Stöckli ins Stöckli: Bern entsendet eine Mitte/Links-Allianz in den Ständerat

Das Endergebnis der Berner Ständeratswahlen ist klar: Werner Luginbühl wird mit einem Glanzergebnis als Berner Ständerat bestätigt. Drei Viertel aller gültigen Stimmen entfielen auf ihn. Neu ins Stöckli zieht Hans Stöckli ein. Er erreicht rund 60 Prozent der Stimmen. Damit liegt er klar vor Adrian Amstutz, der bei rund 52 Prozent Stimmenanteil kommt.

Die Spannung vor der Stichwahl zur Berner Ständeratswahl war gross. Allgemein rechnete man damit, dass Werner Luginbühl, bisheriger Standesherr der BDP, als Kandidat der Mitte gewählt würde. Offen war indes, ob der Bisherige Adrian Amstutz von der SVP oder Hans Stöckli, neu der SP-Kandidat, an zweiter Stelle stehen würde.

Im ersten Wahlgang lag Adrian Amstutz noch an der Spitze, knapp von Werner Luginbühl und einiges vor Hans Stöckli. Im zweiten war alles anders, der der Zwei- und Drittplatzierte zogen am Vizepräsidenten der SVP, der erst vor einem halb Jahr Ständerat wurde, vorbei.

Tabelle: Stimmenanteil der zentralen Kandidaten im ersten und zweiten Wahlgang (Hochrechnung) nach Gemeindetypen
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Lesebeispiel: In SVP Hochburgen machten Amstutz im 1. Wahlgang rund 79 Prozent der Stimmen, im zweiten zirka 85; das entspricht einem Wachstum von 6 Prozentpunkten.

Die Wahlbeteiligung war zwar nicht mehr ganz so hoch wie im ersten Wahlgang. Mit 45 Prozent bleibt aber nur ein Schluss: Das Rennen um die Berner Ständeratswahlen hat breit mobilisiert. Mit Beteiligungsunterschieden lassen sich die Unterschiede im Wahlresultat nicht erklären.

Der Vergleich von der ersten zur zweiten Runde zeigt, was an Stimmen geblieben ist und was sich verändert hat. Am wenigsten Unterschiede gibt es bei Adrian Amstutz. Er hatte im ersten Wahlgang seinen Plafond bereits weitgehend erreicht gehabt, derweil die beiden anderen Kandidaten das Rennen machten, weil sich ihre WählerInnen vor allem in den agglomerierten Gebieten die Stimmen gegenseitig gaben. Werner Luginbühl legte am meisten zu, weil er von links und auch von rechts etwas mehr holte als im ersten Wahlgang. Dabei ist der Zuwachs links klar wichtiger als rechts. Stöckli wurde zweiter, weil er von der bürgerlichen Mitte klar häufiger bevorzugt wurde als Amstutz. Der bleibt zwar der Favorit der Landbevölkerung, vor allem wo die SVP unverändert unangefochten das Sagen hat. Doch erscheinen seine SVP und auch er als Person immer mehr isoliert, sodass es bei Majorzwahlen nicht mehr für Erfolge reicht.

Damit wird der Kanton Bern im Ständerat von einer Allianz aus Mitte/Links vertreten, die bei allen Unterschieden im Standort auch Gemeinsamkeiten hat. Die viel beschworene ungeteilte Standesstimme hätte es bei einem Duo Luginbühl/Amstutz weder in der Personenfreizügigkeitsfrage gegeben noch beim Atomausstieg. Ersteres ist schon länger ein Zankapfel zwischen den Nationalkonservativen nach Zürcher Art und der gemässigten bürgerliche Mitte. Zweiteres ist im Wahljahr dazu gekommen, vor allem durch den Schwenker der BDP in Sachen Kernenergie nach den Unfall im japanischen Fukushima.

Für die SVP ist es eine herbe Niederlage. Im Frühling eroberte sie bei der Ersatzwahl für Simonetta Sommaruga, die in den Bundesrat gewählt wurde, den Sitz zurück, den sie an die 2008 durch den Wechsel von Werner Luginbühl ohne Abwahl an die BDP verloren hatte. Einige Kommentatoren dachten damals, das sei der Startschuss für die Hardliner der SVP im Ständerat. Auf die Nominationen in der SVP für die Ständeratswahlen wirkte sich dies verherrend. Fraktionspräsident Caspar Baader wurde klar nicht gewählt, auch die denkbaren Bundesratsanwärter wie Guy Parmelin und Jean-Francois Rime scheiterten in der Volkswahl. Der heutige Tag lehrt uns, dass die Wahl vom 6. März eher die Ausnahme als die Regel war. Bei Majorzwahlen bleibt entscheidend, wie die Allianzen spielen. Das war diesmal zwischen rotgrün auf der einen und dem Zentrum, in dem im Kanton Bern neuerdings die BDP das Sagen hat, klarer der Fall. Vom bürgerlichen Schulterschluss, der jahrlang den Ausgang der Ständeratswahlen bestimmt hat, war in Bern kaum mehr etwas zu merken.

Mit der heute gefällten Entscheidung steht Bern nicht alleine. Im Ständerat der kommenden Legislatur hat die CVP nicht nur mit der FDP eine mehrheitsfähige Allianzmöglichkeit. So wie es jetzt aussieht besteht diese neu auch mit der SP.

Claude Longchamp

Ständeratswahlen: Börsianer erwarten Links-Rutsch

Erst in zwei Wochen wird der Ständerat komplett sein. Jetzt schon zeichnen sich auf Wahlbörse die Favoriten für die im ersten Wahlgang offen geblieben Sitze ab. Das spricht für einen Linksrutsch im Ständerat.

