Trendkantone und Spezialfälle bei Volksabstimmungen

Viele glauben, der Kanton Aargau sei der Durchschnittskanton der Schweiz. Das stimmt heute eindeutig nicht mehr, wie ein Auswertung aller Abstimmungen seit 1992 zeigt. Heutiger Trendkanton ist Bern, allenfalls begleitet von Baselland und Solothurn.

Multidimensionale Skalierung heisst die Methode, welche die Verwandschaft von Fällen aufgrund ausgewählter Variablen versinnbildlicht. In den untenstehenden Visualisierungen sind die Kantone die Fälle, deren Ja-Anteil bei Volksabstimmung zu Volksinitiativen resp. Behördenvorlagen die Varibale(n).

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Gelesen wird die Karten ausgehend vom Symbol “CH”: Je näher ein Kanton dazu positioniert ist, desto eher ist er in seinen Abstimmungsentscheidungen ein Durchschnittskanton; je weitere entfernt er ist, desto eher spielen kantonale Eigenheiten eine Rolle. Dargestellt sind hier die zweidimensionalen Modelle – vor allem wegen der Lesbarkeit.

Vom nationalen Mittel klar abweichend ist Appenzell-Innerrhoden einerseits. Das gilt sowohl für Volksinitiativen wie auch für Referenden. Der Ostschweizer Halbkanton markiert den rechten Pol bei Volksabstimmungen. Der linke Pol variiert. Bei Volksinitiativen ist es am ehesten der Kanton Jura, bei Behördenvorlagen der Kanton Genf. Alle anderen Kantone sind dazwischen angesiedelt. In der deutschsprachigen Schweiz bildet Baselstadt den linken Pol, in der französischsprachigen Schweiz ist der Kanton Wallis der rechte.

Die Position eben dieses Kantons legt nahe, dass es eine weitere Dimension in den Abstimmungsentscheidungen gibt. Man kann sie bei Behördenvorlagen die Regierungstreue nennen, bei Volksinitiativen, die Initiativfreundlichkeit nennen. Das Wallis markiert hier einen Pol. Kein Kanton ist so oppositionell, sowohl gegen Regierungsvorlagen wie auch gegen Volksinitiativen. Anders das Tessin. Zwar stimmt man auch hier nicht besonders regierungstreu, dafür aber initiativfreundlich.

Offensichtlich wird mit dieser Uebersicht, dass die Sprachregionen für die Zeit nach dem EWR eine wichtige Determinante der Abstimmungsentscheidungen sind. Das steht nicht im Widerspruch zur kürzlich veröffentlichen Uebersicht, die Michael Hermann publizierte. Denn bei ihm beschränkt sich die Analyse auf die deutschsprachige Schweiz, was die Bedeutung der Sprachregionen ausblendet.

Mit Bezug auf das kommende Abstimmungswochenende sind solche Karten ein guter, wenn auch nur grober Radar. Gut ist er, weil er eine Uebersicht gibt, mit welchen Kantonen nationale Trends ermittelt werden können. Grob bleibt er aber, weil es je nach Thema und Konfliktmuster relevante Abweichungen geben kann. Entsprechend müssen die Uebersichten fallweise spezifiziert werden. Im aktuellen Fall bedeutet dies, dass ich bei der Asylgesetzrevision am Sonntag mit den Kantonen Bern, Zürich und Graubünden als Trendsetter arbeite, während es die Kantone Solothurn, Graubünden und Baselland sein werden, wenn es um die Volkswahl des Bundesrates geht.

Claude Longchamp