Politische Kultur – die Definition von Micheline Calmy-Rey

(zoon politicon) Ich war an den 3. Berner Politgesprächen zum Thema “Reden mit Europa – Reden über Europa”. Der Auftakt war nach Mass, der Rest blieb etwas hinter den Erwartungen zurück.
Prägant fand ich die Rede von Micheline Calmy-Rey, der Schweizer Bundesrätin für Aussenpolitik, die weiss, wovon sie spricht. Am Ende ihrer Rede wagte sie sogar eine eigenständige Definition, was politische Kultur ist. Das ist schon schwierig genug in der Politikwissenschaft hinreichend zu bestimmen. Und deshalb ist es umso bemerkenswerter, wenn sich auch eine Politikerin ernsthafte Gedanken dazu macht. Hier ihre Worte:

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“Stichwort politische Kultur: Salopp gesagt ist das in der Regel ganz einfach das, was dem politischen Gegner fehlt. Erlauben Sie mir aber einen etwas präzisieren Definitionsversuch: Wenn das Gegenteil von Kultur die Natur ist, so wäre das Gegenteil von “politsicher Kultur” wahrscheinlich eine Art Polit-Darwinismus: das heisst ein Dschungelkampf der Partikular- und Staatsinteressen.
Politische Kultur steht aber offensichtlich für einen etwas zivilisierteren Umgang. Was nicht heissen soll, dass dabei alle der gleichen Meinung sind und die gleichen Ziele verfolgen. Innen- wie auch Aussenpolitik soll zwar kein Dschungel sein. Sie ist aber mit Sicherheit auch kein Streichelzoo.
Politische Kultur bedeutet vielmehr, dass mit den Unterschieden, mit der Konfrontation und zuweilen auch der Kollision der Interessen umgegangen werden kann. Es ist die Fähigkeit, divergierende oder sogar widersprüchliche Interessen zu bündeln und pragmatisch zu einer breit abgestützten Lösung zu integrieren. Es ist – auf eine Formel gebracht – die Kunst des produktiven Streitens im öffentlichen Bereich bzw. auf internationalem Parkett.
Ich denke, die Schweiz und die Union haben dieses gemeinsame kulturelle Fundament, auf dessen Basis der nicht immer einfache und konfliktfreie gemeinsame bilaterale Weg stattfinden kann: die gegenseitige Akzeptanz und Bereitschaft zur Lösungssuche. Kooperation und Ausgleich, anstatt konfrontative Machtpolitik. Verhandlungslösungen und Anreize, anstatt Sanktionspolitik. Das heisst: Reden mit den Sozialpartnern, mit den Bürgern und Bürgerinnen. Das heisst Reden mit den zuständigen Behörden. Aber auch, Reden mit den Nachbarländern und mit Brüssel. Das heisst, Reden über Europa und Reden mit Europa.”

Claude Longchamp

Ein erstes Bild des jüngsten SVP-Wahlsiege im Kanton St. Gallen (Rückblick auf heute, Teil VI)

(zoon politicon) Letzten Freitag war in meiner Lehrveranstaltung an der St. Galler Universität Prüfungstag, nicht nur für die Studieren, sondern auch für mich. Ich glaube, alle können zufrieden sein.

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Visualisierung des SVP-Wahlerfolges im Kanton St. Gallen nach Gemeinden (Quelle: Rüegger)


Drei Gruppenarbeiten aus dem Kurs “Empirische Politikforschung in der Praxis”

Präsentiert und diskutiert wurden die rechtzeitig fertiggestellt Gruppenarbeiten. Drei davon beschäftigten sich direkt oder indirekt mit dem Wahlsieg der SVP bei den Wahlen 2008 im Kanton St. Gallen. Der war ja spektakulär. Er bracht der aufsteigenden Partei eine klaren Sieg im Parlament und den erstmaligen Einzug in die Regierung. Mit Stephan Kölliker, dem neuen Erziehungsdirektor im Kanton St. Gallen, weiss die SVP neu auch einen der ihren an der Spitze der renommierten Wirtschaftshochschule HSG.

