#Abst20: Dashboard Volksabstimmungen vom 27. September 2020

Stand 23.8.2020

Wie gehen die Volksabstimmungen vom 27. September 2020 aus? Die Frage interessiert im Abstimmungskampf. Und sie ist heikel zu beantworten. Eine Skizze, wie man es dennoch versuchen kann.

Meine These: In drei Fällen kann man heute die Ausgänge der Volksabstimmung recht zuverlässig abschätzen. Das gilt für die Begrenzungsinitiative, den Vaterschaftsurlaub und die Kampfjetbeschaffung. Letzteres ist am wenigstens sicher. Offen ist dagegen den Ausgang beim Jagdgesetz und bei den Kinderabzügen. Das entscheiden die noch kommenden Kampagnen. Deren Beobachtung wird helfen, zu sehen und zu verstehen, was auf uns zukommt.

Denkbare Tools
In der Wahl- und Abstimmungsforschung hat sich immer mehr die Auffassung durchgesetzt, dass es keine unfehlbares Prognose-Tool gibt. Deshalb empfehlen die meisten Prognostiker, einen Mix an Instrumenten zu verwenden.
Bezogen auf Schweizer Volksabstimmungen kennt man hierzu:
. Umfragen vor dem Abstimmungstag
. Medienanalysen zu Kampagnen (offline/online)
. Schätzungen zum Ausgang
. Parolenspiegel
. Schlussabstimmung im Parlament und
. Inhaltsanalysen der Vorlagen.

Wirkliche Prognosen erlauben nur die beiden letzterwähnten Verfahren. Denn sie stehen, einmal erstellt, fest. Alles andere bewegt sich während des Abstimmungskampfes, sodass der Zeitpunkt der Messung entscheidend ist. Generell gilt: Je länger man zuwartet, umso genauer sind die Vorhersagen. Allerdings verlieren sie damit auch ihren Reiz. Unmittelbar vor der Volksentscheidung braucht es keine Prognosen mehr.
Das Forschungsinstitut gfs.bern hat in den letzten Jahren wichtige Vorarbeiten geleistet. Vor allem werden die Umfragen nicht nur hinsichtlich der Stimmabsichten verwendet. Hinzu gekommen sind Argumententests, bei denen soziale Erwünschtheit weitgehend ausgeschlossen werden kann. Ferner kann man auf diesem Weg auch Schätzungen des Ausgangs durch BürgerInnen machen, die qualitativ eine hohe Plausibilität haben.

Was man zum 27. September 2020 weiss
Ausser Medieninhaltsanalysen zu den Kampagnen vor dem 27. September 2020 liegen zwischenzeitlich alles Tools vor. So kann man bereits jetzt ein Dashboard zu allen fünf Vorlagen erstellen. Zu den Indikatoren von gfs.bern habe ich hier noch die Hauptergebnisse der Umfragen von LeeWas und das Schätzverfahren von 50plus1 miteinbezogen. Die Uebersicht dazu gibt die nachstehende Tabelle:

Tabelle: Uebersicht über die Tools zur Analyse von Ausgangslagen und Abstimmungsergebnissen bei den Volksabstimmungen vom 27. September 2020 (Grafik anclicken um sie zu vergrössern)

* Parolen der Parteien J=ja, N=nein, J(n)= Ja mit namhaften Abweichungen
** p= Wahrscheinlichkeit zwischen 0-100%, v= Verhältnis, addiert auf 100%
*** Vorbestimmtheit=bestimmt dafür und bestimmt dagegen addiert

Legen alle Tool den gleichen Ausgang nahe, kann man dies als Prognose verwenden. Ist dies nicht der Fall, ist Vorsicht angezeigt. Der Ausgang muss unter Umständen als “offen” gelten, er kann aber auch mit der Vorteil für die eine oder andere Seite benannt werden. Das ist dann mehr als ein ungewisser Ausgang, aber weniger als eine gesicherte Prognose.
Bezogen auf den 27. September 2020 bedeutet dies:

. Nein zur Begrenzungsinitiative
. Ja zum Vaterschaftsurlaub
. eher Ja zur Kampfflugzeugbeschaffung
. offen bei den Kinderzulagen
. offen beim Jagdgesetz.

