Final Polls and Projections: Was Messungen, Berechnungen und Modelle für den Ausgang der US-Wahlen erwarten

Noch ist in den USA nicht Wahltag, und Umfragen sind bis zum Schluss möglich. Dennoch, die meisten Prognosetools haben ihre letzten Erhebungen und Projektionen gemacht. Hier eine Uebersicht!

Die Zahl der Hochrechnungen zum Elecotral College hat sich auf 14 erweitert. Berücksichtigt habe ich dabei nur noch die, die eine Tage vor der Wahl eine Aussage zum Sieger machen. Konkret: 12 Instrumente geben Präsident Barack Obama als Sieger, 2 Herausforderer Mitt Romney.

Tabelle: Uebersicht über die letzten, aufgrund von Umfragen hochgerechneten Elektorenstimmen für Obama und Romney

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Eindeutige Verhältnisse erwarten die Politikwissenschafter Josh Putnam, Drew Linzer, die Statistiker Nate Silver und Sam Wang, der Analytiker Scott Eliott sowie die Plattformen RealClearPolitics und AmericanProspect. Sie alle geben Obama mindestens 303 Elektorenstimmen, Romney maximal 235. Einen knapperen Ausgang erwarten namentlich Ezra Klein, Kolumnist der WashingtonPost, Politologe Larry Sabato, und die Wahlforscher JayDeSart/Thomas Halbrook. Bei ihnen reichte es dem Demokraten für 281 bis 294 Stimmen, dem Republikaner für 244 bis 257.

Nicht ganz festlegen lassen sich ElectoralVote und TalkingPointMemo, da sie die umstrittensten Bundesstaaten nicht klassieren. Bei ElectoralVote sind die North Carolina und Colorado, bei TPM ebenfalls North Carolina, erweitert um Virgina und Florida. Trotzdem sehen sie Obama über 270 Stimmen und damit als Sieger. Das ist beispielsweise bei der WashingtonPost anders, die auch einen Tag vor der Wahl nicht sagt, wer gewinnt.

Den eigentichen Gegenpool unter den Prognostikern bilden Karl Rove und die Plattform UnskewedPolls. Nach ihnen heisst der Wahlsieger Mitt Romney, denn er weiss gemäss diesen Hochrechnungen mindestens 285 Elektoren hinter sich. Die obengenannte Wackelstaaten sieht er alle zugunsten des Republikaners stimmen, hinzu kommen Ohio, Iowa und New Hampshire; bei UnskewedPolls kommen weitere hinzu.

Der hauptsächliche Grund für die verschiedenartigen Einschätzungen betrifft die verwendeten Umfragen. Die beiden letztgenannten Prognostiker bauen stark auf RasmussenReport und Gallup, die Wahlergebnisse recht entfernt vom mainstream der verschiedenen PollingFirmen nahelegen.

Die meisten Analytiker arbeiten deshalb nicht einzelnen Umfrageserien, sondern mit Mittelwerten über viele oder alle Umfragen. Prozentuiert auf die beiden Kontrahenten, sind die Werte nahe beisammen:

. RealClearPolitics: 50,4:49,6 (für Obama)
. Pollster: 50,5:49,5
. TalkingPointMemo: 50,5:49,5
. ElectionProjection: 50,6:49,4
. FiveThirtyEight: 51,0:49,0
. ElectionConsortiumProjection: 51,2:48,8

Kontrolliert werden solche Umfragemittelwerte zudem durch nicht-demoskopische Tools. Zu denen zählen Wahlbörsen, Modellrechnungen und Expertenurteile. Auch die legen zwischenzeitlich den gleichen Wahlausgang nahe:

. Wahlbörsen (IEM) 51,0:49,0
. Oekonomische Modelle 50,3:49,7 (mit einer grössere Varianz im Einzelbeispiel allerdings)
. (anonyme) Expertenschätzungen: 50,5:49,5.
. IndexModelle (zu Themen und Personen): 52,7:47,3

PollyVote, einen unabhängige Plattform auf Internet, wo das alles zusammengefasst wird, hat einen Tage vor der Wahlverkündet: “Polly’s final forecast: Obama 51.0% v. Romney 49.0%

Claude Longchamp

Von Wähler- zu Elektorenstimmen: Was sie die 13 Umrechnungs-Tools sagen

Zwischenzeitlich gibt es 13 Uebersichten zu den erwarteten Verteilungen der Elektorenstimmen bei den US-Präsidentschaftswahlen. In 42 Bundesstaaten (incl. Washington DC) sind sich alle Analytiker einig; in 10 gehen die Einschätzungen auseinander. Eine Auslegeordnung zu den Tools und ihren Ergebnissen!

Tabelle:
Uebersicht über hochgerechnete Mehrheit in den Swing-States nach Tools


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Ein Grund für die unterschiedlichen Bewertungen liegt in den angewandten Berechnungsverfahren. Ein zweiter könnte von den politischen Orientierungen einiger Analytiker abhängen; ein dritter hat eher mit medialen Interesse zu tun. Medien lassen gerne mehr offen, um Spannung zu erzeugen; und von einigen Prognostikern weiss man, dass sie für die eine oder andere Seite arbeiten. Immerhin, auch Politikwissenschafter haben sich unter die Rechner der Nation begeben, und leisten ihren Beitrag zur Umrechnung von Wähler- in Elektorenstimmen.

Karl Rove, der frühere Berater des republikanischen Präsidenten George W. Bush, ist das eine Extrem. Er lässt das Ergebnis in 9 der 10 diskutierten Bundesstaaten offen – mit dem Effekt, dass weder Obama noch Romney den Wahlsieg auf sicher. Aehnlich verfährt die Washington Post (WaPo), die sich in 7 der kontrovers beurteilten Staaten nicht festlegt, und ebenfalls von einem noch unentschiedenen Ausgang spricht. Aus dieser Warte hat der Republikaner 206 Stimmen auf sicher, während der Demokrat auf 221 resp. 243 kommt. Für die Wahl sind 270 nötig.

Das andere Extrem findet sich bei Drew Linzer und Josh Putnam, zwei ausgewiesenen Professoren für Politikwissenschaft. Obwohl verschieden arbeitend, haben sie alle Bundesstaaten eingeordnet. Und zwar genau gleich. Beide kommen auf 332 Stimmen für Obama und 206 für Romney. Der bisherige Präsident würde wiedergewählt.