Weder beschleunigtes, noch verlangsamtes WählerInnen-Wachstum
Die erste Arbeit, die sich mit dem Wahlsieg der SVP bei den kantonalen Wahlen (und Schwyz) beschäftigte, ging der Frage nach, ob es einen speziellen Blocher-Effekt gibt. Sie überprüfte dies anhang kantonaler und nationaler Trends, und sie verwendete drei Interpretationsmöglichkeiten bon Wachstumsraten: Erstens, der Anstieg der SVP im Kanton St. Gallen entspricht der bisherigen Entwicklung der Parteien; zweitens, der Anstieg der SVP verlangsamt sich im Gefolge der jüngsten Ereignisse; und drittens, der Anstieg eben dieser Partei beschleunigt sich seither. Die jungen ForscherInnen kamen zum Schluss, der Anstieg der SVP habe sich 2007/8 weder beschleunigt nicht verlangsamt. Die Partei gewinne etwas gleich viel an WählerInnen-Anteil hinzu wie 2004, als es keinen Blocher-Effekt gab. Der Wandel des Parteiensystems im Kanton St. Gallen hat spät, das heisst in den 90er Jahren eingesetzt. Die SVP legt seither zu, weil sie oppositionelle Potenziale sammelt, mit neuen Personen antritt, mit thematischen Positionsbezügen die Medienaufmerksamkeit focussiert und damit eine wertmässig klar erkennbare Parteilinie jenseits der historischen Partei aufbaut(e).

WählerInnen-Gewinne vor allem durch Mobilisierung, kaum jedoch durch Wechselwählende
Die zweite Arbeit versuchte, die Herkunft der WählerInnen-Gewinne der SVP direkt zu schätzen. Sie stützte sich dabei nicht auf WählerInnen-Befragungen, sondern auf Analysen der Gemeinderesultate in allen 88 Kommunen des Kantons. Hierfür arbeitete sie mit dem Instrument der Wählstromanalyse, wie es im benachbarten Oesterreich serienmässig eingesetzt wird. Die Hauptaussage hier war recht klar: 2008 gewann die SVP vorwiegend aufgrund der Mobilisierung bisheriger Nicht-WählerInnen. Die Wahlbeteiligung nahm zwar insgesamt nicht zu, doch verloren die anderen Parteien durch innere Demobilisierung, während die SVP in erster Linie durch NeuwählerInnen-Mobilisierung profitieren konnte. Die Wechselwahl-Tendenzen im bürgerlichen Lager blieben ausgesprochen gering; gegenüber der CVP ist die Bilanz der SVP nicht signifikant, aber positiv, während sie gegenüber der FDP eher sogar negativ ist.

Panaschierneigung abnehmend – Parteitreue steigend

Die dritte Arbeit beschäftigte sich mit der Panaschierstatistik in den Kantonen St. Gallen und Thurgau. Dabei wurde mit dem Instrument der Parteitreue von WählerInnen gearbeitet, – einem Mass, das anzeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass die Wählenden einer Partei auch KandidatInnen anderer Parteien unterstützen. Generell zeigte sich, dass bei den jüngsten Wahlen die Parteitreue der Parteiwählerschaften zunahm. Dies gilt ganz besonders für den Wahlsieger der SVP. Alles in allem sprechen die Daten dafür, dass die Polarisierung zwischen allen Parteien zwischenzeitlich so gross ist, dass die Bereitschaft, Kandidaturen anderer Parteien zu unterstützen, erstmals zurück geht.

Eine neue These zu den SVP-Wahlsiegen
Das Bild des aktuellen Wahlsiegers verdichtete sich im Verlaufe des vergangenen Freitags zusehends: Das gilt, obwohl die Fragestellungen verschieden waren, – und die Gruppenarbeiten, nicht zuletzt aufgrund des Zeitdruckes – kaum aufgrund einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen entstanden. Wenn sie dennoch ein recht einheitliches Bild des Wahlsiegers vermitteln, spricht dies dafür, dass man sich auf verschiedenen Wegen derselben Realität annäherte. Die These, die so entstand, lautete: Dank ihrer klaren Positionierung einerseits, ihre Mobilisierungsfähigkeit anderseits ist dieses Partei für prinzipiell Wählende besonders attraktiv geworden. Je konsequenter sie daran weiter arbeitet, umso eher kann die Partei auf diesem Weg Erfolge erwarten, – selbst wenn sie dabei Gefahr läuft, sie in einem gewissen Sinnen von den anderen Parteien zu isolieren.

