Analyse der und Ausblick auf die Zürcher Ständeratswahlen

Der politische Klimawandel mache sich auch bei den Zürcher Ständeratswahlen bemerkbar, schreibt Peter Moser, Chefanalyst beim kantonalen Statistischen Amt. Denn zweite Wahlgänge für beide Sitze sind in Zürich ungewöhnlich. Umso interessanter sind Analysen des ersten Umgangs wie die gestern veröffentlichte Studie .

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Wenn es um parteitreues Wählen bei den jüngsten Ständeratswahlen geht, ist die SVP unübertroffen. Von den 100 Prozent Stimmen, welche die SVP-Wählenden mit ihren zwei Linien abgeben konnten, gingen 41 Prozent an Christoph Blocher, 41 an niemanden, und 18 Prozent an andere KandidatInnen, die meisten davon an Felix Gutzwiller.

Wer nicht so geübt ist, das zu interpretieren, lese das Ergebnis der Studie vom Statistischen Amt wie folgt: Geschätzte 82 Prozent der SVP-Wählenden (2×41%) haben Christoph Blocher aufgeschrieben. Bei 36 Prozent figurierte ein anderer Namen drauf – zum Teil neben Blocher, zum Teil als Alternative zu Blocher. Ebenfalls 82 Prozent füllten nur eine Linie aus. Diener fand sich auf 30 Prozent der GPS-Wahlzettel, Hardegger indessen fast nicht.

FDP, GLP und GPS wählten sehr treu für ihre KandidatInnen Felix Gutzwiller, Verena Diener und Balthasar Glättli. Leere Linien hatte es aber klar weniger als bei der SVP. Die Studie legt nahe von 12 bis 20 Prozent auszugehen. Bei der SP fand Bewerber Hardegger keine einhellige Zustimmung. Etwa 70 Prozent der SP-Wählenden gaben ihm ihre Stimme. Dafür liessen sie zu 30 Prozent eine Zeile leer.

Bei den Kleinparteien in der Mitte gibt es keine wirkliche Parteitreue. Maja Inglold dürfte sich zu 54 Prozent auf den Zettel befunden haben, die von EVP-Wählenden stammten. Bei Urs Hany weist die Studie eine Werte von 38 Prozent für die CVP-Wählenden aus. Nicht bestimmbar ist dieser Koeffizient bei den BDP-Wählenden, die keinen eigenen Ständeratskandidaten zur Verfügung hatten. BDP und CVP wählten am ehesten Gutzwiller und Diener, die EVP votierte überwiegend nur für letztere.

Natürlich, das alles sind “nur” Schätzungen. Schätzungen allerdings, die Politikwissenschafter Peter Moser beherrscht wie kein anderer. Sie überzeugen nicht nur Statistiker, auch für die Theorie geben sie etwas her. Ueber den Bericht des Statistischen Amtes hinaus interpretiere ich das wie folgt:

Die Parteiwählerschaften der grossen Parteien stimmen zuerst aus Ueberzeugung. Sie geben ihre erste Stimme der Partei-eigenen Kandidatur. Bei der FDP, der GP und GLP war das annähernd geschlossen der Fall. Bei der SVP und der SP überwiegend. Nicht belegen lässt sich das für EVP und CVP, allenfalls weil die Aussichten der eigenen Bewerbungen, gewählt zu werden, gering waren.

Mit der zweiten Linie wird taktiert. Bei der SVP in dem Sinne, dass man sie leer lässt, um die Konkurrenz nicht zu fördern. Bei allen anderen Parteien, um die Chancen der verschiedenen KandidatInnen zu befördern. Dabei gibt es zwei Muster: entweder die Bisherigen zu stärken, oder die Wahl der parteinahen zu befördern. Allenfalls überlagert sich beides. So gab es bei der SP eine taktische Unterstützung für die GPS, bei der aber für die GLP, genauso wie bei der FDP, während diese für die GLP optierte.

Den Schluss Mosers, Ständeratswahlen würden zunehmend durch Parteiüberlegungen geprägt, ist an sich richtig. Seine Studie lässt aber einen prägnanteren Schluss zu: Zuerst wird gemäss Parteiraison gestimmt, dann nach Wahlchancen. Bisherigen haben einen Vorteil vor allem im Zentrum, während an den Polen die Block- oder Parteiwahl im Vordergrund steht.

Was nun heisst das für den zweiten Wahlgang? FDP und GLP werden wieder das Rückgrat für Diener und Gutzwiller bilden. CVP, BDP und EVP dürften sich dem mehr oder minder anschliessen. Bei den linken hat Diener klar besserer Chancen Stimmen zu machen. Gutzwiller wiederum wird bei der SVP sehr klar vor Diener liegen. Aufsummiert sind die Wahlchancen für Verena Diener die besten, während Gutzwiller vor Blocher sein dürfte.

Claude Longchamp