Die 9 anderen Uebersichten befinden sich zwischen diesen beiden Polen – mit einer grossen Gemeinsamkeit: Keine einzige sieht aufgrund der Elektorenstimmen Mitt Romney als Wahlsieger, alle favorisieren Barack Obama!

Konkret handelt es sich um die Analyen:

. des Statistikers Sam Wang vom “ElectionConsortium” der Uni Princeton (ECP)
. des Statistikers Nate Silver, der für die New York Times unter “538” bloggt
. der Internet-Plattform “Real Clear Politics” (RCP)
. des Analytikers Scott Eliott, Leiter des eher konservativen “ElectionProjection” (EP)
. der Spezialwebsite “270towin
. der Politkwissenschafter Jay DeSart und Thomas Holbrook
. der Internet-Plattform “Talking Points Memo” (TPM)
. der Spezialwebsite “ElectoralVote” (EV)
und
. eZeitung “HuffingtonPost” (HuffPost)

Gemäss diesen Analysen sind Michigan, Nevada, Wisconsin, Iowa und Ohio nicht wirklich umstritten. Sie werden alle dem Präsidentenlager zugeordnet. Kontrovers diskutiert werden noch 5 Bundesstaaten:

. North Carolina,
. Florida und
. Virgina

verortet man mehr oder weniger beim Republikaner,

. Colorado und
. New Hampshire

eher beim Demokraten.

Das führt zu 277 bis 319 Elektorenstimmen für Obama und zu 191 bis 257 für Romney. Oder anders gesagt, alle geben Obama mehr oder minder deutlich den Wahlsieg. Die knappesten Ergebnisse entstehen unter anderem auch deshalb, weil einige der Tools Stimmen in Bundesstaaten mit ganz knappen Aussichten nicht vergeben.

Die Bilanz ist damit viel klarer als bei nationalen Umfragen. Selbst wenn dieses nur leichte Vorteile für Obama zeigen, vergrössert sich sein Vorsprung auf der entscheidenden Elektorenebene nicht unwesentlich.
Theoretisch kann man die Wahl auch mit einer Minderheit von Stimmen aus der Bevölkerung gewinnen, wie das die erste Wahl von Bush im Jahre 2000 zeigte. Seither haben die Amerikaner hinzu gelernt. Sie schauen genauer, auf das, was in den Bundesstaaten geschieht und addieren deren Elektorenstimmen.

Claude Longchamp

“ElectoralVote”: Präsident Obama führte die Wahl bei den Elektorenstimmen stets an

Zu den in der Schweiz vernachlässigten Tools zu den US-Wahlen zählt ElectoralVote. Zu Unrecht, meine ich. Denn die relevante Information, die Verteilung der Stimmen im Electoral College, findet sich hier vorteilhaft zusammengestellt.

Anders als die meisten Uebersichten, verfolgt man bei www.electoral-vote.com nicht die bundesweiten Umfragen, sondern die in den Gliedstaaten. Der Grund ist einfach: Aller Aufmerksamkeit für das Ergebnis der Erhebungen in den Vereinigten Staaten zum Trotz entscheiden die US-Bundesstaaten einzeln, vom wem sie gesamthaft regiert werden. Die Volksmehrheit nützt da nichts, wenn man keine Mehrheit der Elektoren hinter sich weiss.


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Seit 2004 leistet ElectoralVote einen bemerkenswerten Beitrag zur Uebersicht amerikanischer Wahlen, und ist dafür mehrfach ausgezeichnet worden: Die Umfragen in jedem Staat werden laufend dokumentiert; darauf aufbauend wird das Verhältnis an Stimmen im Electoral College täglich neu hochgerechnet. Geleistet wird dies auf zwei Arten: Zuerst aufgrund der Staaten, in denen die Entscheidung sicher ist. Ergebnis: Barack Obama führt mit 237 Stimmen, gegenüber 191 Stimmen für Mitt Romney. Um Präsident zu werden, braucht es jedoch 270 Elektorenstimmen. Damit ist man bei der zweiten Addition von ElecotralVote, die jeden Bundesstaat dem einen oder anderen Kandidaten zuordnet, auch wenn die Umfragen knapp ausfallen. Ergebnis jetzt: 281 zu 206 für den bisherigen Präsidenten, der damit wiedergewählt würde.


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Das Resultat am Wahltag wird mit Sicherheit noch etwas anders ausfallen: Denn Virgina, Florida und Colorado weisen ein “tie” auf; beide Kandidaten sind in den Umfragen gleichauf. Doch selbst wenn der Republikaner Romney all diese drei Staaten für sich entscheiden und die 51 Stimmen machen sollte, verfehlt er den Wahlsieg.

Der Zeitstrahl von ElectoralVote belegt zudem, dass Obama nicht erst seit dem Wirbelsturm “Sandy” führt. Diesen Eindruck vermitteln nur die bundesweiten Umfragen. Die hier vorgestellte Methode gab zu jedem Zeitpunkt einen Vorsprung für Obama. Ausser ein paar Tage im Juni reichte es auch stets für die 270 nötigen Stimmen.




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Folgt man ElectoralVote, sind nur Florida, Colorado und Virgina noch ganz offen. Knapp ist der Vorsprung von Romney namentlich in North Carolina, der von Obama in New Hampshire, Nevada und Ohio, allenfalls auch in Iowa und Wisconsin.

Selbstverständlich hängt auch diese Uebersicht von den Umfragen und deren Bewertung ab. ElectoralVote neigt keinem Kandidaten zu, ist aber vorsichtig. Doch drückt sie sich nicht um eine Aussage, wie das andere machen, die so viele Bundesstaaten als offen taxieren, bis niemand mehr eine Mehrheit hat.

Zwei weitere Uebersichten gehen einen vergleichbaren Weg mit ElectoralVote: Die eher Obama-skeptische Plattform “RealClearPolitics” gibt ihm mit wahrscheinlichen 290:248 gute Wahlchancen (64% Wahrscheinlichkeit), und die New York Times, zu Obama neigend, schreibt ihm gar 307 der 538 Elektoren zu – und nennt eine Wahrscheinlichkeit von über 85%, dass der neue mit dem alten Präsidenten identisch ist.