Schon mal eine ganze Menge, was unsere Truppe von Jung-ForscherInnen nur schon zum jüngsten politischen Hauptereignis im Standortkanton der HSG herausfand, mit selber arbeiteten Daten teils gut belegen und in der kritischen Diskussion untereinander auch Aufrecht erhalten konnte.

Alle, die den anspruchsvollen Kurs bis am Schluss durchstanden, haben ihn auf jeden Fall mit Bravour bestanden!

Claude Longchamp

Besprochene Präsentationen:
. Philippe Aeschi: Der aus Christoph Blochers Abwahl resultierte Blocher-Effekt – gibt es den?
. Oliver Rüegger: Der Sieg der SVP im Kanton St. Gallen
. Maurus Berni, Andrea Cristuzzi: Steigt die Parteitreue der SVP-Wähler seit der Bundesratswahl 2007 an?

Bedeutungswandel von Volksinitiativen

Letzte Woche habe mich Bruno Hofer getroffen. Ich kenne ihn seit langem. Er war früher Journalist, später persönlicher Mitarbeiter eines Bundesrates und Kommunikationsverantwortlicher einer Grossunternehmung. Heute ist Bruno Hofer selbständiger Kommunikationsberater sowie Dozent für Web 2.0 am MAZ.

Und Buchautor dazu. “Bedeutungswandel Schweizerischer Volksinitiativen” heisst das Werk, das er Mitte 2007 auf aktuellstem Stand herausgegeben hat. Der Hauptteil des Buches ist eine ausgesprochen materialreiche Sammlung zu allen Volksinitiativen in der Schweizer Geschichte auf Bundesebene bis zum Ende der abgelaufenen Legislatur. Das alleine macht das Buch als Nachschlagewerk nützlich.

Knapp gehalten ist die zusätzliche Auswertung des Erfolges von Initiativen. Der direkte ist bekanntlich gering, der indirekte jedoch kaum untersucht. Und genau dieser Lücke hat sich Bruno Hofer als Erster angenommen. Er hat abgestimmte und zurückgezogenen Volksbegehren aufgrund ihres Lebenszyklus’ untersucht und sich die Frage gestellt, wo überall sich Interventionsmöglichkeiten ergeben. Dabei kommt er zum Schluss, das Instrument sei wichtig, werde aber überschätzt, und war von den Befürwortern wie auch von den Gegnern.

Hier seine 12 Thesen:

. Sämtliche Initiativen haben eine Wirkung.

. Initiativen dienen der Strukturierung neuer politischer Bewegungen.

. Sorgenbarometer und Initiativ-Themen sind nicht korreliert. Dies hängt nicht nur mit der Zeitverschiebung zwischen Lancierung und Abstimmung zusammen. Es gibt auch Themen, die nie zu einer Volksinitiative führen.

. Es gibt kein ganz wichtiges Thema mehr ohne die Initiativen-Begleitmusik.

. Oppositionelle Kräfte sind die grössten Anhänger von Volksinitiativen. Zahlreich sind jedoch auch Einzelpersonen oder -firmen, die das Instrument rege benutzen.

. Initiativen spiegeln den Zeitgeist und fördern das Bewusstsein zum Wandel hin zu einer sozialverträglicheren Gesellschaft. Tendenziell bewirken Initiativen eher die Durchsetzung von Ideen des linken Parteispektrums und sind somit Förderinstrumente eines gewissen Egalitarismus

. Gescheiterte Initiativen haben oft einen thematischen Bereinigungseffekt.

. Volksinitiativen nehmen im Zeitverlauf in ihrer Bedeutung ab.

. Initiativen haben keinen negativen Einfluss auf den Staatszweck.

. Initiativen bewegen absolut gesehen immer weniger aus sich selber heraus. Sie müssen als eines von mehreren Elementen eines Propagandafeldzuges geführt werden.

. Der Missbrauch zu Propagadazwecken nimmt zu. Viele im Sammelstadium gescheiterte Begehren waren Werbeaktionen von Verbänden aller Art.

. Die Behörden entdecken mehr und mehr den Wert des Instruments. Die Initiative “von oben” kommt auf indirektem Weg als neues Instrument hinzu.

Soviel also zum Bedeutungswandel von Volksinitiativen im historischen Ueberblick.

