Europa 2030: Was EuropäerInnen und SchweizerInnen von der Zukunft erwarten

In der Schweiz sind ökologische Hoffnungen top, während unmoralische Manager hierzulande auch in Zukunft floppen dürften. Das zeigt der Zukunftsbericht 2030 zur Schweiz in einem europäischen 9 Ländervergleich.

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Wenn EuropäerInnen ans Jahr 2030 denken, fürchten resp. hoffen sie …

… zu 61 %, dass Alltagsgüter wie Lebensmittel deutlich teurer sein werden,
… zu 60 %, dass die meisten Paaren zusammen leben, ohne verheiratet zu sein,
… zu 57 %, dass die Kluft zwischen Arm und Reich im jeweiligen Land grösser werden wird
… zu 52 %, dass Altersarmut ist ein ungelöstes Problem sein wird und
… zu 50 %, dass der meiste Müll wird wiederverwertet.

Soziale Aengste, gesellschaftliche Individualisierung und ökologische Hoffnungen stehen an der Spitze der Erwartungen, wie sich Europa in der nächsten Generation entwickelt. Das jedenfalls sind die fünf wahrscheinlichsten Entwicklungen, die eine grosse Bevölkerungsbefragung der Stiftung für Zukunftsfragen in 9 europäischen Ländern (unter anderem auch der Schweiz) ergeben hat. Insgesamt haben Mitte 2008 gut 10’000 repräsentativ ausgesuchte Personen zu 80 möglichen Entwicklung Auskunft gegeben.

Die soeben in Buchform veröffentlichte Studie zeigt auch, was die Menschen im alten Kontinent für unwahrscheinlich halten: dass die Stimme von Jungen in Wahl insküftig doppelt zählt, dass sich die Einkommen der Top-Manager bis 2030 verringern werden, dass Regen und Schnee lokal beeinflusst werden kann, dass Arbeitnehmer statt Geld andere Formen der Entlöhnung erhalten und dass dank Gentechnik Hunger in der Welt verschwindet.

Ulrich Reinhardt und Geogres T. Roos, zwei professionelle Zukunftsforscher aus Deutschland und der Schweiz, haben zahlreiche Kommentare zur aktuellen Erwartung des kommenden Wertwandels in einem Sammelband vereinigt, der, wie es in der Zukunftsforschung nicht anders zu erwarten ist, eher locker mit den vermuteten Trends umgeht.

Das gilt auch für den Kommentar zur Schweizer Umfrage, den Andreas Giger verfasst hat. Ihn interessierte weniger, was man in der Schweiz mehr (“Müllverwertung ganz top”) oder weniger (“Managerlöhne ganz flopp”) als anderswo auf sich selber zukommen sieht. Denn er hielt sich mehr daran auf, dass die SchweizerInnen doppelt so häufig wie etwa die Russinen eines der geschildeten Erwartungen für zutreffen einschätzten. In Europa sind sie fast Europameister, wenn es darum geht, zur Zukunft eine Meinung zu haben.

Der Soziologe folgert daraus, dass “in der Schweiz das Ganze in Form der Gemeinschaft so wichtig ist, dass der Gedanke an der Zukunft weitaus mehr Aengste und Hoffnungen prozuiert als bei den meisten anderen EuropäerInnen.” Das habe mit (national) unterschiedlichen Zukunftskulturen zu tun, als im Grad der individuellen Betroffenheit durch das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen.

Dieser Schluss sei nicht unproblematisch, hält Giger fest, denn er bedinge Uebersetzungsleistungen, von Menschen mit ausgeprägtem Bewusstsein für Feinheiten von Wörtern, Bedeutungen, Sprachen und Kulturen geleistet. Die Briten seien hierfür ungeeignet. Die Schweiz, ironisiert Giger, hätte die besten Veraussetzungen hierfür. Nur wisse sie das noch nicht.

Also, liesst das Buch und spricht darüber!

Claude Longchamp

U. Reinhardt, Georges T. Roos (Hg.): Wie die Europäer ihre Zukunft sehen. Antworten aus 9 Ländern, Darmstadt 2009