Räume haben es an sich, sie sind dreidimensional. Politik wird meist vereinfach dargestellt, auf einer Dimension zwischen Links/Rechts. Jan Vontobel weist einen Ausweg, nun auch Parteipolitik räumlich darstellen zu können.
Die gestern besprochene Lizentiatsarbeit von Jan Vontobel zur empirischen Bestimmung der politischen Positionen Schweizer Tageszeitungen liefert in einem Nebenaspekt eine interessante Positionierungsmethode politischer Parteien.
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Ausgangspunkt ist die Gliederung des weltanschaulichen Raumes in drei Dimensionen, wie es die beiden Geografen Michael Hermann und Heini Leuthold vor knapp 10 Jahren vorgeschlagen haben. Demnach gibt es in der Schweiz Polarisierung zwischen
• links und rechts (wenn es um Sozialstaat, BürgerInnen-Rechte und Landesverteidigung geht)
• konservativ und liberal (wenn man sich über nationale Souveränität, Verhältnis zu Fremden und Reform der Institutionen streitet) resp.
• ökologisch und technokratisch (wenn sich die Kontroverse um Naturschutz oder technischen Fortschritt dreht).
Da diese Dimensionen anhand von Ergebnissen aus Volksabstimmungen aus den 80er und 90er Jahren hergeleitet wurden, hat Vontobel der Idee entwickelt, die Parteien aufgrund der Parolen bei den jeweils 20 typischen Entscheidungen auf jeder Dimension einzeln zu beschreiben. Das Ergebnis lässt sich sehen:
• Die SVP ist demnach rechts, technokratisch und konservativ.
• Die FDP erscheint als rechte, liberale und technokratische Partei.
• Typisch für die CVP ist ihre Position als liberale, rechte und technokratische Partei
• Die SP dagegen ist links, ökologisch, liberal positioniert,
• während die GPS ökologisch, links und liberal ausgerichtet ist.
Quantifiziert können die Parteien im dreidimensionalen Raum wie folgt verortet werden.
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Damit liegt ein neuartiger Versuch vor, die Parteien mehrdimensional zu klassieren. Da es sich dabei um eine begründete und berechnete Charakterisierung handelt, ist sie jenen vorzuziehen, die man intuitiv, gestützt auf Parteiprogrammen oder Medienimages machen kann. Typisch hierfür ist die Auflistung der Positionen im Wikipedia-Artikel zu den Schweizer Parteien, die verschiedenstes mischt:
• SVP: rechtspopulistisch, nationalkonservativ, teils wirtschaftsliberal, isolationistisch
• FDP: bürgerlich, wirtschaftsliberal, gesellschaftsliberal, Mitte-rechts
• CVP: christdemokratisch, bürgerlich, breites Spektrum von leicht links der Mitte bis klar rechts
• GPS: ökologisch, pazifistisch, feministisch, gesellschaftsliberal, links
• SP: gewerkschaftsnah, für starken Sozialstaat, ökologisch, gesellschaftsliberal, links
Natürlich kann man sich angesichts des ermittelten Ergebnisses fragen, ob es wirklich drei Dimensionen braucht. Theoretisch spricht einiges dafür, vor allem für den Zeitraum des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die mit dem Postmaterialismus einerseits, dem neuen Nationalismus anderseits kamen im Gefolge der Waldsterbe-Debatte (1984) resp. des abgelehnten EWR-Beitritts (1992) neue ideologische Strömungen auf, die heute von etwas unterschiedlicher Strahlkraft sind.
Eine Variante hierzu ist es, sich auf zwei Dimensionen zu beschränkten. Gesetzt sind dabei die markanten Unterschiede zwischen der konservativen Position der SVP einerseits, der mehr oder weniger liberalen der anderen Parteien gibt. Denn Fragen der Oeffnung, des Fremden und der institutionellen Reformen unterscheiden die Parteien meist in dieser genau dieser Spaltung.
Quelle: avenir suisse/Hermann 2011
Denkbar ist darüber hinaus, dass die beiden verbleibenden Dimensionen zweimal ähnliches abbilden, nämlich die links-ökologische und die rechts-technokratisch Weltanschauung. Damit wäre man dann wieder recht nahe bei dem, was Michael Hermann in neueren Analysen betont. Denn heute verwendet er selbst bei Zeitvergleichen nur noch zwei Dimensionen, mit ausgetauschten Bezeichnungen für die Hauptdimensionen.
Wie auch immer, die Uebersicht Vontobels muss bei gleichbleibender Methode mit neuen Daten fortgesetzt werden. Erstaunlich, dass bis heute niemand anders auf die Idee gekommen ist, und meines Wissens auch niemand an die Aktualisierung gedacht hat. Werde mich bald möglichst dahinter machen!
Claude Longchamp
Wenn man mit den Leuten auf der Strasse spricht, so stufen diese die Parteien im einfachen Links-Rechts-Schema ein. Oder aber ordnen Parteien Themen zu. Die zweidimensionale Grafik kann man nur noch erklären, wenn man diese Grafik auch zur Hand hat. Drei Dimensionen ist dann für den Durchschnittsbürger schon zu viel. Wenn wir Politiker das politikverdrossene Volk wieder vermehrt für die Teilnahme am Geschehen gewinnen wollen, müssen wir mit solchen Analysen einfach bleiben.