Claude Longchamp

Titel:
Bruno Hofer: Bedeutungswandel Schweizerischer Volksinitiativen, Fahrweid 2007
Uebersicht zu Volksinitiativen in Wikipedia
Uebersicht bei der Bundeskanzlei

Programm für die Präsentation und Diskussion der Gruppenarbeiten

(zoon politicon) Am kommenden Freitag besprechen wir die Gruppenarbeiten, die Sie eingereicht haben. Wir behandeln 4 Themen, und zwar in der nachstehenden Reihenfolge:

1. “Der aus Christoph Blochers Abwahl resultierte Blocher-Effekt -. gibt es den?”
2. “Der Sieg der SVP im Kanton St. Gallen”
3. “Steigt die Parteitreue der SVP-Wähler seit der Bundesratswahl 2007 an?”
4. “Abstimmungshypothesen als Prognoseinstrument: Anwendung am Beispiel zweier Initiativen in der Schweiz”

Ihre mündliche Präsentation soll auf dem Arbeitspapier beruhen. Präsentieren Sie in genau 20 Minuten

. ihre Fragestellung
. ihr Design
. die Hypothese(n)
. die verwendeten Daten
. die verwendeten statistische Verfahren
. die Befunde
. die Diskussion der Hypothese(n) und
. ihre Antworten auf ihre Fragestellung.

Jede Gruppe beurteilt zudem eine andere Gruppenpräsentation. Die Beurteilung soll 5-10 Minuten gehen. Sie brauchen dazu das Arbeitspapier nicht zu kennen; vielmehr sollen Sie ihre Kritik zur mündlichen Präsentation machen und auf drei Punkte ausrichten:

. Sind die Ergebnisse überraschend/erwartbar, aufschlussreich/banal?
. Ist ihre Herleitung überzeugend/wenig überzeugend, nachvollziehbar/nicht nachvollziehbar?
. Ist die Präsentation verständlich/nicht verständlich und kommt sie zum Punkt/nicht zu Punkt?

Wir bilden hierzu folgende Teams: Gruppe 1 (von oben) beurteilt Gruppe 3 und umgekehrt, Gruppe 2 beurteilt Gruppe 4 und umgekehrt.

Anschliessend diskutieren wir jede Gruppenarbeit 5-10 Minuten im Plenum, und ich geben zum Schluss meine Beurteilung bekannt (5-10 Minuten).

Jeder Zyklus geht so rund 45 Minuten; danach wechseln wir das Thema und die Rollen. Ich freue mich jetzt schon!

Claude Longchamp

Oswald Siggs Lesung

(zoon politicon) Oswald Sigg ist ein zurückhaltender Mensch. Er ist von Beruf Bundesratssprecher. Deshalb ist er vor Volksabstimmungen jeweils auch zuständig für die offizielle Information der Behörden an die BürgerInnen. Und genau diese stand gestern in der “Arena” zur Debatte. Denn die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda” wurde am 11. August 2004 vom Verein “Bürger für Bürger” mit 106’344 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht; über sie wird am 1. Juni 2008 in einer Volksabstimmung entschieden.

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“Freie Meinung” – für die einen durch den Bundesrat, für die anderen durch die SVP bedroht (foto: stadtwanderer).

Was die Initiative verlangt und was in der Arena gesagt wurde
Würde die Initiative heute schon gelten, hätte der Bundesrat die Abstimmungsthemen spätestens am 1. Dezember 2007 festlegen müssen. In der Folge hätte er sich, genauso wie die obersten Kader des Bundesverwaltung, der Informations- und Propagandatätigkeit enthalten müssen. Das verlangt die Initiative. Zwei Ausnahmen wären noch erlaubt gewesen: eine kurze Information an die Medien und eine Broschüre an die Bevölkerung.

In der Tat verhält sich der Bundesrat in diesem Fall weitgehend nach dieser Vorgabe, nicht jedoch in allen anderen Fällen. Das macht klar: Die Landesregierung will weiterhin in Abstimmungskämpfen dauerhaft präsent sein können, das Mass des Engagements jedoch der Sache entsprechend dosieren.