Claude Longchamp

USWahl12: Fifty-fifty, mit leichtem Plus für …

“Tie” nennen die Amerikaner eine unentschiedene Wahl. Das legt ein Rundgang durch die diversen Prognosen eine Woche vor der Präsidenten-Wahl für die anstehende Entscheidung nahe. Einzelne Instrumente geben ein Plus für … Obama oder Romney!


Unklar, welche Nase vorne ist: Elektorenstimmen knapp für Obama, Volksmehrheit knapp für Romney, so die Bilanz eine Woche vor der Wahl

3 Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen 2012 machte die Fachzeitschrift „PS“ (Political Science&Politics) tabula rasa. Präsentiert wurden 13 Wahlprognosen, alle 299 bis 57 Tage vor der Wahl erstellt. Ihre Gemeinsamkeit: einfache Erklärungen der Wahl mit Faktoren wie Wirtschaftslage oder Popularität des Präsidenten. Ihr Unterschied: 6 geben Obama als Sieger, 5 Romney; bei zweien ist der Abstand für eine eindeutige Aussage zu gering. Das bekanntere Instrument mit den Halbe-Halbe-Ergebnisse ist „The Time for Change“-Modell, entwickelt von Alan Abramovitz. Demnach wird Demokrat Obama mit 50,6 Prozent gewinnen, weil es keine genügende Wendestimmung zugunsten des Republikaners Romney gäbe.

Nicht zuletzt die unerwarteten Ergebnisse der Parteitage und TV-Debatten haben gezeigt, die Zukunft nicht alleine in Kenntnis der vergangenen Mechanismen vorhersagen zu wollen, ist riskant. Denn das ist die Schwäche aller noch so elaborierten Modellrechnungen. Die Uebersicht PollyVote versucht das zu umgehen: Nebst den genannten 13 Modellrechnungen (und einigen weiteren) integriert der Superaggregator auch aktuelle Umfragen, Wahlbörsen und anonymisierte Expertenschätzungen. Ergebnis eine Woche vor der Wahl: Obama gewinnt ganz knapp mit 50,9 zu 49,1. Für den Präsidenten sah es auch schon besser aus: 52,4 zu 47,6 war sein Wert nach den Parteitagen und vor den TV-Auftritten. Das Mittel der von PollyVote berücksichtigen Umfragen resp. der ökononischen Modellrechnungen geben je ein perfektes Patt; die miteinbezogenen Experten und die Wahlbörsen tendieren mit 51:49 minimal zugunsten des Demokraten. Prognosen aufgrund von Personeneigenschaften schliesslich favorisieren Obama mit 52,5 zu 47,5.

Doch auch diese Rechnungen haben einen Nachteil: Sie sagen nur das nationale Wahlergebnis der beiden Bewerber voraus. Entschieden wird aber in den Bundesstaaten, denn diese bestimmen Staat für Staat das Wahlgremium, das Ende Januar 2013 den neuen Präsidenten wählen wird.

Zwei Tools, die Bestandteil von PollyVote, die es medial zu grösster Beliebtheit geschafft haben, sind da besser unterwegs: FiveThrityEight, das Prognoseinstrument der New York Times, und RealClearPolitics, die Internet-Uebersicht. “538” setzt auf Obama, und zwar bei den Elektorenstimmen (297:241) wie auch bei der Volkswahl (50:49). RCP gibt Romney bei den Stimmen der Wählenden einen Vorsprung (48:47), während Obamas Widerwahl aufgrund der Elektoren (290:248) möglich erscheint. Das spricht am meisten für den Amtsinhaber, denn keines der Tools zur Zusammensetzung des Electoral College sieht Romney als neuen Präsidenten.

Bei den bedeutungsvollen Bundesstaaten konzentriert sich die Aufmerksamkeit in der Schlussphase ganz auf Ohio. Denn hier wurde noch nie ein Republikaner Präsident ohne die Stimmen dieses Gliedstaates gewonnen zu haben. Am Freitag verkündete CNN einen Vier-Punkte Vorsprung für Obama. Die Forscher von American Research Group und Purple Strategies zeigten am gleichen Tage einen Zwei-Punkte Vorsprung für den Präsidenten auf, während die Universität von Cincinnati in ihrem Ohio-Poll vom Samstag von einem “unentschieden” sprach. Und bis ich diesen Artikel verfasst hatte, vermeldete der FOX-Forscher Scott Rasmussen via Twitter, Romney führe nun im wichtigsten Schlachtfeld-Staat mit zwei Punkten Vorsprung … wenigstens bis Sturms “Sandy” Sand in die Wahlkampfmaschienen wirbelt!

Claude Longchamp

Volksabstimmung über das Tierseuchengesetz – was man zum Ausgang jetzt schon wissen kann

Wird das Tierseuchengesetz angenommen oder abgelehnt? Hier meine Antworten im Zusammenhang.

Zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 25. November 2012 gibt es keine Vorbefragungen. Das entschied die Chefredaktoren-Konferenz der SRG Medien, nachdem das Referendum gegen die Doppelbesteuerungsabkommen nicht zustande kam. Namentlich aus der französisch- und italienischsprachigen Schweiz erhalte ich seit letzter Woche vermehrt Anfragen, mit welchem Ausgang man beim Tierseuchengesetz rechnen könne. Mit dem Nein der SVP an der gestrigen Delegiertenversammlung ist das nicht weniger geworden.

Nun kann ich keine eindeutige Antwort geben. Ich kann aber aufzeigen, wovon man aufgrund des Dispositionsansatzes ausgehen kann. Gerne mache ich das hier in drei Schritten.

