre später wurde Christoph Blocher abgewählt. Nicht wegen eines fehlenden politischen Leistungsausweises. Auch nicht mangels fachlicher Kompetenzen. Nein, die zustande gekommene Allianz gegen ihn hatte drei Grundlagen:

Erstens, die politischen Gegnerschaft, die Bundesrat Christoph Blocher vorwarf, Verfassungs- und Völkerrecht zum Gegenstand parteipolitischer Gefechte gemacht zu haben, bei denen der Justizminister gerne die Schiedrichterrolle in eigener Sache spielte;
zweitens, der Teil der Wahlmänner und -frauen von 2003, die mit der Verstärkung der SVP im Bundesrat gehofft hatten, eine Zähmung der erfolgreichen Parteien erreichen zu können, zwischenzeitlich aber enttäuscht waren;
und drittens, bürgerliche ParlamentarierInnen, die genug von den regelmässig aggresiven Beleidigungen im täglichen Umgang mit Bundesrat Blocher hatten.

Die falsche Person im Moment der Rückkehr

Das Szenario, das sich jetzt bei der Ersatzwahl für Bundesrat Samuel Schmid abzuzeichnen beginnt, erinnert zu stark an frührere Vorgänge: Die SVP will Christoph Blocher. Sie verweist auf seinen Leistungsausweis als Unternehmer, der viele Herausforderungen erfolgreich bestanden hat. Doch sie schliesst personelle Alternativen von Beginn weg aus.

Damit ging und geht sei ein hohes Risiko ein. Rechnet man die gemachten Erfahrungen mit Bundesrat Blocher zwischen 2003 und 2007 hinzu, muss man von einem halsbrecherischen Poker sprechen: Wenig wahrscheinlich ist es, dass der Trumpf sticht und die SVP erneut mit Christoph Blocher im Bundesrat vertreten sein wird. Denn die anderen Regierungsparteien haben nicht offiziell, aber unmissverständlich verlauten lassen, abgewählte Bundesräte nicht wieder zu wählen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Karte, auf die man zu setzen scheint, nicht zieht. Die SVP wäre dann keinen Schritt weg von der Oppositionsrolle, in die sich die Partei wegen der Abwahl von Christoph Blocher manövriert hatte.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Zu hoffen wäre, dass die SVP den Reflex der Boxer aufnimmt, nicht ungeschützt einen k.o.-Schlag zu kassieren, sondern rechtzeitig auszuweichen. Auf die Politik übertragen heisst dies, Partei- und Personeninteressen zu unterscheiden, damit die Partei ihren Anspruch auf einen Bundesratssitz einlösen kann.

Entscheidend ist bei einer erfolgreichen Wahl in die Landesregierung, auf die Unterstützung im den eigenen Reihen und auf die Anerkennung durch eine Mehrheit der ParlamentarInnen zählen zu können. Dass es ohne Rückhalt in einer Partei nicht geht, hat das Scheitern von Samuel Schmid nachträglich bewiesen. Ohne die nötigen Zustimmungsabsicht im Wahlgremiums ist eine Kandidatur von alt-Bundesrat Blocher schon im Voraus illusorisch.

Claude Longchamp