Auch der Volatilitätsrekord deutet auch eine Neuformierung des Parteiensystems hin

Die Wahlen in den Nationalrat sind vorbei. Nun folgt die Analyse. Zum Beispiel: Der Volatilitätsindex erreichte beim Nationalrat einen Rekordwert von 11.5 Punkten. Gestiegen ist auch die Zahl relevanter Parteien resp. die Fraktionisierung des Parteiensystem.

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Die Wahlen 1991 waren der einzige eigentliche Einschnitt im Parteiensystem der Schweiz. Es verloren nicht nur FDP und CVP, es gewannen auch die Grünen und die (damalige) Autopartei sichtbar hinzu. Oekologie und Asylpolitik waren die dominanten Themen gewesen.

Danach begann die grosse Polarisierung, mit Gewinnen für SVP und SP rund um die neue Konfliktlinie zwischen Innen und Aussen, Eigenem und Fremden, Schweiz und Europa. 2007 veränderte sich die innere Polarisierung in eine eigentliche Rechtstendenz mit nationalistischen Tendenzen.

2011 zeigt sich ein neues Muster: Von Polarisierung kann nicht mehr die Rede sein. Vielmehr ist es die neue Mitte, die den Trend setzt. Die Harmonisierung schweizerischer Interessen angesichts der Bedrohung durch den Schweizer Franken wurde zur neuen Leitlinie. Zwischenzeitlich überschreiten 7 Parteien die 5 Prozent-Marke. Voraussichtlich die gleichen 7 Fraktionen werden mindestens 10 ParlamentarierInnen haben.

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Der bisherige Rekordwert für die Volatilität bei Schweizer Wahlen lag seit Einführung des Frauenstimmrechts lag bei 10 Punkten; erreicht wurde er im Jahre 2007. Seit 1991 pendelten die Werte stets zwischen 9 und 10. Davor lagen sie konstant viel tiefer, mit einem vorläufigen Höchstwert 1979.

GewinnerInnen, bei Wählenden-Anteilen und in der Sitzzahl sind die GLP und die BDP. Bei der GLP entstand das mit diesen Wahlen. Bei der BDP entwickelt sich alles in mehreren Schritten: Zuerst durch die Parteiabspaltung 2008 von der SVP. Dann durch die Wahlsiege auf Kantonsebene vor allem 2009/10, und jetzt im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen.

Das beeinflusste auch die Sitzverschiebungen bei der SVP, die in zwei Stufen erfolgte – jetzt und mit der Gründung der BDP. Verluste gibt es auch für die fusionierten FDP und LP, sowie für die CVP. Sitzgewinne, bei leichten Verlusten im Wählendenanteil, resultieren bei der SP.

Das neue Parteiensystem der Schweiz kann nicht mehr auf die bisherige, zentrale Spaltung zwischen rechts und links reduziert werden. Denn das vormalige bürgerliche Lager zerfällt zusehends in eine nationalkonservative, eine Mitte/Rechts- und eine Zentrumsgruppe Das nationalkonservative Lager besteht vor allem aus der SVP, ergänzt durch die Lega und das MCR. Mitte-/Rechts sind die fusionierten FDP und LP, und im Zentrum befinden sich, nebst der CVP, die GLP und die BDP.

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Die Fraktionalisierung des Schweizer Parteiensystems hat mit den Wahlsiegen kleiner Parteien wieder zugenommen. Stärker war sie nur 1991. Mit anderen Worten: Die Zahl relevanter Parteien ist grösser, die Polarisierung ist gestoppt, dafür zeichnet sich in der neuen Unruhe im Parteiensystem auch eine Neuausrichtung eben dieses ab.

Claude Longchamp