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Wir der Ständerat neu von einer Mehrheit von CVP und SP geführt? – Das wenigstens suggeriert eine Uebersicht über die Wahlbörsen in den Kantonen mit anstehenden zweiten Wahlgängen.

Ginge es nur das der Wahlbörse, verteilten sich die noch offenen 11 Sitze für den Ständerat wie folgt.

Noch 2 Sitze zu vergeben:

BE: Luginbühl (BDP, bisher), Stöckli (SP, neu)
TI: Lombardi (CVP, bisher), Cavalli (SP, neu)
ZH: Diener (GLP, bisher), Gutzwiller (FDP, bisher)

Noch 1 Sitz zu vergeben:

AG: Egerszegi (FDP, bisher)
SO: Bischof (CVP, neu)
SG: Rechsteiner (SP, neu)
SZ: Frick (CVP, bisher)
UR: Stadler (GLP, bisher)

Damit würde die SP noch drei Sitz (BE, TI, SG) machen gewinnen, während die FDP (TI, SO) zwei, die SVP (AG) einen verlieren würde.

Die CVP käme in der Endabrechnung auf 14 Sitze (-1), die SP auf 12 (+3), die FDP auf 10 (-2), während die SVP bei 4 (-2) stehen bliebe, vor GPS und GLP mit je 2 und BDP resp. (vorläufig) Parteilose mit je 1 Mandat (je 1 plus). Eigentliche Wahlsiegerin wäre die SP, die neu mit der CVP zusammen im Stöckli eine Mehrheit bilden könnte, ohne auf Stimmen der kleinen Parteien angewiesen zu sein.

Sicher, einige der Tipps sind überraschend, so der zum Kanton St. Gallen, wonach der Präsident des Gewerkschaftsbundes, Paul Rechtsteiner, den Chef der SVP Schweiz, Toni Brunner, bezwingen würde. Recht kanpp sind die Verhältnisse insbesondere in den Kantonen Tessin, wohl aber auch Bern. In beiden Fällen könnte der prognostizierte Sitz von links nach rechts wandern.

Nimmt man die jetzige Vorhersage zum vorläufigen Massstab, hätte das Ergebnis der Ständeratswahlen Konsequenzen: Denn die SVP kame neu auf 58 Sitze, genau gleich viele wie die SP. An dritter Stelle läge die CVP/EVP, gefolgt von der FDP. Wegen den Gewinnen der SP und der Abspaltung der GLP von der Zentrumsfraktion würden diese die Plätze tauschen, ja, die SP wäre gleich auf mit der SVP. Selbst wenn sich die BDP der CVP/EVP-Fraktion anschliessen würde, kam man in der Mitte auf 54 Sitze und würde man auf dem dritten Rang bleiben, allerdings sehr klar vor den FDP.Liberalen. Das wäre mit Blick auf die anstehende Bundesratswahl nicht ohne!

Wie gesagt: Das sind die Ergebnisse, welche die Wahlbörse gegenwärtig suggeriert. Ganz sicher sind sich selbst die Börsianer nicht. Stellt man nämlich nicht auf ihre kantonalen Wetten ab, sondern auf die nationale zu allen Ständeratswahlen 2011, resultiert ein leicht differenter Ausgang. Die Verluste für die FDP wären noch etwas grösser, jene für die SVP etwa kleiner und die SP würde weniger gewinnen. Allerdings halte ich das eher für eine Schwäche der Wahlbörsen, denn die direkte Schätzung des Ausgangs der Ständeratswahlen ist selber für ExpertInnen ausgesprochen schwieriger. Etwas zuverlässiger sind das die Annahmen pro Kanton.

Claude Longchamp

Berner Ständeratswahlen: Was die Wahlbörse voraussagt

Ginge es nach den 261 HändlerInnen der Wahlbörse, würde am kommenden Sonntag nebst dem Bisherigen Werner Luginbühl von der BDP der neue SP-Bewerber Hans Stöckli von der SP als Berner Vertreter in den Ständerat gewählt. Als Ueberzähliger ausscheiden würde Adrian Amstutz, gegenwärtiger Standesherr der SVP.

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Gross war das Lob an die Adresse der Wahlbörse nach den Nationalratswahlen. Haften blieb ein Mackel, existierten doch zahlreiche andere Tools zum Wahlausgang, an denen sich die Händler auf Wahlbörse orientieren konnten.

Die Evaluierung der Wahlbörse bei den Ständeratswahlen steht noch aus. Aufs Ganze gesehen wird mit Verlusten für die FDP gerechnet, und kleinen Verschiebungen im Minus für die CVP, resp. im Plus für die SP und Parteilose. Kein schlechter Tipp, würde ich sagen.

Die anstehenden Ständeratswahlen im Kanton Bern sind, im zweiten Wahlgang, der erste Bewährungsprobe für die Wahlbörsen. Bei Werner Luginbühl, bisheriger Berner Standesherr von der BDP, wetten die Händler auf einen Unterstützungsanteil von 65 Prozent. Damit erscheint ihnen seine Wahl als gesichert. Spannend wird es danach: Hans Stöckli, neuer Kandidat der SP, kommt auf 60 Prozent geschätzte Zustimmung und liegt 2 Prozentpunkt vor Adrian Amstutz, der es auf 58 Prozent bringt.

Im Wahlkampf für die zweite Runde steigern konnten sich Luginbühl, seit dem 3. November ununterbrochen führend, aber auch Stöckli, der am 13. November Amstutz überholte. Dieser hatte unmittelbar nach dem 1. Wahlgang ein kleines Hoch; sein wahrgenommenen Chancen sinken seither langsam, aber kontinuierlich.

