Justizinitiative: Ausserparlamentarische Opposition ohne grosse Siegeschancen

Am 28. November 2021 stimmt die Schweiz unter anderem über die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichter und Bundesrichterinnen im Losverfahren (die sogenannte Justizinitiative)» ab. Unsere These: Die Vorlage scheitert in der Volksabstimmung.

Die neue Volksinitiative
Die Justizinitiative will Richterinnen und Richter künftig durch das Los bestimmen lassen. Eine unabhängige Fachkommission würde darüber entscheiden, wer am Losverfahren teilnehmen darf. Sie dürfte nur Personen berücksichtigen, welche fachlich und persönlich für das Amt geeignet sind. Einmal gewählte Richterinnen und Richter könnten künftig bis fünf Jahre über das ordentliche Rentenalter hinaus im Amt bleiben. Eine frühzeitige Entlassung wäre nur noch in Ausnahmefällen möglich.
Lanciert wurde die Initiativen vom Zuger Unternehmer Adrian Gasser (Lorze). Im Komitee sind von Ausnahmen abgesehen vor allem Kreise ausserhalb der Parteien vertreten. Eingereicht wurde das Volksbegehren mit rund 130’000 gültigen Unterschriften. Die meisten davon wurden in den Kantonen Waadt, Zürich, Genf, Bern und Freiburg gesammelt.

Die Behördenposition
Das Bundesgericht hat 36 Mitglieder. Ihre Verteilung nach Parteien lautet:
• 11 SVP (30.6%)
• 7 FDP (19.4%)
• 7 CVP (19.4%)
• 6 SP (16.7%)
• 3 GPS (8.3%)
• 2 GLP (5.9%)
Leicht übervertreten sind damit die bürgerlichen Parteien, untervertreten sind die grünen Parteien nach ihrem Wahlsieg 2019. Der Anteil der Frauen ist mit 42% ähnlich wie im neuen Nationalrat.
Die Behörden ziehen daraus den Schluss, das geltende System der Bundesrichterwahl durch das Parlament habe sich bewährt, sei transparent und demokratisch. Das begründet sie Ablehnung durch die Behörden. Fünf folgende Argumente überzeugten sie:
• Demokratische Wahlen können nicht durch Losglück ersetzt werden
• Parteipolitisch ausgewogenen Vertretung stärkt die Akzeptanz der Justiz
• Deklarierte Parteizugehörigkeit schafft Transparenz
• Unabhängigkeit der Bundesrichter und Bundesrichterinnen heute gewährleistet
• Mandatssteuer stärkt Parteienfinanzierung
Im Parlament erlitt die Vorlage Schiffbruch. Im Nationalrat lautete die Schlussabstimmung 1:191, im Ständerat 0:44. Bundesrat und Parlament haben zudem entschieden, die Volksinitiative ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung zu bringen.

Die anstehende Volksabstimmung
Am 28. November 2021 wird über drei Vorlagen abgestimmt. Dabei dürfte die Justizinitiative die geringste Aufmerksamkeit erhalten. Es gibt keinen Bezug zur Corona-bestimmten Grosswetterlage. Allgemein rechnet man mit einer Ablehnung in der Volksabstimmung.
Bisher liegen nur Nein-Parolen vor, nämlich von der GPS, der EVP und der Mitte. Erwartet wird, dass auch die anderen Parlamentsparteien eine Ablehnung empfehlen werden. Damit dürfte die zentrale Polarisierung zwischen parlamentarischen und ausserparlamentarischen Kräften zu liegen kommen.
Aufgrund des Dispositionsansatzes kann man davon ausgehen, dass es sich um eine Minderheitsinitiative handelt, mit sehr beschränkten Chancen, das im Abstimmungskampf zu ändern.
Die Modellrechnungen zum Abstimmungsausgang sehen unterschiedlich aus, sind aber beide im Nein. Die Hochrechnung aus der Schlussabstimmung im Ja geht von 70 Prozent Nein-Stimmen aus, die aus dem Abstimmungsbüchlein des Bundes von 57 Prozent.

Der beginnende Abstimmungskampf
Der Abstimmungskampf hat bereits begonnen. Beide Seiten sind aktiv. Die Initiantin führt eine Website mit Erläuterungen zur Initiative, wenigen Testimonials und der Möglichkeiten, sich an der Kampagne zu beteiligen. Sie kann sich auf Expert:innen stützen, namentlich aus den Sozialwissenschaften und dem Staatsrecht. Sie betonen die Vorteile des Losverfahrens, namentlich als Sicherung gegen Korruption und Missbrauch der Richter:innen-Wahlen. In einem grösseren Kontext kann man auch demokratieskeptische Literatur erwähnen, die namentlich Repräsentationsdefizit beklagt, und das Losverfahren als das historisch ursprünglich Demokratieverfahren propagiert.
Die gegnerische Seite ist ebenfalls frühzeitig in die Offensive gegangen. Der Bundesrat hat seine Medienkonferenz zur Eröffnung der Vorlage sehr frühzeitig gehalten. Federführend ist das EJPD, vertreten durch Bundesrätin Karin Keller-Sutter.

Ablehnung wahrscheinlich
Alles spricht für ein Nein am Abstimmungssonntag durch Volk und Stände.
Eine kleine Unsicherheit ergibt sich aus der Kombination der Vorlagen am 28. November 2021. Die Mobilisierungswirkungen durch die beiden anderen Vorlagen dürfte höher sein. Dabei ist mit einer latenten Stimmung gegen Institutionen zu rechnen, namentlich durch das Corona-Regime bedingt. Das könnte die Opposition gegen die Behörden etwas erhöhen und der Justizinitiative zu Gute kommen. Für ein Ja dürfte aber auch das nicht ausreichen.