Vorbestimmtheit in Umfrageresultaten als Sicherheitsmass
Dabei hat sich gezeigt, dass der Grad an Vorbestimmtheit ein gutes Mass ist, um die Aussagekraft vor allem von frühen Umfrageergebnisse zu prüfen. Gemessen werden kann dies, indem man die bestimmten Stimmabsichten dafür resp. dagegen addiert. Generell gilt: Je selbsterklärender der Inhalt einer Vorlage ist, desto sicherer sind frühe Umfragewerte. Das ist bei einfachen Vorlagen der Fall, aber auch bei solchen, bei denen eine hohe Uebung in der Entscheidung besteht, weil wiederkehrend über sie abgestimmt wird. Ist eine Vorlage dagegen kompliziert, besteht sie aus verschiedenen Aspekte, die unterschiedliche Antworten nahelegen und handelt es sich um eine Thema, das selten zur Abstimmung kommt, ist mit einer geringen Vorbestimmtheit zu rechnen.

Beispielhaft ausgeführt sei dies anhand der Begrenzungsinitiative. Das Parlament entschied hier klar, doch besteht bei Europa-Frage latent der Verdacht, dass es zu stark aussenorientiert entscheidet. Im aktuellen Fall zeigte sich bei den Parteiparolen keine Abweichung. Sie lauten alle gleich, wie die Fraktionen entschieden haben. Automatisierte Inhaltsanalysen, die auf zentral vorkommenden Begriffen basieren, kommen bei der Bestimmung der Ausgangslage hinzu. Sie alle verweisen auf ein Nein. Das gilt auch für die Expertenschätzungen in der Wettbörse, und es trifft auch bei der Erwartung der Teilnahmewilligen zu. Die ersten Umfragen aus zwei Serien bestätigen dies. In beiden Umfragen resultiert hier (wenn auch mit unterschiedlichen Werten) die höchste Vorbestimmtheit. Das ist nicht so, weil die Vorlage einfach wäre, aber die Konfliktlinie bei EU-bezogenen SVP-Initiativen gut bekannt ist und als Entscheidungshilfe im Einzelfall dient.


(Die Umfrage im März 2020 wurde von gfs.bern für die SRG-Medien gemacht, bevor die Abstimmungen vom 17. Mai ausgesetzt wurden.)

Klar wird zweierlei: Die Ablehnung ist deutlich stärker als die Zustimmung, und die Verhältnisse sind trotz Corona stabil. Die Polarisierung findet erwartungsgemäss zwischen der SVP – mehrheitlich dafür und zwar steigend – und allen anderen Parteiwählerschaften – mehrheitlich dagegen und auch das zunehmend – statt. Die wichtigste Unsicherheit kommt von den Parteiungebundenen. Auch sie lehnen die Vorlage mehrheitlich ab, nur geht der Trend in Richtung Ja.
Dieser Befund wurde mehrfach nachgewiesen. Er spricht für ein Nein. Für ein Ja bräuchte es Ja-Trends an der Basis der bürgerlichen Parteien.

Nicht prädisponiert die die Entscheidungen zum Jagdgesetz resp. zu den Kinderabzügen. Beide Vorlagen lösen Ambivalenzen aus:


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. Steuervergünstigungen für Familien sind links beliebt, rechts nicht. Die vorgesehene Verteilung der Ermässigungen stösst aber gerade links auf Widerspruch. So haben theoretisch beide Pole (unterschiedliche) Gründe, dagegen zu sein. Empirisch ist das heute nur beschränkt der Fall. Doch es kann sich angesichts der vielen Unschlüssigen oder nur teilweise entschiedenen noch ändern. Zu erwarten ist, dass der Nein-Anteil links und im liberalen Umfeld steigt. Das kann auch zu einer Mehrheit führen.


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. Auch das Jagdgesetz löste Ambivalenzen aus. An sich ist klar, dass es Regelungen insbesondere beim Wolf braucht. Die Verunsicherung entsteht hier durch die Ausgestaltung der Vorlage, wonach Tiere auch präventiv geschossen werden dürfen. Das haben Tier- und UmweltschützerInnen früh problematisiert, und es lässt von links her Zweifel aufkommen. Ins Rutschen geraten sind hier die Stimmabsichten der GLP-Wählenden. Veränderungen zeigen sich auch an der Basis von SVP und FDP, aber in die umgekehrte Richtung. Damit findet eine Polarisierung zwischen links und rechts statt. Wer obsiegt, ist nicht offen. Beide Ausgänge sind möglich.

Nachtrag 5.9.
Erstmals ergibt eine Umfrage eine Ja-Mehrheit für die Begrenzungsinitiative der SVP. Realisiert wurde sie vom online-Portal “cash”. Methodische Informationen gibt es kaum, es handelt sich aber sicher um eine ungewichtete online Umfrage mit offenen Zugang, das heisst Mitmachmöglichkeit für allen. Allgemein gilt das als unterste Qualitätsstufe.
Das Ergebnis lautet 56:44 dafür.