Wie gesagt, es ist ein erster Test für die Wahlbörsen bei der Stichwahl zu Ständeratswahlen. Das Ergebnis stimmt recht gut mit dem überein, was man in den Städten zu Verlauf und Ausgang wahrnimmt: Der Trend verläuft zuungunsten von Amstutz, seit die BDP das Angebot ausschlug, zwischen Luginbühl und Amstutz ein gemeinsames “Päckli” gegen links zu schnüren.

Doch bleibt eine Ungewissheit: Gerade der Kanton Bern besteht nicht nur aus den Städten!

Claude Longchamp

Was die BernerInnen bei den Ständeratswahlen in zweiter Linie wählten

Eine Spezialauswertung der Stimmzettel im Kanton Bern zeigt, was die Wählenden von Amstutz, Luginbühl, Stöckli, von Graffenried und Wasserfallen auf die zweite Linie schrieben. Das hilft, Präferenzen im 1. Wahlgang verbessert einzuschätzen.

Zuerst will ich den Kanton Waadt loben. Bei den Nationalratswahlen kam er wegen der Verzögerungen beim Auszählen schlecht weg. Bei den Ständeratswahlen war der Wahlservice aber super. Das hat mit dem Wahlrecht zu tun. Die WaadländerInnen wählen bei den Ständeratswahlen mit Parteilisten. Alle grossen Parteien haben eine solche. Beim zweiten Wahlgang empfahlen die SP und GPS auf der einen, die FDP.Liberalen und SVP auf der anderen Seite je ein Doppelpack an Bewerbungen. Aus der Wahlstatistik kann man nun ableiten, wieviele Stimmen jede Parteiliste machte und wer von den Vorgeschlagenen bestätigt resp. gestrichen oder ersetzt worden ist.

Abfluss der Zweitstimmen nach Erststimme im 1. Wahlgang bei den Berner Ständeratswahlen
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Im Kanton Bern beispielsweise, wo ein anderes Wahlrecht für Ständeratswahlen gilt, weiss man das alles nicht. Wie die ParteigängerInnen im ersten Umgang gewählt haben, würde man nur mit aufwendigen Umfragen herauskriegen. Wie die Zweitlinie ausgefüllt worden ist, kann man durch Auszählen der Bulletins ersehen. – Leider machen die Wahlbüros das nicht automatisch. Zwei Studenten der Politikwissenschaft an der Uni Bern, Samuel Kullmann und Philipp Koch, haben sich die Mühe genommen, in zehn gut ausgewählten Gemeinden je eine Stichprobe der abgegebenen Zettel zu ziehen und diese auswerten.

Was sind ihre Schlüsse? –

Die Wählenden von Amstutz votierten zu 31 Prozent für Luginbühl, zu 12 Prozent für Wasserfallen und zu 41 Prozent für niemanden sonst.
Wer zuerst für Luginbühl gewählt hatte, schrieb auf der zweiten Linie am häufigsten Wasserfallen (25%) auf, dann Stöckli (22%); der GPS-Kandidat von Graffenried kam auf 12 Prozent. 14 Prozent gaben keine Zweitstimme ab. Oder anders gesagt: Die BDP-nahen Luginbühl-Wählenden waren auf viele Seite offen.
Die Wählenden von Wasserfallen tendierten zu 42 Prozent zu Luginbühl, zu 14 Prozent zu Amstutz und zu 12 Prozent von Graffenried. 19 Prozent liessen die zweite Zeile leer.
Stöcklis WählerInnen aus derm ersten Wahlgang gaben zu 69 Prozent ihre Stimme von Graffenriede, zu 10 Prozent Luginbühl.
Aehnlich strukturiert waren auch die Wählenden von von Graffenried. Sie votierten zu 65 Prozent auch für Stöckli, zu 15 Prozent auf für Luginbühl.

Alle anderen KandidatInnen machten nur wenige Stimmen auf den Wahlzetteln der Grossen.

Die vorliegende Analyse zeigt, dass die Amstutz-Wählenden am stärksten nur aus Ueberzeugung votiert haben. Fast die Hälfte schrieb, ausser ihrem Favorit, keine weitere Kandidatur auf den Wahlzettel, um die Wahlchancen von Amstutz zu optimieren. Nirgends war dieses Denken so verbreitet wie bei den Wählenden des SVP-Standesherren.
Die Kandidatur von Christian Wasserfallen aus den FDP-Reihen verzettelte die bürgerlichen Stimmen offensichtlich. Der Grund liegt in der Abneigung seiner AnhängerInnen gegenüber Amstutz. Die Wasserfallen-Wählenden hatten eine klare Präferenz für den BDP-Kandidaten, nicht aber für jenen der SVP. Am zweitmeisten Stimmen machte hier der grüne Bewerber Alec von Graffenried.
Ganz anders verhielt sich das linke Lager. Es hielt insgesamt gut zusammen. Stöckli-Wählende notierten fleissig von Graffenried, und dessen Supporter votierten ebenso häufig für Stöckli.

Die neuen Ergebnisse präzisieren den Befund, den letzte Woche der “Bund” aufgrund der gleichen Methode, indes nur in einer (unbekannt gebliebenen) Gemeinde ermittelt hatte. Sie decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen aus der Studie zum ersten Wahlgang bei den Zürcher Ständeratswahlen. Auch da zeigte sich, dass die SVP-Wählerschaft zwischen Eigenständigkeit und Isolation votierte, moderat bürgerliche Wählende eher zu den grünen als sozialdemokratischen Bewerbungen tendierten, und die rotgrünen Wählenden unter sich Stimmen tauschten. In Zürich wirkte sich das Etikett “Bisherige” stärker aus als in Bern, wo sie zwar auch an der Spitze der Nicht-Gewählten stehen, ihre Abstützung aber nicht so breit ist wie in Zürich.