Den einschränkenden Grundsatz zur Kommunikation de Regierung gibt die Broschüre eins-zu-eins wieder, die Oswald Sigg produziert hat. Dennoch hielten die Initianten, vertreten durch ihren Präsidenten, in der Arena fortwährend das Gegenteil fest. Mit Bezug auf die Ausnahmen meinten sie, es sei den Bundesbehörden weiterhin möglich zu informieren, ja, die Information der Bürger solle sogar ausgebaut werden. Nur die Behördenpropaganda müsse verschwinden.

Mehrfach wurde in der Sendung darauf hingewiesen, diese Darstellung sei täuschend, und die Arena-Runde wurde aufgerufen, im Bundesbüchlein nachzulesen. Oswald Sigg freute das; er habe sich schon immer gewünscht, dass es zu einer öffentlichen Lesung seines Oevres komme, meinte er lakonisch. Doch blieb es bei diesem Bonmot.

Wer in der gestrigen Sendung auf der Differenz zwischen Geschriebenen und Gesagtem beharrte, wurde aus der Reihe der vorgeschobenen Claquere zur Initiative regelmässig angepöbelt. Das traf selbst mich, was umso mehr irritierte, als der Präsident des Initiativkomitees mich mehrfach als Garanten für das Anliegen zitierte, das man aufgenommen habe.

Meine Position
Selber weiss ich, wie schwierig die Unterscheidung zwischen Information und Propaganda ist. Alle wissen, wo Information anfängt, aber nicht, wo sie in Propaganda übergeht. Das bleibt letztlich Ermessenssache. Der Bundesrat zieht einen ziemlich weiten Informationsbegriff vor, die Initianten einen ganz engen. Ich glaube nicht, dass man in diesem Abstimmungskampf diesbezüglich weiter kommen wird. Denn es mischen sich zu stark parteipolitische, sachpolitische und institutionelle Interessen die Positionsbezüge.

Wichtiger scheint mir, zwischen einem aktiven und einem passiven Kommunikationsverhalten zu unterscheiden. Die Initianten wollen zum passiven Konzept zurück. Selbst wenn ich einiges vom Unbehagen bei Stellungnahmen gegen Initiativen verstehe, das die Initianten äussern, befürworte ich seit längerem ein generell aktives Informationsverhalten des Bundesrates, insbesondere bei Referenden. Mein Argument: Das Parlament ist nicht in der Lage, dem Kommunikationszeitalter angemessene Kampagnen zu führen. Ohne das Engagement des Bundesrates würde, gerade bei Themen, die nicht die Mehrheit betreffen, in der Entscheidung vieles dem Zufall überlassen.

Das hat der Nationalrat erkannt; er hat versucht, die Oeffentlichkeitsarbeit des Bundesrates während Abstimmungskämpfen zuzulassen, aber zu reglementieren. Es soll an Kriterien wie Sachlichkeit, Transparenz und die Verhältnismassigkeit zu binden. Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Gesagte und Nicht-Gesagte
Nach der Sendung, beim üblichen Stehbuffet für die Geladenen der “Arena”, kam eine ganz andere Diskussion auf. Die BefürworterInnen aus dem Publikum sprachen vor allem über das Verhalten von BundesrätInnen, das ihnen auf den geist geht. Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey standen auf der Anklagebank, und Eveline Widmer-Schlumpf wird es bald auch sein, wenn sie in der Arena gegen SVP-Präsident Toni Brunner zur Einbürgerungsinitiative antritt. Aber auch die GegnerInnen aus den hinteren Reihen redeten nach der Sendung vor allem über ihre Aengste. Sie nähren sich aus den Kampagnen der SVP, die in Wahl- und Abstimmungskämpfen im gekauften Raum nach Belieben dominiert.

Und genau das erschwert die Beurteilung der Initiative. Die SVP ist die einzige grössere Partei, die sie unterstützt. Dabei bekommt man den Eindruck, sie tue das, um ihren Kampagnenvorteil zu mehren. Dies wird umso deutlicher, als die SVP auch eine Unterstützung der Parteien durch den Staat strikte ablehnt.

Ohne Regierung oder Parlament in die Pflicht zu nehmen, nach der behördlichen Willensbildung, für die Position, die erarbeitet wurde, in der Oeffentlichkeit einzustehen, funktionieren Abstimmungskämpfe nicht. Das jedenfalls ist die Lehre, die ich aus meinen Erfahrungen mit Abstimmungskämpfen ziehe.