Erstens, bei der Volksabstimmung über das Tierseuchengesetz handelt es sich um eine Behördenvorlage gegen die das Referendum von einer weitgehend ausserparlamentarischen Gruppe zustande gekommen ist. Im Ständerat war die Sache unbestritten, der Nationalrat entschied sich mit einer Gegenstimme (der von CVP-Nationalrat J. Büchler, Bauernvertreter aus dem St. Gallischen).
Nun sagt der Dispositionsansatz, der Ausgang einer Abstimmung stehe umso eher langfristig fest, je prädisponierter Stimmabsichten aufgrund von Alltagserfahrungen sind. Ist dies der Fall, verstärken Abstimmungskämpfe vorhandenen Dispositionen; ohne das wirken sie im eigentlichen Sinne meinungsbildend.
Ohne Umfragen zur Hand zu haben, frage ich nach der voraussichtlichen Vertrautheit der BürgerInnen mit der Materie und der Komplexität der Vorlage. Ersteres halte ich für gering. Zwar haben einige Lebensmittelskandale der jüngeren Zeit die Sensibilität der SchweizerInnen für Fragen der Tierseuchen erhöht; doch ohne Aktivierung durch die Aktualität gehört das Thema für die Mehrheit nicht zum vorherrschenden Sorgenhaushalt. Die Komplexität der Vorlage ihrerseits ist mittel. Selbstredend ist die Vorlage sicher nicht. Indes, wenn man zu Informationsaufnahme bereit ist, ist der Aufwand beschränkt, und der Sachverhalt, um den es geht, durchaus erklärbar.
Aus dem Gesagten kann man folgern: Es sind erste Stimmabsichten vorhanden; die Ja-Seite hat wohl mehr Unterstützung als die Nein-Seite. Doch sind die vorläufigen Dispositionen nicht gefestigt. Entscheidend ist, zu welchem der beiden denkbaren Szenarien der Meinungsbildung es kommt: Im ersten verteilen sich Unschlüssige auf beide Seiten, was die Aussichten auf ein Ja erhöht resp. vorläufige BefürworterInnen kippen ins Nein, was eine Ablehnung möglich macht.

Zweitens, zwischen dem Diskurs im Parlament einerseits und unter Betroffenen anderseits gibt es offensichtlich einen Unterschied. Für die Bundesrat und Parlament ist klar, Tierseuchen nehmen zu; statt zu reagieren, wollen vorbeugen. Unter den Betroffen stösst das bisweilen auf Skepsis. Sie sehen darin in erster Linie Zwangsimpfungen auf sich zukommen, mit Nachteilen für die Tierhalter.
Ohne jegliche Evidenz für diese abweichende Sichtweise wäre es nicht denkbar gewesen, dass eine bunt gemischte Gruppe ohne Unterstützung einer Partei oder eines Verbandes die Unterschriften fristgerecht beigebracht hätte. Die zweite entscheidende Frage lautet demnach, welche Sichtweise auf Problem und Lösung in Sachen Tierseuchen vorherrscht.
Mit Umfragen ist die Antwort einfacher, aber auch nicht sicher. Denn das Ganze kennt kein stabiles Verhältnis, sondern ist mitunter eine Folge von Kampagnen.
Ueber das eigene Milieu hinaus halte ich den Wirkungskreis der Referendumsführer für recht beschränkt, sodass die Reaktionsweisen der Parteien und Verbände hier mehr interessieren. Massgeblich ist dabei, ob die Behördenallianz im Abstimmungskampf zerfällt oder nicht.
Da ist das Nein der SVP ohne Zweifel ein relevantes Signal. Entscheidender ist allerdings, ob es für sich steht, oder ob es Nachahmung finden. Denn die Chancen für einen Meinungsumschwung steigen, wenn wichtige Verbände und die Zahl der opponierenden Regierungsparteien zunimmt. Damit steigt die Aufmerksamkeit vor allem für die Entscheidungsfindung in den verschiedenen Bauernorganisationen, den konservativen und ökologisch ausgerichteten Parteien. Dem Nein-Lager angeschlossen hat sich bisher nur Bio-Suisse und die EDU, nicht aber die CVP oder die GP – auch nicht der Schweizerische Bauernverband.
Mit einer Umfragenserie könnte man gesicherterer verfolgen; vor allem auch abschätzen, ob ein bekanntes Konfliktmuster entsteht, wobei vor allem die denkbare Frontstellung zwischen Land und Stadt sowie eine mögliche Ablehnung in der deutschsprachigen Schweiz interessiert.

Drittens, es bleibt bei zwei Szenarien, wobei das eine eine Annahme nahelegt, das andere eine Ablehnung zulässt. Ohne breitere Problematisierung des Tierseuchengeseztes ist das erste Szenario wahrscheinlicher als das zweite. Den Anfang hierzu hat sie mit der bundesrätlichen Medienkonferenz vor Wochenfrist gemacht.
Ohne eine Beschleunigung der Kontroverse im Abstimmungskampf ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass es im Vorfeld des 25. Novembers zu einer exemplarisch hohen Beteiligung kommt. Dabei überwiegen aus Erfahrung jene BürgerInnen, die bei eidg. Sachen regelmässig stimmen gehen, sich einigermassen informieren und aus Erfahrung den Behördeninformationen trauen. Das spricht für Zustimmung, ausser die Sache ist kontroverser als man meint.
Beschränkt kann man das dem Internet entnehmen, wo relevante Aktivitäten der Gegnerschaft erkennen, an Plakaten, Inseraten und Medienkontroversen fehlt es aber. Immerhin, die entscheidende Zeit kommt erst noch.

Claude Longchamp

Angestellte Schweiz wohin?

„Angestellte Schweiz“ heisst ein der Verband der Angestellten speziell der Maschinen- und Pharmaindustrie in der Schweiz. Auf Ende Jahr tritt er aus dem Dachverband travaille.suisse aus, um als eigenes Kompetenz- und Dienstleistungszentrum in Erscheinung zu treten. An der Herbsttagung diskutierte er seine Perspektiven.


Benno Vogler, Präsident der Angestellten Schweiz stellt die Frage nach der Zukunft seines Verbandes

An seiner traditionellen Herbsttagung in Bern beschäftigte sich der Verband “Angestellte Schweiz” mit der Lage der Angestellten, ihrem Herkommen und ihrer Zukunft: Volkswirtschafter Mathias Binswanger definierte das Phänomen ökonomisch, spricht aufgrund von Einkommen und leitete daraus Lebensgefühle wie Glück oder Unglück ab. Michael Hermann, Politgeograf, erklärte die (deutschsprachige) Schweiz als typische Mittelstandsgesellschaft, deren Habitus bis in die Gegenwart verbreitet bestehe. Selber versuchte ich darzulegen, dass moderne Gesellschaftsanalysen in der Regel zwischen Ober-, Mittel- und Unterschichten differenzieren, wobei der herkömmliche Mittelstand als alte Mittelschicht weiterbesteht, derweil die Ausbereitung von Angestellten typisch für industrielle und nachindustrielle Gesellschaften seien, mit denen die neuen Mittelschichten entstanden seien.