Schlussfolgerungen auf den zweiten Wahlgang sind nicht direkt möglich; dafür fehlt die Sicherheit mit entsprechenden Ergebnissen. Reevaluierungen werden zeigen, was effektiv spielte. Vorerst bleibt dies Spekulation. Namentlich kann man aus solchen Präferenzanalysen nicht eindeutig ableiten, wie die Mobilisierung im zweiten Umfang sein wird. Ist sie überall gleich anders, ist das egal. Wenn aber beispielsweise das Land besser mobilisiert als die Stadt, hat das Auswirkungen auf das Wahlergebnis. Es kommt hinzu, dass im ersten Wahlgang mehr die Positionierung der bevorzugten Kandidatur wichtig war, das Taktieren namentlich auf der zweiten Zeile erst danach einsetzt. Im Kanton Bern relevant ist, die bekannte Teilung der Präferenzordnungen zwischen Stadt/Land, aber auch, was die FDP-Wählerschaft macht und was im Berner Jura geschieht. Und: wer im ersten Wahlgang eine Linie leer liess, hat im zweiten Umgang am meisten Spielraum!

Claude Longchamp

Hochrechnung der Berner Ständeratswahlen vom Sonntag

Hochrechnungen sind Extrapolationen realer Wahlergebnisse aus Teilen des Kantons auf den ganzen Kanton. Sie haben sich bewährt, wie drei Beispiele aus dem ersten Wahlgang zeigten. Im Kanton Bern wird deshalb auch der zweite Wahlgang vom kommenden Sonntag hochgerechnet.

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Kämpfen am Sonntag um die beiden Berner Ständeratssitze: Adrian Amstutz (SVP, bisher), Hans Stöckli (SP, neu) und Werner Luginbähl (BDP, bisher)


Die Hochrechnungen für Majorzwahlen im Kanton Bern

Stephan Tschöpe, Politikwissenschafter und Mathematiker, hat mit seiner Lizenziatarbeit ein neues Modell für Hochrechnungen zu Majorzwahlen erarbeitet, das 2010 bei den Regierungsratswahlen mit Erfolg eingesetzt wurde.

Für die Hochrechnung wird der Kanton Bern in Untergruppen eingeteilt. Diese Untergruppen repräsentieren die parteipolitisch unterschiedliche Zusammensetzung des Kantons (z.B.: SVP-Hochburgen, SP-Hochburgen, …). Im Vergleich zum gesamten Kanton sind die Untergruppen homogener in Bezug, so dass sich Referenzgemeinden für die Hochrechnung besser und strukturierter finden lassen.

Die Referenzgemeinden werden nach dem Prinzip “beste Gemeinde” ausgewählt, also jene Gemeinden, welche am besten für Kandidat X re-präsentativ sind. Als Referenz für Wahlen gilt die Vorwahl. Somit werden die besten Gemeinden für die Untergruppen pro KandidatIn aus dem 1. Wahlgang der Ständeratswahlen vom 23. Oktober 2011 als Referenz genutzt. Für die kantonale Hochrechnung der Kandidierenden werden die Untergruppen im Verhältnis zu ihrem Stimmen-gewicht im Kanton gewichtet.

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Evaluierung der Hochrechnung zum 1. Wahlgang im Kanton Bern. Der mittlere Schätzfehler betrug um 14 Uhr 30 effektiv nur 0.7 Proezntpunkte; am höchsten war er bei Werner Luginbühl mit 1.1 Prozentpunkten.

Die Kunst dieser Hochrechnung bestand darin, ein Modell für einen BDP-Kandidaten zu finden, da es eine solche noch nie gab. Im zweiten Wahlgang ist das einfacher, denn der schliesst die (guten) Erfahrungen aus dem ersten Wahlgang bereits mitein.

Die Hochrechnung vom kommenden Sonntag

Wir rechnen aus Zeitgründen nur die aussichtsreichen KandidatInnen hoch. Es sind dies Adrian Amstutz (SVP), Werner Luginbühl (BDP) und Hans Stöckli (SP).

Wir werden den prozentuallen Anteil im Verhältnis zum doppelten absoluten Mehr pro KandidatIn publizieren. Das absolute Mehr wird immer mit 50% definiert. Das absolute Mehr ist zwar nicht für den 2. Wahlgang notwendig, dient aber uns zur Berechnung der erhaltenen Stimmen.

Der Streubereich bei der 1. Hochrechnung beträgt geschätzt +/-3%. Liegen die Kandidieren näher als diese drei Prozent zusammen, kann nicht gesagt werden, wer gewählt ist. Ein Beispiel verdeutlicht dies:

– Kandidat 1: 48%
– Kandidat 2: 46%
– Kandidat 3: 44%

Es kann somit gesagt werden, dass Kandidat 1 sicher gewählt ist, weil er mehr als 4% Differenz zu Kandidat 3 hat. Es kann aber nicht gesagt werden, wer als 2. gewählt wird, da die Differenz weniger als 3% beträgt.

Die Hochrechnung werdenab 14 Uhr halbstündlich publiziert:

1. Hochrechnung: etwa 14.00 Uhr (Fehlerbereich: +/-3%)
2. Hochrechnung: etwa 14.30 Uhr (Fehlerbereich: +/-2%)
3. Hochrechnung: etwa 15.00 Uhr (Fehlerbereich: +/-1%)

In allen Fällen sind die Hochrechnungen klar schneller als das erwartbare Endergebnis.

Sobald das hochgerechnete Ergebnis feststeht, werden wir das Ergebnis würdigen und Erstanalyse der Wahlen liefern.