Wenn Oswald Sigg gestern während der Sendung eher schweigsam war, interpretiere ich das so: Er liefert die Grundlagen, um Klarheit zu haben, wer was will. Die Debatte, was dabei besser und schlechter ist, überlässt er gerne den Akteure, die die Entscheidung der StimmbürgerInnen vorbereiten.

Claude Longchamp

Wie Blogger-Kollege Manfred Mesmer, der sich gestern auch als Kommunikationsexperte zur Initiative äusserte, die Sache beurteilt, lesen Sie hier.

Neue Wege der Kommunikation in Abstimmungskampagnen

(zoon politicon) Die SVP geht nach eigenen Angaben neue Wege in der Kommunikation während Abstimmungskampagnen. Sie setzt bei der Einbürgerungsinitiative in Zürich ein Megaplakat ein. Es hat eine Grundfläche von 160 Quadratmeter.

Innovative politische Kommunikation
Seit vielen Jahren ist die SVP dafür bekannt, mit plakativen Auftritten auffällige Abstimmungs- und Wahlkampagnen durchzuführen. Die jüngste selects-Studie belegt den Aufwand, den die SVP bei den Wahlen dafür betrieb, aber auch die Wirkung, welche die Partei so erzielt.

Zu den Innovationen der politischen Kommunikation zählt nach Angaben der SVP, welche in den letzten Jahren in der Schweiz eingeführt worden sind, zählt:

– die Abstimmungswerbung via Telefon
– die Präsenz auf elektronischen Werbewänden in Bahnhöfen
– die Website mit SMS-Dienst für News und offenem Diskussionsforum
– das Online-Game zu aktuellen politischen Themen wie “Zottel rettet die Schweiz” sowei
– kreative Werbemittel, etwa das Trojanische Pferd auf dem Bundesplatz oder der Flyer in
Form eines Schweizer Passes bei der letzten Einbürgerungsvorlage.

Nun setzt die SVP als Teil ihrer Kampagne zur Einbürgerungsinitiative ein neues Werbemittel ein: Heute wurde das grösste Plakat, das in der Schweiz jemals für politische Kommunikation eingesetzt wurde, präsentiert. Es befindet sich an der Aussenfassade eines Parkhauses an der Pfingstweidstrasse 1 in Zürich und misst 11,68 Meter mal 13,57 Meter!

Das neue Medium als Botschaft
Dabei verfolgt die SVP konsequent eine Linie: das Medium der Kommunikation wird zur Botschaft selber. Wir sind anders, wir sind besser, lautet das Motto. Und wenn der politische Gegner bei dieser Innovation nicht mithält, ist das seine Sache.

Dieses Kommunikationsmuster hat Vorteile. Die Medien berichten darüber, weil die Kampagneführung eventartig ist und schon auf der Metaebene einen news-Wert hat. Und sie transportieren so auch immer wieder die Botschaften der SVP-Kampagnen, die sonst schnell als bekannt oder auch parteiisch hinterfragt werden.

Fehlende wissenschaftliche Evaluierung
Leider, kann man sagen, fehlt eine systematische, wissenschaftliche Beschäftigung mit einer Neuerung in der Kampagnenkommunikation, welche die SVP seit einigen Jahren betreibt. Bei Wahlen wurde das jüngst ansatzweise nachgeholt; bei Abstimmungen steht es noch weitgehend aus. So bleibt die Hoffnung oder Befürchtung, dass das Ganze eine Wirkung im Sinne der Urheber hat, ohne dass das geprüft wurden und rational diskutierbar wäre.

Ich schreibe das bewusst nicht wegen der SVP, jedoch wegen der Sozialwissenschaft, die mit der Entwicklung auf dem Gebiet der Kampagnenkommunikation kaum mithalten kann. Für Studierende, die eine Abschlussarbeit in Politik- oder Medienwissenschaft schreiben wollen, eigentlich eine einladende Fundgrube, einen Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaft und eine Beitrag zur demokratiepraktischen Debatte zu leisten.

Claude Longchamp

Mehr dazu hier.

Wahlen und Werbung

(zoon politicon) Die Wahlanalyse der Forschungsgruppe “selects”, der heute erschienen ist, wirft die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahlergebnis und Werbeaufwand erneut auf.