Eines wurde mir an der gestrigen Tagung klar: Die überwiegende Zahl der Delegierten von „Angestellte Schweiz“ verstehen sich als unverändert als „ Mittelstand“. Einige akzeptieren, ein Teil der modernen Massengesellschaft geworden zu sein und deshalb Züge der Mittelschichten tragen; vom Wunsch her würde man aber gerne wieder zu einem Stand werden. Nur eine Minderheit folgte spontan meiner Einteilung.

Macht das Sinn? Meiner Meinung nach nicht. Ich kann nachvollziehen, wenn Organisationen der Angestellten der marxistischen Lehre nicht folgen, wonach der Hauptwiderspruch in modernen Gesellschaften zwischen Kapitalisten und Proletariat bestehe, wobei Klassen dazwischen zwangläufig verarmen müssten; die Entwicklung seit Marx ist in eine andere Richtung verlaufen. Ich halte es dagegen für eine tiefliegende Sehnsucht von Teilen der organisierten Angestellten, sich als Teil einer Standesgesellschaft definieren zu wollen, die den Kleinbetrieb mit dem Sekretär vor Augen hat, der etwas besserer als die Arbeiter ist und dem Patron zudiente, ohne dessen Position je einnehmen zu können.

Die heutige Realität der Angestellten in der Schweiz ist anders: Sie kommen nicht mehr als spezieller Teil der Beschäftigen in der Industrie vor, sondern sind im privaten und staatlichen Dienstleistungsbereich verbreitet; sie bilden das Gros namentlich der schweizerischen Arbeitnehmer in urbanen Gebieten. Lohnmässig verdienen sie mindestens zwei Drittel des Durchschnittseinkommens, maximal aber das Anderthalbfache. Bildungsmässig differenzieren sie sich immer mehr, indem sie sich teils aus der Berufslehre kommend weitergebildet haben, um aufsteigen zu können, teils aus dem tertiären Bildungsbereich stammen, sich aber in die mainstream-Berufswelt integriert haben. Pensionierte Angestellte von heute zeigen noch klar bürgerliche Werte, solche mittleren Alters neigen zum politischen Zentrum, während die Jüngeren parteimässig offen sind und politisch experimentieren.

Das alles gilt nicht nur politisch, auch sozial, denn die typische Mittelschichtsfamilie mit ihrer herkömmlichen Rollenteilung zwischen Mann und Frau ist erheblich unter Druck geraten, wie auch der jüngste Sozialbericht Schweiz nahelegt: Vor allem bei tieferen Löhnen gibt es verbreitet Aengste, mit dem Einkommen das Leben nicht bestreiten zu können, und sieht man sich durch die Zuwanderung und damit verbundenen neuartigen Lebensweisen bedroht. Ersteres finden sich auch bei jüngeren, gekoppelt mit der Sorge, Krankheiten der Kinder oder Tod der Eltern würden das bisweilen labile Gleichgewicht in der Lebensführung zwischen Arbeit und Familie auseinander brechen lassen. Hinzu kommen auffällige regionale Unterschiede, geprägt durch die gesamtwirtschaftliche und –gesellschaftliche Entwicklungen. Nicht verzichten will man dabei verbreitet auf Statussymbole wie das Auto oder die Unterhaltungselektronik, im Grenzfall ist man aber bereit, keinen (weiteren) Nachwuchs zu haben, um beruflich und gesellschaftlich bestehen zu können.

Meiner Meinung nach ist das die Lebensbasis, von der eine Organisation wie „Angestellte Schweiz ihre Interessenvertretung in der Arbeitswelt und in der Politik ableiten sollte. Drei Thesen, die ich in der Podiumsdiskussion vorbrachte, sollen das zuspitzen:

Erstens, sie dürfen nicht Interessenvertretungen der etablierten Berufsleute sein, sondern sie müssen sich den Problemlagen der nachfolgenden Angestellten-Generationen annehmen.

Zweitens, sie müssen die Frage beantworten, mit wem sie gesellschaftlich und politisch Allianzen eingehen und mit wem nicht, und zwar so, dass sie dabei mehrheitsfähig werden. Die Antworten hierzu sind umso wichtiger, wenn man ein vergleichsweise kleiner Verband ist.

Und drittens, sie müssen nicht nur ihre Mitgliedschaft stärken; in erster Linie müssen sie ihre Oeffentlichkeitsarbeit entwickeln, um im Kampf um Aufmerksamkeit nicht unterzugehen, denn ohne den macht Interessenpolitik heute kaum mehr Sinn.

Claude Longchamp

Die Hälfte der Entscheidungen im neuen Nationalrat fallen ohne die SVP-Fraktion

Die Polarisierung im Nationalrat hat die Blockbildung der Fraktionen erhöht. Wichtiger wird damit, wer mit wem und gegen wen die Mehrheit bildet. Am häufigsten ist das naturgemäss ohne die Polarparteien. Der Trend geht dabei Richtung Ausschluss der SVP-Fraktion.

Susanne Leutenegger Oberholzer, Carlo Sommaruga, Franziska Teuscher, Daniel Vischer und Regula Rytz – das sind die am klarsten links stimmenden NationalrätInnen des ersten Legislaturjahres seit den Parlamentswahlen 2011, derweil ihnen Primin Schwander, Christoph Blocher, Toni Brunner, Lukas Reimann und Hans Fehr am rechten Ende des Spektrums am deutlichsten gegenüber stehen.