Claude Longchamp

Kein Tag für die FDP bei den Ständeratswahlen

Heute ging die erste Staffel an Stichwahlen für den Ständerat über die Bühne. In Schaffhausen wurde der parteilose Thomas Minder gewählt, im Thurgau die biserhige CVP-Nationalrätin Brigitt Häberli und die Waadt bestätigten die beiden bisherigen Géraldine Savary von der SP und Luc Recordon von der GPS.

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Zwischenstand bei den Ständeratswahlen: Die SP gehört dank dem Sitz von Pascale Bruderer auf jeden Fall zu den Gewinnerinnen.

Es war keine Tag für die FDP. Im Kanton Schaffhausen misslang das Unterfangen, den Ständeratssitz über den Rücktritt des Bisherigen hinaus zu halten. Angetreten war man mit dem Kantonalpräsidenten. Ergeben hat sich ein letzter Platz, selber hinter dem SP-Herausforderer. Thomas Minder, der Quereinsteiger ohne genau Fraktionsaussage, wurde gewählt.
Im Thurgau wähnte die ihren Kandidaten in der Poleposition, weil die mächtige SVP ihn empfahl. Noch heute morgen frohlockte die Online-Ausgabe der NZZ, der CVP-Sitz wackle erheblich. Schliessich gab es eine klare Niederlage gegen die Vize-Präsidentin der CVP-Fraktion, die erste Thurgauer Standesfrau wurde.
Nicht wirklich besser erging es der FDP in der Waadt. In der ersten Runde mit zwei Bewerbungen unterwegs, konzentrierte sich das Interesse im zweiten Wahlgang auf die Chancen von Isabel Moret. In der Tat lag sie am Ende vor Guy Parmelin von der SVP, aber einiges hinter der Barriere, die man rechts am liebsten gemeinsam durchbrochen hätte, um den Kanton Waadt im Stöckli bürgerlich zu vertreten.

Die drei Wahlen zeigen Gemeinsames im Verschiedenen: Politisches Entrepreneurship gibt es, wie Thomas Minder ausdrücklich zeigt, weiterhin, und es ist bei Wahlen auch unverändert gefragt. In der FDP ist es aber vielerorts nicht mehr zuhause, denn da regiert die direkte Interessenvertretung, zu wenig die Lösung kontreter Probleme, welche die Gesellschaft bewegen. In der Ostschweiz hat dies zu einem bedenklichen Substanzverlust bei der FDP geführt. Neu ist die FDP in Schaffhausen, aber auch im Thurgau nicht mehr im Bundesparlament vertreten. In Graubündung und Glarus gibt es zwar noch FDP-Standesherren, aber keine Volksvertreter mehr. Einzig in St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden hat die FDP eigene VertreterInnen in beiden Kammern der Bundespolitik. Hauptgrund sind das mittelfristige Erstarken der SVP, welche die national gesinnten, konservervativen Kräfte sammelte, und das Auftreten neuer Parteien, welche die Mitte gestalten, in der Ostschweiz allen voran die GLP, welche neuerdings Wählende der FDP, die ins Zentrum neigen, ansprechen können.
Etwas anders sind die Verhältnisse in der Westschweiz. Das Zusammengehen der ehemaligen Liberalen und Radikalen bringt nicht nur Erfolge, sondern auch Herausforderungen. 1 und 1 gibt, in der Politik jedenfalls, nicht einfach 2, denn Parteifusionen müssen verarbeitet werden, bis sie Früchte tragen. Die FDP.Liberalen sind zwar so an einiges Orten wieder erste bürgerliche Kraft geworden; die weiterhin zwischen liberalen und konservativen fragmentierte Rechte ist aber nicht stark genug, um bei Majorzwahlen die koordinierte Linke zu schlagen. Das wurde im Kanton Genf schon im ersten Wahlgang zu den Ständeratswahlen klar; der Kanton Waadt doppelte heute in der Stichwahl nach. Denn in beiden Kantonen ist die Vertretung im Stöckli rotgrün geprägt – bisher und inskünftig.

Wer der Gewinner des Tages ist, bleibt vorerst offen. Denn Thomas Minder wird sich, um sich effektiv einbringen zu können, einer Fraktion anschliessen müssen. Selber schwankt er zwischen GLP und SVP, sodass sich beide Parteien bemühen werden, den Neuling wenigstens in die Parlamentsgruppe aufnehmen zu können. Ihre Besitzsstände wahren konnten heute die SP, die CVP und die GPS, was mit Blick auf die Bundesratswahlen nicht unerheblich ist. Die Verliererin des Tages ist die FDP, die nicht vorwärts, wie sie hoffte, sondern rückwärts machte. Selbst wo sie sich, wie im Thurgau, an die SVP anlehnte, schaffte sie den Durchbruch nicht. Und wo, wo sie, wie in Schaffhausen, das lokale Gewerbe in der Bankendebatte verärgerte, bezahlte sie gar die Wahltagsrechnung ganz alleine.

Claude Longchamp

Wenn Wählende und Stimmen nicht das Gleiche sind

Man glaubt, schon alles zu wissen, zu den Wähleranteilen der Parteien nach den Nationalratswahlen. Das meiste davon ist Täuschung, behaupte ich. Denn gezählt werden Parteistimmen, nicht Wählende.

Von Aussen gesehen steht das vorläufig amtliche Endergebnis fest: Beispielsweise kam die SVP bei den Nationalratswahlen 2011 auf einen Wählenden-Anteil von 26.6 Prozent. Das entsprach einem Wählendenverlust von 2.3 Prozentpunkten.

Tabelle: Stimmenanteile der Parteien 2011 unter den Partei- und Mischwählenden

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Doch hoppla, wer genau hinsieht, merkt dass das Bild falsch ist. Die (vorläuifg) amtlichen Endergebnisse der Schweizer Parlamentswahlen nach Proporzverfahren weisen Stimmentanteile, nicht Prozentwerte der Wählendenm, aus.

