Hochrechnungen am 13. Februar 2011

Heute werden zwei Vorlagen hochgerechnet: Die eidgenössische Volksabstimmung zur Initiative “Schutz vor Waffengewalt” und die Volksabstimmung über Kanton Bern zur Fortführung des Kernkraftwerkes Mühleberg.

1200
Die Urnen sind gesamtschweizerisch geschlossen. Es beginnt die Auszählung der heute eingegangen Bulletins. Die Hochrechnung der eidgenössischen Volksabstimmung wird vorgezogen; sie soll spätestens um 14 Uhr vorliegen. Die kantonalbernische folgt danach. Hier kann es 15 Uhr werden, bis man Genaues weiss.
Um 12 Uhr haben wir die Zusammenfassung einer Studie publiziert, welche die Verläufe der Meinungsbildung bei Volksinitiativen im Vergleich untersucht. Sie zeigt, dass der Rückgang der Zustimmung der wahrscheinlichste Verlauf ist, wenn auch nicht der einzige. Tritt er ein, erreicht er im Schnitt 11 Prozent. Die Variabilität ist aber gross. Punktgenaue Prognosen sind also nicht möglich, qualitative Aussagen aber schon. In Abstimmungskämpfen zu Inititive überwiegt der Nein-Trend.
Die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung der Initiative “Schutz vor Waffengewalt” ist demnach gegen. Mehr dazu um 1230.

detail
Gleiche Botschaft, ungleiche Wirkung: Die Bewahrung der Tradition kommt im konservativen Klima gut an, aber unterschiedlich stark in den Sprachregionen.

1230
Die Waffen-Initiative wird effektiv abgelehnt. Das sagt die Trendrechung unseres Instituts für die SRG SSR Medien. Sie scheitert am Volks- und Ständemehr. So viel ist jetzt schon klar.
Das Bild der Schweiz ist allerdings sehr uneinheitlich. Die italienischsprachige Schweiz lehnt die Initiative klar ab, in der deutschsprachigen gibt es einen massiven Stadt/Land-Gegensatz, während in der Romandie ein knappe Ja wahrscheinlich ist.

1300
Die Hochrechung zur Waffen-Initiative liegt vor. Demnach stimmen rund 57 Prozent gegen die Vorlage, zirka 43 dafür. Bei diesem Volksmehr ist das Ständemehr unerheblich.
Der Trend, der sich im Verlauf der Kampagne abzuzeichnen begann, bestätigt sich damit. Innert gut 6 Wochen verringerte sich der Anteil von 52 über 47 auf vorläufig 43 Prozent Ja. Das wären 9 Prozentpunkte Meinungswandel, verbunden mit einem Umschwung in der Mehrheit. Gleichzeitig baute sich das Nein vor allem während des Abstimmungskampfes auf.
Ueber die allgemeinen Ursachen hinaus kann man auch die aktuellen Kampagnen miteinbeziehen: die Gegnerschaft hielt bis zum Schluss die Intensität durch, die BefürworterInnen waren gegen Ende weniger präsent.

trend_2011-02-13-1330

1330
Die Hochrechnung zur Waffeninitiative stabilisiert sich. In der Romandie wird bestätigt, dass die gemischtsprachigen Kantone Wallis und Freiburg ablehnen, die rein französischsprachigen voraussichtlich geschlossen zustimmen. Im Tessin wiederholt sich das massive Nein, und die deutschsprachige Schweiz wird zwischen Stadt und Land zerrissen. In Baselstadt sagt man zu fast 60 Prozent Ja, in Uri zu über 70 Prozent Nein.
Wir erwarten die Erstanalyse um 1400. Es geht alles viel schneller als erwartet.

1400
Die Erstanalyse der Waffen-Initiative auf Kantonsbasis liegt bereits vor. Demnach wir das Abstimmungsergebnis zunächst durch eine klaren Links/Rechts-Gegensatz gekennzeichnet. Die Linke sammelte in der Romandie und in den deutschsprachigen Städte über ihre WählerInnen-Stärke hinaus auch Zentrum- und rechte Stimmen. Es ist davon auszugehen, dass die Wähler von SVP, FDP, wohl aber auch der CVP mehrheitlich ablehnten.
Die Erstanalyse bestätigt, dass ein massiver Wertekonflikt vorliegt. Die Vorlage polarisiert zwischen Regionen mit traditionellen und modernen Werten, aber auch entlang der Grundhaltung von Regionen zur Armee.
Keine verbindlichen Aussagen kann man zum Stimmverhalten der Geschlechter machen. Die dafür nötigen Grundlagen müssen mit der VOX-Analyse erst noch erhoben werden.