Übrigens: Schade fehlt die BDP in den Grafiken und im Bericht. Immerhin eine im Parlament vertretene Partei mit Bundesrätin.
Guten Abend Herr Guhl
Die BDP (wie auch die glp) fehlt zu recht. Der Untersuchungszeitraum ist, wie verlinkt, 2002/4, als es ihre Partei noch nicht gab.
Im Schlussabsatz schreibe ich ja, mit dem Verfahren müssen man weitere Erfahrungen sammeln, und es müssten neue Daten gesammelt werden.
Ich habe vor, das in dieser Legislatur zu machen, und komme dann gerne nochmals auf Sie zu.
Bei der “Politikverdrossenheit” habe ich eine andere Meinung. Nimmt nicht die Wahlbeteiligung national seit 1995 zu? Und steigt nicht auch die mittlere Stimmbeteiigung seit den 80er Jahren?
Wenn sich niemand mehr für Politik interessieren würde, müsste doch das Gegenteil geschehen.
Schade, dass mit der Begriff “Technokratisch” falsch gewählt ist/ bzw. nicht hauptsächlich das bezeichnet, als was es hier beschreiben soll.
Klar – ich gebe zu – “Technokratisch” kann auch “allein aus technischer Sicht” bedeuten. Heutzutage, und gerade auch im Zusammenhang mit Politik (z.B. es wurde Herr X gewählt, ein staubtrockener Technokrate), versteht man aber etwas anderes darunter – nämlich (aus Wikipedia): “Im Vordergrund steht die rationale, effektive Planung und Durchführung zielorientierter Vorhaben. Während sich die Aufmerksamkeit ganz auf Mittel und Wege konzentriert, verringert sich die Bedeutung demokratischer Willensbildung und politischer Entscheidungsprozesse hinsichtlich der Wahl gesellschaftlicher Ziele.”
Hier gemeint ist eher so etwas wie “Fortschrittsglaube”, “Technisch” oder “Technologisch” – also (vermeintliche) Gegenpole zu “Ökologisch”.
[…] dass verwendete Konzept, welches von drei Dimensionen im politischen Raum ausgeht, weiter für die Verortung der Parteien zu verwenden. Mich begeistert die Idee nur bedingt. Drei Dimensionen lassen sich ja gerade noch einigermassen […]
Eine systematische Verortung der Parteien und Medien im mehrdimensionalen politischen Raum? Warum nicht. Aber bitte überdenkt erst mal die Konzepte und insbesondere ihre Labels!
Mein Kommentar wurde etwas lang deshalb hier als Blog: http://michellebeyeler.ch/blog/?p=108
Der dreidimensonale Ansatz finde ich grundsätzlich interessant. Schade finde ich hingegen, dass die Politikwissenschaftler an m.E. schwammige Begriffe Festhalten wie z.B. links und rechts.
Es ist klar, dass der Laie die Politik in links und rechts einteilt. Dies tut er aber nur, weil er nichts anderes kennt. Was bedeutet aber links und was rechts? Dies kann sich im Verlaufe der Zeit schon mal ändern. Früher waren links die Republikaner und rechts die Monarchisten. Heute sind links die Etatisten und rechts die Anti-Etatisten.
Auch der Begriff konservativ ist für ich schwammig. Ob jemand konservativ ist, ist grundsätzlich vom Status Quo abhängig. Ist der Staat liberal aufgebaut, so ist der Liberale konservativ (er möchte den liberalen Staat erhalten). Ist der Staat sozialistisch aufgebaut, so ist der Sozialist konservativ. Den Begriff konservativ kann man deshalb m.E. höchstens im gesellschaftlichen Sinne sehen.
Der Gegensatz Ökologisch und Technokratisch finde ich auch etwas merkwürdig.
Was halten Sie denn von folgenden Gegensätze?
etatistisch versus liberal
konservativ versus progressiv
nationalistisch versus internationalistisch
at matthias teh
Das Problem ist weniger, ob die Begriffe ihnen (oder mir) besser passen oder nicht, sondern ob sie zu den Beispielen, die zur Dimension führen, passen.
Denn wenn wir nicht empirisch, sondern normativ ansetzen, macht das ganze Vorgehen der Operationalisierung (möglicherweise) keinen Sinn.
Ich gebe zu, ich stosse mich selber auch an den (amerikanisch inspirierten Begriffen liberal und konservativ, verwende aufgrund der umfragedaten lieber modern/konservativ), doch halte das Vorgehen von Hermann/Leuthold für vorbildlich, weil es (erstmals) die Dreidimensionalität emprisch belegt, die inhaltlich durchaus Sinn macht, und wir hier eine eindeutige Alternative haben zur (Selbsteinschätzung) auf der Links/Rechts-Achse als einzigem Kriterium.
Das sollte man, wegen der (diskutablen) Labelthematik nicht gleich alles über Bord werfen, resp. von seiner Lebenswelt ausgehen, um statistische Ergebnisse zu beschreiben.
at michelle beyeler
Der Titel Deines Blogbeitrags verspricht mehr, als Du danach kritisierst.
Zur Labelfrage habe ich direkt Stellung genommen.