Schon die Wahlbeobachter, die sich 2007 in der Schweiz aufhielten, problematisierten den Zusammenhang, indem sie auf die Abhängigkeit der Massenmedien von Wahlwerbung verwiesen, und bei ungleichen Aufwendungen der Parteien eine Asymmetrie zwischen Parteien und Zeitungen festhielten.

Nun doppelt das universitäre Wahlforschungteam “selects” nach. Die Wahlwerbung der KandidatInnen seien ungleich verteilt gewesen:

. SVP-KandidatInnen Total: 6,1 Millionen Franken
. FDP-KandidatInnen Total: 5,9 Millionen Franken
. CVP-KandidatInnen Total: 4,9 Millionen Franken
. SP-KandidatInnen Total: 2,5 Millionen Frnaken
. Grüne-KandidatInnen Total: 1,2 Millionen Franken

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Schon im November veröffentlichte die Werbebeobachtungsagentur Mediafocus ein ähnliches Rating. Demnach war sich der sichtbare Werbeaufwand der Parteien, nicht der KandidatInnen in den Medien in den nachstehenden Grössenordnungen:

. SVP: 12,2 Million Franken
. FDP: 6,1 Millionen Franken
. SP: 2,5 Millionen Franken
. CVP: 2,2 Millionen Franken
. Grüne: 0,7 Millionen Franken

Die Datailauswertung der Verteilung der Ausgaben, die wir selber vorgenommen haben, zeigt hier Zusätzliches.

Erstens, alle Parteien konzentrieren sich beim Mitteleinsatz auf die Schlussphase des Wahlkampfes. Die Intensität war im Oktober höher als im September, und sie war im September stärker als im August.
Zweitens, die Dauer der intensiveren Ausgaben hängt von der Gesamthöhe des Budgets ab. Bei Grünen, SP und CVP, welche die kleinsten Aufwendungen betrieben, setzte der werberische Auftakt im wesentlichen im September ein. Bei der FDP gilt ähnliches, allerdings in schon ganz anderen Dimensionen.
Drittens, die SVP-Kampagne hatte dagegen ihren take-off im August 2007. Sie Schäfchen-Kampagne war es denn auch, welche das Klima, indem der Wahlkampf stattfand, einsetzte.

Das wirft die Frage auf, wie Wahlwerbung wirkt: Ich werfe die nachstehende Hypothese in die Debatte: Wahlwerbung verspricht nicht einfach Wahlerfolge. Wahlerfolge ergeben sich dann, wenn man in der Werbung die Top-Position einnimmt. Das garantiert am intensivsten und am längsten zu werben. Und das kann das Klima prägen, indem der Wahlkampf stattfindet, was für den Wahlerfolg nicht unerheblich ist.

Ich nenne das climate-setting in der Wahlwerbungskommunikation. Notabene nicht erst seit 2007, sondern seit 1995, dem Zeitpunkt, seit dem ich den Zusammenhang von Wahlen und Werbung in der Schweiz beobachte. Mehr dazu finden Sie hier.

Claude Longchamp

Wird Demokratieforschung in der Schweiz nun konkret?

Einladung zu den Gastvorlesungen im Rahmen der Besetzung einer Professur für Politikwissenschaft und Leitung des Zentrums für Demokratie Aarau

Mittwoch, 7. Mai 2008, Hauptgebäude: KO2-F-152

08:00 – 08:45 Prof. Dr. Daniel Kübler, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel
„Globalisierung von unten: Die De-Nationalisierung des Politischen“

10:15 – 11:00 Dr. André Bächtiger, Universität Bern
„Wege zum Ideal: Institutionen, Akteure, Kultur und die Qualität demokratischer Politik“

16:15 – 17:00 Prof. Dr. Andreas Ladner, IDHEAP Lausanne
„Size and Democracy”

Donnerstag, 8. Mai 2008, Hauptgebäude: KO2-F-152

08:00 – 08:45 Prof. Dr. Dietlind Stolle, McGill University Montréal
„Politische Partizipation im Umbruch?“

10:15 – 11:00 Prof. Dr. André Kaiser, Universität zu Köln
„Wahlsysteme und Frauenrepräsentation. Ein Vergleich der deutschen Landesparlamente“

Dozierende, Studierende und weitere Interessenten sind zu diesen Gastvorlesungen herzlich eingeladen.