In Einerwahlkreise ist dies das gleiche. Doch schon in Zweierwahlkreise und in allen grösseren Wahlbezirken muss das nicht der Fall sein. Identisch wäre es hier nur, wenn nicht panaschiert würde, das heisst nicht für parteifremde KandidatInnen gestimmt würde.

Doch das ist bei rund der Hälfte der Wählenden der Fall. Sie Wählen mit der Liste X, und sei schreiben Bewerbungen aus der Liste Y auf. Oder sie wählen mit gar keiner Parteiliste, verteilen ihre Stimmen auf Personen verschiedenster Listen.

Erst wenn die gesamten Panaschierstatistiken des Bundesamtes für Statistik veröffentlicht sein werden, wird man das genauer kennen. Heute schon können wir dies aber aufgrund der Wahltagsbefragung unseres Instituts abschätzen.

Demnach hat die SVP rund 17 Prozent Wählende, die einzig die SVP gewählt haben. Das sind die strammen Parteiwählenden. Die SVP bekam von einem weiter nicht genau bekannten Wählendenkreis zusätzlich rund 10 Prozent an Parteistimmen. Am ehesten waren das, gemäss Wahltagsbefragung, bei mehrheitlich FDP-Wählenden, gefolgt von solchen der CVP oder der SP.

Die SVP ist damit die Partei, die nicht nur den grössten Stock an Wählenden hat, die nur für ihre Partei gestimmt haben. Sie ist auch jene Partei, bei der dieser Stock, bezogen auf alle erhaltenen Stimmen, der grösste ist. 64 Prozent Prozent an allen Stimmen machen die Parteiwählenden aus, 36 Prozent stammen von Mischwählenden.

Das pure Gegenteil findet sich bei der CVP. Sie machte gemäss vorläufig amtlichem Endergebnis 12,3 Prozent der Stimmen. Reine CVP-Wählende machen nach Wahltagsbefragung knapp 6 Prozent der Wählenden aus. Den Rest der Stimmen macht die Partei vor allem bei mehrheitlichen FDP-Wählenden, gefolgt von SP-Wählenden. Die MIschwählenden ergeben 55 Prozent der schliesslichen Parteistimmen. Die nachstehende Tabelle komplettiert das Bild.

Es ist nicht meine Absicht zu verwirren. Doch geht es mir darum, die vereinfachenden Begriffe, wie beispielsweise der Wählenden-Anteil, zu hinterfragen. Wie viele Wählende mindestens eine Stimme der BDP gegeben haben, wissen wir nämlich nicht genau. Wir wissen nur, was der Stimmenteil der Partei ist, und wir können abschätzen, was die Partei- und die Mischwählenden dazu beigetragen haben.

Claude Longchamp

Die BDP bleibt gefordert

Bei der anstehenden Diskussion zur Zusammensetzung des Bundesrates geht es um zweierlei: um den Machterhalt der Bisherigen, und um die Gestalt der Regierungsbildung für die Zukunft.

Uebers Wochenende ist in Sachen Bundesratswahlen einiges in Bewegung gekommen. Klar geworden ist, dass nicht nur die SP ihren 2. Sitz verteidigt und die BDP Eveline Widmer-Schlumpf weiterhin im Bundesrat haben möchte. Ihre Ansprüche bekräftigen haben die FDP und die SVP, die je 2 Sitze wollen. Damit ist der erwartete Konfliktfall angesagt.

Einer der 8 Ansprüche für 7 Sitze wird am 14. Dezember nicht eingelöst werden können: jener der SVP, mangels einer überzeugenden Kandidatur, jener der BDP, mangels Wählerstärke der Partei, jener der FDP, wegen den Wählendenverlusten oder jener der SP, weil die Ersatzwahl für Micheline Calmy-Rey zu letzt an der Reihe ist.

Exponiert ist vor allem Eveline Widmer-Schlumpfs BDP. Zwar geniesst die Magistratin Populärität im Wahlvolk; doch wählt dieses das Parlament, nicht die Regierung. Und ihr Ruf als Finanzministerin ist unbestritten. Indes, die gut 5 Prozent ihrer Partei reichen alleine nicht aus, um einen Anspruch im Bundesrat zu begründen.

Für die BDP stellen sich aus meiner Sicht die folgenden Fragen:

. Wiederwahl der eigenen Bundesrätin und damit Sicherung des Status als Regierungspartei;
. Demonstration der Wählendenmacht in der Konkordanz und
. Wachstumschancen als Partei

Diskutiert werden aktuell 3 Szenarien: die Fusion, wie sie von der CVP Aargau ins spiel gebracht wird, die Fraktionsgemeinschaft, wie sie die GLP wünscht (und die SP unterstützt), und die Koordination der Mitte in einer Arbeitsgruppe, wie sie der BDP Schweiz vorschwebt.

Klar ist, dass die vier oben genannten Ziele mit einer Fusion nicht umfassend realisiert werden können. Die neue Kraft hätte keine Chance, sich zu bewähren und auf diesem Wege zu einer relevanten Partei aufzusteigen. Da schimmert der Wunsch der CVP, einen unliebsamen Partner zu inkorporieren zu stark durch,

Klar ist auch, dass beim Alleingang der BDP notfalls der Sitz im Bundesrat wegfällt. Das würde der Identität der Partei schaden, selbst wenn das Wachstumspotenzial genutzt werden könnte. Denn ohne sich vor der GPS platzieren zu können wäre der Anspruch, eine Regierungspartei zu sein, nicht einlösbar.