Veränderte Blockbildung im Nationalrat: Von der Polarisierung zwischen Bürgerlich vs. Rotgrün (1996), zur Dreiteiliung des Parlament in Rechte, Mitte und Linke (2012). Grafiken anclicken, um sie zu vergrössern

Neu ist das nicht. Klarer denn je zeigt das aktualisierte Parlamentsrating von sotomo aber, dass es keine Zwischenfelder mehr gibt zwischen den Polen links und rechts und der Mitte. Filippo Leutenegger von der FDP, Gerhard Pfister von der CVP, Urs Gasche von der BDP, aber auch Martin Bäumle von der GLP sind zwar die “Rechtsausleger” ihrer jeweiligen Fraktion; bei der SVP wären sie alle aber Exoten. Das gilt genauso für Kurt Fluri (FDP), Jacques Neirynck (CVP), Rosemarie Quadranti (BDP) und Kathrin Bertschi (GLP), die am linken Rand ihrer Fraktionen politisieren, aber alle samt bei SP oder GP massive AbweichlereInnen wären.

Ueber die Zeit nicht wesentlich verändert hat sich ist die mittlere Positionen der Fraktionen. Unter dem Konkurrenzdruck der GLP hat die GP ihre klare Links-Position 2012 etwas abgeschwächt, und die BDP ist, ursprünglich näher bei der FDP, ist im gleichen Zeitraum Richtung CVP gewandert. Quantitativ entscheidend ist aber, dass die Geschlossenheit verschiedener Fraktionen zugenommen hat. Zwischenzeitlich stimmen, im Schnitt, mehr als 95 Prozent der GLP-NationalrätInnen gleich. Ihnen folgen, in Sachen Homogenität, die SP- und GP-Fraktionen. Seit der Abspaltung der BDP homogener geworden ist auch die SVP, bei der heute im Mittel über 90 Prozent der Mitglieder im Nationalrat gleich votieren.

Die grösste Mühe mit der Geschlossenheit hat – unverändert – die CVP; allen “Verlusten an den Flügeln” (Selbstdiagnose) zum Trotz, ist die Homogenität des Stimmverhaltens der Fraktion nach einem Zwischenhoch von 2003 bis 2007 weiter am Sinken, ohne dass eine Umkehr sichtbar würde. Seit dieser Legislatur gilt das auch für FDP und BDP; nur bei letzterer hat das mit Wachstum der Fraktionsgrösse zu tun.

Die vermehrte Blockbildung von den Polen her hat im ersten Jahr nach den letzten Nationalratswahlen die Allianzbildung verändert: Häufiger geworden sind Mitte/Links-Allianzen, aber auch linksliberale Allianzen; ihnen gemeinsam ist, dass die SP entweder mit der CVP (18%; +5%punkte) oder mit der FDP (5%; +2%punkte) die entscheidende Verbindung eingeht. Indes, sie machen trotz anteilsmässiger Zunahme nur eine Minderheit der Entscheidungen in der Volksvertretung aus. Die Mehrheit der Entscheidungen besteht aus Allianzen von SVP, FDP und CVP (42 %; -2%punkte) resp. von SP, FDP und CVP (28%; -4%punkte). Unheilige Allianzen, zwischen SVP und SP (2%; -1%punkt), sorgen zwar regelmässig für Aufsehen, bleiben aber die Ausnahme.

Das kann man auch anders ausdrücken: Wie oft wird eine erfolgreiche Allianz ohne eine bestimmte Partei gebildet, ist nämlich die entscheidende Frage. Die Antwort lautet: In 51 Prozent der Fälle entscheidet der neue Nationalrat ohne die SVP-Fraktion, 42 Prozent ohne die SP-Fraktion, 20 ohne die FDP-Fraktion und 7 Prozent ohne die CVP-Fraktion. Steigend ist der Anteil von Allianzen ohne SVP, aber auch ohne FDP, stabil sind solche ohne CVP, leicht sinkend solche SP.

Mit anderen Worten: 16 Jahre nach der grossen Dabatte über die “Tripolarität der schweizerischen Parteienlandschaft” ist die damalige Erwartung heute Realität geworden. Die Mitgliederstärke der neuen Mitte-Fraktionen reicht trotz nicht, um die Mehrheit alleine zu bestimmen; sie machen von den veränderten Spielmöglichkeiten jedoch Gebrauch, und sie haben den Schwerpunkt erfolgreicher Allianzen von rechts der Mitte zu minim links davon verlagert.

Claude Longchamp

WählerInnenstärken der Parteien: Trends im Aargau und in anderen Kantonen

Die Wahlsiege der GLP und BDP, aber auch die WählerInnen-Verluste von CVP und GP im Aargau passen zu den Ergebnissen in den meisten anderen Kantone. Anders ist dies vor allem beim Wahlergebnis der FDP, beschränkt verschieden bei SVP und SP.

Man kann Veränderungen in den Parteistärken auf kantonaler Ebene verschiedenartig bestimmen: anhand der Sitze oder anhand der WählerInnen-Prozente. Die Sitze haben den Vorteil, gut sichtbar zu sein, aber die ungleiche Grösse der diversen Parlamente beeinflusst das Ergebnis der Aufsummierung zu stark. Das ist beim Anteil unter den Wählenden einfacher: Man kann ihn nach Kantonsgrösse gewichten und erhält so nach jeder Wahl die gesamtschweizerische Stärke der Parteien – auf kantonaler Ebene.


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12 Monate nach den eidgenössischen Wahlen haben 8 vergleichbare kantonale Wahlen nach dem Proporzwahlrecht stattgefunden. Das lässt einen vorläufigen, aber konsolidierten Schluss über Gewinnerinnen und Verliererinnen bei kantonalen Wahlen zu. Und es erlabut, die gestrigen Wahlen im Aargau in die überkantonalen Wahltrends einzuordnen.

Zwei Parteien, die im Aargau zu den Siegerinnen zählten, sind dies auch in den anderen Kantonen gewesen: GLP und BDP. Sie haben den Schwung während der Nationalratswahlen 2011 mit in die Kantone genommen, und bisher überall, wo sie angetreten sind, gewonnen. Bei zwei Parteien stimmt der Trend im Aargau und bei den anderen kantonalen Wahlen ebenso überein – aber er ist negativ: bei der CVP und der GP. Letztere hat mit der GLP eine ernsthafte Konkurrenz für ökologisch ausgerichtete WählerInnen erhalten, die selber aber weniger links sind als die Grüne Partei. Komplizierter sind die Verhältnisse bei der CVP, die in den urbanen Gebieten seit der missglückten Wahl in Zürich kaum mehr zulegt, in diversen Stammlanden aber neuerliche Verluste hinnehmen muss.

