Rechtsrutsch in Genf – für einen Kanton mit einem grossen urbanen Zentrum ist das ein Novum

Die Grünen bezahlen die umstrittene Verkehrspolitik im Kanton Genf. Sie verlieren im Staatsrat wahrscheinlich beide Sitze, und ihre Vertretung im Grossen Rat wird fast halbiert. Klarer Sieger der Parlamentswahlen ist die Rechte, der Staatsratswahlen die bürgerliche Entente. Für die Romandie entsprich das dem gegenwärtigen Trend. Neu ist, dass erstmals auch ein urbaner Kanton davon erfasst wurde.

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Wahlplakat des siegreichen MCG: Einheimische zuerst

Regierungswahlen
Das KandidatInnen-Feld für die 7 Sitze im Genfer Staatsrat war unüblich gross. 29 Bewerbungen standen zur Auswahl. Gewichtet haben die Wählenden via Majorzverfahren klar: Das vorläufige Endergebnis sieht fünf KandidatInnen der bürgerlichen Entente nach dem ersten Wahlgang an der Spitze, gefolgt von 2 Bewerbern des MCG und 2 PolitikerInnen der SP. Pierre Maudet (FDP/Lib.), erst 2012 in einer Nachwahl in die Genfer Kantonsregierung gehievt, erzielt das beste Resultate, doch verfehlt er wie alle anderen das absolute Mehr. Erwartet wird, dass die KandidatInnen der FDP, CVP und des MCG alle nochmals antreten, wohl auch die bestplatzierten der SP, der GPS und der SVP. Möglich ist, dass die GenferInnen eine rein bürgerliche Regierung wählen, aber auch, dass sie die persönlichen Qualitäten der KandidatInnen höher gewichten und eine parteipolitisch breit gemischte Regierung zusammenstellen.

Die Grünen, bisher mit 2 Sitzen, und mit ihr Rotgrün mit 3 Mitgliedern dürften geschwächt aus diesen Regierungswahlen hervor gehen. Mit einem oder zwei Vertreter im Staatsrat wird die Rechte, allen voran das MCG, neu in der Regierung präsent sein. Allenfalls um einen Sitz gestärkt könnte auch die CVP in die Kantonsregierung einziehen.

Parlamentwahlen
Die Parlamentswahlen, nach dem Proprorzverfahren mit Eintrittshürde durchgeführt, zeigen vordergründig ein Polarisierungsmuster: Am meisten legen die vereinigte Linksallianz aus kleinen Linksparteien zu, denn sie gewinnt gemäss Hochrechnung 9 Sitze. 4 Sitzgewinne gibt es für das MCG und 2 für die SVP. Die Reche bezahlen auch hier die Grünen mit 8 Sitzverlusten, während die FDP/Liberalen nach ihrer Fusion 7 Mandate einbüssen. Die anderen Parteien bleiben im Genfer Grossen Rat unverändert.

Die Sitzverteilung täuscht über die wirklichen Verschiebungen in den Parteienstärken hinweg. Hauptgrund ist die 7 Prozent-Hürde. 2009 trat das linke Bündnis mit zwei Listen an, die beide den Einzug ins Parlament verpassten, obwohl sie zusammen 12,3 Prozent der Stimmen erhielten. Diesmal erreichten die wieder vereinigte Linksallianz 3,7 Prozentpunkte weniger, übersprang aber gemeinsam die Hürde, sodass sie trotz Stimmenverlusten die grösste Sitzgewinnerin ist.

Eigentliche Gewinnerin der Genfer Parlamentswahlen ist gemäss vorläufigem Resultat jedoch die Rechte: Das MCG legte um 4,9 Prozentpunkte zu und ist mit 19,7 Prozent die zweitstärkste Partei im Kanton. Die SVP wiederum mache 10,7 Prozent der Stimmen, was einer Steigerung um 2,2 Prozentpunkte entspricht. Das Zentrum bleibt insgesamt ähnlich stark; allerdings verteilen sich die Stimmen auf mehr Parteien. Leader in die FDP/Liberalen, mit 22,7 Prozent der Stimmen auch die stärke Partei unter den Wählenden. Allerdings büsste sie, nach der Vereinigung der FDP mit den Liberalen, 3,6 Prozentpunkte ein. Zulegen konnte die CVP, die mit einem Plus von 0,7 Prozentpunkten neu auf 10,6 Prozent kommt. Gewonnen haben auch die Neulinge GLP und die BDP, die neu 2,9 resp. 0,5 Prozent der WählerInnen repräsentieren, damit aber klar unterhalb der Eintrittsschwelle bleiben, um im Parlament vertreten zu sein.

Verloren hat die Linke. Die SP konnte zwar leicht zulegen; sie kommt auf 14 Prozent der Stimmen, was einem Plus von 1,1 Prozentpunkten entspricht. Drastisch Terrain eingebüsst haben aber die Grünen, mit einem Minus von 6,6 Prozentpunkten, sodass noch gerade 8,7 % übrig bleiben. Wie erwähnt ist auch die vereinigte Linksallianz schwächer als vor 4 Jahren. Erwähnt sei zudem, dass die Piraten 1,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten.