Zürich, 22. April 2008
Prof. Dr. Andreas H. Jucker, Kommissionspräsident
Prof. Dr. Reinhard Fatke, Dekan

Unerwünschte Gäste

Leider gibt es zwei Sorten von Reaktionen auf diesen Blog, die unerwünscht sind. Zunächst zahlreiche spams, doch dann auch immer wieder Beschimpfungen aller Art, die an meine Person gerichtet werden, an meine Arbeit, oder auch an die Sozialwissenschaften generell.
Ich sperre sie diese Arten von Reaktionen systematisch, ich verfolge, soweit möglich, die Herkunft.

C.L.

Kurzer Rückblick auf heute (V)

(zoon politicon) Ziel des heutigen Vorlesungsblocks war es, einen Ueberblick über den Forschungsprozess zu geben. Die Uebersicht soll es den TeilnehmerInnen erleichtern, ihr eigenes kleines Projekt zu realisieren.

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Die Zyklen des Forschungsprozesses
Wir haben gesehen, dass es drei Zyklen gibt, die je einem anderen Ziel dienen:

. die Ausarbeitung einer Fragestellung
. die Behandlung einer (oder mehrerer) Hypothesen und
. die Beschaffung von Fällen und Daten, die zur Prüfung der Hypothese geeignet sind.

Meist werden die drei Zyklen als drei Phasen beschrieben, die einander folgen. Im Idealfall ist das auch so. Im Realfall greifen sie aber nicht sequenziell, sondern meist zyklisch ineinander: Die Prüfung von Hypothese soll diese bestätigen oder widerlegen, damit man weiss, mit welchen Erklärungen man weiter arbeiten soll resp. auf welche man verzichten kann. Allenfalls kann es auch sein, das in dieseer Phase, neue, modifizierte Hypothesen entstehen, geeignetere Aussagen ergeben, als die anfänglichen. Das kann zu Präzisierung der Fragestellungen führen, es kann auch eine erneute Erhebung von Daten bedeuten.

Ziel des Ganzen ist es, geprüfte Aussagen zu machen, die einem helfen, Antworten auf die anfängliche Fragestellung(en) zu geben. Diese sollen im wissenschaftlichen Sinne nicht spekulativ erfolgen, sondern logisch und intersubjektiv nachvollziehbar sein. Sie sollen jedoch nicht nur rational hergeleitet werden, sondern sich auch an der Realität bewähren, also empirisch geprüft sein. Hat man das, hat man auch die Antwort auf die Ursprungsfrage, die gilt, bis man allenfalls eine bessere, das heisst widerspruchsfreiere und gehaltvollere findet.

Ergebnisse aus Forschungsprozessen der angewandten Sozialwissenschaften dienen praktischen Folgerungen. Resultate in der Grundlagenwissenschaft dienen der Konstruktion resp. Sicherung von Theorien. Die theoretischen Folgerungen werden in der wissenschaftlichen Literatur publiziert, sodass sie auch durch dritte nachvollzogen und kritisiert werden können. Die praxisrelevanten Folgerungen finden sich eher selten in der wissenschaftlichen Literatur; ihr Adresse ist der Kunde der Forschung, der den Anstoss zu ihr gegeben hat, weil er in der Regel ein Verwertungsinteresse hat.

Das Arbeitspapier

Im Forschungsprozess selber dominieren Arbeitspapiere. Sie werden für Workshops oder Seminare mit ForschungskollegInnen geschrieben. Sie sind meist technisch abgefasst, gelten als als graue Literatur, die ausserhalb von Forschungsteams nicht verwendet wird. In der Grundlagenforschung es ist wichtig, am Ende eines Forschungsprozesses ein Thesenpapier zu haben, das die gesicherten Ergebnisse in einem grösseren Ganzen verbindet. Und in der Anwendungsforschung braucht es am Ende ein Ergebnispapier, das unabhängig vom Forschungsprozess selber, die gesicherten Befunde und Folgerungen daraus aus Sicht der Forschung für die Praxis festhält.

So nun hoffe ich, sie alle, die Forschen worden, haben das minimale Rüstzeug mitbekommen, um sozialwissenschaftliche korrekt zu arbeiten!

Claude Longchamp