Nun ist sie wieder aufgebrochen, die Polemik zwischen Wahlbefragungen und Wahlbörsen. Indes, es sind nicht die Börsianer, die sie führen. Es sind gewisse Medienschaffende, die der Geschichte ihren Dreh geben. Zu unrecht, denn unter den Wahlanalytiker-Fans herrscht ein deutlich höherer Pragmatismus vor.
Drei typische Instrumente: eine Wahlbefragung, das Wahlbarometer, ein geschlossener Expertenkreis, der Prognosemarkt, und eine offene Wahlbörse, jene von SRF.
Zuerst: Herzliche Gratulation an die offene Wahlbörse. Ihr ward hinsichtlich des Wahlausgangs genauer! Die mittlere Abweichung bei den 7 meist diskutierten Parteien beträgt beim Wahlbarometer 1,3 Prozentpunkte im Schnitt, bei den Wahlbörsen mit 0,8 gut die Hälfte davon. Die geschlossene Wahlbörse mit 30 Experten liegt dazwischen, hat eine vergleichbare Abweichung zur Wahlbefragung. In unserer Umfrage ist der Wert für die SVP ausserhalb des Stichprobenfehlers, in der Wahlhörse kann man jenen für die FDP diskutieren. Beim geschlossenen Prognosemarkt rangiert die FDP gar hinter der CVP.
Sodann: Es bestätigen sich zwei Erfahrungen aus ausländischen Vergleichen: Erstens, kein Informationstool, das man zu Vorhersagen einsetzt, ist fehlerfrei. Es kommt darauf an, nicht die Schwächen zu betonen, sondern sie durch einen produktiven MIx zu verringern. Zweitens, die verschiedenen Tools haben ihre typischen Konjunkturen. In den USA sagt man: Makro-ökonomische Prognosemodelle sind für längerfristige Vorhersagen brauchbar, Wahlabsichtsbefragung für mittelfristige, prozessbezogene Einschätzungen, und Wahlbörsen für kurzfristige Prognosen.
In der Schweiz kennt man ersteres nicht. Was den Vergleich von Wahlbefragungen und Wahlbörsen angeht, kommt man zu einer vergleichbaren Einschätzung. Dass BDP und GLP WahlsiegerInnen sein würden – und alle anderen Parteien verlieren könnten, vermeldete das erste Wahlbarometer vor just einem Jahr. Nachher setzte eine Dynamik der Meinungsbildung ein, bestimmt durch Medienthemen, Personendebatten und Bundesratsfragen, deren Wirkungen sich mit Wahlbefragung am besten analysieren liessen. Am Ende ging es um den Ausgang der Wahl, von den Wahlbörsen besser bestimmt als von allem anderen Tools.
Schliesslich: Die Prognose ist die einzige Absicht der Wahlbörsen. Man kann sie in der Schweiz auch bis zum letzten Tag vor der Wahl machen. Das alles ist bei Umfragen nicht der Fall. Sie dürfen 10 Tage vorher nicht mehr publiziert werden. Faktisch waren sie am Wahltag 2011 15-25 Tage alt. Wahlbefragung sind gar auf die Vorhersage im engen Sinne beschränkt. Sie sind aus der Wahlforschung entstanden, gemäss der es drei Fragen zu beantworten gibt: Warum wählt wer wen? Wahlbörsen können das nicht. denn sie beschränken sich auf eine Frage: Wer wird gewählt?
Vielleicht lernt man in der Schweiz, die Stärken der Informationstools vor Wahlen besser einzuschätzen. Mir wär’s recht! Zum Beispiel durch unabhängige Expertenbewertungen, die vom Nutzen der verschiedenen Instrumente überzeugt sind, und das Beste aus dem Möglichen heraus zu holen. Da könnte die Schweiz vom Pragmatismus in der Wahlforschung des Auslands noch einiges lernen.
Statt sich auf die das Eine-gegen-das-Anders-Auszuspielen zu konzentrieren.
Claude Longchamp
Nicht vergessen darf man auch,dass die Meinungsbildung an den Wahlbörsen ja nicht unabhängig von den Wahlbefragungen erfolgt. Vielleicht hast Du ja mal Zeit die kantonalen Resultate der Wahlbörsen zu analysieren. Ich bezweifle, dass dort die Abweichungen vom Wahlresultate auch so gering sind.
da hast du recht, ich habs gemacht, werde es aber erst nächste woche veröffentlichen.
bei den ständeratswahlen gibt es teilweise beträchtliche abweichungen, und der svp wert wurde durch die ergebnisse in der ersten runde massiv korrigiert.
ich glaube, ich mache bald wochenende. mein 19. arbeitstag in serie neigt sich langsam …
Als technischer Betreiber der SRG-Wahlbörse freuen wir uns über Ihr Urteil und Ihre Bezugnahme auf die Börse in den letzten Monaten. Das Prinzip Prognosemarkt hat sich nunmehr als ernstzunehmendes Prognoseinstrument auch in der Schweiz etabliert.