Im Genfer Parlament dürften sich inskünftig drei fast gleichwertige Blöcke gegenüber stehen: Die bürgerliche Entende in der Mitte mit 35 (-7) der 100 Sitze, Rotgrün mit 33 (+1) und die Rechte mit 32 (+6) Mandaten. Unter den Wählenden hat die parlamentarische Mitte einen Anteil von 33,4 Prozent, die Linke repräsentiert 31,2 Prozent und die Rechte 30,4 Prozent.

Trotz Verlusten: Das Zentrum der Entscheidungen geht inskünftig von der FDP/Liberalen aus, denn nur diese Partei kann im Parlament Mehrheiten von der Entente aus nach rechts wie auch nach Links beschaffen. Was wie häufig vorkommen wird, hängt namentlich von der Zusammensetzung der Regierung ab. Und: Ohne Zweifel werden die Themen des MCG nun vermehrt auf die Agenda kommen.

Genfer und Schweizer Verhältnisse
Aus schweizerischer Sicht fällt die besondere Stellung des Mouvement Citoyen Genevois auf. Der Aufstieg der Genfer Rechten geht weitgehend auf ihre Rechnung. Vor acht Jahren gegründet, machte die populistische Partei vor allem mit unkonventionellem Verhalten auf sich aufmerksam. Zentraler Programmpunkt war die Einschänkung der GrenzgängerInnen aus Frankreich, die mit der Personenfreizügigkeit rasch stärker wurden. “Einheimische zuerst” war diesmal der Erfolgsslogan. Zwischenzeitlich stellt die Partei Bürgermeister in verschiedenen Genfer Gemeinden, und nun steht sie vor dem Einzug in die Genfer Kantonsregierung. Damit ist sie, nebst der Lega im Tessin, die zweite wichtige lokale Partei, die mittels (rechts)populistischer Politik von sich reden macht. In beiden Kantonen hat dies den Aufstieg der sonst siegreichen SVP gebremst.

Gelitten hat unter diesem Aufstieg vor allem die Linke. Sie büsste seit 2009 fast einen Viertel ihrer WählerInnen-Stärke ein, sodass der linke Pol inskünftig schwächer sein wird. So drastische Verluste sind national für Rotgrün unbekannt, aber ein Zeichen dafür, was passiert, wenn die Unterschichten entweder nach rechts wechseln, oder nicht mehr stimmen gehen. In der deutschsprachigen Schweiz hat diese Bewegung schon in den 90er Jahren stattgefunden, Genf holt dies in der Romandie gerade nach. Vorbei ist es auch mit dem Anspruch der Grünen, im linken Lager eine Lead-Rolle inne zu haben und die linke Regierungspartei zu sein.

Schliesslich die Mitte: Anders als in Neuenburg hat sich die Fusion elektoral nicht bezahlt gemacht; vielmehr dominiert der nationale Trend, dass 1 + 1 politisch nicht ganz 2 gibt. Leicht gewonnen hat in Genf die CVP, die traditionellerweise rechts der Mitte politisiert und fest in die Entente eingebunden ist. Dennoch verlaufen zahlreiche Trends wie national. Die GLP spricht trotz hoher Eintrittsschwelle für die parlamentarische Repräsentation WählerInnen an, die von der bürgerlichen Mitte und von den Grünen kommen dürften. Beschränkt gilt dies auch für die BDP, die in der Romandie weiterhin schwächelt. Für Sitzgewinne reichte dies diesmal nicht.

Bilanz
Von aussen gesehen war der Mordfall im Strafvollzug das bewegende Thema der Wahl. Das könnte für die Erklärung des Aufstiegs der rechten Partei herangezogen werden – aber für die Niederlage der GPS? Wer in Genf näher dabei war, sieht eher die missglückte Restrukturierung des öffentlichen Verkehrs als hauptsächliches Thema, das namentlich der verantwortlichen Staatsrätin Michèle Kunzler angekreidet wurde und die exemplarischen Verluste ihrer grünen Partei erklären könnte. Nach dem Wahldebakel für die GPS und für sie selber erklärte die bisherige Staatsrätin, sie stehe im zweiten Wahlgang nicht mehr zur Verfügung. Da auch der zweite Kandidat der Grüne abgeschlagen wurde, kann es sein, dass die Grünen ihre Regierungsmitverantwortung diesmal ganz einbüssen.

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Zieht man die aktuellen Wahltrends namentlich in der Romandie zu Rate, könnte es auch einen übergeordneten Grund für den Rechtsrutsch geben. Denn einen solchen gab es jüngst auch in anderen Kantonen der Westschweiz. Das Parteiensystem, traditionellerweise auf die Achse FDP/Libelrae vs. SP konzentriert, wird zusehends durch einen nationalkonservativen Gegenpol erweitert. In den Parlament ist das schon deutlicher der Fall, derweil in den Regierung gegenwärtig eine Umgruppierung stattfindet. Die deutschsprachige Schweiz kennt das schon länger, auch die Symptomatik, dass die Polarisierung zwischen links und rechts die Linke nicht mehr vor Verlusten bewahrt.

Was bleibt? Der Kanton Genf ist an diesem Tag klar nach rechts gerückt. Wie stark sich das auf die kantonale Politik der kommenden fünf Jahre auswirken wird, wird der zweite Wahlgang für den Staatsrat weisen. Für eine kantonale Wahl in der Romandie ist das Ergebnis nichts ganz Neues, für einen Kanton mit einem grossen, urbanen Zentrum schon.

Claude Longchamp