Es bleibt die Möglichkeit einer Franktionsgemeinschaft auf Bundesebene – und zwar als Zentrumsfraktion mit CVP und EVP. Zusammen käme man auf genau 20 Prozent und personell wäre man aller Voraussicht nach die zweitgrösste Fraktion. Der Anspruch auf zwei Sitze könnte problem eingefordert werden. Er liesse sich auch im Rahmen der Konkordanz begründen.

Die BDP macht es sich meines Erachtens etwas zu einfach, wenn sie alleine auf den Status Quo setzt. Das ist zwar im Normalfall das wahrscheinlichste und auch beste Szenario. Angesichts der Uebergangsphase, in er sich die Regierungsbildung seit 2003 befindet, handelt es sich nur um eine Verlängerung der Probleme. Denn benannt werden muss nicht nur, was an diesen 14. Dezember geschehen soll, sondern auch, was die Zukunft des Regierungssystems der Schweiz betrifft. Da gibt es nebst dem Machterhalt auch die Rückkehr zur alten Zauberformel und die Arbeit an einer neuen Formel, die der veränderten Lagerbildung Rechnung trägt. Ohne Arithmetik kommt man da nicht aus, nur mit Rechnerei allerdings auch nicht.

Die Fraktionsgemeinschaft auch nationaler Ebene bietet verschiedenen Beteiligten gute Aussichten: Der BDP auf Kantonsebene frei zu bleiben und damit auch wachsen zu können, bei gleichzeitiger Sicherung des Status als Regierungspartei auf Bundesebene; der Allianz, welche die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf ermöglichte, einer neuen Konstellation für Bundesratswahlen zum Durchbruch zu verhelfen, was zu einer Neudefinition der Konkordanzspielregeln führen könnte.

Claude Longchamp

Wer ist die BDP? – Ergebnisse und Folgerungen aus der vertieften Erstanalyse

Nächste Woche werde ich bei der BDP des Kantons Bern eine Wahlanalyse vortragen. Hier schon mal das Gerüst der Informationen und Diskussionen.

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Die BDP ist mit 5,43 Prozent unter den Wählenden die sechstgrösste Partei der Schweiz. Momentan ist sie die interessanteste. Denn sie hat einen Bundesratssitz zu verteidigen.

Die Wahltagsbefragung unseres Instituts brachte es auf den Punkt: Wer parteipolitisch ungebunden handelt, wählte diesmal überproportional BDP. Wer bis am Ende des Wahlkampfes unschlüssig blieb machte das Gleiche.
Die BDP ist nicht nur die neue Kraft im schweizerischen Parteiensystem. Sie ist auch für Unzufriedene unter den anderen Regierungsparteien zum Sammelbecken geworden – vor allem bei FDP, aber auch bei SVP und SP. Entsprechend hat man panaschiert: in fast alle Richtungen.
BDP wählte man wegen ihren Aushängeschildern und wegen der KandidatInnen. Zu allererst gilt das für Eveline Widmer-Schlumpf. In den Gründungskantonen aber auch für die Personen, die sich meist von der SVP losgesagt haben. In zweiter Linie unterstützte man die BDP wegen ihrer Grundhaltung: optimistisch in die Zukunft blickend, staatstragend, gemässigt.
Die BDP hat vor allem RentnerInnen auf dem Land angezogen. Darüber hinaus mobilisierte sie bei Jungen, bei StädterInnen. Ansonsten hat sie ein breites Profil, das eine Volkspartei – namentlich in reformierten Gebieten.
Die Wählenden der BDP sehen sich politisch im Zentrum. Ihr Standort auf der Links/Rechts-Achse ist, im Schnitt, deckungsgleich mit dem der CVP-Wählenden.
Selbstredend wollen alle, die für die BDP gestimmt haben, dass ihre Bundesrätin in der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bleibt. Dafür haben sie im Wahlkampf gekämpft, haben sie am Wahltag gestimmt, aus tiefster Ueberzeugung oder auch aus Taktik. Vorherrschend ist der Wunsch, die SVP zu bändigen; dafür ist man bereit, auf die arithmetische Konkordanz zu verzichten.

In den ersten zwei Wochen nach der Nationalratswahl hat die neue Kleinpartei die Szenerie weitgehend beherrscht. Sie lancierte die Kandidatur ihrer Favoritin für den Bundesrat, und sie positionierte sich als selbständige Partei. Das ist im eigentlichen Sinne ein Poker, denn 5 Prozent empfehlen niemanden als Bundesratspartei. Das hat die GLP begriffen, und auch die GPS weiss darum, dass weniger als 10 Prozent einen ausschliessen, Ansprüche auf eigene Bundesratssitze zu erheben.
Numerisch ist nur eine Zentrumsallianz gross genug. Politisch ist sie vorerst aber wenig stabil. Die Holding-Diskussion vor der Wahl zeigte das exemplarisch auf. Da braucht es mehr, meiner Meinung nach eine Zentrumsfraktion, welche die nötige Stabilierung der fragmentierten Mitte – und damit der wichtigsten Neuerung dieser Wahlen – sichert.

Claude Longchamp

Auf dem Weg zu einem Bundesrat der politischen Lager

Mit der Ankündigung, sich der Wiederwahl stellen zu wollen, hat Eveline Widmer-Schlumpf den Wahlkampf um die Bundesratswahl eröffnet. Gefragt sind, wie der neue Bundesrat aussehen soll, und was die Spielregeln bei künftigen Wahlen in die Bundesregierung sein sollen. Eine Auslegeordnung, welche den vorläufigen Stärkeverhältnissen im neuen Parlament Rechnung trägt.

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Definitive Zahlen der Lager: rotgrün: 61; nationalkonservativ: 57, neue Mitte: 52; mitte/rechts: 30 Sitze

Die SVP möchte ihren zweiten Bundesratssitz zurück. Eveline Widmer-Schlumpf, will in der Bundesregierung bleiben. SP, FDP und CVP wollen keine Sitze im Leitungsgremium der Schweizer Politik abgeben. Damit sind 8 Ansprüche für 7 Sitze vorhanden.