Gestatten Sie uns noch noch folgende Anmerkungen zu Ihrem Blog-Eintrag:
– In der Betrachtung übersehen wurde, dass es zu den Nationalratswahlen einen dritten Prognosemarkt gab, auf der Plattform Wahlfieber. Dieser toppte mit einem MAE von 0,68 das sehr gute Ergebnis der SRG-Wahlbörse. Also ein weiterer ProKons-Prognosemarkt, dem es gelungen ist, ein Wahlergebnis sehr präzise zu prognostizieren. Diese beiden Ergebnisse und auch das Ergebnis bei den Schweizer Wahlen 2007 sowie bei einer großen Zahl von Prognosen in anderen Regionen zeigen die hohe Relevanz unserer Prognosemärkte.
– Prognosemärkte liefern nicht nur kurzfristige Prognosen ab. Betrachtet man die Werte der SRG-Wahlbörse zum Zeitpunkt des Stichtages / der Veröffentlichung des letzten Wahlbarometers sowie ein Monat bzw. 2 Monate vor der Wahl und vergleicht diese Werte mit dem realen Wahlergebnis, dann fällt auf, dass der MAE jeweils um 1 pendelt. Er schwankt zwischen 0,96 und 1,03 (Auf Wahlfieber zwischen 0,72 und 0,90) Die Händler haben also diverse Trends frühzeitig erkannt und nicht erst in den letzten Tagen vor Marktschluss in Kurse umgesetzt. Die Meinungsbildung auf der Wahlbörse fand demnach schon mehrere Wochen vor der Wahl statt und wurde in den letzten Tagen vor der Wahl verfeinert.
Nicht zuletzt hat die wiederholt sehr umfassende, qualitative Marktforschung positiv dazu beigetragen, dass die Händler der Prognosemärkte ein breites Grundlageninformationsspektrum verwerten konnten. Ein solches Spektrum an Informationen schärft die Eigeninterpretation der Händler und ermöglicht ihnen einen selbstsicheren und präziseren Handel.
Mit freundlichem Gruß
Günther Fädler, Thomas Peick
Pro:Kons
Was die Langfristigkeit angeht, sollten sie fair bleiben. Das trifft auch auf Umfragen zu. So ist das erste Wahlbarometer, expost betrachtet, gleich gut wie das erste.
Doch das ist nicht mein Punkt: Die Prognosemärkte haben sich in der Wahlforschung nicht durchgesetzt, weil sie, mehrere wichtige Fragen nicht beantworten (können):
Welche Gruppe wählen welche Partei?
Was sind die entscheidenden Gründe für die Wahl einer Partei?
Welche Absichten verfolgen die Wählenden, wenn sie Wählen?
Reduzieren sie Wahlforschung auf die Prognosefähigkeit, haben sie recht, entsprechend aber gar nicht dem Forschungverständnis der Wissenschaft, allenfalls dem der Medien.
Im Schlussabsatz tönen Sie an, über mehr Inforamtionen zu verfügen, als publiziert wird. Es wäre natürlich sehr spannend zu wissen,w as sie mit “wiederholt sehr umfassnderr, qualitativer Marktforschung” meinen. Machen Sie uns nicht nur glustig, erzählen Sie uns davon. Vielleicht führt uns da weiter.
Wie gesagt als Popperianer halte ich die Lernwillig- und fähigkeit für das entscheidende Kriterium, der Wahlumfragen und Wahlbörsen.
Die Anmerkung zur Langfristigkeit bezog sich auf Prognosemärkte über die Sie in Ihren 3. Absatz im Blog-Beitrag schreiben, sie wäre nur für kurzfristige Prognosen dienlich. Hier möchten wir aufklären.
Und im Gegenteil verkennen wir nicht, dass auch Wahlumfragen langfristige Prognosen bieten können und verweisen in diesem Kontext auf Ihre Umfrage von Juli 2011, die ausgesprochen präzise war. Auf diesen Umstand bezogen wir uns unter anderem auch im letzten Absatz unserer Antwort, als wir von “sehr umfassender, qualtitativer Marktforsching” sprachen – hier sollen vor allem die Wahlforschung des gfs-Bern und anderer gemeint sein. Eben diese qualitativen Erkenntnisse sind eine wichtige Grundlageninformation für Händler auf den Prognosemärkten.
Wir wissen, das Prognosemärkte nicht allumfassend sind und erkennen aber auch, dass sie bestimmte Bereiche abdecken, die prognostisch von Umfragen nicht erfasst werden können (u.a. Prognosen für Kleinstparteien, rasche Reaktion auf reale Ereignisse).
Herzlichen Gruß nach Bern.