Damit enden die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen kantonalen Wahlen. Der wichtigste Unterschied betrifft die FDP. Die überkantonale Bilanz ist leicht negativ; im Aargau setzte es einen Wahlsieg ab. Schnell sprach man von einem “Müller-Effekt”, denn der neue Parteipräsident, Philipp Müller, stammt aus dem Aargau, genauer aus dem Bezirk Kulm. Genau da erzielte die Partei einen Teil der Stimmen- und Sitzgewinne. Eine genaue Uebersicht über alle Wahlen zeigt, dass das neue Phänomen verschiedene Wurzeln hat. Wahlsiegen der FDP in vier Kantonen stehen, seit der Nationalratswahlen 2011, vier Niederlagen gegenüber. Die entscheidende Grösse ist der Erneuerungsprozess der Partei im jeweiligen Kanton. In St. Gallen, Aargau, Schwyz und Uri ist man da weiter als an anderen Orten. Hinzu kommt, dass FDP und SVP kaum je miteinander wirklich stärker werden. Hauptgrund: Teilweise kämpfen sie um gleiche Wählergruppen, wobei je nachdem die eine oder die andere erfolgreicher abschneidet.

Nicht ganz im Trend sind auch die aargauischen Ergebnisse bei SVP und SP. Beide kannten, nach den eidgenössischen Wahlen, etwas unterschiedliche Entwicklungen: Der Ueberraschungserfolg der SP bei den Ständeratswahlen gab der Partei vorübergehend Schub, während der ausgebliebene Wahlsieg der SVP in der kleinen Kammer auf die Stimmung drückte. Beides ist zwischenzeitlich wieder weniger entscheidend, wenn in einem Kanton gewählt wird, und so sind die WählerInnen-Gewinne der SP wieder spärlicher geworden, während die SVP sich Stück für Stück erholt.

Direkte Rückschlüsse von der kantonalen auf nationale Ebene sind im Ueberigen nicht sehr zuverlässig. Das hat damit zu tun, dass sich bei nationalen Wahlen rund die Hälfte der Wahlberechtigten beteiligt, bei kantonalen Wahlen ist es häufig nicht mehr als ein Drittel. Damit sind Effekte des Wechselwählens bei kantonalen Wahlen wichtiger als bei nationalen, während bei diesen zählt, wer wie gut oder wie schlecht mobilisiert. Dazu zählt, dass nationale Wahlkämpfe themenreicher sind als kantonale, und Medienstart den Wahlerfolg mitprägen. Derweil in den Kantonen die unmittelbar bekannten Köpfe wichtiger ist, ob eine Partei gewinnt oder verliert.

Claude Longchamp

Letzlich bestimmte Stabilität den Ausgang der “Testwahl” im Kanton Aargau

Bei einer stabilen Wahlbeteiligung von 32 Prozent wählt der Aargau die gleich breit zusammen gesetzte Regierung wie bisher; bei den Grossratswahlen ist die GLP die Siegerin, und die GP muss am meisten Sitze abgeben, während die CVP am meisten Wählende verliert.

Hier die Fakten.

Zunächst: Die Wahlbeteiligung hat sich gegenüber der Vorwahl nicht verändert. Sie liegt provisorisch bei 31,9 Prozent. 2009 betrug sie 31,7 Prozent.

Sodann: Die Aargauer Kantonsregierung setzt sich parteipolitisch gleich zusammen wie bisher. Die 5 Sitze gehen an 5 Parteien. Stephan Attiger (FDP) ersetzt den zurückgetretenen Peter Beyeler. Der Angriff der SVP für einen zweiten Sitz zulasten der Grünen misslang. Unter den Gewählten liegen Roland Brogle (CVP), Alex Hürzeler (SVP) und Urs Hofmann recht nahe beisammen vorne, während die Bisherige Susanne Hochuli (GP) das schlechteste Ergebnis der Bisherigen erzielt.

Schliesslich: 9 Parteien überschreiten das neue Quorum und ziehen ins Kantonsparlament ein. Gescheitert ist die Sozial-liberale Bewegung. Keine Einzugschancen hatten zudem die SD und die erstmals kandidierenden Piraten. Die grössten Gewinne gibt es für die GLP (+2.0%), die grösste Verluste für die CVP (-1.7%). Weitere Gewinne resultieren für die BDP (1,3%) und FDP (+1,1%). Weitere Verluste setzt es bei GP (-1.5%), EVP (-0.6%) und SP (-0.5%) ab. Halten können sich SVP (+0.1%) und die EDU (-0.1%). Sitzmässig sind die Verschiebungen eher bescheiden: Die GLP bekommt 3 hinzu, die FDP und BDP je 2. 3 Verluste gibt es für die GP, und je 2 für CVP und SLB. Damit tauschen FDP und CVP resp. GLP und EVP die Plätze in der Fraktioonsgrösse. Der Aargauer Grosse Rat ist damit etwas weniger polarisiert, mehr zentriert, – und durch gestärkte GLP, BDP und FDP bürgerlicher.

Bräuchte es einen Kommentar in einem Wort, es wäre “Stabilität”. Trotz erstmalig gemeinsamer Wahl von Regierung und Parlament blieb sich der Anteil Wählender gleich, änderte sich nichts am Parteienschlüssel für die Regierung, und sind die Blöcke im Grossen Rat fast gleich stark geblieben. Die Aargau will weiterhin eine breit zusammengesetzte Regierung und ein Parlament mit einem rechten Schwerpunkt. Für mehr Veränderung reichte auch die am meisten diskutierte Asylpolitik vor Ort nicht.