1415
Die Hochrechnung zur kantonalen Konsultativabstimmung liegt vor. Sie gibt 52 Prozent Zustimmung zur Fortführung aus kantonalbernischer Sicht. Der Fehlerbereich beträgt aber +/-3 Prozentpunkte, sodass Vorsicht angezeigt bleibt.
Der Unsicherheitsbereich besteht, weil uns jede Information über die Stadt Bern fehlt. Aufgrund von Referenzgemeinden für die Hauptstadt geht unsere Hochrechnung aber von einer Ablehnung der Fortführung in der Hauptstadt im Verhältnis von 3:2 aus. Das ist stellvertretend für Bern in die Hochrechnung eingeflossen.

1435
Nun liegt die Stadt Bern definitiv vor. Das Ja beträgt hier nur 35 Prozent. Damit verändert sich unsere Hochrechnung etwas, aber nicht entscheidend. Sie kommt akuell auf 51,5 Prozent Ja, und 48,5 Prozent Nein. Es bleibt knapp, aber unverändert mit Vorteilen für die BefürworterInnen.

KKW

1500
Die Erstanalyse zur Abstimmung im Kanton Bern liegt vor. Zunächst kann man festhalten, dass die urbanen Gebiete in Bern und Biel anders als die Mehrheit entschieden haben. In diesen Regionen liegt der kritische Stimmenanteil zur Fortführung der Kernenerigepolitik über dem Potenzial der linken Parteien. Das spricht dafür, dass im städtischen und teilweise auch im agglomerierten Umfeld auch ein erheblicher Teil des Zentrums, der GLP, der EVP und vielleicht auch der CVP gegen die Fortsetzung von Mühleberg gestimmt hat.
In den stärker ländlichen Gebieten entspricht die Zustimmung zu Mühleberg II weitgehend dem bürgerlichen Potenzial.
Das kann auch mit der Sozialstruktur in den befürwortendenen und ablehndenen Bezirken illustriert werden. Wo es einen hohen Anteil an Landwirten und Baugewerbe hat, ist die Befürwortung der Kernenergie signifikant höher als im Schnitt, während ihre Ablehnung vermehrt vorkommt, wo es viele Beschäftigte im Unterrichts- Gesundheits- und Sozialbereich hat.
Die Vermutung, dass es sich bei der Entscheidung um einen typischen postmarialistischen Konflikt handelt, der sich entlang verschiedener Zukunftsvorstellungen zur Energiesicherheit äussert, bestätigt sich. Es zeigt sich, dass das in Bern zwischen den Siedlungsräumen polarisiert, und durch den Parteienkonflikt abgebildet wird. Der mehrheitlich bürgerliche Kanton folgte damit dem Parlament, während die rotgrüne Regierung mit ihrer Opposition knapp in die Minderheit versetzt wurde.

1530
Die nationale Stimmbeteiligung liegt gemäss Hochrechnung bei 49 Prozent. Sie ist aber noch nicht definitiv, weil der Kanton Bern Verzug hat. Die Struktur der Zusatzbeteiilgung über das Normale hinaus, das gegenwärtig 43 Prozent zeigt, spricht für eine massive Politisierung der Bevölkerung in der deutschsprachigen Schweiz. Dabei ist die Zusatzmobilisierung im ruralen wie urbanen Bereich ähnlich stark.
In der Romandie findet sich kaum etwas davon, das gilt auch für die italienischsprachige Schweiz.

1700
Es war ein heftiger Abstimmungstag. Selber war ich ein wenig reduziert. Das medizinische Fieber überlagerte heute mein Abstimmungsfieber.
Die Hochrechungen waren schnell und präzis. Beide waren auf Anhieb auf 1 Prozent genau. Beim Kanton Bern haben wir dabei Neuland beschritten.
Die Umfrage zeigte den für Volksinitiativen typischen Verlauf. Wie 80 Prozent aller Initiativen begann auch die Waffen-Initiative besser als sie entdet. Das hat nicht mit Umfragefehlern zu wie gelegentlich behauptet wird, sondern mit der Dynamik der Meinungsbildung. Bei der wissen wir, dass sie bei Volksinitiativen Meinungswandel, ja Meinungsumschwünge zulässt.
Die Ursachen müssten noch genauer untersucht werden. Heute haben wir mal drei Vermutungen geäussert: Erstens, der Informationsstand nimmt zu, und damit die Kenntnis der Details und Folgen der Initiative. Das wäre für die Demokratie das Beste. Das Schlechteste wäre es, es würde genau einem unterschiedlichen Mitteleinsatz in Kampagnen entsprechen. Gut denkbar ist aber, dass sich die Problemdeutung ändert. Zu Beginn der Meinungsbildung hatte man vor allem die Unfälle in Zug, im Wallis und Zürich in Erinnerung. Das dominierte das problematische Problembild. Am Ende überwog die Zustimmung zur Tradition im Milizsystem, zur Bürger/Soldat-Symbiose. Dies passt ganz gut in den konservativen Grundtrend der Schweizer Politik, der seit der Enttäuschungen über die Finanzmarktkrise und ihre Auswirkungen auch die Schweiz erfasst hat.

Claude Longchamp