Die Regierungskonkordanz, wie sie 1959 eingeführt worden ist, basierte auf dem Kriterium der Grösse. Relevante Parteien sollten gemäss ihrer Stärke eingebunden sein, damit der Machtkampf die Sachentscheidungen nicht lähmt. Das war ein Erfolgsmodell für die Schweiz – und es dürfte auch inskünftig eines sein.

Die Veränderungen im Parteiensystem, ausgelöst durch die fast ungebrochene Erosion der FDP und CVP auf ihren historischen Tiefststand, durch den wellenartigen Auf- und Abstieg von SVP, SP, und GPS, aber auch durch die neuen Kräfte BDP und GLP haben der Zauberformel zugesetzt. Mit der Abwahl von Ruth Metzler 2003 war der Zauber vorbei, geblieben sind verschiedene Formeln die jeder nach seinem Gusto aufbaut und auslegt.

Hinzu gekommen sind nebst der Arithmetik inhaltliche Ueberlegungen, aber auch personelle. Das alles erleichtert es nicht, einen neuen, festen Schlüssel zu entwickeln.

Zu den Neuerungen der Diskussion gehört, abgesichts volatil gewordener Parlamentswahlen, nicht mehr nur in Parteistärken zu denken, sondern Lager zu identifizieren. Diesen Gedanken habe ich am Wahlsonntag abend aufgenommen, und ein Parlament mit mehreren politischen Lagern geschildert, in dem es nicht nicht mehr die klassische Teilung zwischen bürgerlich und links gibt. Vielmehr zeichnen sich 4 Gruppen ab, mit dem

. mit dem nationalkonservativen Lager, zusammengesetzt aus SVP, Lega, MCR,
. rotgrünen Lager, bestehend aus SP, GPS
. mit der neuen Mitte, die von der CVP, BDP, GLP, EVP und CSP gebildet wird
. mit der Position Mitte/Rechts, formiert aus den fusionierten FDP und LP.

Noch ist nicht sicher, ob es drei oder vier Parteiengruppen gibt: 2010 bildete sich, vor allem aus sachpolitischen Ueberlegungen die Allianz der Mitte aus CVP und FDP, später um die Bündnispartner der CVP erweitert. Davon wolle die FDP im Wahljahr nichts mehr wissen, denn die Profilierung des Liberalen Pols war ihr wichtiger als alles andere. Dies führte auch zu einer Abgrenzung gegenüber dem nationalkonservativen Pol. Immerhin, eine Bindung an die Mitte bleibt. Im neuen Ständerat dürftenFDP und CVP über eine Mehrheit verfügen, wenn GLP und BD mitziehen.

Was heisst das für die Bundesratswahlen der nahen und weiteren Zukunft? In der “Zeit” vom letzten Donnerstag haben Michael Hermann und ich eine Auslegeordnung gemacht, die zwischenzeitlich mehrfach aufgenommen worden ist. Der rechte und der linke Pol verfügen über je 27 bis 28 Prozent Wählenden-Anteil. Die neue Mitte bringt es auf 25 Prozent. Die FDP.Liberalen auf 15 Prozent.

Die Sitzverteilung hängt von der Ausrichtung der FDP und SVP ab. Auf Dauer wird die FDP ihren zweiten Sitz nicht halten können, ohne elektoral zuzulegen. Vorübergehend ist dies denkbar, wenn die SVP sich nicht an die Regeln der Konkordanz hält, dass heisst gleichzeitige Regierungspartei sein will und Systemkritik betreibt, im gleichen Aufwisch Respekt für ihre Ideen fordert, das bei denjenigen der Partner nicht gewährt. Kurzfristig zentral wird die Positionierung in der Personenfreizügigkeitsfrage resp. zu den Bilateralen sein.

Die Zielvorstellung ist klar: Sinnvoll erscheint es, wenn Rechte und Linke je 2 BundesrätInnen bekommen. Auf der rechten Seite kommen die wohl auf Dauer von der SVP, auf der linke von der SP, solange sie doppelt so gross ist wie die GPS. Koordiniert, sodass politisch berechenbare Entscheidungen möglich werden, kann die neue Mitte einen Anspruch auf 2 Sitze anmelden, während die FDP Sonderstellung seit Verlassen der Allianz der Mitte auf einen käme. In einer engeren Allianz mit der SVP käme das Lager auf drei Sitze, ohne dass die FDP profitieren würde, und auch in einer solche mit der Mitte wäre das Ergebnis gleich.

Damit drängen sich, in Kenntnis des vorläufigen Wahlresultats, aus der Sicht der Lagerbildung für die kommende Legislatur eine Verteilung von 2 SVP, 2 SP, 1 FDP, 1 CVP, 1 BDP auf, allenfalls vorübergehend 2 SP, 2 FDP, je 1 SVP, CVP und BDP auf. Erstere ist artihmetischer und wünschbarer, letztere bedingt keine Abwahl, was auch ein Vorteil ist. Beiden ist eigen, dass sie in einem zentralen Dossier des Wahljahres, der Kernenergie, Stabilität auf Regierungs- und Parlamentsebene sichern.

Das Ziel bleibt, eine Formel für eine Regierungszusammensetzung zu haben, welche der Neuaufteilung der politischen Lager nach der Ueberwindung der einfachen Bi-Polarität zwischen bürgerlich und links Rechnung trägt, die neue Mitte würdigt wie die Pole, Dauerhaftigkeit vespricht, auch wenn sich die Wählendenteile in den Lagern weiterhin bewegen.

Claude Longchamp