Im Detail gibt es etwas mehr Volatilität in der Parteienlandschaft: Die nationalen Siegerparteien des letzten Jahres, die GLP und die BDP, konnten ihren Aufschwung fortsetzten. Anders als in den 7 vorgängigen kantonalen Parlamentswahlen, wo die FDP mehr verlor als gewann, gehört diese Partei im Aargau, dem Kanton des neuen Parteipräsidenten, zu den Gewinnerinnen. Ebenfalls anders sieht die Bilanz für die SP aus: Bisher knappe Siegerin bei kantonalen Wahlen, entwickelte sie im Aargau zu wenig Aufbruchstimmung und wurde zur knappen Verliererin bei den Stimmen. Von der gesamtschweizerischen (und aargauischen) Wahlniederlage 2011 nicht erholt hat sich bisher die CVP, welche in der Mitte keine exklusive Position mehr hat. Gar verstärkt hat sich gar der Rückgang der GP. Wählende, welche die Energiewende wollen, könnten auch bei der GLP gelandet sein.

Das mit Spannung erwartete Resultat der SVP ist stabil, sowohl beim Wähleranteil als auch bei den Sitzen. Einiges spricht dafür, dass sich die SVP im Wahlkampf in Fahrt bringen konnte. Der Angriff auf den zweiten Regierungssitz und die negativen Medienberichten dürften die Partei nach Innen motiviert haben. Ein gleicher Effekt ist auf der linken Seite nicht zu vermelden; beide mobilisierten etwas schlechter als vor vier Jahren, als sie zum Angriff auf die Regierung ansetzen, in der sich nicht (mehr) vertreten waren.

Das neue Wahlrecht mit Sperrklauseln hat weniger bewirkt als manche befürchteten. Die Parteienlandschaft bleibt breit. Die Rechte (SVP, FDP, EDU) stellt am meisten VolksvertreterInnen, alleine ist aber knapp nicht mehrheitsfähig. Es folgen mit Abstand der Block der Mitte und der Linken. Akzentuiert hat sich die Konkurrenz im Zentrum, sind doch GLP, BDP und EVP gemeinsam erstmals stärker als die bis anhin tonangebende CVP.

“Testwahl Aargau?” Bei einigen Abweichungen bestärkt sich der Eindruck, die Polarisierung der letzten Jahre schreite nicht mehr voran, was kantonal etwas variierend programmatisch und kooperativ arbeitenden Regierungsparteien neuen Platz verschafft, während die Mitte parteipolitisch und damit auch personell neu aufgemischt wird.

Claude Longchamp

“Testwahl Aargau”: Was lehren uns die bisherigen kantonalen Parlamentswahlen an Trends

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach den gesamtschweizerischen Parlamentswahlen bestellt der Aargau sein kantonales Parlament neu. Verbreitet spricht man von einer eigentlichen Testwahl. Was würde das bedeuten?

Eine WählerInnen-Befragung der “AargauerZeitung” legte, rund einen Monat vor den Wahlen, parteipolitische Stabilität im Regierungsrat nahe. Derweil zeigte die gleiche Erhebung, dass GLP, BDP, aber auch SP und FDP gewinnen könnten, während SVP und CVP mit Verlusten rechnen müssten.

Angesichts der zeitlichen Distanz der Umfrage zum Wahltag, ist Vorsicht angebracht, solche Messungen als direkte Vorhersagen zu verwenden. Hauptrgrund ist, dass die effektive Mobilisierung meist erst in den letzten 2 Wochen einsetzt, und solche Effekte bei der ländlichen Bevölkerung stärker von den Aktivitäten der Parteien abhängt als in der städtischen. Das alleine könnte Verschiebungen in den Parteistärken bringen.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern (Quelle: Parteienbarometer gfs/bfs)

Nun geben auch die kantonalen Wahlen Hinweise auf aktuelle Trends in der Wählerschaft. 2012 fanden solche in den Kantonen Uri, Schwyz, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und der Waadt statt. Drei Parteien sind dabei (gegenüber dem Vorjahr) gewachsen: die GLP (im Schnitt um +0.6%punkte je Wahl) als eigentliche Gewinnerin der kantonalen Wahlen 2012, gefolgt von der BDP (+0.4%) und der SP (+0.3). Anteile verloren haben dagegen die SVP (-0.4%), die FDP (-0,3%), die CVP, die GPS und die äusserste Linke (alle -0.2%). Bei allen anderen Parteien halten sich Gewinnen und Verluste im Gleichgewicht; sie sind 2012 gleich stark wie 2011.

Das spricht, genauso wie das Wahlergebnis 2011, gegen eine weitere Polarisierung der Parteienlandschaft im Jahr 2012. Dafür müssten Parteien wie SVP und GPS zugelegt haben, während solche wie GLP und BDP keine Stärkung erfahren dürften. Vielmehr gilt: Neue Kräfte sind im Aufwind, und die SP ist von der nationalen Verlierer- zur kantonalen Siegerpartei mutiert.

Was den Aargau betrifft, fallen identische Befunde zwischen Befragung und Parteienbarometer beim Plus und Minus auf: Einzig bei der FDP gibt es Widersprüche; in der Umfrage mit einem Plus, rangiert sie in der kantonalen Uebersicht mit einem Minus. Die Bilanz ist allerdings gemischt, denn bei der FDP stehen sich Kantone mit Gewinnen und Verlusten gegenüber.

Typisch für die Trends im Jahr 1 nach den letzten eidg. Wahlen wäre, wenn am Wochenende GLP, BDP und SP im Aargau effektiv zulegen würden, und vor allem die SVP etwas geschwächt würde, aber stärkste Partei bliebe.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern (Quelle: Parteienbarometer gfs/bfs)

Extrapolationen auf die nationale Ebene sind nur eingeschränkt möglich. Dafür haben sich die Trends auf beiden Ebenen zu stark auseinander entwickelt. Das zeigt sich an den Stärken der Parteien auf Kantons- und Bundesebene. Im Mittel der Kantone (mit Proporzwahlrecht) führt die SVP mit 22,1 Prozent (national 4,5 Prozent stärker). Es folgen SP mit 17.7 und FDP.Liberale mit 17.6. Sie rangieren klar vor der CVP (13.4) und der GPS (9.0). Die GLP und BDP kommen 4.3 resp. 3.9 Prozent der Stimmen. Generell gilt, dass die Polarisierung des Parteiensystem auf nationaler Ebene noch etwas deutlicher bleibt, und auch die GLP und BDP 2011 besonder stark profitierten. Die Haupttrends fallen damit verstärkt aus, während FDP und CVP einen vergleichsweise höheren Anteil bei kantonalen Wahlen haben.

Claude Longchamp